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Rechtliche Hürden auf dem Weg zu autonomen Fahrzeugen

Sind die juristischen Herausforderungen größer als die technischen?

Bereits ab 2020, spätestens ab 2025, werden autonome Pkw auf deutschen Straßen zum Einsatz kommen, zumindest wenn man den Ankündigungen verschiedener namhafter Fahrzeughersteller und Zulieferer Glauben schenken darf. Trotz des rasanten Fortschritts hat der Gesetzgeber bislang kaum auf die sich abzeichnenden technischen Möglichkeiten reagiert und auch die Rechtswissenschaft beginnt gerade erst, sich mit den Auswirkungen der zunehmenden Fahrzeugautomatisierung zu beschäftigen. Hersteller und Nutzer (also Autofahrer) sind jedoch essenziell darauf angewiesen, dass die Rechtsordnung einen verlässlichen Rahmen für die Entwicklung und Nutzung von Fahrerassistenzsystem bereitstellt. Es stellt sich daher die Frage, ob die rechtlichen Hürden zukünftig größer als die technischen sein werden. Einige der besonders gravierenden Rechtsprobleme sollen im Folgenden betrachtet werden.1 [1]

Rasanter technischer Fortschritt

Auch wenn sich die Vision der Realisierung selbstfahrender Pkw schon im Jahr 2020 voraussichtlich als etwas zu optimistisch erweisen wird, sind die bisher erzielten Fortschritte durchaus beeindruckend: Bereits in einer Vielzahl von Modellen verfügbar sind Parklenkassistenten, die während des Einparkens den kompletten Lenkvorgang übernehmen. Der Fahrer selbst muss lediglich noch Gas geben und bremsen.

Die Speerspitze der gegenwärtig verfügbaren Assistenzsysteme markiert das "Distronic Plus mit Lenk-Assistent" genannte System in der kürzlich vorgestellten Mercedes S-Klasse, welches weitgehend teilautonomes Fahren in einem großen Geschwindigkeitsbereich ermöglicht. Sowohl die Längs- als auch die Querführung übernimmt das Fahrzeug innerhalb bestimmter Systemgrenzen selbstständig; es kann also nicht nur automatisch Gas geben, sondern auch bremsen und lenken. Der Fahrer muss aber ständig die Hände am Lenkrad behalten, um im Ernstfall wieder die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen zu können, ansonsten schaltet sich der Assistent einfach ab.

Angesichts dieser schon heute verfügbaren Systeme bedarf es keiner besonderen Fantasie, um vorherzusehen, dass in der nächsten Fahrzeuggeneration Assistenzsysteme zur Verfügung stehen werden, die bestimmte Teile der Fahraufgabe voll automatisiert übernehmen können. Konkret angekündigt ist beispielsweise die Einführung von Autobahnpiloten, die in diesem vergleichsweise übersichtlichen Umfeld die Fahraufgabe komplett ohne menschliches Zutun bewältigen.

Man stelle sich nur vor, welchen gewaltigen Sicherheitsgewinn es brächte, wenn Pkw und Lkw nicht mehr von Fahrern gesteuert würden, die aufgrund langer monotoner Autobahnfahrten übermüdet und unaufmerksam sind. Daneben würde auch der Fahrkomfort deutlich zunehmen, wenn die Fahrt zur E-Mail-Bearbeitung, zum Fernsehen oder zum Schlafen genutzt werden könnte. Spätestens mit der Einführung vollautonomer Fahrzeuge werden von dieser Entwicklung auch alle diejenigen massiv profitieren, denen es momentan aufgrund von Alter oder Behinderung unmöglich ist, ein Auto zu lenken.

Zukünftig wird der Fahrer folglich mehr und mehr Verantwortung für die Ausführung der Fahraufgabe an Assistenzsysteme abgeben können. Im Gegenzug werden sich Fahrkomfort und Sicherheit beträchtlich erhöhen. In diesem Versprechen der zunehmenden Fahrzeugautomatisierung liegt aus rechtlicher Sicht jedoch auch eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, da die bestehende Rechtsordnung bislang gerade von einem voll verantwortlichen Fahrzeugführer ausgeht. Auf dem Weg zu autonomen Fahrzeugen ergeben sich rechtliche Probleme deshalb in nahezu jedem berührten Rechtsgebiet. Gleichzeitig ist gerade der Straßenverkehr stark durch europäisches und internationales Recht reguliert, sodass die betreffenden Rechtsprobleme nicht nur im deutschen Recht, sondern auch auf verschiedenen übergeordneten Ebenen zu untersuchen und zu lösen sind.

