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Ramstein und das Ende militÀrischer Tabus

Peter Nowak

Deutschlands neuer Wehrminister Boris Pistorius (M.) begrĂŒĂŸte an diesem Freitagmorgen Nato-GeneralsekretĂ€r Jens Stoltenberg in Ramstein. Foto: BMVg / Twitter

"Geberkonferenz" auf US-Airbase: Bei westlichen Forderungen nach mehr Waffen fĂŒr die Ukraine geht es um die eigene Vormachtstellung im Spiel der GroßmĂ€chte. Das Treffen erfĂ€hrt nicht den Protest, den es verdient.

Deutschlands neuer Verteidigungsminister Boris Pistorius war kaum im Amt, da bekam er schon Besuch von seinem Kollegen aus den USA [1]. Alle, die darin einen Mangel an deutscher SouverÀnitÀt sehen wollen, liegen falsch. Es geht hier um einfach um MachtkÀmpfe und Gerangel um Einfluss zwischen verschiedenen kapitalistischen Zentren.

Da ist die "Deutschropa"-EU, da ist der Teil der EU, der auf die USA setzt, wie viele osteuropĂ€ische Staaten, und da sind die USA. Das VerhĂ€ltnis ist von Konkurrenz und Kooperation geprĂ€gt. Es geht um teils gemeinsame, teils unterschiedliche Interessen. Von Werten und Freundschaften mag noch so oft in Sonntagsreden gesprochen werden – sie haben in kapitalistischen Beziehungen nichts verloren.

Das wurde in den letzten Tagen im Konflikt um noch mehr und noch gefĂ€hrlichere Waffen fĂŒr die Ukraine deutlich. EU und USA sind sich darin einig, die Ukraine weiter aufzurĂŒsten. In welchen Ausmaß das geschehen soll, ist aber durchaus strittig.

Da gibt es die Ultrafraktion, die die Ukraine so hochrĂŒsten will, dass sie nicht nur alle von Russland besetzten Gebiete – einschließlich der Krim – zurĂŒckerobern kann, sondern sogar Russland angreifen könnte. Andere sind da vorsichtiger und wollen die Ukraine so bewaffnen, dass sie nicht weiteres Territorium an Russland verliert.

Im Rahmen dieser Option, die von Teilen der SPD favorisiert wird, kann der Konflikt nur durch Verhandlungen beendet werden. Hinter diesen Konzepten steht auch die Überlegung, dass eben auch nach der Beendigung des Ukraine-Konflikts Russland noch eine europĂ€ische Macht sein wird, mit der man sich arrangieren mĂŒsse.

Im Szenario der Ultras hingegen wĂ€re Russland mindestens so geschwĂ€cht, dass es sich den Forderungen des sogenannten globalen Westens unterwerfen mĂŒsste. Am transatlantisch gewendeten rechten Rand schwingt da durchaus die Vorstellung mit, den sowjetischen Sieg von Stalingrad doch noch rĂŒckgĂ€ngig zu machen. Klassisch rechte Parteien wie die AfD wollen aktuell weniger Risiken eingehen, weil Deutschland aus ihrer Sicht nicht genug eigene militĂ€rische StĂ€rke aufweist.

Entsorgung deutscher Geschichte und AufrĂŒstung gegen Russland

In diesen Tagen jÀhrt sich das Ende der Hungerblockade von Leningrad, die die deutsche Wehrmacht zu verantworten hatte, zum 79. Mal. An den gezielten Massenmord [2], dem rund eine Million Menschen zum Opfer fielen, denkt in Deutschland heute kaum jemand.

Stattdessen gibt es ein tĂ€gliches Trommelfeuer von Bellizisten [3] die immer gefĂ€hrlichere Waffen an die Ukraine geliefert haben wollen, wie etwa der Politikberater Christian Mölling im Deutschlandfunk-Interview. Am Vortag gab die Osteuropa-Historikerin Franziska Davies [4] die Einpeitscherin fĂŒr mehr Waffen an die Ukraine, dann kommt auch mal ein US-Politiker zu Wort.

Die Botschaften sind immer die gleichen: Es gelte jetzt schnell Russland in die Schranken zu weisen; aktuell sei es zu einer neuen Offensive noch nicht in der Lage – diese Zeit gilt es zu nutzen, um die MachtverhĂ€ltnisse im Sinne des globalen Westens neu zu ordnen. Hier wird deutlich, dass die Ukraine hier auch eine Rolle in einem viel grĂ¶ĂŸeren Konflikt spielt, bei dem Russland ausgebremst werden soll, wie es die taz [5] formulierte.

Die durch den rechtsoffenen Maidan-Umsturz 2014 an die Macht gekommenen Eliten zeigen deutlich, dass sie kein Interesse haben, demokratische VerhĂ€ltnisse in dem Land einzufĂŒhren. Es geht um Machterhalt; und da darf es niemanden geben, der da vielleicht zu wankelmĂŒtig ist und erklĂ€rt, dass man auch nach Ende des Konflikts mit Russland leben mĂŒsse.

Dazu gehörte auch der Selenskyj-Berater Olexij Arestowytsch [6], der nach dem tödlichen Raketeneinschlag in ein Wohnhaus in Dnipro die ukrainische Luftabwehr als Verursacher genannt.

