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Redeblumen vor Ostern und zu Ostern

Viele Worte, wenig Nachfragen: Wieler und Spahn. Bild: Screenshot

Wie uns die Word-Spreader Spahn und Wieler vor den Feiertagen noch einmal Pandemie und Maßnahmen erklärt haben

Was wird uns vor Corona retten? In der live über verschiedene Kanäle verbreiteten Pressekonferenz des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 26. März ("Spahn und RKI-Chef Wieler zur Corona-Lage vor Ostern und zu Ostern") gaben zwei Spezialisten ein seltsames postmodernes Stelldichein vor einer Riege überforderter Journalisten, die wie ahnungslos vor den hohen Autoritäten hockten [1]. Und die nicht gerade standesgemäß den Repräsentanten der "Wissenselite" huldigten.

"I don't know"

Bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) – er eröffnete die Runde mit einem eloquenten Statement – plakatieren standardmäßig bunte Redeblumen mit ihrer unverbindlichen Polit-Rhetorik ein Argumentationsgebäude, das komplett aus Elementen zusammengesetzt ist, die zum einen alle schon vorher kennen und die sich zum anderen ausschließlich selber stützen. Eher hohle Blütenkelche also.

Jens Spahn liebt die gefällige Rede, streut gerne Anglizismen ein, die seinen selbstverliebten Kapriolen den Anstrich von Internationalität geben. Gespickt mit Phrasen wie "I don't know" und "so what" lässt er uns gleich zu Beginn Banalitäten wissen wie: "Die Einreiseverordnung allein ist jetzt nicht der Gamechanger." Alles klingt so plausibel, so offensichtlich, dass wir selbst nie darauf gekommen wären, wir müssen es aus dem Mund des Bundesgesundheitsministers selber gesagt bekommen.

Die Leute von der Presse sind geduldige Zuhörer.

Spahn genießt seinen Auftritt. Man sieht ihm an, dass er keinerlei Rechtfertigungsdruck verspürt. Die Anwesenden und eine schwache Moderation machen es ihm leicht; die Bühne gehört ihm. Spahn bügelt alles spiegelglatt. Einwänden begegnet er mit gespielter Nachsicht, mit der man einem Kleinkind begegnet, eines seiner Lieblingswörter ist: "Nochmal…!", dann folgt der Hinweis auf schon Gesagtes, schon Erklärtes, entgegenkommend adressiert an die Adresse begriffsstutziger Kinder.

Es ist die Pose der Überlegenheit, die den Zuschauer angesichts der faktischen Lage der Nation sprachlos macht. Rhetorik, die anstelle von Politik regiert.

"Tolles Werkzeug"

Die Mangelware Impfstoff, die demnächst irgendwie zum Rettungsanker mutieren soll, nennt Spahn in Anlehnung an einen Terminus aus dem Energiesektor eine erwartbare "Grundlast", so sie denn kommt. Spahns Podiumspartner, RKI-Chef Lothar Wieler spricht nicht ohne Anflüge einer bei ihm eher seltenen Begeisterung vom mRNA-Impfstoff als einem "hochinnovativ(en)" und "toll(en) Werkzeug".

Überhaupt gefällt sich der RKI-Chef in technokratischem Begriffsoptimismus. Corona betreffend sieht er einen "Werkzeugkasten", mit dessen Einsatz Deutschland der Krise beikommen will. Was vom Podium aus suggeriert: Ja, wir haben es in die Hand." Oder zumindest die "Gerätschaft" zu Hand.

Wieler benutzt auch die charismatische Macht der Zahlen, um Strategien vorzustellen, die keine sind. Die Journalisten staunen über simulierte Konzepte, die aus Wiederholungen bekannter Wunschvorstellungen zu bestehen scheinen. Die Erklärungen hören sich stets gleich an:

Die Kliniken stehen vor der Überlastung (vollkommen neu), es gelte jetzt, "massiv gegenzusteuern" (vollkommen neu), die Sieben-Tage-Inzidenz steige schnell und befinde sich aktuell bei 119 (Stand der PK), und es kommt noch besser: "Überall wo Menschen zusammenkommen" sei die Ansteckung häufiger, der "Effekt der Impfung auf der Bevölkerungsebene" werde noch "eine Weile auf sich warten lassen" (das ist spektakulär), es seien bislang mehr als 75.000 Mitmenschen an (oder mit?) Covid-19 gestorben. Dabei todernste Gesichter.