Zulassungsrecht: Überstaatliche Rechtsprobleme

Besonders zeigt sich die Bedeutung von überstaatlichem Recht schon bei der Beantwortung der Frage, wann ein Fahrzeug aufgrund seiner technischen Bauart auf deutschen Straßen überhaupt betrieben werden darf. Oder um es griffiger zu formulieren, unter welchen technischen Bedingungen man für ein Neufahrzeug Kennzeichen und Papiere erhält.

Die Prüfung der Bauart eines Neufahrzeugs richtet sich dabei nach der europäischen Richtlinie 2007/46/EWG, welche hinsichtlich der technischen Anforderungen ihrerseits auf die Regeln der Economic Commission for Europe (ECE-Regeln) verweist. Im vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere ECE-Regel 79 relevant: In dieser werden zunächst autonome Lenkanlagen als nicht genehmigungsfähig eingeordnet, was faktisch einem Verbot autonomer Fahrzeuge entspricht. Unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sind dagegen sog. Fahrerassistenz-Lenkanlagen, die lediglich unterstützend in die Lenkung eingreifen. Nach ECE-Regel 79 muss der Fahrer aber ständig in der Lage sein, den Eingriff durch eine eigene Lenkbewegung zu übersteuern und jederzeit die Hauptverantwortung für das Führen des Fahrzeugs innehaben.

Die heute erhältlichen Systeme, wie Parklenkassistent und Distronic Plus, operieren also bereits am Rande dessen, was nach den ECE-Regeln rechtlich möglich ist. Beispielsweise sind Autobahnpiloten, die es dem Fahrer gestatten würden, seine Aufmerksamkeit vollständig vom Verkehrsgeschehen abzuwenden (etwa hin zur Bearbeitung von E-Mails), nach der aktuellen Rechtslage ausgeschlossen.

Die ECE-Regeln unterliegen indes einer ständigen Überarbeitung und Anpassung an technische Neuerungen. Es ist daher davon auszugehen, dass in dem Maße, in dem die anderweitig bestehenden rechtlichen und technischen Probleme gelöst werden, schrittweise auch zunehmend autonome Systeme zugelassen werden.

Der Fahrer ist Adressat des Verhaltensrechts

Ungeklärt ist dagegen bislang, wie ein fiktives (teil-) autonomes Fahrzeug im Straßenverkehr zu benutzen wäre. Die diesbezüglichen Verhaltensanforderungen werden üblicherweise in der Fahrschule vermittelt und haben ihre Grundlage in der deutschen Straßenverkehrsordnung (StVO). In der gesamten StVO findet sich noch keine einzige Erwähnung des Wortes Fahrerassistenzsystem oder eines verwandten Begriffs. Stattdessen werden Anforderungen an denjenigen gerichtet, der das Fahrzeug führt.

Wie könnte die StVO nun als Reaktion auf den technischen Fortschritt in Einklang mit (teil-) autonomen Fahrzeugen gebracht werden? Die Aufstellung eines eigenen speziellen Verhaltensrechts für diese erscheint zunächst nicht als sehr zielführend. Schließlich werden auf absehbare Zeit sowohl vom Menschen gesteuerte Fahrzeuge als solche mit (teil-) autonomen Funktionen zum Einsatz kommen. Eine sinnvolle und vor allem gefahrlose Interaktion ist jedoch nur möglich, wenn sowohl Mensch als auch Maschine dieselben Verkehrsregeln einhalten müssen. Naheliegend wäre es mithin, in die StVO eine sog. Entsprechungsklausel einzufügen. Diese könnte bestimmen, dass die Verhaltensanforderungen an den Fahrer als erfüllt gelten, wenn sie gleichwertig von einer autonomen Steuerung beachtet werden.

