Rechtsextremismus und Militarismus in aktuellen Diskursen

Militärparade mit Kaiser Wilhelm II., 9. Februar 1894 in Potsdam. Bild: Carl Röchling / Public Domain

Etikettierung als "rechts" ersetzt Debatte über Inhalte – Militarismus ist hingegen kein Debattenthema.

Im politischen Koordinatensystem früherer Jahrzehnte war es eindeutig, was unter Rechtsextremismus zu verstehen war. Dieser Begriff war im Wesentlichen identisch mit Faschismus, was begrifflich wiederum auf historische "Vorbilder" bezogen war. In heutigen politischen Diskursen verschwimmen aber Begrifflichkeiten, was mit deren Nutzung zur Ausgrenzung unliebsamer Proteste zu tun hat.

Wir haben uns mittlerweile daran gewöhnt, mit Begriffen wie "rechtsoffen", "Querfront" (mit "rechten" Kräften) zu hantieren. Früher waren die Begriffe links und rechts hingegen lediglich einfache Klassifikationen, auch innerhalb der bürgerlichen Parteien. Heute hingegen wird "rechts" für die Eingrenzung des politischen Debattenraumes instrumentalisiert, indem stillschweigend die von den etablierten Parteien beanspruchte gesellschaftliche Mitte zum Normalstandard deklariert wird.

Bereits 2009 hieß es dazu in einer Schrift der Bundeszentrale für politische Bildung:

Die Konkurrenz der meisten Parlamentsparteien um einen Platz in "der Mitte" ist nicht unproblematisch. Wegen seiner Inhaltslosigkeit dient er leicht als Projektionsfläche für wirklichkeitsferne Harmoniebedürfnisse.

Alter und neuer Militarismus

Historisch gesehen war es der gesellschaftlich fest verankerte preußische Militarismus, der als Wegbereiter des 1. Weltkrieges bezeichnet werden kann. Nach der Kriegsniederlage wurde zwar durch den Versailler Vertrag eine Demilitarisierung Deutschlands verordnet, jedoch durch die Beibehaltung militärischer Strukturen und geheimer Aufrüstung in der Weimarer Republik unterlaufen.

Mit dem Machtantritt der Nazis 1933 konnte deshalb der alte Militarismus recht schnell wieder gesellschaftlich fest verankert werden zur gezielten Kriegsvorbereitung.

In der Bundesrepublik Deutschland war man nach der Wiederbewaffnung und Einführung der Wehrpflicht 1956 lange Zeit auf eine ideologische Abgrenzung zu dieser unseligen Vergangenheit bedacht, was mit dem Leitbild "Staatsbürger in Uniform" ausgedrückt wurde.

Umso erschreckender ist, dass in der jüngsten Zeit sich eine Stimmungsmache entwickelt hat, die an den Ungeist anknüpft, der zur Entfesselung von zwei Weltkriegen durch Deutschland führte. Die totale Militarisierung des Denkens in der politischen Klasse wird dabei flankiert von einem entsprechenden medialen Trommelfeuer.

Der Gegenbegriff Antimilitarismus wurde historisch geprägt von Karl Liebknecht. Verbunden damit und einem linken Selbstverständnis im Kampf für den Frieden gilt sein 1915 geprägter Satz: "Der Hauptfeind steht im eigenen Land!".

Für die Friedensbewegung als gesellschaftlich breites Bündnis ist aber relevant, dass deren Bandbreite sich erstreckt von Forderungen wie "Bundeswehr abschaffen" bis hin zu Ex-Militärs, die zwar für eine Bundeswehr im Sinne von "Wehrhaftigkeit" eintreten, aber sehr kritische Positionen zur Nato haben und der derzeitigen militaristischen Stimmungsmache entgegentreten.

Militaristische Politiker und vernünftige Militärs

Derzeit sind Ex-Militärs fast die einzig vernünftigen Stimmen aus dem bürgerlichen Lager gegen weitere und immer ausgedehntere Waffenlieferungen an die Ukraine.

Beispielhaft zu nennen ist hier Erich Vad, Ex-Brigadegeneral und früherer militärischer Berater von Angela Merkel. Bereits vor seinem Auftritt bei der großen Friedensdemo in Berlin am 25.2. sagte er in einem Interview:

... wir leisten militärische Unterstützung [für die Ukraine] ohne politisches Konzept, ohne Strategie und ohne Zielsetzung. Das ist eigentlich und strenggenommen Militarismus pur, wenn man militärische Hilfeleistungen nicht an politische Ziele koppelt.

Inwieweit man von einer ziellosen Unterstützung für die Ukraine sprechen kann, sei hier dahin gestellt, Tatsache ist jedenfalls, dass politische Interessen und Ziele nicht offen kommuniziert werden.

