Regierung Sri Lankas vertreibt Tamilen aus Colombo

Menschenrechtsorganisationen sprechen von "ethnischen Säuberungen". USA und EU protestieren. Oberster Gerichtshof erkärt Abschiebungen für illegal

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Hunderte von Tamilen wurden am Donnerstag auf Anordnung des Verteidigungsministeriums aus Sri Lankas Hauptstadt Colombo vertrieben. Nach der Intervention der US-Botschaft, der Europäischen Union, einem Eklat im Parlament von Sri Lanka und Protesten von Menschenrechtsorganisationen stoppte das Oberste Gericht Sri Lankas die Polizeimaßnahmen zunächst.

Ein weiterer Fall von rassistischer Diskriminierung gegenüber der tamilischen Minderheit in Sri Lanka hat Ende dieser Woche für internationales Aufsehen gesorgt. Die Regierung ordnete die zwangsweise Abschiebung von 376 Tamilinnen und Tamilen an, die in Gästehäusern in und um Colombo wohnten, meldete BBC. Andere Quellen sprechen von mehr als 500 Betroffenen.

Hunderte von schwerbewaffneten Polizisten drangen gegen vier Uhr morgens in den Distrikten Wellawatte, Kotahena, Pettah and Wattala nahe Colombo in zahlreiche Hostels ein. Den dort wohnenden Tamilen wurde eine halbe Stunde Zeit gegeben, ihre Sachen zu packen. Ihnen wurde gesagt, wenn sie die Stadt nicht verließen, würden sie verhaftet. Nach ihrer zwangsweisen Verfrachtung in Busse brachte man sie zunächst in den etwas weiter östlich gelegenen Ort Peliyagoda. Acht mit angeblich jeweils 50 Personen besetzte Busse fuhren dann von dort aus in Richtung der nördlichen Stadt Vavuniya, zwei weitere in die östlichen Städte Batticaloa und Trincomalee.

Betroffen waren Tamilen, die keine Arbeit und keinen ständigen Aufenthaltssitz in Colombo vorweisen konnten. Die meisten warteten auf Pässe oder Visa, um in Colombo arbeiten oder in andere Länder ausreisen zu können. Viele Tamilen aus dem Nordosten kommen auch für medizinische Behandlungen in die Hauptstadt. Die Polizei wies die Vermieter der Billighotels an, niemandem für mehr als drei Tage eine Unterkunft zu vermieten.

Verteidigungsministerium: In den Hotels werden Bomben gebaut

Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Keheliya Rambukwella rechtfertigte die Aktion damit, dass in den letzten Wochen zwei Anschläge mit Claymore-Minen in und um die Hauptstadt verübt worden seien. Die Regierung macht die die Rebellengruppe Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) dafür verantwortlich. Der erste Bombenanschlag galt einem mit Soldaten besetzten Bus in der Nähe des Hafens in Pettah, der zweite einem Militärlastwagen nahe des Ratnamala Militär-Flughafens.

Minister Rambukwella sagte weiter, die Hotels würden von Terroristen dafür genutzt, Bomben zu bauen. Auch Minister Mahindananda Aluthgamage erklärte, LTTE-Verdächtige hätten in Haft berichtet, dass 90 Prozent der Bombenanschläge in Colombo von Tamilen geplant und ausgeführt werden, die in den Hotels wohnen.

Auch wer seinen Aufenthalt begründen kann, wird abgeschoben Weder Regierung noch Polizei legten allerdings Beweise vor, weshalb ausgerechnet die nun abgeschobenen Tamilen eine Bedrohung darstellten. Der Generalinspector (IGP) der Polizei von Colombo, Rohan Abeywardene behauptete nur, die abgeschobenen Personen hätten keine „plausiblen Gründe“ vorlegen können, weshalb sie sich in Colombo aufhalten und würden dort "nur herumhängen". Die Regierung behauptete sogar, sie habe nur die „freiwillige“ Rückkehr der Tamilen „erleichtert“.

Die Aussagen der Betroffenen strafen diese Darstellungen Lügen: Selbst Tamilen, die ihren Aufenthalt begründeten, wurde gesagt, sie hätten keinen ständigen Wohnsitz in Colombo und müssten die Stadt deshalb verlassen. Ein Zwangsabgeschobener rief am Donnerstag die private Radiostation Sirasa FM per Handy an und erzählte, die Polizei habe alle in einen Bus gesteckt, der sich nun bereits 30 Kilometer nördlich der Hauptstadt befinde. "Wir wissen nicht, wo wir hingebracht werden.“

Was die Polizei unter „plausiblen Gründen“ versteht, bleibt unklar: „Ich kam vor 45 Tagen nach Colombo, um ein Visa für die Schweiz zu beantragen, auf das ich derzeit warte“, zitiert Reuters eine tamilische Frau aus Jaffna. "Aber heute kam die Polizei und sagte mir, ich solle nach Vavuniya gehen und dort warten.“ Weiter wurde berichtet, dass sich unter den Abgeschobenen auch ein Transplantationspatient befand, der auf medizinische Versorgung angewiesen war, sowie eine junge Tamilin, die in der nächsten Woche in Colombo heiraten wollte und mit ihrer Mutter abgeschoben wurde.