Diesen rechtstechnisch vergleichsweise einfachen Änderungen steht ein gravierendes Problem entgegen: Sie verstoßen gegen das Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr (WÜ).

Modernisierungsbedarf auch im internationalen Recht

Deutschland und viele andere Länder der EU haben sich im 1968 geschlossenen WÜ verpflichtet, bestimmte Verkehrsregeln zu schaffen und einzuhalten.2 [2] Der Gesetzgeber muss daher sicherstellen, dass das gesamte Verkehrsrecht den Vorgaben des Wiener Übereinkommens entspricht. Durch eine Änderung der StVO, die nicht mit dem WÜ in Einklang zu bringen ist, würde der deutsche Gesetzgeber folglich gegen seine völkerrechtlichen Pflichten verstoßen. Das Übereinkommen enthält aber gerade verschiedene Bestimmungen, die die Zulässigkeit von Fahrerassistenzsystemen und (teil-) autonomen Fahrzeugen sehr weitgehend einschränken. Aus diesem Grund hat das WÜ in der bisherigen Diskussion um Fahrerassistenzsysteme eine zentrale Rolle eingenommen.

Wie in der StVO wurden Fahrerassistenzsysteme oder gar autonome Fahrzeuge im WÜ (dem Stand der Technik bei Vertragsschluss im Jahr 1968 entsprechend) nicht berücksichtigt, stattdessen sind die Anleitung von Vieh oder das Führen eines Tieres normiert. Ungeachtet des technischen Fortschritts muss nach Art. 8 Abs. 1 WÜ auch weiterhin jedes Fahrzeug einen menschlichen Führer besitzen. Es besteht deshalb weitestgehend Einigkeit, dass zumindest vollautonome Fahrzeuge mit dem Wiener Übereinkommen nicht vereinbar sind. Schließlich benötigen diese gerade keinen Führer, sondern könnten ihr Ziel auch komplett leer erreichen.

Daneben schreibt das WÜ vor, dass der Führer sein Fahrzeug beherrschen muss (in Art. 8 Abs. 5 und Art. 13 Abs. 1 S. 1 WÜ). Inwieweit diese Forderung den Einsatz von Fahrerassistenzsystemen einschränkt, ist unter Juristen umstritten. Richtigerweise muss der Führer aber nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 WÜ auch bei einem Eingriff durch ein Fahrerassistenzsystem weiter in der Lage bleiben, alle ihm obliegenden Fahrbewegungen auszuführen.

Mit dem WÜ vereinbar sind daher zunächst beliebige Arten von Fahrerassistenzsystemen, bei denen der Führer die letztinstanzliche Kontrolle über die Fahrbewegung behält, er das Assistenzsystem also erforderlichenfalls übersteuern kann. Für den Fall der Notwendigkeit einer Übersteuerung muss der Führer sich jedoch ständig bereithalten und darf keinen anderen Tätigkeiten nachgehen. Der praktische Nutzen von Systemen, die primär auf einen Komfortgewinn abzielen, wird dadurch stark eingeschränkt.

Nicht-übersteuerbare Assistenzsysteme sind dagegen nur ausnahmsweise zulässig, nämlich wenn sie den Fahrer nicht an der Erfüllung seiner Pflichten hindern. Dies ist beispielsweise bei Systemen der Fall, die die Fahrbewegung lediglich optimieren, um die Lenkbarkeit des Fahrzeugs zu erhalten (wie ABS und ESP).

Das Wiener Übereinkommen schränkt die Zulässigkeit moderner Assistenzsysteme folglich sehr weitgehend ein. Dies haben auch die Vertragsparteien des WÜ erkannt. Österreich, Belgien, Deutschland, Frankreich und Italien haben deshalb jüngst einen Änderungsvorschlag eingebracht, der sicherstellen soll, dass nach den ECE-Regeln technisch zulässige Systeme grundsätzlich auch mit dem WÜ vereinbar sind.

Wie sicher ist sicher genug?

