Raten Sie mal, wie viel billiger Fliegen statt Bahnfahren in Europa ist?
Greenpeace-Studie belegt, warum Urlaube meist nicht mit der klimafreundlicheren Bahn gemacht werden. Die Preisunterschiede seien "empörend", sagt die Umweltorganisation. Wer ist schuld, was wird gefordert?
In ganz Europa machen sich die Menschen auf in den Sommerurlaub. Nach der Corona-Pause hat der Tourismus stark angezogen, während beliebte Ferienziele in Südeuropa wie Italien, Spanien und Griechenland unter großer Hitze und Dürre leiden.
Angesichts der Klimakrise und ihrer Folgen sollten emissionsarme Transportmittel eigentlich Priorität genießen. Wer die Umwelt weniger belastet, sollte dafür belohnt werden – über geringere Kosten, bessere Preise und ein gutes Angebot.
Ein Flug ist bis zu 80 Mal klimaschädlicher als eine Bahnfahrt. Wer den Zug nimmt, sollte das also im Portemonnaie spüren. Doch eine am Donnerstag veröffentlichte Greenpeace-Studie zeigt, dass die Preise dem keineswegs folgen. Das Gegenteil ist tatsächlich der Fall.
Im Durchschnitt sind die Preise für eine Bahnfahrt in Europa laut Studie doppelt so hoch, wie wenn man die gleiche Strecke mit dem Flugzeug zurücklegt. Die Autoren haben dabei 112 Strecken an neun verschiedenen Tagen untersucht und miteinander verglichen.
Um von London nach Barcelona zu kommen, müssen die Passagiere sogar bis zu 30-mal mehr ausgeben, wenn sie den Zug statt das Flugzeug nehmen: 384 Euro vs. 12,99 Euro. Andere teure Strecken sind London-Bratislava (15,5-mal mehr mit der Bahn), Budapest-Brüssel (12,5-mal), Madrid-Brüssel (15-mal) oder Rom-Wien (10,2-mal).
Greenpeace hält es für "empörend", dass die schmutzige Fortbewegung per Flugzeug mit Steuererleichterungen den Menschen als beste Option geboten wird und die ökologischere Form das Nachsehen hat. Belohnt werden am Ende diejenigen, die das Flugzeug besteigen, während die, die mit der Bahn reisen, bestraft werden, so die Umweltorganisation.
Auf den 112 analysierten Strecken werden nur 23 Zugfahrten angeboten, die billiger sind als die Flüge, wovon aber nur die Hälfte akzeptable Bedingungen aufweist. Die andere Hälfte wird von schlechten und langsamen Zügen bedient, wie die Verbindung Tallinn-Riga oder Warschau-Ljubljana. Auf 16 dieser 23 Strecken fliegen keine Billigflieger, sechs haben keine Direktverbindung.
Am teuersten sind die Bahntickets im Vergleich zu einer Reise mit dem Flugzeug in Großbritannien, Spanien, Belgien, Frankreich und Italien. In Deutschland ist der Unterschied moderater, aber mit durchschnittlich 51 Prozent höheren Ticketpreisen immer noch deutlich.
Selbst Strecken, die sehr effektiv von der Bahn betrieben werden, wie die zwischen Amsterdam und London, London und Edinburgh oder Toulouse und Paris (Reisezeit: vier bis viereinhalb Stunden), sind unter den Top 4 der Kurzstreckenverbindungen per Flugzeug in Europa. Denn die Flüge sind auf diesen Routen sehr viel billiger.
Vor allem die Billigflieger lassen die Bahn in 79 Prozent der untersuchten Strecken preislich hinter sich. Diese sind besonders schmutzig und klimaschädlich, da es sich zum Teil nicht um Direktflüge handelt. Bei Flügen wie von Marseille nach Kopenhagen mit Zwischenstopp in Berlin werden nach Angaben von Greenpeace bis zu zehnmal mehr Treibhausgase ausgestoßen als bei einem Direktflug.
Die niedrigeren Kosten bei Flugverbindungen haben nicht nur mit dem unfairen und aggressiven Preiskampf der Billigflieger wie Ryanair oder EasyJet zu tun, sondern auch mit einer strukturellen Schieflage im Verkehrswesen, die politisch gewollt ist.
So bezahlen die Luftfahrtunternehmen in Europa keine Steuern auf Kerosin und nur wenige auf Tickets. Mit vielen Milliarden Euro greift der deutsche Staat zudem dem Flugzeugbau und der Airport-Wirtschaft kräftig unter die Arme. Das hat die Branche immer mehr wachsen lassen.
