Rechtsoffenheit in der Friedensbewegung â Kampfbegriff oder reales Problem?
Dokumentiert: Bildet sich unter der Flagge der Friedenstaube eine "Querfront"? GenĂŒgt die Abgrenzung gegen Rechts? Die "Ukraine-Initiative â Die Waffen nieder" hat dazu Thesen veröffentlicht.
Nicht erst seit der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer organisierten GroĂdemonstration "Aufstand fĂŒr Frieden" am 25. Februar in Berlin gibt es sowohl reale Versuche von extremen Rechten, die Friedensbewegung zu unterwandern, als auch das Bestreben von BefĂŒrwortern militĂ€rischer LösungsansĂ€tze, die gesamte Friedensbewegung als rechts oder zumindest rechtsoffen darzustellen.
LangjĂ€hrige Friedensbewegte aus dem linken Lager konstatieren dagegen "nur", dass die Zeiten vorbei sind, in denen soziale Bewegungen und die Friedensbewegung meist von Anfang an unter der Hegemonie linker oder progressiver KrĂ€fte standen. Doch wie sollen sie damit umgehen? Finger weg, weil das alles zu diffus ist, oder rein in die Bewegung, um dort mit Ăberzeugungsarbeit um Hegemonie zu kĂ€mpfen? Und wie entscheidend ist dafĂŒr eine gemeinsame Analyse der HintergrĂŒnde des Ukraine-Kriegs [1]?
Im Folgenden dokumentieren wir dazu ein Thesenpapier der "Ukraine-Initiative â Die Waffen nieder". [2]
Rechtsoffenheit in der Friedensbewegung â Kampfbegriff oder reales Problem?
Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges spielt seit einiger Zeit das Narrativ von der Rechtsoffenheit der Friedensbewegung eine zunehmende Rolle. Besonders massiv vorgetragen wurde es gegen die groĂe Friedenskundgebung im Februar 2023 in Berlin, initiiert von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht. [3] Die FĂŒhrung hatte dabei das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit einer massiv manipulativen Berichterstattung, sekundiert von den ĂŒbrigen Leitmedien.
Die Funktion dieser Demagogie besteht darin, die Gegner der herrschenden Kriegspolitik als Feinde der Demokratie zu markieren und so mundtot zu machen. Denn angesichts der weit verbreiteten Skepsis in der Bevölkerung gegen den amtlichen Bellizismus muss an der medialen Heimatfront mit allen Mitteln das Ziel eines militÀrischen Siegs der Ukraine mehrheitsfÀhig gemacht werden.
Der Vorwurf der Rechtsoffenheit oder gar rechts zu sein ist schwerwiegend und wirkt daher auf so manche einschĂŒchternd, die sich eigentlich gern engagieren wĂŒrden. Sie ziehen sich dann aus Protesten zurĂŒck und Ă€uĂern ihre Meinung allenfalls noch hinter vorgehaltener Hand.
Leider wird das Narrativ von der Rechtsoffenheit gegenwĂ€rtig auch von manchen KrĂ€ften in der Friedensbewegung verbreitet. Mit jenen, die nicht in gleichem Atemzug auch die Nato-Positionen ĂŒbernommen haben, verbindet uns aber nach wie vor das Eintreten fĂŒr einen Verhandlungsfrieden und die Ablehnung von Militarisierung und AufrĂŒstung. Umso wichtiger ist es daher, die Diskussion innerhalb der Bewegung zu fĂŒhren. Dazu soll der vorliegende Text beitragen.
Wie mit neuartigen Protestbewegungen umgehen?
Zentrum der Meinungsverschiedenheiten ist die Frage nach dem Umgang mit neuen und neuartigen Protestbewegungen. Das ist kein spezifisches Problem der deutschen Friedensbewegung. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg standen soziale Bewegungen, darunter auch die Friedensbewegung, meist von Anfang an unter der Hegemonie linker oder progressiver KrÀfte. Diese Zeiten sind allerdings vorbei.