Heutige Assistenzsysteme sind meist vom Fahrer übersteuerbar (z. B. Tempomat), optimieren lediglich die von ihm vorgegebene Fahrbewegung (ABS, ESP) oder werden erst aktiv, wenn er die Kontrolle über das Fahrzeug verloren hat (Notbremsassistent). Der Fahrer stellt damit die oberste Kontroll- und Entscheidungsinstanz im Fahrzeug dar. Bislang wird daher davon ausgegangen, ein Assistenzsystem könne das Fahren prinzipiell nur sicherer machen, da der Fahrer etwaige Fehler desselben übersteuert bzw. übersteuern muss.3 [3] Gesetzesänderungen, welche autonomer agierende Assistenzsysteme und Fahrzeuge ermöglichen würden, sind aber nur sinnvoll, wenn der Nachweis erbracht werden kann, dass diese - auch unabhängig vom Fahrer - ein ausreichendes Sicherheitsniveau bieten.

Noch völlig ungeklärt ist dabei, welches Maß an Sicherheit als ausreichend anzusehen ist. Müsste ein Assistenzsystem alle Vorschriften der StVO unter allen Umständen absolut fehlerfrei einhalten können? Angesichts von 2,4 Millionen polizeilich registrierten Unfällen [4] im Jahr 2012 erfüllen menschliche Fahrer diese hohen Anforderung nicht einmal ansatzweise. Zweckmäßigerweise sollten die Sicherheitsanforderungen an ein (teil-) autonomes Assistenzsystem daher in Relation zu der statistischen Unfallwahrscheinlichkeit bei Steuerung des Fahrzeugs durch einen Menschen stehen.

Welche Vergleichsgruppe wäre dabei heranzuziehen? Verlangt man einen durchschnittlichen Fahrer, würden zwar die Unterdurchschnittlichen von einem erhöhten Sicherheitsniveau profitieren, die Überdurchschnittlichen müssten allerdings eine Verschlechterung in Kauf nehmen. Zudem dürfte schon die Bestimmung durchschnittlicher Fahrleistungen erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Schließlich sind diese in sehr hohem Maße von der Person des Fahrers abhängig und weisen je nach Alter, Erfahrung, Gesundheits- und Ermüdungszustand enorme Unterschiede auf. Zu berücksichtigen ist ferner, dass von Assistenzsystemen vermutlich andere Arten von Unfällen verursacht werden als von einem Menschen.

Im Detail besteht hier noch erheblicher Forschungsbedarf. Zudem ist das angestrebte Sicherheitsniveau von verschiedenen Wertungsfragen abhängig, über die ein Konsens auf möglichst breiter (gesellschaftlicher) Basis erzielt werden sollte.

Fahrprüfung für (teil-) autonome Fahrzeuge?

Hat man abstrakt ein zu erfüllendes Sicherheitsniveau definiert, sieht man sich noch mit einem zweiten grundsätzlichen Problem konfrontiert: Wie kann die Einhaltung der geforderten Sicherheit nachgewiesen werden? Bei einfachen Maschinen, die lediglich bestimmte Routinen befolgen, kann dies relativ simpel durch Überprüfung der einprogrammierten Handlungsabfolge und der Versagenswahrscheinlichkeit der einzelnen Bauteile geschehen.

Vom Menschen unabhängige, (teil-) autonome Fahrzeuge und Assistenzsysteme werden demgegenüber auf eine unbestimmte Vielzahl von Situationen dynamisch reagieren müssen. Das Verhalten des Fahrzeugs wird sich dann im Vorfeld nicht exakt vorhersehen lassen. Genau dies wäre indes erforderlich, um absolute Gewissheit darüber zu erlangen, ob ein autonomes System die angestrebte Sicherheit bietet oder nicht.

Teilweise wird deshalb die Auffassung vertreten, vor der Straßenverkehrszulassung von autonomen Fahrzeugen müssten allgemein akzeptierte Vergleichs- und Bewertungsmöglichkeiten geschaffen werden, um deren Leistungsfähigkeit in den Bereichen Reizaufnahme, Interpretation und Ausführung in ein Verhältnis zu der des Menschen setzen.4 [5] Die Fahrleistungen von Mensch und Maschine sollen so abstrakt vergleichbar gemacht werden, um sicherzustellen, dass der Fahrroboter die Fahraufgabe adäquater ausführt als die menschliche Vergleichsgruppe. Testfahrten werden demgegenüber als ungeeignet angesehen, weil schwere Unfälle so selten seien, dass eine enorme Anzahl von Testkilometern gefahren werden müsse, um statistisch signifikante Ergebnisse zu erhalten.