Das spart dem Flugverkehr viel Geld: für Treibstoff und Tickets sind es jährlich in Deutschland allein zwölf Milliarden Euro an Steuergeldern.
Politische Subventionen haben Flug-freundliche Welt erzeugt
Eine kürzlich erschienene Studie der Organisation "Transport and Environment" hat ergeben, dass den europäischen Regierungen im Jahr 2022 34,2 Milliarden Euro durch eine unzureichende Besteuerung des Luftverkehrs entgehen. Die "Steuerlücke" wird dem Bericht zufolge im Jahr 2025 auf 47,1 Milliarden ansteigen.
Umweltschäden werden dem Luftverkehr dabei generös erlassen. Zudem verursacht Fluglärm bei Anwohnern Bluthochdruck, Infarkte, Depressionen, kognitive Schäden bei Kindern und Verkürzung gesunder Lebenszeit.
Die Kosten, die dadurch im Gesundheitssystem entstehen, werden auf die Allgemeinheit abgewälzt. Dazu kommen noch viele Milliarden an Wertverlusten für Immobilien durch Lärmbelastungen. Bei all dem ist die Flugwirtschaft neben der Schifffahrt die einzige Branche, die sich zu keinen Emissionsminderungen verpflichten muss.
Es sei durch die politische Subventionierungskultur, wie das Umweltbundesamt sich ausdrückt, eine "Flug-freundliche Welt" kreiert worden: mit Airports überall im Land, einem maßgeschneiderten Angebot von Hotel- und Freizeitinfrastruktur und vereinfachten Visabestimmungen.
Dem gegenüber ist die Bahn vernachlässigt worden, während Unsummen in oft nutzlose Prestigeobjekte versenkt werden, wie der kürzlich verstorbene Verkehrs- und Bahnexperte Winfried Wolff nicht müde wurde zu betonen.
Unter Verkehrsminister Volker Wissing wird die Deutsche Bahn nun derart aufs Abstellgleis geschoben, dass es selbst dem Bundesrechnungshof zu viel wurde und er dem FDP-Minister in einem Sonderbericht vorwarf, die Verfassungsaufträge "immer schlechter" zu erfüllen.
Stefan Gössling, Professor an der Linnaeus-Universität in Schweden, der sich mit Flugemissionen beschäftigt, stellt fest:
Kurz gesagt: Wer fliegt, wird subventioniert, wer mit der Bahn fährt, wird durch höhere Preise bestraft – und auch dadurch, dass die Fahrt oft länger ist.
Der Flugverkehr macht global ungefähr 2,5 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen aus, die die Erde immer mehr aufheizen. Diese Emissionen sind zudem ohne andere Antriebsformen, die bisher nicht marktreif zur Verfügung stehen, nicht zu vermeiden. Dabei sind es nur die Wohlhabenden, die es sich überhaupt leisten können, zu fliegen.
Global waren 2018 nach Erhebungen von Gössling nur vier Prozent der Weltbevölkerung verantwortlich für alle Auslandsflüge. Der britische Umweltjournalist George Monbiot vom Guardian verweist auf die soziale Ungerechtigkeit dahinter:
Dreiviertel der internationalen Passagiere am größten Flughafen Großbritanniens [Heathrow] reisen aus Freizeitgründen. Sie sind überproportional reich: Ihr Durchschnittseinkommen liegt bei 57.000 Pfund [über 63.000 Euro]. Lediglich 15 Prozent der Briten sind verantwortlich für 70 Prozent der Flüge. Also alle müssen bezahlen für die Urlaube, an denen sich die Bessergestellten erfreuen.
Die Forderungen der Internationalen Energieagentur (IEA) und von Greenpeace sind, die Flugindustrie gemäß ihrer Auswirkungen, Umweltschäden und ihrer Kundschaft angemessen zu besteuern.
Zudem sollten die Regierungen "nationale, einfache und erschwingliche Klimatickets" bereitstellen, wie sie von Österreich 2021 eingeführt wurden, so Greenpeace. Dort kann man nun für drei Euro am Tag den öffentlichen Nah- und Fernverkehr im Land nutzen.
Die Autoren der Greenpeace-Studien mahnen angesichts der Wetterextreme, die vor allem am wenigsten geschützten Menschen im Süden treffen:
Es ist höchste Zeit, dass die Bahn erschwinglicher wird als Fliegen in Europa.