ReArm Europe: EU rüstet auf – aber gegen wen?

Bundeswehr-Panzer in Litauen

Eine Panzerkolonne der Bundeswehr in Litauen

(Bild: Arnoldas Vitkus/Shutterstock.com)

Europa rüstet auf. Warum es strategische Differenzen gibt, wie Russland reagieren könnte und warum das Programm trotzdem brandgefährlich ist. Ein Ausblick.

Die wütenden Reaktionen auf den milliardenschweren Hinterzimmerdeal (als Nebelkerze "Sondervermögen" genannt) zur Aufrüstung Deutschlands sind noch nicht ganz verhallt, da zeichnet sich am Horizont ein weiteres Projekt zur Generalmobilmachung gegen Russland ab.

Insbesondere vor dem Hintergrund der US-amerikanischen "Zeitenwende", dem Trump'schen Ausstieg aus dem Ukraine-Krieg, sei "die Zeit der Friedensdividende lange vorbei", verkündete die EU-Vertreterin Ursula von der Leyen im Rahmen der Vorstellung des Weißbuchs zum Programm.

Pläne aus Berlin und Brüssel

Die EU-Kommission geht in die Vollen: Im laufenden Jahr sollen 150 Milliarden in eine "Ära der Aufrüstung" investiert werden. In den kommenden vier Jahren soll die Summe im Rahmen eines 5-Punkte-Plans "Rearm-Europe" auf gigantische 800 Milliarden anwachsen. Was bedeutet dieser Plan und ist er Ausdruck eines strategischen Realismus?

Im Kern unterscheidet sich der europäische Plan nicht von den Berliner Plänen. Er könnte eine Blaupause sein, inklusive Schuldenfinanzierung und Kapitalmarkt-Akquisition. Generell sollen alle EU-Staaten ihre Ausgaben für "Verteidigung" auf 1,5 Prozent erhöhen (das Nato-Ziel liegt bei zwei Prozent, das 2024 23 der 32 Nato-Staaten erreicht haben).

Das würde kumuliert eine Summe von 650 Milliarden Euro in die Kriegskasse spülen – der Rest von 150 Milliarden soll auf den volatilen Finanzmärkten beschafft werden. Per Anleihe: Das frei zirkulierende Finanzkapital würde demnach den Zinssatz bestimmen, je höher das Ausfallrisiko, desto höher der Zinssatz. Sollte ein Krieg nicht gewonnen werden können, dürfte der Schaden enorm sein.

Die Sache hat einen Haken: Die gemeinsame Schuldenaufnahme der EU-Staaten ist spätestens seit den heftigen Auseinandersetzungen um die Frage der Eurobonds immens umstritten.

Der Streit gilt als ausgemacht, denn die Kommission würde sich über den EU-Haushalt Geld leihen und dieses dann an mindestens zwei bis drei Staaten unter der Bedingung weiterreichen, dass dieses Geld zweckgebunden in Rüstung und Aufrüstung investiert wird.

"Whatever it takes" auf europäisch

Pro-europäische Denker erhoffen sich von Rearm einen positiven Koordinierungseffekt anstelle des nationalstaatlichen Klein-Klein.

Spannend ist, dass Rearm ohnehin nicht der einzige Geldtopf der EU ist: Bleiben noch Pesco, EPF (fünf Milliarden) oder EDF (13 Milliarden), deren Volumina aber im Vergleich mickrig sind.

Komplementär zum Merz'schen Marathon durch die deutschen Gesetzgebungsinstanzen setzt auch die EU-Kommission zum Sprint an: bis zum 21. März sollen offizielle Gesetzesentwürfe veröffentlicht werden, vorher wird die Propagandamaschinerie angeworfen. Am 19. März veröffentlichte die EU-Kommission detaillierte Pläne mit dem Schwerpunkt Rüstung und Krieg.

Unterstützt wurde von der Leyen durch den für Verteidigung und Raumfahrt zuständigen Kommissar Andrius Kubilius, der den Aufbau einer kriegsfähigen Rüstungsindustrie in den Mittelpunkt stellte. Er sagte: "Spätestens jetzt ist klar: Eine starke europäische Verteidigungsindustrie ist die Grundvoraussetzung für die Sicherheit Europas. Wir bauen Produktionskapazitäten auf."

Kubilius ist ein litauischer Hardliner, gehört der christlich-konservativen EVP-Fraktion an und hat in Russland Einreiseverbot.

Auf 22 Seiten breitet die EU ihre Pläne aus: Zum einen wird die Finanzierung vorgestellt, zum anderen die fünf Säulen von Rearm.

Die oben vorgestellten Kredite sollen den Namen "Safe" erhalten, eine Lösung der skizzierten Probleme wurde jedoch nicht vorgestellt. Im Bereich der Finanzierung sollen auch die Europäische Investitionsbank, nationale Ausnahmen vom bestehenden Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie die Mobilisierung privaten Kapitals genutzt werden.

Hinzu kommen folgende Komponenten des 5-Punkte-Plans: Die Lücken bei den kritischen Fähigkeiten sollen geschlossen werden, eine europäische Verteidigungsindustrie soll durch Bürokratieabbau ermöglicht werden, ein europäischer Binnenmarkt für Verteidigung soll geschaffen werden.

Zentral verankert ist die uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine – ohne Hinweis auf einen baldigen EU-Beitritt soll das Land "durch verstärkte militärische Unterstützung und eine vertiefte Integration der europäischen und ukrainischen Verteidigungsindustrie" eingebunden werden.

Widerstand aus Warschau und Den Haag?

Neben den bekannten Baustellen und Zerwürfnissen, die mantraartig wiederholte Einheit der EU steht in den unterschiedlichen Kapitalinteressen nur auf dem Papier, wie dem Problem der Finanzierung, den unterschiedlichen nationalen Rüstungsindustrien und deren Interessen, zeigt das Beispiel Polen, wie verfahren die Lage ist.

Wie Telepolis berichtete, könnte sich Warschau als Stolperstein erweisen: denn Polen sieht sich unter dem Schirm Washingtons am besten aufgehoben.

Auch die erzkonservative polnische Regierung kann über die 1,5 Prozent nur lächeln: Sie investiert stabile 4,7 Prozent ihres BIP in Rüstung (in Litauen ab 2026 fünf bis sechs Prozent, in Lettland ab 2026 vier Prozent).

Neu, aus anderen Erwägungen, ist der Widerstand der halben Regierung der Niederlande: Aus Den Haag kamen deutliche Worte, die "Kommission übertreibt die russische Gefahr". Ministerpräsident Dick Schoof hatte bereits öffentlich um Zustimmung geworben, als ihm 3 der 4 Koalitionspartner einen Strich durch die Rechnung machten.

Sie stimmten im Parlament geschlossen gegen die Investitionen. Die Abgeordneten befürchten einen massiven Anstieg der Verschuldung. Die Regierung wird aufgefordert, auf EU-Ebene ein Opt-out auszuhandeln, also die Möglichkeit, national aus dem Vertrag auszusteigen. Ein Abgesang auf Einigkeit und Entschlossenheit.