Vergleichbare Reaktionen von Ex-Militärs kann man derzeit in Israel beobachten. Während die Regierung Netanjahu ihren "Anti-Terror-Krieg" gegen die Palästinenser intensiviert, gibt es eigenständige Protestaktionen von Ex-Militärs. Diese verstehen sich explizit nicht als links, sind aber schockiert darüber, dass mittlerweile durch das militärische Vorgehen der israelischen Armee und dem Straßen-Mob militanter Siedler im Westjordanland Palästinenser regelrecht abgeschlachtet werden.

Preußischer Militarismus als Programmatik der AfD

Bereits 2018 behandelte Reiner Braun in einem Beitrag für das FriedensJournal die Programmatik der AfD unter der Überschrift: "AfD und Friedensbewegung: Wie Feuer und Wasser". Insofern ist es nichts Neues, wenn man auf deren aktuellere Programmatik, wie für die Bundestagswahl 2021 im Abschnitt "Außen- und Sicherheitspolitik" verweist.

So wird zwar – wie auch aktuell bezüglich des Ukraine-Krieges – eine Entspannung im Verhältnis zu Russland und eine Aufhebung der EU-Sanktionen propagiert, ansonsten aber die Nato prinzipiell befürwortet. Dazu heißt es, dass die Nato ein reines Verteidigungsbündnis sein müsse und das Einsatzgebiet auf das Gebiet der Bündnisstaaten zu begrenzen sei.

Im Abschnitt "Wiederherstellung der Wehrfähigkeit Deutschlands" werden nicht nur erhöhte Rüstungsausgaben und der "Erhalt einer autonomen und leistungsfähigen wehrtechnischen Industrie in Deutschland" gefordert. Es finden sich auch explizite Forderungen nach einer militaristischen Ausrichtung in dem Absatz:

Die Bundeswehr soll wieder einen starken Korpsgeist, ihre Traditionen und deutsche Werte pflegen. Die Tugenden des Soldaten sind Ehre, Treue, Kameradschaft und Tapferkeit. Die Bundeswehr muss die besten Traditionen der deutschen Militärgeschichte leben. Sie helfen, soldatische Haltung und Tugenden – auch in der Öffentlichkeit – zu manifestieren. Militärisches Liedgut und Brauchtum sind Teil davon.

Dazu passt natürlich, dass die AfD-Fraktion auch zuletzt geschlossen für die Erhöhung des Rüstungsetats gestimmt hat gemäß dem Narrativ der "kaputt gesparten Bundeswehr". Verfangen in der eigenen Widersprüchlichkeit zwischen Bundeswehr-Aufrüstung und der Positionierung zu Russland war man hingegen bei der Verabschiedung des 100-Milliarden-Euro Sonderpaketes für die Bundeswehr Anfang Juni 2022, wo bei der Bundestagsabstimmung, die eine Hälfte der AfD-Fraktion für und die andere Hälfte gegen das entsprechende Gesetz stimmte.

Verständlich wird dieses aber dadurch, dass von AfD-Anhängern die Konfrontationspolitik gegenüber Russland größtenteils abgelehnt wird, wie aus aktuellen Umfragen hervorgeht. Diese Stimmungen müssen natürlich bedient werden, wohl wissend, dass die sich daraus ergebenden programmatischen Widersprüche für AfD-Anhänger kaum eine Rolle spielen.

Ob man die AfD nun teilweise oder gesamthaft als rechtsextremistisch ansieht, ist abhängig von inhaltlichen Kriterien. Zusammen mit dem offenen Militarismus ist der eindeutige Rassismus zu nennen, der sich in Stimmungsmache und Hetze gegen die Asyl-, Migrations- und Integrationspolitik ausdrückt. Differenzierter ist es hingegen mit dem bei Abgrenzungen gegen rechts meistens genannten Antisemitismus.

Antisemitismus unterschwellig

Der Antisemitismus kann grob vereinfachend als neuzeitliche Variante des Jahrtausende alten Judenhasses angesehen werden. Antisemitismus als rassistische Ideologie des Bürgertums entstand im Zeitalter des Imperialismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vor allem im deutschsprachigen Raum.

Es war deshalb für die Nazi-Propaganda einfach, Juden als Sündenböcke für die Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre abzustempeln. Was vor und nach 1933 als Parole "Die Juden sind an allem Schuld" skandiert wurde, sind heute Flüchtlinge und Migranten für die AfD.

Die AfD kann hingegen auf zahlreiche pro-israelische Positionen verweisen, was auch für andere rechtspopulistische Parteien in Europa gilt. Mit dem Bekenntnis zum Staat Israel voll kompatibel ist eine islamfeindliche Grundpositionierung, die wiederum im Kontext der offenen Ausländerfeindlichkeit steht.

