Reform der Sozialen Netzwerke: Regulieren, aufspalten oder verstaatlichen?
Seite 2: Wessen Plattformen ist die Plattform? Wessen Welt ist die Welt?
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Prinzipiell kommen für eine Reform der Sozialen Medien drei verschiedene Ansätze in Frage:
Der Staat kann erstens gesetzliche Auflagen erlassen, die den Datenhandel stärker regulieren und begrenzen (zum Beispiel die bereits erwähnte Interoperabilität durchsetzen). Er könnte zweitens Unternehmen wie Google oder Facebook kartellrechtlich zerschlagen, das heißt ihre Aufteilung in kleinere Unternehmen erzwingen. Drittens könnte er Alternativen zu den kommerziellen Internet-Netzwerken schaffen.
Dass die letzte Möglichkeit einer Alternative überhaupt erwähnt wird, ist bemerkenswert. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung - eigentlich nicht bekannt für eine privatisierungskritische Haltung - kennzeichnete kürzlich die Sozialen Netze als Infrastruktur, damit vergleichbar mit dem Brief- und Bahnverkehr. Der Autor stellte die Frage, "ob eine Leistung von immenser gesellschaftlicher Bedeutung einem privaten Unternehmen überlassen bleiben kann".
Weniger überraschend ist dagegen, dass der Publizist Thomas Wagner im Neue Deutschland fordert: "Enteignet Facebook!"
Für §soziale Medien" wie Facebook sollte das Gleiche gelten wie für andere Leistungen der Grundversorgung - Wasser Energie, Mobilität und Kommunikation. Sie gehören nicht in die Hand renditeorientierter Privatfirmen, sondern sollten von gemeinnützigen Anbietern in öffentlichem Eigentum bereitgestellt werden.
Thomas Wagne
"Öffentliches Eigentum" ist - trotz des langen Siechtums des Neoliberalismus - ein Ausdruck, der nur selten zu hören ist. Immer noch werden überall Teile der öffentlichen Dienste herausgebrochen, sofern sie Profite versprechen, im Straßen und Schulbau etwa oder in der Krankenversorgung.
Facebook oder Twitter als öffentlichen Dienst zu organisieren, steht - bisher - nicht auf der politischen Tagesordnung. Aber die Sozialen Netzwerke böten sich durchaus dafür an. Warum? Kommunikations- und Medientechnologie sind miteinander verschmolzen und dienen heute für den Austausch von Botschaften aller Art: Katzenbilder, Stammtischparolen, Einkaufslisten, Dienstpläne und Liebesbriefe. Soziale Medien gehören mittlerweile so sehr zu unserem Alltag, dass wir auf sie kaum verzichten können, ebenso wenig wie auf Telefongespräche und Krankenversorgung und öffentlicher Nahverkehr. Sie bilden eine Infrastruktur, die einzelne Bürger, aber auch Vereine, Unternehmen, Behörden und Parteien benutzen.
Diese gesellschaftliche Infrastruktur wird, wie so oft heutzutage, von privaten Unternehmen betrieben. Das Gemeinwohl - was immer darunter verstanden werden mag - interessiert sie selbstverständlich weniger als ihr Gewinn. Das ist normal, aber es handelt sich in diesem Fall um Unternehmen besonderer Art, die ein Produkt besonderer Art herstellen. Die Sozialen Netzwerke verstehen sich nämlich als "Plattformen" oder "Online-Marktplätze", ökonomisch gesprochen "Intermediäre". Das bedeutet, am liebsten wären sie bloße Vermittler, die Anbieter und Nachfrager verkuppeln, dafür eine Gebühr kassieren und sich danach in den weiteren Verlauf ihrer Beziehung nicht mehr einmischen.
Eine Plattform setzt Nutzerdaten in Wert. Sie verdient an Informationen - und das ist nicht wirklich einzusehen. Warum sollte eine Suchmaschine Geld dafür bekommen, dass sie weiß, was die Leute interessiert? Wieso darf sie - um nur ein Beispiel zu nennen - Künstliche Intelligenz mit Daten entwickeln, die sie geschenkt bekommt, und das fertige Produkt monetarisieren?
