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Recht, Moral und Gewalt gegen Frauen

Claudia Wangerin

Symbolbild: Tumisu auf Pixabay / Public Domain

Wann steht ein Femizid "auf unterster sittlicher Stufe"? - Richterliche Ansichten dazu und patriarchales Besitzdenken waren Themen einer Panel-Diskussion vor dem heutigen Frauentag.

Wenn erfahrene AnwĂ€ltinnen wie Christina Clemm den Umgang mit Vergewaltigungsopfern vor Gericht kritisieren, geht es nicht darum, den Grundsatz "Im Zweifel fĂŒr den Angeklagten" auszuhebeln. Mandantinnen, die sie in solchen FĂ€llen in der Nebenklage vertritt, kann sie erklĂ€ren, dass ein Freispruch rein rechtlich völlig in Ordnung sein kann, wenn Aussage gegen Aussage steht und die kriminaltechnischen Beweise nicht fĂŒr eine Verurteilung reichen. Nur eines, sagt Clemm, kann sie ihnen nicht erklĂ€ren: "Warum sie so schlecht behandelt werden."

Damit meint sie zum Beispiel, dass manche Richter den betroffenen Frauen bereits dann nicht glauben, wenn sie nicht das vermeintlich typische Opferverhalten an den Tag legen. Oder dass eine solche Straftat als weniger schlimm bewertet wird, "wenn es im sozialen Nahraum passiert" ist.

Es sei sogar schon vorgekommen, dass ihr eine Richterin gesagt habe: "Ich wĂŒrde ja lieber von meinem Mann vergewaltigt werden als von einem Fremden", berichtete Clemm am Freitagabend in einer Online-Podiumsdiskussion unter dem Motto "Tatort Zuhause - Gewalt gegen Frauen". Mit dabei waren die Sozialwissenschaftlerin und Politologin Monika Schröttle sowie Andreas Schmiedel, Leiter der Fachstelle des MĂŒnchner Informationszentrums fĂŒr MĂ€nner (MIM) fĂŒr GewaltprĂ€vention, TĂ€terarbeit und Elternberatung bei hĂ€uslicher Gewalt.

Anlass war der bevorstehende Frauentag; moderiert wurde das FachgesprĂ€ch von der Theaterregisseurin Christiane Mudra, deren StĂŒck "The Holy Bitch Project" [1] eigentlich am 5. MĂ€rz in MĂŒnchen uraufgefĂŒhrt werden sollte, was aber wegen der Corona-Pandemie auf den 20. Juni verschoben werden musste.

Dass es hÀusliche Gewalt auch "umgekehrt" gibt, bestritt kein Diskutant und keine Diskutantin. Gewalt von MÀnnern gegen Frauen habe aber gesellschaftlich eine andere Dimension, sagte Schmiedel. "Was definitiv der Fall ist: Es bringen wesentlich weniger Frauen ihre MÀnner um", betonte er. Wenn sie es doch tÀten, dann "in der Regel nach jahrelanger vorheriger Gewalt durch den Mann".

Moralische Bewertungen

Von der in Deutschland erst seit 1997 strafbaren Vergewaltigung in der Ehe ĂŒber SchlĂ€ge, Tritte und andere Misshandlungen bis zum versuchten Mord oder Totschlag kann dies alles sein. Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann seine Noch- oder Ex-Ehefrau, Partnerin oder Ex-Partnerin umzubringen, etwa jeden dritten Tag gelingt es einem. Ob dies juristisch als Mord oder als Totschlag beurteilt wird, hĂ€ngt letztendlich oft von moralischen Bewertungen ab. Genauer gesagt davon, was Gerichte als "niedrigen Beweggrund" betrachten, der im Sinne des Mordparagraphen "auf unterster sittlicher Stufe" stehen muss.

"Das ist natĂŒrlich dann auch die Sicht der Richtenden", so die AnwĂ€ltin Clemm - und die deutsche die Justiz sei nicht gerade als "Speerspitze der feministischen Revolution" bekannt, sondern eher konservativ geprĂ€gt. So wird auch das Verhalten der Frau moralisch bewertet - ob etwa die Eifersucht des TĂ€ters "völlig grundlos" war oder nicht; ob sie ihn tatsĂ€chlich verlassen wollte und wenn ja, ob die Richter ihre GrĂŒnde nachvollziehen können. Patriarchales Besitzdenken ist jedenfalls laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) [2] von 2008 nicht zwangslĂ€ufig ein niedriger Beweggrund.

Vielmehr ist darin die Rede von GefĂŒhlen "der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit", wenn "die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will". Erfolgt die Verurteilung dann nur wegen Totschlags, kann er nach wenigen Jahren frei sein, wĂ€hrend fĂŒr Mord lebenslange Haft vorgesehen ist - frĂŒhestens nach 15 Jahren kann eine vorzeitige Haftentlassung beantragt werden.

Doch unabhĂ€ngig von der Strafandrohung wollen viele MĂ€nner, die einmal zugeschlagen haben, es nicht so weit kommen lassen. In die Fachstelle des MIM kĂ€men ab und zu "echte Selbstmelder", sagt Schmiedel - also MĂ€nner, die ihre Partnerin geschlagen und gespĂŒrt haben, dass sie "so" nicht sein wollen. Viele kĂ€men aber erst, nachdem die betroffene Frau gedroht habe, sie zu verlassen oder anzuzeigen, wenn sie nichts unternĂ€hmen und sich notfalls auch professionelle Hilfe suchten, um ihr Verhalten zu Ă€ndern. Die TĂ€terarbeit koste zwar Energie, sagt er. "Aber es wirkt." Auch wenn das Patriarchat ein "stabiles System" sei. "Damit sich da was Ă€ndert, muss ich unter UmstĂ€nden gegen eine lebenslange Sozialisation anstinken."