Mit den gesellschaftlichen UmbrĂŒchen und multiplen Krisen in fast allen LĂ€ndern des âdemokratischen Kapitalismusâ sind zwar viele neue AnlĂ€sse fĂŒr Protest entstanden. Aber angesichts des Niedergangs und der SchwĂ€che der gesellschaftlichen Linken ist dieser Protest politisch und ideologisch meist diffus, von WidersprĂŒchen durchzogen und in seiner Zusammensetzung oft sehr heterogen.
Typische Beispiele sind die Bewegung der Gelbwesten in Frankreich oder die Cinque Stelle in Italien (vor ihrer Formierung zur Partei), die Hunderttausende mobilisieren konnten. Die Linke wurde davon völlig ĂŒberrascht, und einige hatten groĂe Probleme, damit umzugehen. So behaupteten manche, die Gelbwesten seien von der extremen Rechten gesteuert oder gar antisemitisch.
Wenn eine solche neuartige Bewegung auftritt, besteht angesichts ihrer HeterogenitĂ€t und politischen Nicht-Determiniertheit in der Tat eine gewisse Offenheit â aber nach allen Seiten hin. Entscheidend ist in einer solchen Situation, welche Orientierung sich im weiteren Gang der Dinge durchsetzt. Politik ist nicht statisch, sondern prozesshaft.
Wer von vorneherein glaubt, dass eine solche Bewegung vom Start weg sofort den AnsprĂŒchen etablierter linker Organisationen genĂŒgen mĂŒsse, hat nicht verstanden, wie soziale Bewegung und politische Meinungsbildung an der Basis der Bevölkerung heute funktionieren. Das BĂŒndel von auĂergewöhnlichen Krisen, die die Gesellschaften erschĂŒttern, und der zunehmende Kontrollverlust auf Herrschaftsseite fĂŒhren zu enormer Verunsicherung und Orientierungslosigkeit.
Wenn Menschen sich dann zu Protest organisieren, ist das zunĂ€chst einmal ein Akt der SelbstermĂ€chtigung. Was dann daraus wird, hĂ€ngt zwar nicht nur, aber auch in hohem MaĂe davon ab, wer in den weiteren Prozess mit welchen Zielen eingreift.
NatĂŒrlich besteht das Risiko des Scheiterns
Die AfD u.a. Rechte haben das begriffen und bemĂŒhen sich um Hegemonie ĂŒber neue Protestbewegungen. Verkennt die Linke jedoch die HeterogenitĂ€t und Offenheit neu entstehender Bewegungen und verzichtet auf Eingriffsmöglichkeiten, weil sie glaubt, vermeintlich lupenreine Gewissheiten verteidigen zu mĂŒssen, ist das Kapitulation vor den neuen Herausforderungen, quasi Selbstmord aus Angst vorm Tod. NatĂŒrlich besteht dabei, wie bei allem politischen Engagement, das Risiko des Scheiterns.
Bei den Gelbwesten begaben sich Teile der Linken, darunter La France Insoumise, Attac Frankreich und einige Gewerkschaften, in die Bewegung hinein. Sie haben dabei darauf verzichtet, ihre eigene politische IdentitĂ€t durchzudrĂŒcken. Stattdessen diskutierten sie, organisierten Erfahrungen und Lernprozesse auch fĂŒr politisch unbeschriebene BlĂ€tter, naive oder in IrrtĂŒmern befangene Mitstreiter.
Nicht jeder, der auf die StraĂe geht, hat Faschismustheorie und einschlĂ€gige historische Kenntnisse intus. Zwar wurden die Gelbwesten nicht die neue Avantgarde auf dem Weg in linke Utopien, aber die Versuche, die Bewegung von rechts zu instrumentalisieren, scheiterten. Das ist mal erfolgreiche Antifa.
Lehrreich im negativen Sinn ist in diesem Zusammenhang dagegen der Umgang mit der Massenbewegung fĂŒr einen kostenlosen ĂPNV in Brasilien 2013: die Arbeiterpartei (PT) und weite Teile der Linken, darunter die Landlosenbewegung MST, bekĂ€mpften die Bewegung offensiv. Dadurch gewann die Rechte die Sympathien der StraĂe, was dann ein wesentlicher Faktor fĂŒr den spĂ€teren Erfolg Bolsonaros war.