Bevor diese Lesart ĂŒberhaupt geprĂŒft werden konnte, gab es eine nationalistisch grundierte Empörung, die klarstellte, dass alle Versionen, die Russlands Propaganda nĂŒtzen, Verrat an der ukrainischen Nation seien, unabhĂ€ngig davon, ob sie vielleicht zutreffen. Dass die nationalistische FĂŒhrung in der Ukraine so auftrumpfen kann, liegt an der UnterstĂŒtzung durch den globalen Westen.

Ramstein und das Ende aller Tabus

Diese Kreise erhoffen sich eine weitere StĂ€rkung durch ein als "Geberkonferenz" bezeichnetes internationales Kriegstreffen auf der US-Airbase Ramstein, die schon lange eine Basis fĂŒr die US-Kriege und beispielsweise auch fĂŒr extralegale Tötungen mit Drohnen [7] in aller Wert ist.

Was bellizistische Presseorgane wie Springers Welt als "unsinkbaren FlugzeuttrĂ€ger des Westens" [8] titulieren, kann auch als Ort bezeichnet werden, von dem Krieg in alle Welt ausgeht. Deshalb wurde immer wieder auch die Schließung dieser RĂŒstungszentrale Ramstein gefordert.

Davon ist natĂŒrlich in Kriegszeiten keine Rede mehr. Militaristen zahlreicher LĂ€nder erhoffen sich von der heute begonnenen "Geberkonferenz" in Ramstein einen "SchlĂŒsselmoment der Zeitgeschichte" [9]. Neben Wehrministern aus rund 50 Staaten ist auch Nato-GeneralsekretĂ€r Jens Stoltenberg angereist. Dominic Johnson schreibt dazu in der taz:

Dabei erhofft sich die Ukraine von dem Treffen unter Vorsitz des US-Verteidigungsministers Austin nicht nur die bisher grĂ¶ĂŸte koordinierte Zusage militĂ€rischer UnterstĂŒtzung seit dem russischen Überfall vom 24. Februar 2022. Es soll auch einen qualitativen Sprung geben: das Ende aller Tabus.


Dominic Johnson, taz

Militaristen westlicher LĂ€nder wollen in der Großmachtkonkurrenz Russlands SchwĂ€che ausnĂŒtzen, um Fakten zu schaffen und den Konflikt eskalieren. Das können sie auch deshalb, weil es keine wahrnehmbare Massenbewegung gegen diese Kriegslogik auf beiden Seiten gibt. Die Stimmen der Menschen, die klar sagen, das ist nicht unser Krieg, entzieht ihm auf allen Seiten jegliche UnterstĂŒtzung, sind noch immer zu marginal.

NĂ€chstes Ziel China?

Das ist auch deshalb fatal, weil die Militaristen sich ermutigt sehen, wenn es gegen ihre Politik kaum Widerstand gibt. Dann könnte der Konflikt um die Ukraine eine Blaupause sein, um auch an anderen Orten in der Welt zu eskalieren. Da wurde vor wenige Tagen die "Stuttgarter Zukunftsrede" von Liao Yiwu gehalten [10], der hierzulande als Schriftsteller fungiert. Aber hauptsĂ€chlich ist er Propagandist fĂŒr eine ZerstĂŒckelung Chinas. Hier geht es nicht nur um einen Regime-Change, sondern um die Zerschlagung des Landes.

Mit solchen Parolen hat sich Yiwu auch in oppositionellen Kreisen Chinas weitgehend isoliert. Er lebt aber nun in Deutschland; und dort stehen ihm die TĂŒren offen, seine Thesen eben auch bei Events wie der Stuttgarter Zukunftsrede unter großen Applaus zu verbreiten.

Dort denkt niemand nach, ob dies nicht ein Affront ist, angesichts der Rolle Deutschlands bei der Niederschlagung des Boxer-Aufstands in China. Aber solche historischen Reminiszenzen sind in Deutschland schon lĂ€ngst mehr gefragt, da es wieder seinen Platz im Konzert der anderen kapitalistischen MĂ€chte behaupten will. Da sind Erinnerungen an die Toten der deutschen Außenpolitik, ob in China oder der ehemaligen Sowjetunion, wohl nur lĂ€stig.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7465420

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bmvg.de/de/aktuelles/verteidigungsminister-pistorius-trifft-us-amtskollegen-austin-5570790
[2] https://www.spiegel.de/geschichte/1941-beginn-der-blockade-von-leningrad-872-tage-hunger-a-959c3393-12b7-4023-a3b0-238215f6a078
[3] https://www.deutschlandfunk.de/kaltstart-im-bendlerblock-interview-christian-moelling-dgap-dlf-b416568b-100.html
[4] https://www.deutschlandfunk.de/was-braucht-die-ukraine-interview-franziska-davies-universitaet-muenchen-dlf-b605d05f-100.html
[5] https://taz.de/Geberkonferenz-in-Ramstein/!5906555/
[6] https://www.rnd.de/politik/ukrainische-flugabwehr-grund-fuer-einschlag-in-dnipro-berater-kuendigt-nach-aussage-ruecktritt-an-HLCXP5TJSP4LIH7IPRFGFYIINQ.html
[7] https://www.facebook.com/stoppramstein/photos/a.750051085121338/5240556239404111/?type=3
[8] https://www.welt.de/kultur/plus242737831/Ramstein-Air-Base-Unsinkbare-Flugzeugtraeger-des-Westens-Warum-Das-Geheimnis.html
[9] https://taz.de/Geberkonferenz-in-Ramstein/!5906555/
[10] https://www.stuttgart.de/pressemitteilungen/01-januar/liao-yiwu-haelt-zweite-stuttgarter-zukunftsrede-im-rathaus.php