Recycled Island
Ein niederländischer Architekt will aus einem schwimmenden Müllstrudel eine Pazifikinsel entstehen lassen
Niederländer haben Erfahrung mit der Erzeugung von nutzbarem Neuland aus dem Meer. Immerhin entstand fast die gesamte Provinz Flevoland durch Deichbau. Was Ramon Knoester vom Rotterdamer Architekturbüro WHIM plant, geht allerdings über die Errichtung von Poldern deutlich hinaus: Er will im "Great Pacific Garbage Patch", einem Meeresstrudel, in dem sich Plastikabfälle konzentrieren, eine künstliche Insel basteln.
Darüber, wie groß die 1997 entdeckte Müllanhäufung ist, sind sich Wissenschaftler uneinig. Einige schätzen sie ungefähr auf die Größe des US-Bundesstaates Texas, andere auf die der gesamten Vereinigten Staaten.1 In ihr werden bis zu 100 Millionen Tonnen Kunststoff vermutet. Sehr viel davon ist allerdings durch Abrieb und Licht in winzige Teilchen zerfallen.
Weil die kleinen Kunststoffteilchen nicht nur von Fischen und anderen Meereslebewesen gefressen werden, sondern bei ihrem Zerfall auch potenziell gefährliche Stoffe freisetzen, ist der Müllstrudel kein ganz unproblematisches Phänomen. Deshalb möchte ihn Knoester in eine Insel namens "Recycled Island" verwandeln. Dazu will der Architekt direkt vor Ort die größeren Plastikteile aus dem Meer filtern, schreddern, säubern, sortieren, einschmelzen und zu luftgefüllten Baublöcken pressen. Die daraus gefertigte Insel wird seiner Planung nach nicht auf dem Meeresgrund verankert, sondern als eine Art dauerhaft besiedeltes Floß auf dem Wasser schwimmen, wie es etwa Neal Stephenson in seinem Science-Fiction-Roman Snow Crash schildert.
Damit die Insel bei stärkerem Seegang nicht umkippt, soll sie mindestens 10.000 Quadratkilometer groß werden, was in etwa der Fläche Hawaiis entspricht. Darauf könnten Knoester zufolge bis zu eine halbe Million Menschen siedeln, die Energie aus Meeresströmungen, Sonne und Wind erzeugen, mit der sie unter anderem Meerwasser in Trinkwasser umwandeln. Fraglich ist freilich, ob sich so ein Unternehmen rechnen wird - was nicht zuletzt daran liegt, dass noch viele Fragen offen sind. Weitgehend unklar ist bis jetzt beispielsweise, wie das halbwegs wirtschaftliche Sortieren der vielen verschiedenen Kunststoffsorten erfolgen soll, die nur sehr begrenzt gemeinsam verarbeitet werden können. Hinsichtlich der Finanzierungsfragen hält sich Knoester dem entsprechend eher bedeckt und verweist auf den Umweltschutz als internationale Aufgabe.
Der niederländische Architekt ist nicht der Erste, der von einer größeren künstlichen Insel träumt: Vor allem Libertäre entwickelten in den letzten Jahrzehnten mehrere solcher Projekte, von denen bisher jedoch keines realisiert wurde. Sie sollten allerdings weniger der Müllbeseitigung dienen, als der Erzeugung von Siedlungsräumen, die nicht von Staaten beansprucht werden. Eine Schwierigkeit dabei ist, dass Inseln nach Artikel 57 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (UNCLOS) innerhalb einer Zone von 370 Kilometern von benachbarten Staaten beansprucht werden können. In kleinerem Maßstab gibt es künstliche schwimmende Insel bereits seit langem: Bekannte Beispiele sind die Dörfer der Uro-Indianer im Titicacasee und die Behausungen der Moken-Seenomaden im südchinesischen Meer.