Die Linke muss sich unter den aktuellen Bedingungen auch hierzulande auf die KomplexitĂ€t der neuen VerhĂ€ltnisse einlassen. Die Frage ist, wie geht man mit WidersprĂŒchlichem, mit Ambivalenz, mit Unfertigem, oder oft einfach nur mit Unwissenheit um. Gebraucht werden eine fundierte Analyse und eine entsprechende Strategie. Opportunistische Anpassung oder politische Beliebigkeit wĂ€ren freilich der falsche Weg. Es bleibt klar: Faschismus, Antisemitismus, Rassismus, nationalistische, völkische Ăberlegenheitsideologien und dĂ€monisierende Feindbilder haben in der Friedensbewegung nichts zu suchen.
Begriffliche Klarheit statt Kampfbegriffe
Fundierte Analyse der gesellschaftlichen VerhĂ€ltnisse heiĂt als erstes, Klarheit in die DiffusitĂ€t um zentrale Begrifflichkeiten wie "rechts" und "rechtsoffen" zu bringen.
Als rechts galten bis in die Ăra Kohl die CDU/CSU und Umfeld, denen ein einigermaĂen kohĂ€rentes Weltbild zugeordnet wurde: wirtschafts- und sozialpolitisch kapitalistischen Interessen verpflichtet, innenpolitisch fĂŒr Law & Order, kulturell konservativ und auĂenpolitisch strikt transatlantisch mit AffinitĂ€t zum MilitĂ€rischen.
Links dagegen hieĂ: den LohnabhĂ€ngigen verpflichtet, innenpolitisch liberal und Demokratisierung in allen gesellschaftlichen Bereichen einfordernd, im kulturellen Habitus progressiv, und auĂenpolitisch fĂŒr Entspannung und AbrĂŒstung, internationale SolidaritĂ€t sowie Distanz zum MilitĂ€rischen.
Mit dem Triumph des Neoliberalismus begann die traditionelle Links-Rechts-Konfiguration jedoch zu erodieren. Mit New Labour â in Deutschland mit Gerhard Schröder als âGenosse der Bosseâ â begann die Entfremdung zwischen LohnabhĂ€ngigen und Sozialdemokratie und deren Abstieg in fast allen LĂ€ndern des âdemokratischen Kapitalismusâ. Die soziale Frage, die immer der harte Kern des Begriffs âlinksâ war, wurde durch den Neoliberalismus zwar enorm verschĂ€rft, verlor aber zunehmend ihre ReprĂ€sentation im politischen System.
Hinzu kommt eine fĂŒr unser Thema zweite, wichtige Entwicklung: Seit etwa einem Jahrzehnt werden Politiken hegemonial, die sich gegen die Diskriminierung von Frauen und Minderheiten (POCs, LBQTI+ etc.) richten. Auch die gehören schon immer zum traditionellen Bestand linker Programmatik. Sie bleiben auch nach wie vor emanzipatorisch â wenn man einmal von Ăbertreibungen und Exzessen absieht, wie sie schon immer am Rand emanzipatorischer Bewegungen aufzutreten pflegen.
Wenn dann aber ein transnationaler Konzern wie Amazon, berĂŒchtigt dafĂŒr, jede gewerkschaftliche AktivitĂ€t im Keim zu ersticken, mit dem Foto einer Muslima im Hidschab nach ArbeitskrĂ€ften sucht, dann verwischt dieser "progressive Neoliberalismus" (Nancy Fraser) die klare Trennung zwischen links und rechts.
Ăhnliches gilt, wenn beim Christopher Street Day 2023 in Berlin an der Spitze der Demo der ukrainische Botschafter und ein ganzer Block lĂ€uft, der den aggressiven Nationalismus Kiews und Krieg bis zum Sieg propagiert â und so KompatibilitĂ€t zwischen Bellizismus und linker IdentitĂ€tspolitik herstellt.
Die relative KohĂ€renz linker wie rechter Weltbilder befindet sich in Auflösung, und die einstmals eindeutigen Begriffe sind auch innerhalb der jeweiligen Lager umstritten. Wer heute ĂŒber "rechts" redet, steht deshalb in der Pflicht, prĂ€zise zu sagen, was damit gemeint ist. Das gilt umso mehr, wenn man "rechts" zum Zentrum eines Diskursfeldes macht, zu dem Faschismus, Antisemitismus, Rassismus u. a. vergleichbar antihumanistische Ideologien gehören.