Dem liegt ein rassistisches Weltbild zugrunde, womit nicht nur gegen Migranten in Deutschland gehetzt wird, sondern eine Abschottung gegen Flüchtlinge gefordert wird, die größtenteils aus Kriegsregionen unter westlicher Beteiligung stammen.

Allerdings sind gerade unter AfD-Anhängern antisemitische Einstellungen wesentlich stärker vertreten als in anderen Parteien. Das zeigt sich bei Umfragen mit Fragen wie: "Haben die Juden zu viel Einfluss auf die Welt?". Dieses wird von AfD-Anhängern mehrheitlich bejaht, was bei Anhängern anderer Parteien lediglich Minderheitsmeinungen sind.

Damit unterscheidet sich die AfD von offen neonazistischen und antisemitischen Positionen rechtsextremer Parteien wie die NPD und "Die Rechte".

Es ist deshalb ein bewusstes Zugeständnis an die AfD-Wählerklientel, wenn einzelne führende Parteivertreter und Vordenker mit antisemitischen Äußerungen und Relativierungen des deutschen Faschismus provozieren.

Zum Vergleich: Die FPÖ in Österreich

Wesentliche Gemeinsamkeiten zwischen der AfD in Deutschland und der FPÖ in Österreich bestehen vor allem in der Islam- und Ausländerfeindlichkeit. Diese hat bei der FPÖ sogar noch höhere Relevanz durch die besonderen Probleme Österreichs mit dem dortigen Dauerthema "Balkanroute" bei Fluchtbewegungen aus dem Nahen Osten nach Europa.

Dem gegenüber ist die FPÖ bezüglich des österreichischen Bundesheers wesentlich moderater, was sich vor allem aus der Nicht-Mitgliedschaft in der Nato und der formal nach wie vor bestehenden militärischen Neutralität ergibt. So heißt es im Parteiprogramm der FPÖ:

Österreich ist ein selbstbestimmter und friedensstiftender Staat und muss daher frei von einer Mitgliedschaft in einem Militär pakt sein.

Es ist deshalb auch kein Widerspruch zur eigenen Programmatik, wenn in aktuellen Erklärungen von führenden FPÖ-Politikern z.B. der kürzliche Selenskyj-Auftritt vor dem EU-Parlament als Kriegstreiberei bezeichnet wird, wovon sich Österreich distanzieren müsse. Explizit wird auch "die Beendigung des für Europa schädlichen EU-Sanktionsregimes" gefordert.

Diese Erklärungen gehen weit über das hinaus, was AfD-Politiker mit ihrer floskelhaften Kritik der deutschen Positionen zum Ukraine-Krieg von sich geben. Angesichts einer ähnlichen Einheitsfront der politischen Mitte wie in Deutschland wird damit auch in Österreich der Widerstand gegen den Ukraine-Krieg den Rechten überlassen.

Faschismus: für aktuelle Diskurse kaum geeignet

Antifaschismus war immer die verbindende Klammer der Friedensbewegung seit 1945. Mit dem Spruch "Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg" wurde immer der historische Bezug angesprochen. Der seit 1957 auf damalige Initiative des DGB ausgerufene Antikriegstag zum 1. September in Westdeutschland ist auch heute noch ein wichtiges Datum für dezentrale Aktionen der deutschen Friedensbewegung.

Die heutige Debattenkultur bewegt sich jedoch zwischen inflationärer Verwendung und Ausgrenzung des Faschismus-Begriffes.

Beispielhaft dafür steht, dass viele Aktivisten, die gegen die "Corona-Diktatur" auftraten, auch vor Faschismus-Vergleichen nicht zurückschreckten. Gleichzeitig erfolgten auf deren Gegenseite durch örtliche Antifa-Gruppen Beschimpfungen als "Faschos".

Ebenso wie die militaristische Programmatik der AfD im öffentlichen Diskurs keine Rolle spielt, gilt dieses auch für real existierenden Faschismus. Die offizielle Nationalhelden-Verehrung des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera in der Ukraine und hierzulande durch den letztlich aufgrund der zu großen Peinlichkeit abberufenen ukrainischen Botschafters Melnyk konnten nur mühsam unter den Teppich gekehrt werden.

Ein ausgesprochener Tabubruch wäre es auch, die derzeitige israelische Regierung, die hierzulande als "ultra-rechts" bezeichnet wird, mit dem Etikett faschistisch zu bezeichnen. Moshe Zuckerman in Tel Aviv hat damit hingegen kein Problem. Gerade auch in seiner Kenntnis deutscher Befindlichkeiten verweist er seit Jahren auf den (Rechts-)Extremismus der bürgerlichen Mitte in Israel.