30 bis 70 Prozent höhere Ansteckungsfähigkeit gehe von der schlimmen Virusvariante aus, die habe eine völlig andere biologische Eigenschaft, schlimmere Krankheitsverläufe, komplett anderes Geschehen. Und so weiter, und so fort.

Die Sache mit den Kreuzchen. Und vier Prozent von Hundert

Dann kommt die Sache mit den Kreuzchen. Das Kreuz mit den Schnelltest: Wie viele PCR-Tests sind eigentlich Bestätigungstests aus Schnelltests, oder so?

Im Folgenden Originalton (im Video ab ca. 0:59:50 [2]).

Übrigens, bei den Schnelltests, wenn es zu einem PCR-Bestätigungstest kommt, besteht eigentlich heute schon die Möglichkeit - das ist jetzt wieder Bürokratie, aber wichtig, die macht nämlich manchmal den Unterschied - ein Kreuzchen zu machen, und dann wüssten wir ob es ein Bestätigungstest von einem Schnelltest ist.

Was wir nun an Rückmeldungen bekommen - es macht nahezu niemand dieses Kreuz - deswegen werde ich nochmal gezielt appellieren an die Testzentren, weil es für uns wichtig ist. Das sind ja auch Fragen, die sich stellen, nachvollziehbarerweise - wieviele PCR-Tests sind eigentlich Bestätigungstests aus Schnelltests? Das KÖNNTEN wir eigentlich wissen, wenn alle dieses kleine Kreuzchen machen würden.

Da sind wir wieder, nee, Bürokratie ist immer der eine Oberbegriff, aber manchmal braucht man Dinge, die man wissen will, ein paar Leute, die sich dann die Mühe machen ein Kreuz zu machen. Da werden wir nochmal appellieren, um da auch einen besseren Überblick zu haben.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

RKI-Chef Wieler fügt hinzu:

Ich möchte das mit den Tests nochmal ergänzen - also wir machen ja auch Abfragen - also das heißt, wir fragen aktiv ab - das sind dann natürlich nur Ausblicke, das ist auch nicht völlig repräsentativ - aber nach den Daten, die uns bisher vorliegen, ist es so, dass in den ersten 10 Kalenderwochen dieses Jahres - von all den Daten die ins Meldesystem kommen, also die uns übermittelt werden - das sind ja alles Daten, die sind ja PCR-bestätigt - davon sind etwa vier Prozent zurückzuführen auf Antigentests, die positiv waren. Also von den 100 Prozent Daten sind es momentan rund vier Prozent.

Und was ich auch noch von den Daten weiß, die wir da erheben durch die Abfragung - es ist momentan etwa so, dass von den positiven Antigentests - ich rede jetzt nicht von den Selbsttests, da haben wir noch keine, aber zu diesen Antigentests - dass von einem der positiv war, als Schnelltest - dass etwa die Hälfte davon sich nachher bestätigt hat als PCR-positiv. Also das, um etwa so eine Größenvorstellung zu haben.

RKI-Chef Wieler

Eine tolle Abfragung, die der RKI-Chef hier wortreich verpackt zum Besten gibt. Und spektakuläre Einblicke in den Stand der Dinge, Deutschland im Krisenmodus 2021.

Planetarische Aussichten und ein "sehbares Ziel"

Euphemismen gibt es gratis. Die "Impfstoffanpassung" funktioniere "wie bei Grippe", die "Technologie der Impfstoffe" stimme "sehr zuversichtlich", wird aber heißen können, "mehrfach impfen" nicht ausgeschlossen. "Großartig" lobt Wieler den "Bauplan für das Impf-Antigen", bei den Varianten kann man relativ gut anpassen, weiß er; alle halbe Jahre impfen? Das kann schon sein, auf jeden Fall lautet die Devise: Die ganze Welt durchimpfen!

Damit ist das Weltganze in die Konferenz einbezogen. Für einen Moment Planet statt Provinz.

