Rechte Gefühle und digitaler Faschismus
Simon Strick über die Neue Rechte im Netz, extremistische Markenkerne und die Naivität des Mainstreams
Auf digitalem Wege scheint die Teilnahme am neo-faschistischen Diskurs einfach. Entsprechende Angebote suchen den Schulterschluss mit der bürgerlichen Mitte. Der Kultur- und Medienwissenschaftler Simon Strick untersucht in seinem aktuellen Buch "Rechte Gefühle. Affekte und Strategien des digitalen Faschismus", erschienen im Transcript-Verlag, wie in den sozialen Medien faschistische Ansichten und Meme auch jene erreichen, die sich sonst meilenweit vom Rechtsextremismus entfernt wähnen. Im Interview wird deutlich, dass es an der Zeit wäre, liebgewonnene Verortungen aufzugeben und sich dem Thema neu zu stellen.
Was kann man unter digitalem Faschismus verstehen?
Simon Strick: Zunächst das: Es gibt eine neue Rechte, die im Netz agiert. Sie hat sich digitalisiert und besitzt einen Vorsprung, wie man historisch weiß. 1995 gab es zum Beispiel bereits das Stormfront Network in den USA, eine relativ große Gruppe, die den digitalen Raum zum Netzwerken benutzt hat. Mit dem Begriff "digitaler Faschismus" geht es mir aber noch um etwas Anderes: Die Neue Rechte hat relativ transparent dargestellt, warum sie das Netz für äußerst wichtig hält.
Im Buch zitiere ich Martin Sellner von der Identitären Bewegung, der explizit schreibt: Die Neue Rechte war bisher eine Subkultur, sie soll eine breite Gegenkultur werden. Das ist der Wandel, den ich im Buch nachvollziehe: Die Allgemeinheit ist geübt darin, über den Nationalsozialistischen Untergrund zu sprechen, über Hinterzimmer und geheime Seilschaften.
Es gibt aber eine breite und sehr öffentliche Gegenkultur, die ich als "Alternative Rechte" bezeichne. Mir geht es erst mal um die Beschreibung dieses Raums in seiner Ausdehnung, auch in seiner Ausdifferenzierung. Es gibt viele Rechte, und sie sind recht verschieden. Sellner selbst spricht vom "Neurechten Kontinuum", ich von rechten Atmosphären.
Gegen das Einheitsbild "Rechtsextremismus" wehren Sie sich mit Ihrem neuen Buch?
Simon Strick: Der Begriff verrät ein wenig die Naivität des Mainstreams, der die extreme Rechte immer irgendwo am Rand verortet, und dann immer plötzlich auftauchen sieht. Das war eigentlich nie der Fall, glaube ich: fragt man marginalisierte Menschen, waren und sind die Rechten eigentlich immer da und sehr präsent.
Wenn der Verfassungsschutz von geheimen Strukturen spricht, ist das im Netzzeitalter nicht korrekt: Die Neue Rechte ist eine der besten Kommunikationsagenturen. Sie reden eigentlich die ganze Zeit öffentlich darüber, was ihre Strategien sind, was sie erreichen wollen.
Sie kommunizieren das breit, sie haben Facebook- und YouTube-Kanäle und so weiter. Das sind also gute Kommunikationsleute. Man kann nicht so tun, als gebe es sie nicht oder nur im geheimen Untergrund.
Worauf zielt dann Ihr Buch?
Simon Strick: Es zielt erst mal darauf, diese Breite an rechter Kommunikation, die nicht unbedingt auf Ideologie und Radikalisierung, sondern auf Anschlussfähigkeit angelegt ist, zu vermessen.
Wie stellen sich die Rechten in der Breite auf?
Simon Strick: Es gibt einen Markenkern – deshalb finde ich den Begriff Faschismus auch angemessen. Der Markenkern und der rhetorische Drehpunkt der Neuen Rechten ist die Rede vom Großen Austausch.
Es gibt mehrheitsweiße Gesellschaften wie die deutsche zum Beispiel, wo es dann so und so viele Herkunftsdeutsche gibt und die sollen ersetzt werden, durch Leute, die nicht weiß sind oder nicht deutsch genug. Hierbei geht es um eine Einteilung, wer alles "normal" sein soll in dieser Bundesrepublik. Es sind die üblichen rechten Feindbilder, die sich nicht wahnsinnig gewandelt haben.