Zwar handelt es sich hierbei um einen gewichtigen Einwand, es erscheint allerdings als fraglich, ob die Entwicklung einer derartigen Bewertungsmöglichkeit in absehbarer Zukunft bzw. überhaupt jemals möglich sein wird. Immerhin sind bislang nicht einmal die Fähigkeiten eines Menschen bzgl. Reizaufnahme, Interpretation und Ausführung exakt und allgemeingültig bestimmbar. Aus gutem Grund hängt die Zulassung eines Menschen zum Straßenverkehr daher nicht von derartig abstrakten Kriterien ab, sondern von dem Bestehen der Fahrprüfung. Zielführender dürfte es sein, auch für autonome Systeme ein allgemeines Testszenario zu entwickeln, welches sie mit einer möglichst großen Vielzahl unterschiedlicher Verkehrssituationen und Umwelteinflüsse (z.B. Wetter, Fahrbahnzustand etc.) konfrontiert. Der erheblichen Anzahl notwendiger Testkilometer könnte dabei, zumindest teilweise, durch Simulationen begegnet werden (also beispielsweise dem virtuellen Durchfahren einer einmal digitalisierten Teststrecke).

Haftungsfragen

Trotz größter technischer Anstrengungen werden Unfälle auch bei (teil-) autonomen Fahrzeugen und Assistenzsystemen auf absehbare Zeit nicht gänzlich ausgeschlossen sein. Es stellt sich daher die Frage, wer zukünftig in welchem Umfang für durch diese Systeme verursachte Schäden wird haften müssen.

Insbesondere die Automobilkonzerne, aber auch die Anbieter von Kfz-Versicherungen, sind diesbezüglich auf eine möglichst verlässliche Einschätzung angewiesen, um Planungssicherheit zu gewinnen und um ihre Produkte entsprechend entwickeln zu können.

Gegenüber dem Geschädigten haftet gem. § 7 Abs. 1 StVG im Straßenverkehr immer der Halter, der meist der Betreiber bzw. Eigentümer des Fahrzeugs ist. Anders als sonst im Haftungsrecht üblich, spielt es dabei quasi keine Rolle, ob er den Schaden hätte verhindern können oder nicht. Der Halter muss damit prinzipiell für alle Schäden einstehen, die durch das Fahrzeug verursacht werden. Aus diesem Grund ist dem Halter eines Fahrzeugs nach § 1 PflVersG auferlegt, eine Haftpflichtversicherung zur Deckung aller durch das Fahrzeug entstehenden Schäden abzuschließen.

Selbst wenn der Schaden auf einen Fehler des Fahrzeugs oder des Fahrerassistenzsystems zurückgeht, muss hierfür in der Praxis meist zunächst der Halter bzw. dessen Versicherung einstehen. Diese können ihrerseits dann jedoch Schadensersatz vom Hersteller fordern.5 [6]

Halter (und Versicherung) müssen also primär für menschliches Versagen bei der Bedienung des Fahrzeugs haften, die Automobilhersteller für etwaige Produktfehler. Da nach fundierten Schätzungen heute 90 % der Unfälle auf menschliche Fehler zurückgehen6 [7], kommt eine Haftung des Fahrzeugherstellers bislang schon deshalb nur im Ausnahmefall in Betracht.

Anders stellt sich die Situation dar, wenn das Fahrzeug durch eine vom Hersteller entwickelte autonome Steuerung "gefahren" wird. Kommt es dabei zu einem Unfall, könnte dies auf einen Produktfehler der Steuerung zurückzuführen sein, für den der Hersteller haften müsste. Zwar ist nur schwer absehbar, in welchen Fällen die Rechtsprechung geneigt sein wird, einen derartigen Fehler zu bejahen. Mit größter Wahrscheinlichkeit werden aber zumindest manche "Fahrfehler" auch als Produktfehler einzustufen sein. Die Hersteller müssten daher zukünftig auch für einen Teil der Unfälle Haftung übernehmen, für den bisher Halter und Versicherung einzustehen haben.