Oft wird dann ârechtsâ auch prompt mit Faschismus, Antisemitismus etc. gleichgesetzt. Wir halten es dagegen fĂŒr notwendig, weiterhin zwischen der konservativen Rechten und jenem Teil des politischen Spektrums zu unterscheiden, das gemeinhin als ârechtsextremâ bezeichnet wird, also den AnhĂ€ngern von völkischen, rassistischen, antisemitischen, nationalistischen und anderen Ideologien, die eine Ungleichheit von Menschen(gruppen) behaupten. Auch Auffassungen, die sich der Rechts-Links-PolaritĂ€t entziehen, können nicht von vorneherein und pauschal als "rechts" eingeordnet werden.
Hinzu kommt, dass die Rede von der "Rechtsoffenheit" die DiffusitĂ€t der Begriffe noch um einiges erhöht, sodass sie in völlig nebulöser Beliebigkeit endet. Sie wird dann zum NĂ€hrboden fĂŒr eine Unkultur permanenter VerdĂ€chtigung und Denunziation, befeuert von selbsternannten TugendwĂ€chtern. Auf solchem Treibsand lassen sich ursprĂŒnglich sinnvolle Begriffe leicht als Kampfbegriffe missbrauchen. Es geht dann nicht mehr darum, die Wirklichkeit zu verstehen, sondern die Begriffe fĂŒr die Ausgrenzung von Positionen, Personen und Gruppen zu instrumentalisieren.
Ausweitung der diskursiven Kampfzone
Dieser Missbrauch ist Begleiterscheinung der krisenbedingten Polarisierung und des Verfalls demokratischer Diskussionskultur in vielen Gesellschaften. Die Mutation von Begriffen zu Kampfbegriffen wird in erster Linie in der sog. Mitte der Gesellschaft und von ihren Funktionseliten betrieben.
Das fĂ€ngt an mit der Inflation von Hitler-Vergleichen. Milosevic, Saddam Hussein, Gaddafi, Putin â alles WiedergĂ€nger Hitlers. Der polnische MinisterprĂ€sident Morawiecki lehnt Verhandlungen mit Russland mit dem Argument ab: "WĂŒrden sie mit Hitler verhandeln?" Und der Ukraine-Krieg wird bar jeder Kenntnis des Nazi-Krieges im Osten auch in der sog. QualitĂ€tspresse als "Vernichtungskrieg" etikettiert.
VorlĂ€ufer einer solchen Banalisierung und Begriffsentleerung erleben wir seit Jahren mit dem Antisemitismusvorwurf. Wer war da nicht schon Zielscheibe: Obama, Goethe und Schiller, die UNO, der Corona-Beauftragte der israelischen Regierung, die AnhĂ€nger einer Finanztransaktionssteuer, der EuGH, Fridays for Future u.v.a.m. Ein Beispiel, das besonders schön in diesen Kontext passt, ist die Unteilbar-Demo 2018 mit ĂŒber 200.000 Teilnehmern, ĂŒber die das Springer-Blatt Die Welt behauptet, sie sei "von Antisemitismus-VorwĂŒrfen" ĂŒberschattet (Welt Online, 17.10.2018).
An dem Fall wird auch ein weiteres Merkmal des inflationĂ€ren Gebrauchs solcher Kampfbegriffe sichtbar: ihre Protagonisten maĂen sich gern die Definitionshoheit ĂŒber Antisemitismus, Faschismus, Rassismus u.Ă€. an, Themen, ĂŒber die in den Sozialwissenschaften auch Fachleute kontroverse Debatten fĂŒhren, wie z.B. zwischen den AnhĂ€ngern der Jerusalemer Definition von Antisemitismus und jener der International Holocaust Remembrance Alliance. Es besteht kein Anlass, sich von der arroganten Indienstnahme dieser Begriffe durch einige linke Milieus ins Bockshorn jagen zu lassen.