Frei von patriarchaler Sozialisation sind aber oft nicht einmal diejenigen, die ĂŒber den Teil der TĂ€ter richten sollen, die tatsĂ€chlich angezeigt werden. Sei es, weil sie im "sozialen Nahraum" zugeschlagen oder weil sie dort vergewaltigt haben.

Typisches Opferverhalten gibt es nicht

In Fortbildungen, die leider nicht Standard seien, könnten Richterinnen und Richter beispielsweise mehr ĂŒber die psychischen Folgen eines solchen Vertrauensbruchs lernen - und warum diese Folgen sogar schlimmer sein könnten als nach der Tat eines Fremden, sagt Monika Schröttle. In Fortbildungen könnte außerdem vermittelt werden, dass es kein typisches Opferverhalten vor Gericht gibt, das als einzig glaubwĂŒrdiges Opferverhalten gelten kann, betont Christina Clemm. Auch die Einstellung der Frau zum Sex mĂŒsse sich nicht zwangslĂ€ufig dauerhaft Ă€ndern, wenn sie tatsĂ€chlich vergewaltigt worden sei. Richter hĂ€tten aber oft ein bestimmtes Bild im Kopf, wie sich Opfer noch viele Monate nach der Tat verhalten mĂŒssten.

Demnach riskiert eine betroffene Frau vor Gericht schon ihre GlaubwĂŒrdigkeit, wenn sie bei der Wiederbegegnung mit dem TĂ€ter nicht gebrochen wirken und möglichst keine SchwĂ€che zeigen will, weil sie ein triumphierendes Grinsen von ihm nicht ertragen könnte.

Leider gebe es ein "antiquiertes RechtsverstĂ€ndnis", wonach es gegen die richterliche UnabhĂ€ngigkeit verstoße, den Richterinnen und Richtern Fortbildungen aufzuerlegen, so Clemm. Die Polizei sei diesbezĂŒglich "inzwischen schon recht weit geschult", auch wenn das nicht heiße, dass alle Beamten sich entsprechend sensibel verhielten.

Mit ihrem Buch "AktenEinsicht - Geschichten von Frauen und Gewalt" [3] beschreibt die AnwĂ€ltin auch, wie schwer solche Verfahren oft fĂŒr die Betroffenen durchzuhalten sind. Ungewollt habe sie damit wohl auch manche Frau davon abgehalten, Anzeige zu erstatten, sagt sie. "Ich habe leider viele Mandantinnen, die sagen, diesen Weg wĂŒrden sie nicht noch mal gehen - und das darf nicht sein in einem Rechtsstaat."

Aus ihrer Sicht mĂŒssten Richterinnen, Richter und "wir alle" in solchen FĂ€llen der Anzeigeerstatterin dankbar sein. Sie habe es zwar schon erlebt, es sei aber selten, dass Richterinnen oder Richter am Ende tatsĂ€chlich Worte der Dankbarkeit und des Respekts fĂŒr die Betroffenen fĂ€nden, wenn ein TĂ€ter verurteilt werden könne.

Das 2016 eingefĂŒhrte Prinzip "Nein heißt nein" im Sexualstrafrecht stellt zwar klar, dass eine Frau nicht versucht haben muss, sich unter Lebensgefahr gegen einen körperlich ĂŒberlegenen TĂ€ter zu wehren, damit die Tat ĂŒberhaupt juristisch als Vergewaltigung gilt. Es reicht, dass sie gegen ihren erkennbaren Willen geschehen ist. Allerdings hat dies nicht dazu gefĂŒhrt, dass Vergewaltigungen objektiv leichter bewiesen werden können, wenn der TĂ€ter nicht zugibt, dass er das "Nein" gehört und trotzdem weitergemacht hat.

Dass Vergewaltiger fĂŒr ihre Taten verurteilt werden, kommt immer noch in den seltensten FĂ€llen vor. Der Kriminologe Christian Pfeiffer, der sich mit Dunkelfeldforschung befasst, ging bis dato nach einer Studie von 2011 davon aus, dass von 100 vergewaltigten Frauen nur eine die Verurteilung des TĂ€ters erlebt - etwa 15 Prozent erstatteten demnach Anzeige. Das Bundeskriminalamt wertet zur Zeit eine grĂ¶ĂŸere Dunkelfeldstudie [4] aus, um aktuellere Zahlen zu liefern.

Damit Betroffene mehr Zeit fĂŒr eine solche Entscheidung haben, ohne dass Beweismittel verloren gehen, gibt es in der Gewaltschutzambulanz der Berliner CharitĂ© [5] die Möglichkeit, Spuren sichern und Verletzungen rechtsmedizinisch dokumentieren zu lassen, ohne sofort oder innerhalb einer bestimmten Frist Anzeige erstatten zu mĂŒssen.

Im "Corona-Jahr" 2020 haben sich 1.661 Betroffene an diese Gewaltschutzambulanz gewandt - acht Prozent mehr als im Jahr zuvor.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-5073928

Links in diesem Artikel:
[1] https://investigativetheater.com/news/
[2] https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/2/08/2-349-08.php
[3] https://www.kunstmann.de/buch/christina_clemm-akteneinsicht-9783956143571/t-0/
[4] https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Forschung/ForschungsprojekteUndErgebnisse/Dunkelfeldforschung/SKiD/skid_node.html
[5] https://gewaltschutzambulanz.charite.de/angebot_der_gewaltschutzambulanz/