Ob eine derartige Haftungsverschiebung angemessen ist, erscheint zweifelhaft: Grund für die umfassende Haftung des Halters ist die Tatsache, dass er mit einem Pkw einen "gefährlichen" Gegenstand in Betrieb hat und Andere dieser Gefahr aussetzt. Daran ändert sich grundsätzlich auch nichts, wenn zukünftig die Steuerung von zunehmend autonomen Assistenzsystemen übernommen wird. Immer noch ist es der Halter bzw. der von diesem autorisierte Fahrer, der den Pkw im Einzelfall für eine bestimmte Fahrt in Betrieb setzt und dadurch die konkrete Gefahr für Andere erzeugt.

Will man an diesem Konzept festhalten, müssten Gesetzesänderungen vorgenommen werden, um der Haftungsverschiebung entgegenzuwirken. Denkbar wäre beispielsweise eine Regelung, nach der sich der Halter nur gegen die bei der Zulassung erlaubte Restunsicherheit versichern müsste. Ein Produktfehler wäre erst dann anzunehmen, wenn die von allen Versicherungen insgesamt festgestellte Unfallzahl und Unfallschwere, beispielsweise in einem Jahr, das geforderte und versicherte Maß an Sicherheit übersteigt. Der Hersteller müsste dann lediglich für die darüber hinausgehenden Schäden einstehen.

Gleichzeitig werden sich Halter und Versicherung mit zunehmenden Beweisschwierigkeiten konfrontiert sehen: Zwar wäre bei vollautonomen Fahrzeugen wohl anzunehmen, dass der vom Fahrzeug verschuldete Unfall auf einen Fehler der autonomen Steuerung zurückgeht. Solange Mensch und Assistenzsystem sich die Fahraufgabe jedoch "teilen", kann es im Einzelfall unmöglich sein nachzuvollziehen, ob Mensch oder Maschine den Schaden verursacht haben. Schließlich ist es durchaus möglich, dass ein Assistenzsystem nur in einer ganz bestimmten Situation fehlerhaft funktioniert und diese im Nachhinein nicht mehr reproduziert werden kann. Abhilfe könnte hier der Unfalldatenspeicher schaffen, eine "Black-Box" fürs Auto, die bei einem Unfall relevante Daten aufzeichnet und diesen so rekonstruierbar macht.7 [8]

Zusammenfassung und Fazit

Wie aufgezeigt schöpfen die heute verfügbaren Assistenzsysteme die Möglichkeiten des bestehenden Rechtsrahmens weitestgehend aus. Der technische Fortschritt wird demgegenüber schon in wenigen Jahren deutlich autonomere Systeme ermöglichen.

Bevor diese durch entsprechende Gesetzesänderungen zum Straßenverkehr zugelassen werden können, sind noch verschiedene grundlegende Probleme zu lösen: So sind sinnvolle Sicherheitsanforderungen zu definieren, und es ist zu untersuchen, wie die Erfüllung dieser Anforderungen in der Praxis mit vertretbarem Aufwand nachgewiesen werden kann. Daneben besteht bislang noch erhebliche Unsicherheit hinsichtlich der haftungsrechtlichen Auswirkungen dieser Entwicklung.

Um die geschilderten Hürden überwinden zu können, bedarf es einer frühzeitigen interdisziplinären Zusammenarbeit mindestens von Ingenieuren, Juristen, Versicherungsexperten und Unfallforschern, sowie der Bereitschaft des Gesetzgebers, auf den technischen Fortschritt zeitnah oder besser noch präventiv zu reagieren. Die erzielbaren enormen Fortschritte hinsichtlich Sicherheit und Fahrkomfort sind diese Anstrengungen wert.

Dipl.-Ing. Dipl.-Jur. Lennart S. Lutz Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle RobotRecht, Lehrstuhl Prof. Dr. Dr. Hilgendorf, Universität Würzburg.


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