Razzien gegen "Letzte Generation": Gemeint ist das solidarische Umfeld

Die "Ordnungszelle Bayern" profiliert sich als Vorreiter im Kampf gegen zivilen Ungehorsam. Foto: StMI / Public Domain

Die Repression soll vor allem Personen einschüchtern, die nicht in der ersten Reihe stehen. Die Entschlossenen werden nicht aufhören. Ziel ist finanzielle Austrocknung der Gruppe.

Weitermachen und sogar die Proteste noch verschärfen – so lautet die Botschaft der Klimabewegung "Letzte Generation" nach der bundesweiten Razzia gegen Aktivisten der Gruppe. Schnell war eine neue Homepage freigeschaltet, nachdem am 25. Mai auch die bisherige Webseite der Organisation gesperrt worden war. Federführend bei den Ermittlungen waren die Generalstaatsanwaltschaft München und das LKA Bayern, das auch erklärte, dass ein wesentliches Ziel der Maßnahmen "Vermögenssicherung" gewesen sei.

Den Beschuldigten wird zur Last gelegt, eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten für die "Letzte Generation" organisiert, diese über deren Homepage beworben und dadurch bisher einen Betrag von mindestens 1,4 Mio. Euro an Spendengeldern eingesammelt zu haben. Dieses Geld wurde nach den bisherigen Erkenntnissen überwiegend auch für die Begehung weiterer Straftaten der Vereinigung eingesetzt.


Aus der Pressemitteilung des LKA Bayern

Konkreter Schaden auch, wenn sich der Vorwurf nicht erhärten lässt

Damit wird auch klar, dass es darum geht, die Organisation finanziell auszutrocknen. Daher ist es auch irreführend, dass nach der Razzia verschiedene Politiker erklärten, es gehe bei den Razzien darum, zu ermitteln, ob die "Letzte Generation" eine kriminelle Organisation ist. Mit der Beschlagnahme der Finanzen wird die Aktionsfähigkeit der Organisation auf jeden Fall ganz konkret geschädigt, selbst wenn die Gelder später zurückerstattet werden sollten, wenn sich der Vorwurf nicht erhärten lässt.

Neben der finanziellen Austrocknung spielt auch die Einschüchterung vor allem der Unterstützer eine wichtige Rolle. Der harte Kern der Organisation dürfte auch durch die Polizeimaßnahmen nicht zum Aufgeben bereit sein. Schließlich konnten wir in den letzten Monaten erleben, dass zu einer Bewährungsstrafe verurteilte Klimaaktivisten sich sofort wieder an Straßenblockaden beteiligten und damit Haftstrafen riskierten.

Mehrere von ihnen haben in Prozesserklärungen auch ganz offen bekundet, dass sie vor den Folgen des Klimawandels mehr Angst haben als vor dem Gefängnis und deshalb Haftstrafen in ihr Kalkül aufgenommen haben. Hier könnte sich ein Milieu herausbilden, bei dem eben die Angst vor dem Gefängnis und damit die Repression versagt.

Das haben wir auch bei anderen auf der Grundlage des zivilen Ungehorsams basierenden Massenprotesten in der Vergangenheit gesehen. Die Beteiligten sehen sich im Recht und nehmen die Gefängnisstrafe in Kauf – und damit wird die Bewegung auch größer. Ein Beispiel dafür waren die Suffragetten, die Bewegung für die Gleichberechtigung der Frau war in ihren Aktionsformen wesentlich radikaler als die "Letzte Generation", deren Sprecherinnen nach Razzien immer wieder bekundeten, dass sie doch mit den Politikern reden wollten.

An dieser Linie hielt die "Letzte Generation" auch nach der letzten Razzia fest. Wenn die Staatsapparate den Kreis der Überzeugten auch mit Repression nicht von den Aktionen abhalten können, dann versucht man ihnen die Unterstützung zu entziehen. Weil es zumindest im solidarischen Umfeld Menschen gibt, die sich nicht trauen, in der ersten Reihe zu stehen. Dieses Umfeld, das für eine Organisation des zivilen Ungehorsams überlebensnotwendig ist, soll durch die Polizeimaßnahmen eingeschüchtert und dazu gebracht werden, die Unterstützung zu reduzieren oder einzustellen.