Die BBC hat nun eine Seite für Betroffene der Abschiebungen eingerichtet, wo sie von ihrer Behandlung durch die Sicherheitskräfte berichten können. Weitere Berichte wurden in dem Blog Sri Lanka Politics veröffentlicht.

Hält die Polizei alle Tamilen für Terroristen?

Bei der Terrorismusbekämpfung gehen die Behörden offensichtlich von einer Kollektivschuld aller Tamilen aus: Bereits am 31. Mai hatte die lokale Polizei 68 Besitzer von Low Budget Hostels in Pettah angewiesen, 5000 tamilische Mieter innerhalb von 24 Stunden hinauszuwerfen. Es habe Abschiebungen in den Norden und Osten gegeben, schreibt Bloomberg, ohne Zahlen zu nennen.

In Pettah befindet sich der wichtigste Großmarkt der Stadt und traditionellerweise lebt dort ein starker tamilischer und muslimischer Bevölkerungsanteil. Am 1. Juni drohte dann sogar der Generalinspektor (IGP) der Polizei von Sri Lanka, Victor Perera, Tamilen könnten nicht ohne plausiblen Grund in Colombo bleiben. Wer sich als Tamile in Colombo ohne Arbeit aufhalte, sei eine Bedrohung für die nationale Sicherheit. Im Bezirk Colombo leben laut der letzten Erhebung von 2001 knapp 2,24 Millionen Menschen, darunter 245.000 srilankische Tamilen und 26.000 Tamilen indischen Ursprungs.

USA, EU, Norwegen und Menschenrechtsgruppen protestieren

Diese in der Geschichte einmalige stadtweite „Säuberungsaktion“ führte sofort zu starken nationalen und internationalen Protesten. Die US-Botschaft in Colombo verurteilte die Vertreibungen. Sie verletzten die von der Verfassung garantierte Bewegungsfreiheit und verschärften die Spaltung in ethnische Gruppen weiter, gab die Botschaft bekannt. Auch die Europäische Union und Norwegen schlossen sich den Protesten an.

Zahlreiche Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen protestierten in einem Brief an Präsident Mahinda Rajapakse gegen die willkürlichen Abschiebekriterien. Das Center for Human Rights and Development (CHRD), das Centre for Policy Alternatives (CPA), das Free Media Movement (FMM), das INFORM Human Rights Documentation Center, das Institute of Human Rights (IHR), das International Movement against All forms of Racial Discrimination (IMADR), der Law & Society Trust (LST) und die Gruppe Rights Now forderten in dem Brief, die Operation zu stoppen und den Tamilen eine Rückkehr zu ermöglichen. Am Freitag organisierten die beteiligten Organisationen eine Kundgebung in Colombo, die wegen der massiven Polizeipräsenz vorzeitig abgebrochen werden musste, schreibt die Asian Tribune.

Auch die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) spricht von „offensichtlicher Diskrimierung“. Es sei eine „gefährliche Botschaft“, wenn die Regierung „die meisten ihrer tamilischen Bürger als eine Bedrohung für die Sicherheit ansieht“, sagte Brad Adams, Asiendirektor von HRW. Nichts könne das Feuer in Sri Lankas polarisiertem Klima mehr schüren, als Menschen anhand ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu identifizieren und sie aus der Hauptstadt zu werfen. Die Verbrechen der Tamil Tigers könnten keine kollektiven Bestrafungsaktionen rechtfertigen.

Ethnische Säuberungen?

Etwas über das Ziel hinausschießend bezichtigten die Medienrechtsorganisation Free Media Movement sowie Mano Ganeshan von der Western People's Democratic Front die Regierung „ethnischer Säuberungen“. Im Vergleich zu tausendfachen Vertreibungen in anderen Ländern erscheint dieser Begriff hier etwas übertrieben. Dennoch trifft es zu, dass die Abschiebungen einer ethnisierenden Logik gehorchen, in der "jeder Tamile zur Zielscheibe werden kann“, wie Jehan Pereira vom National Peace Council sagte. So muss zumindest befürchtet werden, dass diese Razzia Teil eines “langfristigen Plans der Regierung ist, ethnische Säuberungen in Colombo durchzuführen“, wie es der Direktor des katholischen Center for Peace and Reconciliation in Jaffna, Father Bernard ausdrückte.

Eklat im Parlament von Sri Lanka

Auch die Opposition protestierte in einer Sondersitzung des Parlaments heftig gegen die Maßnahmen. Ranil Wickremesinghe von der größten Oppositionspartei United National Party (UNP) bezeichnete die Maßnahmen als illegal. Wenn die Regierung aus Sicherheitsgründen jemanden verdächtige, müsse sie die Person vor ein Gericht vorladen oder sie wieder freilassen.