Es gibt auch eine Manipulation im öffentlichen Raum, wo der Große Austausch mit sehr vielen Dingen zusammengebracht werden kann, etwa der Bevölkerungsentwicklung oder dem Recht auf Abtreibung – das macht die AfD sehr gern.
Das ist der rechtsextreme Markenkern: Es gibt einen Bevölkerungsaustausch, nicht einen Wandel, sondern einen gezielten Austausch, der mit Migration und liberaler Politik zusammenhängt. Das ist im Kern völkisch oder ähnlich dem, was die Nationalsozialisten mit "Lebensraum" meinten.
Welche Auswirkungen hat diese Vorstellung vom Großen Austausch für die rechten Netzaktivisten?
Simon Strick: Sie verwenden ihn als großen Politikentwurf: Wir müssen irgendetwas gegen die Vernichtung der sogenannten weißen Kultur machen. Es geht aber auch um solch etwas wie die Reartikulation des Kleinsten, dafür sind die Sozialen Medien wichtig.
Welche Auswirkungen hat der Große Austausch im Alltag? Die Political Correctness etwa, die ihnen – den richtigen Deutschen – angeblich etwas verbieten möchte. Oder die Frauenquote, die dann zum Beispiel mit einem Geburtenrückgang in Zusammenhang gebracht wird oder auch mit ganz persönlichen Geschichten: Männer schreiben im Netz, wie der Feminismus ihre Beziehung, ihre Männlichkeit ruiniert hat.
Und dieser Mythos vom Großen Austausch erreicht dann weit mehr als den harten und extremen Kern der Rechten?
Simon Strick: Ja. Dieser extremistische Markenkern wird jetzt, das ist die These des Buchs, von verschiedensten Akteuren verschieden genutzt. Es ist nicht in erster Linie Ideologie, sondern dient zur Artikulation eines Gefühls: bedrängt werden, angegriffen sein. Da spielen Menschen völlig freiwillig mit, ohne dass man zwingend von einer rechtsextremen Ideologisierung sprechen kann.
Das sind Dynamiken in den Sozialen Medien selbst, wo Menschen mitmachen, weil die sozialen Dynamiken im Internet dafür geeignet sind. Man lernt schnell, wie man sich äußern kann, welche Aufmerksamkeit es dafür gibt. Es gibt eine gewisse intrinsische Populismusmechanik der Sozialen Medien. Dinge werden sehr polarisiert dargestellt, denn je polarisierter, desto mehr Clicks.
Das sind Belohnungssysteme: Wenn man zum Beispiel auf Twitter ist, möchte man vielleicht selbst eine Reichweite und erhält sie rasch durch Provokation und Transgression. Man schließt sich diesen Projekten an, fühlt sich ein wenig ein und kommt zu dem Schluss, dass man sich über den Genderstern, die Migration, die Mainstream-Medien, oder auch über diese Messerattacke, die jemand von der Identitären Bewegung oder der AfD ausgräbt und Ähnliches, sehr gut aufregen kann und dafür mit Likes oder auch Kritik belohnt wird.
Eine Lieblingserzählung auf den Sozialen Medien ist ja generell: Das ist hier ist ein Thema, aber es darf nicht darüber gesprochen werden. Darauf kann jeder spontan sagen: "Ja, genau! Darüber wird nicht gesprochen, warum nicht? Ich muss jetzt darüber sprechen!" Dann fangen weitere Erzählungen an von gleichgeschalteten Medien, von der heldenhaften Einzelposition, die man verteidigt, usw. Das sind Dynamiken, die sehr breitentauglich sind.
Mit welcher Methode nähert man sich am besten dieser Thematik?
Simon Strick: Ich antworte mal mit dem Trump-Beispiel: Warum wurde ein rechtskonservativer Millionär gewählt, dessen Einsatz für die "kleinen Leute" ja wenig glaubwürdig war? Mehrheitlich hat die Forschung das soziologisch beantwortet: Welche Schichten waren trumpaffin? Welchen Narrativen von Nation und Identität usw. hängen die an? Und dann kam oft die Erzählung der ökonomisch Abgehängten im Rust Belt.