Sofern sie Datenhändler sind, informieren die Plattformen das Gemeinwesen darüber, was das Gemeinwesen denkt und tut und wie es sich fühlt. Es handelt sich also um ein Selbstgespräch, für das allerdings Gebühren anfallen. Die Plattformen verkaufen uns, was wir eigentlich bereits haben - ein echter Treppenwitz! Sie sind genau betrachtet nicht einmal kapitalistische Unternehmen im engen Sinne, sondern sozusagen die Grundherren des digitalen Raums, die "Informationsrenten" eintreiben (wie der Ökonom Ralf Krämer es nennt). Sie errichten einen Zaun um ihren Marktplatz und verlangen von den Händlern Eintrittspreise.
In der Praxis können sich die Unternehmen nur selten auf die Vermittlung beschränken, auch wenn dies am meisten Profit bedeutet (weil es die geringsten Kosten verursacht). Der Datenhandel ist für das jeweilige Unternehmen unterschiedlich wichtig. Amazon und Microsoft sind auch Plattformen, aber eben nicht nur: Amazon organisiert eine anspruchsvolle Logistik, Microsoft vertreibt Computerprogramme. Soziale Medien wie Facebook und Twitter sind dagegen Plattformen im eigentlichen Sinn, die ihr Wissen über kaufkräftige Bedürfnisse verkaufen (mittlerweile auf ihr Wissen über politische Haltung).
Dass sich diese Unternehmen als Plattform darstellen - "Wir bringen die Menschen miteinander ins Gespräch!" - dient nicht zuletzt dazu, die Verantwortung wegzuschieben. Ein Gutteil der öffentlichen Debatte und politischen Meinungsbildung findet heute in den Sozialen Netzwerken statt. Sie bieten die Kommunikationskanäle für die Nachrichten und Meinungen, die andere herstellen und auswählen. Eine redaktionelle Verantwortung, wie sie eine Zeitungsredaktion trägt, lehnen sie ab. Natürlich, könnte man sagen, ein Netzwerk wie Facebook oder eine Suchmaschine wie Google veröffentlicht schließlich keine eigenen Artikel, und trägt daher zur öffentlichen Debatte nichts bei. Dennoch entscheiden diese Unternehmen mit ihrer Auswahl und Anordnung darüber, was Millionen von Menschen zu sehen bekommen - und was eben nicht.
Die Forderung, Mark Zuckerberg zu enteignen, erinnert an die nach der Enteignung des Springer-Verlags vor exakt 50 Jahren. Der Vergleich ist, auf interessante Art, schief: Bildzeitung und Die Welt machen offensiv und eingestandenermaßen Stimmung und Politik. Mittels Tendenzschutz verpflichtete der Verleger Axel Springer seine Blätter auf ein stramm rechtes Programm. Mark Zuckerberg würde sich eher die Zunge abbeißen, als sein Unternehmen auf irgendeine politische oder weltanschauliche Linie zu bringen.
Eine stärkere Regulierung der Sozialen Medien kommt, so viel steht fest. Den Regierungen geht es nicht zuletzt darum, die Kontrolle über die öffentliche Debatte zu behalten oder auszubauen, auch um ausländischen Einfluss auf die einheimische Bevölkerung zu begrenzen. Die USA haben ihre Technologieführerschaft in diesem Bereich lange weidlich ausgenutzt. Tatsächlich kooperieren die Netzwerke fast überall mit der Exekutive vor Ort (in der Türkei, Sri Lanka oder Pakistan beispielsweise) und zensieren beziehungsweise überwachen Regimegegner. China und Russland, die strategischen Gegner der USA, haben dagegen eigene Netzwerke aufgebaut. Der Iran hat ebenfalls einen eigenen Messenger-Dienst auf den Markt gebracht.
Dies ist der eigentliche Antrieb für die gegenwärtige Regulierungsdebatte, nicht die Sorge vor Monopolen oder um den Datenschutz. Ob sie dazu führen wird, dass kommerzielle Interessen in den Sozialen Medien zurückgedrängt werden, ist nicht klar. Wünschenswert wäre es: Sie sind die Ursache dafür, dass das Verhalten der Nutzer möglichst umfassend erfasst und gespeichert wird. Sie machen die Netze anfällig für Clickbait, Spam, Fake News, Schadsoftware.
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