UnberĂŒhrt davon ist, dass es natĂŒrlich real Faschisten, Antisemiten etc. gibt, gegen die sich demokratisch gesinnte Menschen klar positionieren mĂŒssen. Eine Friedensbewegung, die ihre humanistische Grundhaltung ernst nimmt, kann sich aber leichtfertige Zuschreibungen nicht leisten.
Esoterik ist ein MassenphÀnomen
Noch glitschiger wird das Terrain mit einigen neue Kreationen im Arsenal der Kampfbegriffe: Verschwörungstheorie bzw. -ideologie, Wissenschaftsfeindlichkeit, Irrationalismus und Esoterik. ZunÀchst muss man festhalten, dass sie in einer anderen Liga spielen als Faschismus und Antisemitismus. Eine Gleichsetzung bedeutet pure Verharmlosung. Zwar sind sie oft Teilmomente von Faschismus und Antisemitismus, aber diese haben kein Monopol darauf.
Man findet sie millionenfach in der Gesellschaft. Ein Beispiel: in den programmatischen Schriften von Christen, Juden und Muslimen â Bibel, Koran, Thora sowie den Edikten ihrer PĂ€pste, Oberrabbiner und Imame â wimmelt es nur so von Irrationalismus und Esoterik. WĂŒrde man diese Ausgrenzungskriterien konsequent anwenden, dĂŒrften zukĂŒnftig Demos mit mehr als hundert Leuten sehr selten werden.
Und vor allem liefern auch hier die Herrschaftsmilieus das Vorbild, z.B. fĂŒr Verschwörungstheorien. Wenn Hillary Clinton ihre Wahlniederlage gegen Donald Trump einer Kampagne des Kremls zuschreibt, Emmanuel Macron bei einem Hackerangriff auf seinen Wahlkampfcomputer schon nach einer halben Stunde genau weiĂ, dass die Bösewichte Russen sind, oder der GrĂŒne Anton Hofreiter jĂŒngst zur ErklĂ€rung des BREXIT den Einfluss "russischer Desinformation" heranzieht (Die Welt, 25.7.2023; S.4), dann ist das nur die Spitze des verschwörungsideologischen Eisbergs. In den Leitmedien werden solche Fake News meist unkritisch ĂŒbernommen.
Auch hier gibt es, wie beim Thema Rechtsoffenheit, eine Konvergenz zwischen Mainstream und sich als links verstehenden Gruppen, wie z.B. den sog. Antideutschen, deren Ideologie in einige Organisationen der Friedensbewegung Eingang gefunden hat.
Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang die sozialen Medien und alternativen Informationsquellen im Internet. Sie stellen die Informations- und Interpretationshoheit der etablierten Massenmedien und staatlicher Stellen in Frage. Das bietet neue Möglichkeiten fĂŒr kritische Gegenöffentlichkeit von links, aber auch fĂŒr viel Irrationales sowie Propaganda von rechts. Dennoch darf die Entscheidung, was Fake-News sind, nicht den Leitmedien und der staatstragenden Politik ĂŒberlassen werden.
Praktische Konsequenzen
Die Erfolge der AfD sind ein ernstes Problem. Hinzu kommt fĂŒr die Friedensbewegung die Schwierigkeit, dass die AfD â anders als die postfaschistische Regierungschefin Italiens, die stramm auf Nato-Linie liegt -, fĂŒr den Stopp von Waffenlieferungen und Sanktionen sowie einen Verhandlungsfrieden mit Russland eintritt. Das tut sie nicht aus anti-militaristischen oder friedenspolitischen Motiven. Denn abgesehen davon, dass sie damit Protest gegen den regierungsamtlichen Bellizismus auf ihre parteipolitischen MĂŒhlen lenken will, setzt sie sich zugleich fĂŒr AufrĂŒstung und eine starke Bundeswehr ein.
Es ist klar, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD, ihren Unterorganisationen und ihren FunktionĂ€ren gibt. Das gleiche gilt fĂŒr KrĂ€fte, die gezielt eine Querfront zwischen der extremen Rechten und Linken propagieren, wie JĂŒrgen ElsĂ€sser mit seiner Zeitschrift "Compact". Entsprechendes gilt natĂŒrlich fĂŒr andere Rechtsextreme (NPD, ihre Nachfolgeorganisation etc.).
