Rechtsextreme oder Spinner – warum das bei Reichsbürgern die falsche Frage ist

Seite 2: CeMAS-Report: Die Lücken in der Analyse der Reichsbürgerbewegung

Genau darauf geht der CeMAS-Report mit der Überschrift "Durch die Krise ins Reich – Postpandemische Entwicklungen von "Reichsbürgern" und Souveränist:innen in Deutschland" leider nicht ein.

Völlig unerwähnt bleibt die aufgeregte Debatte über eine allgemeine Covid-19-Impfpflicht und die Anschuldigungen, die gegen Ungeimpfte auch dann noch erhoben wurden, als klar war, dass Corona-Impfstoffe keine sterile Immunität erzeugen.

Covid-19-Impfpflicht: Ein kontroverses Thema in der Reichsbürger-Szene

Frank Ulrich Montgomery, Chef des Weltärztebundes, sprach im November 2021 von einer "Tyrannei der Ungeimpften" und verteidigte die Äußerung auch mehr als ein Jahr später.

"Ungeimpfte dürfen nicht als Minderheit die Mehrheit terrorisieren", sagte die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann im November 2021 der Welt.

"Ich glaube, man muss diese Leute konsequent ausgrenzen", sagte der Ehrenpräsident des FC Bayern München, Uli Hoeneß im Januar 2022 der Wochenzeitung Die Zeit.

In linken und linksliberalen Kreisen wurde das teilweise ähnlich gesehen – als Motiv für die Impfverweigerung wurde pauschal unterstellt, das Leben von Alten und Schwachen einem egoistischen Freiheitsbegriff opfern zu wollen und damit eine rechte, sozialdarwinistische Position zu vertreten.

Auf einige der radikalen Impfgegner traf sicher genau das zu. Andere gehörten aber selbst zur "vulnerablen Gruppe" und fürchteten sich mehr vor Impfnebenwirkungen als vor dem Virus. Dass sich diese Angst aus zum Teil unseriösen Quellen speiste, rechtfertigt noch nicht den Vorwurf der Menschenverachtung.

Impfdebatte: Spaltung der Gesellschaft und ihre Auswirkungen

Inwieweit all das zur Rechtsentwicklung von politisch Suchenden und Schwankenden beigetragen hat, müsste dringend untersucht werden, wenn ultrarechte Gruppen nicht noch mehr Zulauf bekommen sollen.

In welchen Kreisen verfängt das Gerücht, der US-Milliardär und Mäzen Bill Gates habe einen jüdischen Hintergrund und wolle mit Impfkampagnen die Menschheit dezimieren? - Sind dadurch inzwischen tatsächlich auch Menschen hereingefallen, die bisher die Pharmaindustrie eher aus einer linken Perspektive kritisiert hatten?

Schließlich gab es auch linke Proteste für die Freigabe von Impfstoffpatenten – auch diese Schlussfolgerung kann ja aus dem Eindruck gezogen werden, dass für die Branche eher der Profit als die menschliche Gesundheit im Mittelpunkt steht. Zumindest diesen Eindruck teilten Linke der "Zero-Covid-Fraktion" mit einem Großteil der Corona-"Querdenker".

Dadurch wird aber nicht jede Kritik der Pharmaindustrie rechts oder antisemitisch. Genau solche Unterschiede gilt es, herauszuarbeiten.

Jan Rathje, Autor des neuen Reports und Politikwissenschaftler bei CeMAS, beschränkt sich aber weitgehend auf das Warnen vor einer Verharmlosung der Reichsbürger als "skurriles Randphänomen" oder als Spinner: "Auch wenn 'Reichsbürger‘-Aktionen häufig einer Realsatire gleichen, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Milieu Teil der extremen Rechten ist. Von diesem Milieu geht ein reales Gewalt- und Gefahrenpotenzial aus."

CeMAS und die Notwendigkeit, die Reichsbürger ernst zu nehmen

Der Autor nennt in diesem Zusammenhang eine Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung zu "souveränistischen" bzw. "reichsbürgeraffinen" Einstellungen, in der fünf Prozent der Befragten der Aussage zustimmten, dass Deutschland "immer noch von den Besatzungsmächten regiert" werde, uneingeschränkt zugestimmt hätten.

Solche Umfragen könnten zwar "nicht direkt aufzeigen, wie viele Menschen dem 'souveränistischen Milieu' zugeordnet werden können; allerdings bieten sie Indizien, wie groß der Resonanzraum des Milieus potenziell ist", schreibt er. Besonders sie Anhängerschaft der AfD sei dafür offen.

Die Reichsbürgerbewegung und ihre politischen Verbindungen

Allerdings behindere der Antiamerikanismus des Milieus auch eine engere Zusammenarbeit mit Anhängern der QAnon-Verschwörungsideologie aus den USA.

Dies zeige sich "besonders in der negativen Vorstellung einer US-amerikanisch geführten Fremdherrschaft über die Deutschen, wie er etwa prominent vom Compact-Magazin durch Jürgen Elsässers ‚Ami go home‘-Parole vertreten wird."

Anderseits betont der CeMAS-Experte, dass der Telegram-Kanal "aka Son Go Q", der zur Strömung der QAnon-"Reichsbürgern" zu zählen sei, mit "66.000 Abonnent:innen" (Stand: Juli 2023) besonders reichweitenstark sei, gefolgt vom Kanal "Diplomateninterviews" mit mehr als 50.000 und dem offen rechtsextremen und antisemitischen "Volkslehrer"-Kanal, der vor seiner Sperrung im April 2022 mehr als 33.000 Accounts gehabt habe.

Allerdings dürfte es hier zahlreiche personelle Überschneidungen geben.

CeMAS: Strategien gegen die Reichsbürgerbewegung

Die Wachstumschancen der Szene hängen aber wohl entscheidend davon ab, ob es kluge Gegenstrategien gibt. Das CeMAS beschreibt seine Aufgabenstellung so:

Das gemeinnützige Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) will die Gesellschaft befähigen, Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus im Rahmen aktueller Problemlagen und zukünftiger Krisen aktiv entgegentreten zu können. Dazu werden demokratiefeindliche Tendenzen frühzeitig erfasst und analysiert.

Aber wie soll dieses Entgegentreten aussehen? - Wenn als Alternative zu rechten Verschwörungsideologien nur Staatsgläubigkeit gepredigt wird und eine linke oder wenigstens rationale Kritik an Regierungen oder Konzernen ausbleibt, werden die Rechten davon profitieren.

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