Rechtsextreme Anbiederungen an die Friedensbewegung?

Friedensdemonstrationen in Deutschland erfolgen in jüngster Zeit zunehmend von Kräften, die in den letzten Jahren als Coronakritiker aufgetreten sind, sich nach eigenem Selbstverständnis als Freiheits- und Demokratiebewegung verstehen und von einem breiten politischen Spektrum geprägt sind.

Beispielhaft dafür stehen die jüngsten Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz am 18.2. Dort fand neben der "klassischen" Anti-Siko-Demo eine zweite Demonstration und Kundgebung statt, die sich hauptsächlich aus dem Umfeld der bisherigen Coronakritiker rekrutierte und eine vielfach höhere Teilnehmerzahl erreichte.

Der hierbei vorhandene Einfluss von rechtsextremen Kräften ist sicherlich von Ort zu Ort unterschiedlich und zumindest in der äußeren Wahrnehmung strittig.

So wird die in diesem Umfeld entstandene Partei Die Basis von Teilen der Friedensbewegung als rechtsextrem klassifiziert. Allerdings kann die im September 2022 ausgearbeitete Programmatik der bundesweiten AG Frieden innerhalb dieser Partei mit der Überschrift "Leitlinien für eine Frieden fördernde Politik" als eindeutig antimilitaristisch bezeichnet werden.

Einige sich links verstehende politische Akteure meinen jedoch, gegen "Rechte Vereinnahmungsversuche in der Friedensbewegung" angehen zu müssen, ohne die tatsächlichen Positionierungen der derart Stigmatisierten zu prüfen.

Derartiges gab es tatsächlich in den Nuller-Jahren durch die rechtsextreme NPD in Zeiten des Irak-Krieges mit einem plumpen Anti-Amerikanismus. Auch der Ex-Linke Jürgen Elsässer, der mit seinem "Compact"-Magazin seit Jahren im AfD-Umfeld verankert ist und deren Rassismus bedient, bemüht sich seit langen Jahren immer wieder mit "Ami go home" als friedenspolitischer Trittbrettfahrer.

Die AfD: Nützlich zur Spaltung von Friedensaktivitäten

Das Verhältnis der bürgerlichen "Mitte" zur AfD muss trotz deren weitestgehenden Ausgrenzung als ambivalent bezeichnet werden. Gegen die rassistische Grundhaltung der AfD in der Flüchtlings- und Migrationsfrage gibt es zu Recht starken Gegenwind. Dosiert vorgebrachte antisemitische Äußerungen kann die AfD hingegen mit Verweis auf ihre Israel-freundliche Programmatik kaschieren.

Das aktuelle Gebaren der AfD als Friedenspartei erscheint im vorgenannten Kontext hingegen – trotz des offensichtlichen Widerspruches zur eigenen Programmatik – als zweckmäßig zur Spaltung der Friedensbewegung.

Hinzu kommt: Die parlamentarische Stärke der AfD vor allem im Osten Deutschlands ist auch eine direkte Folge des Wandels der Partei Die Linke von einer Protest- zur Regierungspartei auf Landesebene.

Gleichzeitig verfängt im Osten die grassierende Russophobie erheblich weniger als im Westen. Der AfD erlaubt dieses über die verbale Ablehnung der Ukraine-Kriegspolitik eine strategisch-taktische Wendung.

Je deutlicher man sich gegen die Russland-Ukraine-Politik positioniert, umso mehr werden gleichzeitig die Spaltungstendenzen in der Partei Die Linke gestärkt. Die dort dominierenden Akteure reagieren mittlerweile unreflektiert auf vermeintlich "AfD-nahe" friedenspolitische Positionen. Anders formuliert: Die AfD kann sich selbst in ihrem Image als Protestpartei stärken, indem sie gezielt durch Anbiederung an die Friedensbewegung auch die friedenspolitisch zerstrittene Partei Die Linke noch weiter schwächt.

Ob es in dieser Weise auch gelingt, die mit der großen Friedenskundgebung am 25.2. in Berlin vorhandene Aufbruchstimmung für ein breites gesellschaftliches Anti-Kriegs-Bündnis zu torpedieren, darf jedoch bezweifelt werden. Die inflationären "Rechts-"Etikettierungen werden zum Glück zunehmend als Orwell’sches Neusprech wahrgenommen: "Krieg ist Frieden".

Aufklärerisch für eine Friedenspolitik einzutreten, heißt aktuell in besonderem Maße, gegen alle Etikettierungen als moralische Totschlagargumente aufzutreten und die Kernaussagen von politischen Akteuren wahrheitsgemäß darzustellen.