Für den digitalen Raum finde ich es sehr schwierig, solche Verallgemeinerungen zu machen. Weil sich Menschen spontan einklinken können, und ich eher mit Accounts als mit Schichtenzugehörigkeiten zu tun habe. Ich habe mit Plattformen und Aufmerksamkeitstechniken zu tun, Diskursverläufen, kulturellen Feldern - sowas interessiert mich als Kulturwissenschaftler. Ich vermesse einen Diskursraum, keine gesellschaftliche Gruppe.
Wie gefährlich können diese Social Media-Nutzer werden? Wann kippt das Spiel um?
Simon Strick: Wir leben gerade in einem etwas experimentellen Stadium, weil wir seit einem oder zwei Jahren sehr viele Effekte einer digitalen Schwarmlogik sehen. Also Menschen, die sich über Telegram organisieren oder die sich einem Shitstorm anhängen, und es zu realen Folgen kommt. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: das gilt für viele Dinge und Anliegen.
#MeToo hat zum Beispiel als Hashtag begonnen, aber auf vielen Initiativen zu sexueller Gewalt aufgebaut. Es hat ziemlich reale Konsequenzen gehabt: Leute wie Harvey Weinstein konnten dadurch aufgedeckt werden. Bei Hashtags wie "Rassismus gegen Weiße" gibt es andere Folgen; bei amorphen Netzwerken, wie beim Anschlag von Halle, wieder andere.
Wie schauen andere Beispiele aus?
Simon Strick: Es gibt etwa Foren und Nutzerschwärme, die davon ausgehen, die amerikanische Wahl sei manipuliert worden. Durch massives Bespielen dieser Erzählung entsteht so etwas wie eine andere Realität, die auch durch offizielle Faktenchecks nicht beeinträchtigt, sondern eher bestätigt wird. Seit einiger Zeit kippen diese Schwärme auch auf die Straße und verwandeln sich in reale Welten: der 6. Januar in Washington war so eine realisierte Schwarmbewegung.
Ich beschreibe das im Buch anhand der Corona-Gegendemonstration am 29. August 2020. Natürlich waren Rechtsradikale da, Der Dritte Weg etwa war da und viele andere Menschen haben demonstriert. Es waren auch völlig normale Leute da.
Menschen aus Schwaben oder Sachsen, die einen Wochenendausflug nach Berlin machen, um dort sagen zu können, dass sie in einer Diktatur leben. Die kommen extra in die Hauptstadt, um das zu tun. Sie haben eine andere Realität als ich, weil ich nicht in einer Diktatur lebe.
Aus diesen Schwarmdynamiken entstehen ziemlich heterogene Kollektive, die sozusagen ins Reale kippen. Sie können sich auf Inhalte einigen, wie: "Die BRD ist eigentlich die DDR 2.0", "Wir leben in einer Diktatur!" Solche Konstruktionen finden Sie von Norbert Bolz bis Attila Hildmann.
Auf solchen Demonstrationen kommen Menschen dann zu Ideen, wie sich mit Polizisten anzulegen und werden auf der anderen Seite auch von Polizisten angegriffen oder verhaftet: Bilder davon belegen dann in den Sozialen Medien wieder die Diktatur. Dabei gibt es Effekte, wie zum Beispiel, dass sie "gefühlt" tatsächlich eine Diktatur erfahren haben, direkt oder via diese Bilder. Diese Effekte nenne ich "rechte Gefühle".
Es sind nicht unbedingt durchideologisierte Menschen, sondern es sind Menschen, die durch das Digitale eine andere Realität gefunden oder produziert haben. Dadurch habe sie andere Situationslogiken, wie sie sich verhalten, was sie betrifft, wo sie unzufrieden sind und wo sie gern gegen etwas demonstrieren möchten.
Bei diesen "Internet-News" ist auch viel Vages dabei?
Simon Strick: Man sagt im Moment immer, es gebe Verschwörungstheoretiker, die wahnsinnig gefährlich seien. Ich sehe es ein bisschen anders: Es gab schon immer Zusammenhänge, die als Verschwörungen bezeichnet wurden. Das Problem ist, dass sich Menschen darauf verschrieben, Realitätskonstruktionen zu stricken, die aus einem Mittelklassemenschen ohne Maske einen Systemgegner machen möchten.
