Rebellion oder Untergang - ein Aufruf zur Rettung unserer Zivilisation
In seinem neuen Buch geht es Noam Chomsky um die existentiellen Bedrohungen durch Atomwaffen und den Klimawandel auf. Er stellt sie in den Kontext einer nie dagewesenen globalen Macht der Konzerne. Ein Auszug
Wir leben seit 75 Jahren unter der Bedrohung eines Atomkrieges. Wenn man auf diese Geschichte zurückblickt, kann man über die Tatsache, dass wir bis jetzt überlebt haben, nur erstaunt sein. Wir standen wieder und wieder buchstäblich nur Minuten vor der endgültigen Katastrophe. Dass sie nicht eingetreten ist, ist letztlich ein Wunder, aber selbst Wunder dauern nicht ewig. Wir müssen dieser Gefahr ein Ende machen, und das schnell.
Die "Richtschnur zur US-Kernwaffenpolitik" der Trump-Administration erhöht das Risiko einer für die menschliche Spezies tödlichen nuklearen Feuersbrunst dramatisch. Wir erinnern uns vielleicht, dass diese Richtschnur von Jim Mattis in Auftrag gegeben wurde, den Trump später als zu zivilisiert für einen Verbleib in seiner Regierung betrachtete - daran lässt sich ermessen, was das Trio Trump-Pompeo-Bolton als zulässiges Meinungsspektrum ansieht.
Bis 2002 gab es insgesamt drei große Abrüstungsverträge: den ABM-Vertrag über Abfangraketen, den INF-Vertrag zu den "mittleren" Nuklearwaffen und den New START-Vertrag. 2002 zogen die USA sich aus dem ABM-Vertrag zurück. Und jeder, der glaubt, Abfangraketen seien Verteidigungswaffen, täuscht sich sehr ernsthaft über diese Systeme.
Der INF-Vertrag
Der 1987 von Gorbatschow und Reagan abgeschlossene INF-Vertrag hat die Gefahr eines Krieges in Europa, der sich dann sehr rasch ausbreiten würde, scharf reduziert. Massive, öffentlichkeitswirksame Demonstrationen bildeten den Hintergrund, der zu einem Abkommen beitrug, das eine äußerst einschneidende Veränderung herbeiführte.
Es lohnt sich, an diesen und etliche andere Fälle zu denken, in denen ein bedeutender und breiter Aktivismus der Bevölkerung einen enormen Unterschied gemacht hat. Die Lehre daraus ist zu offensichtlich, um eigens ausgesprochen zu werden. Aber jetzt, viele Jahre später, hat sich die Trump-Administration aus dem INF-Vertrag zurückgezogen und die Russen haben dann sofort dasselbe getan.
Dazu sollte angemerkt werden, dass beide Seiten glaubwürdige Gründe für die Behauptung haben, die jeweils andere Seite habe Vertragsbruch begangen. Für Leser, die sich ein Bild von der russischen Sicht der Sache machen wollen, gab es in der wichtigsten Zeitschrift zu Fragen der Rüstungskontrolle, dem Bulletin of Atomic Scientists, einen Leitartikel von Theodore Postol, in dem er darauf hinwies, wie gefährlich die Stationierung von Abfangraketen an der russischen Grenze nicht nur per se, sondern aufgrund ihrer Wahrnehmung aus russischer Perspektive sei. Immerhin handelt es sich hier um die russische Grenze.
Die Spannungen werden schärfer; beide Seiten führen provokative Aktionen durch. In einer vernunftgesteuerten Welt würde das zu Verhandlungen zwischen den beiden Seiten führen, bei denen unabhängige Experten die von beiden gegen die jeweils andere Seite erhobenen Beschuldigungen bewerten würden, um zu einer Lösung zu kommen und den Vertrag wiederherzustellen. So wäre es in einer vernünftigen Welt, aber leider ist das nicht die Welt, in der wir leben. Stattdessen wurden überhaupt keine Bemühungen in diese Richtung gemacht. Und solange es keinen beträchtlichen Druck gibt, wird das auch so bleiben.
Der New START-Vertrag
Damit bleibt noch der New START-Vertrag übrig. Dieser Vertrag ist vom zuständigen Mann (der sich bescheiden als den größten Präsidenten der amerikanischen Geschichte bezeichnet) schon als schlechtester Vertrag, der je abgeschlossen wurde, abgekanzelt worden, die übliche Bezeichnung für alles, was seine Amtsvorgänger getan haben. Und Trump fügte auch hinzu, dass wir den Vertrag aufkündigen müssen.
Dieser Vertrag steht zur Verlängerung an und so steht eine Menge auf dem Spiel. Ob er verlängert wird, ist eine sehr wichtige Frage, da er die Zahl der Nuklearwaffen scharf verringert hat, auf ein Maß, das immer noch viel zu hoch, aber doch weit geringer liegt als die frühere Zahl. Und er könnte weitergeführt werden.