Lakshman Kiriella von der UNP kritisierte, dass auch Tamilen, die seit langem in Colombo lebten sowie kranke und krebskranke Personen abgeschoben worden seien. Der tamilische UNP-Abgeordnete Thiyagarajah Maheswaran rief: „Ihr sagt uns also, wir sollen gehen. Sagt es klar. Wir werden gehen.“ Wütend riss er sich das Hemd vom Leib und warf es in Richtung der Regierungsabgeordneten. Die Parlamentssitzung wurde nach diesem Zwischenfall für eine Stunde unterbrochen.

Die Regierung liefert den Rebellen die Rechtfertigungen

Paradoxerweise liefert die Regierung von Mahinda Rajapakse - die permanent die Einheit des Landes beschwört und die Unabhängigkeitsbestrebungen des Nordostens militärisch bekämpft - den Separatisten mit solchen Aktionen die Rechtfertigung für ihr „Tamil Eelam“ (homeland). „Sri Lanka erkennt separaten tamilischen Staat an“, titelte triumphierend die rebellennahe Website TamilEelam News.

Abgeschoben werden schließlich sonst höchstens Bürger eines anderen Staates. Siritunga Jayasuriya vom Civil Monitoring Committee (CMC), sagte, die Regierung mache die tamilische Community zu Fremden im eigenen Land: "Präsident Rajapakse hat den ersten Schritt in Richtung einer Teilung Sri Lankas in verschiedene Länder gemacht." „Ruft die Busse zurück, wenn ihr meint, dass Sri Lanka ein Land ist. Sind wir Bürger Sri Lankas oder nicht?“ rief der Parlamentarier Suresh Premachandran von der Tamil National Alliance (TNA) aus Jaffna. So lange das Land Führer wie Rajapakse habe, brauchten die Tamilen ihren eigenen Staat. Auch Mano Ganeshan von der Western People`s Democratic Front beschuldigte die Regierung, nun den ersten Spatenstich für einen separaten Staat gemacht zu haben.

De facto existieren bereits zwei Staaten auf der Insel: Abgesehen davon, dass die Rebellen eine eigene Verwaltung, Bank, Streitkräfte und Polizei aufgebaut haben, werden Angehörige der ethnischen Minderheit der Tamilen in Sri Lanka praktisch bereits oft wie Angehörige eines anderen Staates behandelt. So müssen aus dem Norden und Osten kommende Tamilen Visa bei der Polizei beantragen, um im Rest des Landes reisen zu können.

Gericht erklärt Maßnahmen für illegal, Polizei rudert zurück

Aufgrund der internationalen Proteste wurden die Vertreibungen schnell gestoppt – allerdings nur vorläufig. Am Freitag ordnete das Höchste Gericht von Sri Lanka (Supreme Court) einen unmittelbaren Stopp der Vertreibungen aus der Stadt an. Pakiyasothy Saravanamuttu vom „Centre for Policy Alternatives“ hatte gegen die Maßnahmen geklagt. Das Gericht wies Regierung und Sicherheitskräfte an, die Zwangsabschiebungen sofort zu beenden, bis es dann am 22. Juni zu den Vorkommnissen eine Anhörung geben wird.

Polizeichef Rohan Abeywardene gab daraufhin bekannt, die Polizei werde die Tamilen nun nach Colombo zurückbringen. Es wurden aber nur 186 von den 292 nach Vavuniya abgeschobenen Personen nach Colombo zurückgebracht – die anderen 190 schickte die Regierung in ihre Heimatorte zurück, meldete AP. Die Regierung scheint testen zu wollen, wie weit sie gegenüber tamilischen Zivilisten gehen kann: Der Polizeichef ergänzte, die Polizei werde fortfahren, die Hotels in Colombo zu durchsuchen und warnte deren Besitzer, bei verdächtigen Personen, in jedem Fall die Polizei zu verständigen. "Jede Person aus dem Norden, die Colombo besucht, muss in der Lage sein, ihre Unschuld zu beweisen", zitierte die Zeitung The Island den Polizeichef.

Präsident Mahinda Rajapakse versucht nun den Anschein zu Erwecken, die Polizei habe eigenmächtig gehandelt und ihre Kompetenzen überschritten. Er kritisierte am Freitag die Polizeiaktion, kündigte eine Untersuchung an und lud die Vertriebenen ein, nach Colombo zurückzukehren. Damit gewinnt die Affaire endgültig komödiantische Elemente. Der Sunday Leader deckte auf, dass die Aktion von Verteidigungssekretär Gotabaya Rajapakse angeordnet wurde, einem Bruder des Präsidenten. Ironisch schreibt das Blatt, es hoffe, damit dem Präsidenten bei der Untersuchung helfen zu können.