Die Erklärung der Verschwörung selbst ist immer genauso vage wie konkret: irgendwas mit Bill Gates, Chips und gefälschten Todeszahlen, und gleichzeitig deutliche Gegenstatistiken und Gegenfakten. Der springende Punkt aber - jenseits von Fakten - ist das Gefühl, zum Gegner eines "Systems" geworden zu sein.
Es gibt eine Corona-Verschwörung, es gibt eine Multikulti-Verschwörung, es gibt eine Ökodiktatur, die errichtet werden soll, es gibt eine Entrechtung der Bürger. Das ist eine sehr klare Orientierung - auch eine Aufwertung - für Menschen, die zuvor nicht rechts oder Systemgegner waren, die aber vielleicht ein vages Gefühl haben, sie lebten in der Unterdrückung und müssten unbedingt etwas dagegen tun.
Aus meiner Sicht ist das ein neuer Zugang zur Welt und zur Gesellschaft für eine signifikante Anzahl von Menschen. Für viele Menschen macht es derzeit Sinn, durch eine Teilnahme an solchen Erzählungen Aufmerksamkeit und Selbstbestätigung zu erlangen.
Das sind die rechten Gefühlswelten, von denen ich spreche. Sie bleiben fiktiv auf Facebook und reagieren sich dort ab, oder sie werden real, wie es wohl in Idar Oberstein der Fall war. Oder – anders gelagert – beim Anschlag von Halle.
Das zeigt auch bereits die Welthaftigkeit von virtueller Welt. Man wirft keine Anker mehr jenseits dieser Digitalblase aus, sondern sucht die Bestätigung in ebendieser Digitalität.
Simon Strick: Ja, genau. Das Internet selbst ist als Alternative zur bürgerlichen Mainstream-Öffentlichkeit entstanden. Man konnte im Internet, anders als sonst wo, selbst Nachrichten produzieren. Es war partizipativ, es wurde von den Communitys selbst reguliert, die sich um diese Arbeit formiert haben.
Das Internet ist von Beginn an, zumindest gefühlt, als Alternative zur normalen Öffentlichkeit aufgestellt gewesen. Diese Vorstellung vom Internet als freiem Raum, in Abgrenzung zur regulierten Öffentlichkeit der Massenmedien Fernsehen und Journalismus, hat sich streckenweise zu einer direkten Gegnerschaft entwickelt. YouTube oder andere Portale sind für eine Vielzahl von Leuten das Gegenangebot zu den Öffentlich-Rechtlichen.
Was ich Alternative Rechte nenne, ist eine Wirklichkeitsagentur, die alternative Öffentlichkeiten herstellt, die dann stellenweise zum Beispiel als Ausdruck der "Volksmeinung" gelten kann. Diese Relation ist in der Architektur der sozialen Medien schon mit eingebaut gewesen. Die Rechten haben das herausgeholt, radikalisiert und für sehr bestimmte Inhalte schlagkräftig gemacht.
Stichwort Gefühle: Sind also die Emotionen wesentlich für diese politische Mobilisierung?
Simon Strick: Es gibt relativ viele Studien zur Gefühlspolitik, oft zum Populismus. Sie argumentieren, dass es dem Populismus darum gehe, massenhafte Angst oder Hass zu kreieren: Wutbürger usw. Diese Studien gehen immer von großen Kategorien aus: große Gefühlswallungen, große Massen werden gelenkt. Da denkt man gleich an die Massenpsychologie im 19. Jahrhundert, an die von Wut aufgepeitschte Masse. Ich spreche im Buch von Affekten, die kleinteiliger sind: kein großer Ausnahmezustand der Wut und Irrationalität, sondern Alltagsgefühle.
Wie sprechen sich diese aus?
Simon Strick: Zum Beispiel: Mir geht es nicht gut, woran liegt es? Ich bin von irgendetwas irritiert. Dann versucht man, sich eine Erklärung zu basteln. Was irritiert mich? Die Rechten bieten sehr schnelle Erzählungen dazu an, wie man vom Sich-nicht-so-gut-fühlen, von der Irritation zu einem größeren Weltbild kommt.