Keine Zusammenarbeit heiĂt: keine gemeinsamen Aufrufe bei StraĂenaktionen, keine RedebeitrĂ€ge von rechtsextremen Personen, die Unterbindung â soweit möglich â von entsprechenden Transparenten und Symbolen, bei Publikationen und Online-Medien keine Auftritte in AfD-Medien.
Schwieriger ist die Situation bei Podiumsdiskussionen/Talk-Shows, die von dritter Seite organisiert werden. In diesem Fall ist eine Teilnahme legitim, um der AfD u.Ă€. nicht das Feld zu ĂŒberlassen. Dabei muss auf die Motive der extremen Rechten hingewiesen und das eigene Profil in deutlicher Abgrenzung herausgestellt werden.
Die Friedensbewegung darf sich nicht instrumentalisieren lassen, auch nicht von politischen Parteien fĂŒr ihre Wahlkampagnen. NatĂŒrlich ist es gut, wenn Mitglieder aus Parteien, die nicht unter die o.g. Kriterien fĂŒr Rechtsextremismus fallen, die Friedensbewegung unterstĂŒtzen. Doch die Friedensbewegung muss stets unabhĂ€ngig sein und ihr eigenes Profil immer deutlich herausstellen.
Es hat sich eine Protestlandschaft entwickelt, die in vielen FÀllen keine Instrumentalisierung der Friedensfrage anstrebt, sondern friedenspolitisch motiviert ist. Damit sind jene KrÀfte gemeint, die oben als politisch nicht determiniert skizziert wurden.
Es sind Einzelpersonen, aber auch organisierte BĂŒrgerinitiativen, die ihre Wurzeln ursprĂŒnglich in anderen Themen haben, z. B. den Protesten gegen die Corona-MaĂnahmen. Kooperation mit solchen Gruppen und Menschen unter der Voraussetzung klarer Absprachen ĂŒber Inhalte und Formen einer gemeinsamen Aktion sind dabei notwendig. So wie eine katholische Organisation zur Zusammenarbeit willkommen ist, solange sie andere nicht zur unbefleckten EmpfĂ€ngnis MariĂ€ bekehren will, so ist ein anthroposophischer Impfgegner willkommen, solange er sich auf gemeinsame friedenpolitische Positionen konzentriert.
Es werden sich nicht alle EventualitĂ€ten vorab in Regelungen erfassen lassen. Daher ist die stĂ€ndige ĂberprĂŒfung von Erfahrungen mit der hier umrissenen Strategie und Taktik notwendig, um ggf. Korrekturen vornehmen zu können. Das bedeutet allerdings nicht, sich auf Methoden einzulassen, mit denen in geradezu geheimdienstlicher Manier vermeintlich verdĂ€chtigen Kontakten nachgespĂŒrt wird, um sie dann bei passender Gelegenheit zu skandalisieren. Damit wird ein Klima des Verdachts und der Denunziation erzeugt. Zumal die dabei gewonnen "Erkenntnisse" sich immer mal wieder als Fake herausstellen.
Konfrontative Abwehr gegen alles, was nicht die â wie immer definierte â reine Lehre ist, endet letztlich in sektenhafter Selbstisolierung von den RealitĂ€ten unserer Gesellschaft. Eine Zusammenarbeit mit KrĂ€ften, die die Anliegen der Friedensbewegung teilen und nicht dem faschistischen/rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind, sollte deshalb angestrebt werden, wenn wir breitere Kreise der Gesellschaft, die jĂŒngere Generation und die bitter notwendige politische Wirkung erreichen wollen.
An der Abfassung dieses Textes waren beteiligt: Yusuf As, Reiner Braun, Wiebke Diehl, Andreas GrĂŒnwald, Claudia Haydt, Rita Heinrich, Jutta Kausch-Henken, Ralf KrĂ€mer, Willi van Ooyen, Christof Ostheimer, Hanna Rothe, Peter Wahl.
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[3] https://www.telepolis.de/features/Manifest-fuer-Frieden-Alles-Querfront-oder-was-7493473.html
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