Der Journalistenkollege Ulrich Stoll fragt zum Schluss noch fürs ZDF: Wieso sind die Hausärzte so spät eingebunden? Und bekommt zur Antwort: Dass das doch eigentlich klar ist. Geschuldet sei dies der "sehr starken Knappheit" an Impfstoff am Anfang. Einer "erwartbaren" Knappheit, fügt Minister Spahn mit wissender Geste hinzu.

Darauf folgte eine "sehr starke Priorisierung", dann kommt der Lobgesang auf Impfzentren und mobile Teams, gefolgt von rosigen Aussichten: Im Mai-Juni würden die Mengen größer werden. Alles capito? Man könne daher den Impfstoff nicht zugleich an fünfzig- oder achtzigtausend Arzttresen (Hausärzte plus Fachärzte) weiterreichen. Das leuchtet auch uns ein.

Extra betont, nochmal: Die Knappheit, die wir am Anfang "erwartbar" hatten.

Lothar Wieler weiß zu guter Letzt: "Reisen und Kontakte sind die Treiber dieser Pandemie." Sonst noch Erkenntnisse? Spahn rät, "Tests strategisch zu nutzen", spricht von "Lebenswelten" Schule/Kita und Beruf/Betrieb mit dem "Ziel", dort zwei Mal wöchentlich zu testen, dies sei "eine neue Qualität", und schraubt mit verbalen Gemeinplätzen am Stimmungsbarometer.

Das hört sich so an: Man wird "Öffnungsschritte gehen"; wir sind "im letzten Teil dieses Pandemie-Marathons angekommen", und dann ein phänomenaler Satz:

Das Ziel ist sehbar geworden, aber noch ein ganzes Stück weg.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Pressekonferenz Berlin, 26. März 2021

Donnerwetter! Da wirkt sein Appell im Nachsatz beinahe blass: "Miteinander durchhalten mit dem Ziel, im Sommer ein Impfangebot zu erhalten."

Das Vertrauen schwindet

Live-Presseauftritt in Berlin im Frühjahr 2021: Es ist die smarte Diktatur der Oberfläche, die herrscht, weder heiß noch kalt. Man verkauft Palliativmaßnahmen als Rettung, Fiktion als Strategie, Kreisliga als Oberliga. Es ist unglaublich, mit welcher Dreistigkeit der Wortgottesdienst am Hof zu Berlin abgehalten wird, wie dummschlaue Ahnungslosigkeit triumphiert.

Die Medizinerin und Medizinethikerin Christiane Woopen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrats, ist eine von denjenigen, die derweil nicht aufhören zu warnen [3]: Das Vertrauen in politische Maßnahmen schwindet, sagte sie Mitte März im Gesundheitsausschuss des NRW-Landtages. Auch im Fernsehen [4] tritt sie nicht nur mit Ideen, sondern auch mit konzeptuellen Vorschlägen in Erscheinung, vermisst Strategie und Kommunikation: "Die Menschen wissen nicht, wie sie mit ihrem Testergebnis umgehen sollen".

Eine Teststrategie habe der Expertenrat schon im April 2020 empfohlen. Das ist ein Jahr her.

Wir hängen zum Schluss noch eine Prise Bescheidwissen [5] an, ein Was ist was zum Selberlesen. Es geht um die Tests: PCR ist die Abkürzung für Polymerase Chain Reaction, auf deutsch: Polymerasekettenreaktion. Die Schnelltests sind insgesamt weniger genau als PCR-Nachweise; sie erkennen im direkten Vergleich [6] Kranke seltener als krank, Gesunde seltener als gesund:

Möge die Macht mit uns sein.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6005433

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.youtube.com/watch?v=CKol8wh7oP0&t=1s
[2] https://www.youtube.com/watch?v=CKol8wh7oP0&t=1s
[3] https://www.ksta.de/politik/woopen-kritisiert-zu-wenige-tests--keine-strategie-und-keine-kommunikation-in-nrw-38194368
[4] https://www.daserste.de/information/talk/anne-will/videosextern/die-grosse-ratlosigkeit-gibt-es-einen-weg-aus-dem-dauer-lockdown-100.html
[5] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronatest/faq-schnelltests.html
[6] https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/corona-test-wie-funktioniert-der-test/