Der Text ist ein Auszug aus Noam Chomskys Buch Rebellion oder Untergang! Ein Aufruf zu globalem Ungehorsam zur Rettung unserer Zivilisation", 128 Seiten, aus dem Englischen übersetzt von Michael Schiffmann, Westend Verlag, 2021
Die Erderwärmung
Zugleich schreitet die Erderwärmung unerbittlich voran. In unserem Jahrtausend ist mit einer einzigen Ausnahme jedes Jahr wärmer als das vorhergehende gewesen. Kürzlich publizierte wissenschaftliche Studien von James Hansen und anderen deuten darauf hin, dass die Kurve der Erderwärmung, die seit etwa 1980 eine starke Steigung aufweist, sich rapide nach oben beschleunigen und sich von einem linearen zu einem exponentiellen Wachstum bewegen könnte, was bedeuten würde, dass die Erwärmung sich alle paar Jahrzehnte verdoppelt.
Wir bewegen uns bereits auf die Temperaturen von vor 125.000 Jahren zu, als der Meeresspiegel etwa acht Meter höher lag als heute. Mit dem rapiden Abschmelzen der riesigen Eisfelder der Antarktis könnte dieser Punkt wieder erreicht werden. Die Konsequenzen dieser Entwicklung wären beinahe unvorstellbar. Ich werde nicht einmal versuchen, sie zu beschreiben, aber ich bin sicher, Sie können sie sich selbst ausmalen.
Unterdessen lesen wir in den Medien regelmäßig euphorische Berichte darüber, wie die Vereinigten Staaten ihre Förderung fossiler Brennstoffe vorantreiben: Sie haben mittlerweile sogar Saudi-Arabien überholt. Wir sind weltweiter Führer in der Produktion fossiler Brennstoffe.
Die großen Banken, JPMorgan Chase und andere, pumpen Geld in neue Investitionen in diese Brennstoffe, darunter auch die gefährlichsten wie die kanadischen Teersande. Und all das wird äußerst begeistert und aufgeregt präsentiert: Wir sind dabei, das Ziel der "Energieunabhängigkeit" zu erreichen. Wir können die ganze Welt kontrollieren und über die Verwendung fossiler Brennstoffe in der Welt bestimmen.
Dabei fällt kaum ein Wort darüber, was all das bedeutet, obwohl das ziemlich offensichtlich ist. Das liegt nicht daran, dass die Journalisten und Kommentatoren das nicht wissen oder dass die Top-Manager der Banken es nicht wissen. Natürlich tun sie das. Aber hier operieren dann die Formen institutionellen Drucks, denen die Einzelperson sich schwer entziehen kann.
Ein institutionelles Problem
Versetzen Sie sich einmal in die Lage des Vorstandsvorsitzenden der größten Bank, JPMorgan Chase, die gewaltige Summen in fossile Brennstoffe investiert. Er weiß mit Sicherheit genau so viel über die Erderwärmung wie Sie. Sie ist ja kein Geheimnis. Aber welche Optionen hat er?
Im Wesentlichen nur zwei: Die eine ist, genau das zu tun, was er tut. Die andere ist, zu kündigen und durch jemanden ersetzt zu werden, der genau dasselbe tun wird, was er jetzt macht. Es handelt sich hier nicht um ein individuelles, sondern um ein institutionelles Problem, das gelöst werden kann, aber nur durch enormen öffentlichen Druck.
Im Januar 2019 wurde die Weltunterganguhr des Bulletin of Atomic Scientists auf zwei Minuten vor Mitternacht vorgestellt. So nah war sie dem endgültigen Untergang seit 1947 noch nie gewesen. Die Erklärung der Experten zur Umstellung der Uhr erwähnte die beiden uns nun schon bekannten Gefahren, nämlich die wachsende Gefahr eines Atomkrieges und die ebenfalls wachsende Gefahr des Klimawandels. Und zum ersten Mal sprach sie auch von einer dritten Gefahr, der Aushöhlung und Schwächung der Demokratie.
Sie ist neben der Erderwärmung und der Gefahr eines Atomkriegs die dritte tödliche Bedrohung. Und sie hinzuzufügen war absolut richtig, da eine funktionierende Demokratie die einzige Hoffnung bietet, die beiden anderen Gefahren abzuwenden.
Ohne massiven Druck der Bevölkerung werden die derzeit ausschlaggebenden staatlichen und privaten Machtinstitutionen diese Gefahren nicht angehen, und das heißt, dass die Mechanismen einer funktionierenden Demokratie am Leben erhalten werden und so eingesetzt werden müssen, wie es die Sunrise-Bewegung und die großen Massendemonstrationen Anfang der 1980er-Jahre getan haben und wie wir es auch heute tun können.
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