Kritische Solidarität ist nötig

Ob das Kalkül aufgeht, wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Die "Letzte Generation" ruft zu massenhaften Solidaritätsaktionen im ganzen Land auf. Bisher waren die Proteste zahlenmäßig recht bescheiden und blieben im dreistelligen Bereich. Allerdings haben sich auch Klimaaktivisten mit der "Letzten Generation" solidarisiert, die deren Methoden bisher durchaus politisch kritisiert haben. Das ist auch notwendig.

Denn unabhängig von der Frage, wie man die Aktionen der "Letzten Generation" bewertet, ist die Razzia ein Angriff auf Aktionen des zivilen Ungehorsams, die in verschiedenen politischen Teilbereichen praktiziert werden. Dass in der Presseerklärung des LKA die Ermittlungen auch mit zahlreichen Anzeigen aus der Bevölkerung begründet wurden, hat auch einen ganz klar populistischen Zug.

Hier können sich Rechte wie AfD und Co. bestätigt sehen, die schon seit Monaten fordern, die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung zu verbieten. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Razzia auf rechten Online-Portalen wie PI-News gefeiert wurde. Es müsste geklärt werden, ob bei den Ermittlungen auch rechte Staatsanwälte und Richter eine Rolle spielen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie gegen die linke Opposition juristisch vorgehen. Über die Problematik hat Joachim Wagner ein Buch veröffentlicht.

Angeblicher "Angriff auf die kritische Infrastruktur"

Ein weiterer Grund für eine kritische Solidarität mit der Letzten Generation ist der Abwehr des Versuchs, gewaltfreie Aktionen gegen Anlagen der fossilen Energie als Angriff auf die kritische Infrastruktur zu interpretieren und zu kriminalisieren.

So heißt es in der Pressemitteilung des LKA:

Zwei Beschuldigte stehen zudem im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt (sog. kritische Infrastruktur in Bayern) zu sabotieren.

Die angebliche Sabotage bestand darin, dass zwei Aktivisten beim Versuch erwischt wurden, einen Hahn zuzudrehen. Grundrechtsverteidiger warnen schon lange davor, dass mit den Gummibegriff vom Angriff auf die kritische Infrastruktur Grundrechte noch weiter beschnitten werden könnten.

Dann könnten auch bald jede Demonstration oder auch Streiks im Bereich der kritischen Infrastruktur kriminalisiert werden. Auffällig, aber nicht überraschend ist, wie sich Law-and-Order-Politiker fast aller Parteien nicht nur in dem Lob der Polizeiaktionen ergehen sondern auch selber zur weiteren Kriminalisierung schon durch die Sprache beitragen. Der Begriff "Angriff auf die zivile Infrastruktur" gehört ebenso dazu wie die Erklärung eines CDU-Politikers aus Brandenburg, die "Letzte Generation" hätte Flughafen und Energieanlagen angegriffen.

Die martialische Sprache lässt an einen Krieg mit Waffen denken. Dabei handelte es sich um strikt gewaltfreie Aktionen des zivilen Ungehorsams auf dem Flughafengelände. Auch die viel beschworene Trennung der Gewalten ist oft nur eine Schimäre, wie die vielen Statements von Politikern zeigen, die sich in den Medien wie Richter aufspielen, die die Gruppe schon schuldig gesprochen hat.

Da ist weder von Gewaltenteilung die Rede, noch davon, dass eigentlich die Unschuldsvermutung zu gelten hat, weil ja erst einmal ermittelt wird und Gerichte über die Einstufung als kriminelle Vereinigung entscheiden sollen. Die jetzt so viel beschworene Unabhängigkeit der Gerichte ist ebenfalls Ideologie. Seit Monaten gibt es eine Kampagne rechter Politiker der verschiedensten Parteien, stärker gegen die Klimaaktivisten vorgehen.

Der Druck ist in letzter Zeit gewachsen und wurde von rechten Politikern und Medien gegen die Teile der Justiz verstärkt, die es bisher abgelehnt hatten, die "Letzte Generation" zur kriminellen Organisation zu erklären. Mit der Razzia haben sich die Rechten zunächst durchgesetzt. Ob die Kriminalisierung auch gesellschaftlich durchgesetzt werden kann, wird sich in den nächsten Tagen an den Protesten zeigen.

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