Ich bin irritiert, zum Beispiel vom neuen "Star Wars"-Film oder weil die Grünen dauernd Sendezeit zu bekommen scheinen. Warum? Weil jetzt eine Frau die Hauptrolle spielt, ein schwarzer Schauspieler oder sonst was sich geändert hat, an dem, was man meint, das einem gehört oder was man so zu kennen meint.
Die Abkürzung zum Weltbild ist dann schnell: Das ist die political correctness, die Wokisten, die Feministinnen, die meinen Film ruiniert haben, oder den politischen Diskurs und mich verblenden wollen. Ich wehre mich gegen Verblendung durch den Propaganda-Apparat.
Im Netz findet man alles, auch so ein relativ banales Fremdeln mit der Popkultur, die dann zur "Krise der westlichen Kultur" hochgejazzt wird. Es ist erstaunlich, was alles zum Beweis für die eigene Bedrängung herhalten kann, oder wie die Rechten kleine Irritationspunkte schaffen, an denen man sich aufhängen kann. Je mehr Polarisierung, desto besser.
Zum Abschluss des Buchs werden Lösungsstrategien vorgeschlagen, wie man mit dem digitalen Faschismus umgehen und ihn bekämpfen kann. Wollen Sie hier noch etwas sagen?
Simon Strick: Mein Hauptlösungsansatz ist: Die Rechten machen, was die Rechten machen. Das haben sie schon immer gemacht. Sie versuchen, eine völkische oder weiße Identität zu beschwören, die irgendwie bedroht wird und wogegen man sich wehren muss. Das ist der Kern. Sie haben das mittlerweile so reformuliert, dass sich – wieder mal – relativ viele Menschen anschließen können.
Nicht die Mehrheit, aber kritische Minderheiten. Wir haben einen Medienapparat, der rechte Provokationen unglaublich gern aufnimmt. Rechte Framings wie "Gender Studies richten sich gegen die normale Gesellschaft" oder "Ist Identitätspolitik gegen die deutsche Kultur?" - solche Themensetzungen werden im Medienapparat gern aufgenommen und "ergebnisoffen" diskutiert. Insbesondere über diesen Apparat, der sich da leicht manipulieren lässt, möchte ich nachdenken.
Über das sogenannte Normalitätsempfinden. Was sich auch dadurch bestätigt, dass man Rechte zwar ausgrenzen möchte und zugleich sagt: Die sind unnormal und extrem, wir müssen aber trotzdem die ganze Zeit mit ihnen reden, im Sommerinterview und in den Talkshows. Der Mainstream möchte immer hören, was die sagen.
Was schlagen Sie also vor?
Simon Strick: Ich möchte weniger die Rechten befragen, weil sie immer noch dasselbe machen. Nun eben mit neuer Technologie. Mich interessiert, warum eine breite Öffentlichkeit so versessen darauf ist, ihnen so viel zuzuhören. Warum das "Wir", das öffentlich immer "Kein Fußbreit mehr!" erklärt, warum dieses "Wir" in Deutschland immer noch so einheitlich ist?
Wir haben immer noch keine Politikerinnen mit Migrationshintergrund in signifikanter Zahl, wir haben keine angemessene Repräsentation ostdeutscher Perspektiven in Politik oder Wissenschaft. Wir haben keine generelle Akzeptanz, dass Feminismus eine notwendige Maßnahme ist und allen etwas bringen kann. Antirassistische Kritik am weißen Konsens der BRD bleibt weiterhin marginalisiert.
In der Öffentlichkeit sind das immer Nebenbaustellen, Sonderthemen – Hauptsache, die Normalität ist gewahrt. Wenn man aus einer migrantischen Perspektive auf Rassismus schaut, dann ist das keine Katastrophe, die völlig plötzlich passiert, sondern Alltagszustand. Wenn man das als Frau betrachtet, dann ist Sexismus Alltagszustand. Wenn man als Ostdeutsche schaut, ist die Hegemonie der Westdeutschen ganz normal. Und vieles andere.
Das ist Normalität. Und ich glaube, eine Antwort auf diese Rechten ist die Selbstreflexion dieser Normalität, die Hinterfragung des sogenannten Normalen. Ich sehe die Auseinandersetzung mit den Themen, die ich im Buch beschreibe, als Lektion für das, was in Deutschland normal ist.