Regierung will Zugriff auf Mobiltelefon-Daten Asylsuchender
Neues Gesetz soll den Einsatz forensischer Hard-und Software erlauben, um Identität und Herkunft zu überprüfen - eine pragmatische Lösung oder "blanke Diskriminierung"?
Gesetzlich dazu verpflichtet, die Daten des Mobiltelefons auf Verlangen an Behörden preiszugeben? Neulich erst, bevor die Republik seit September 2015 tatsächlich politisches Neuland wurde, hätte dies einen Sturm der Entrüstung verursacht. Aber der Gesetzesentwurf, welcher der SZ nach eigenen Angaben vorliegt, betrifft nicht die Bewohner Deutschlands, sondern Asylsuchende.
Die Regierung will wettmachen, was als landauf, landab und über die Landesgrenzen hinaus von vielen in ganz Europa als fataler Fehler Merkels gewertet wird: die Grenzöffnung im September 2015 und der damit einhergehende Kontrollverlust über viele Hundertausende, die nach Deutschland einreisten, ohne dass die Behörden wussten, wer genau über die Grenzen kam.
Dass nicht wenige der Zuwanderer keine Kriegsflüchtlinge aus Syrien oder dem Irak waren, sondern aus anderen Ländern kamen, sich aber ihrer Papiere entledigten, um ihre Chancen auf ein Bleiberecht zu erhöhen, war schneller ein offenes Geheimnis, als die Leitmedien es zum Thema machten.
2016: Bei 50 bis 60 Prozent der Asylsuchenden würde Auslesen in Betracht kommen
Die Zahlen derjenigen, über deren Herkunftsland die Behörden im Unklaren sind, sind anscheinend hoch. Das Innenministerium schätzt, dass im vergangenen Jahr "bei 50 bis 60 Prozent der Asylsuchenden das Auslesen eines 'Datenträgers" in Betracht gekommen wäre". Das wären 2016 etwa 150.000 Menschen gewesen, rechnet die Süddeutsche Zeitung vor
Die neue Rechtsgrundlage, die es den Außenstellen des Bamf erlauben würde, mit "forensischer Hard-und Software" die Daten der Smartphones oder anderer Mobiltelefone von Asylsuchenden auszulesen, stammt vom Innenministerium, das von Merkels Parteikollegen de Maizière geleitet wird. Es befindet sich noch in der Ressortabstimmung, heißt es. Die Geräte, die am 2.400 Datenträger pro Tag auslesen können, stünden zur Aufrüstung bereit, lässt der SZ-Bericht verstehen.
Im Ausländerzentralregister befinden sich 213 000 "vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer" in Deutschland, ist ebenfalls aus dem SZ-Bericht zu erfahren. Die politische Absicht liegt nahe. Als Motiv zur Schaffung einer neuen Gesetzesgrundlage entpuppt sich, wieder einmal, die Umsetzung der Wahlkampfdirektive der Kanzlerin: "Rückführung, Rückführung und nochmals Rückführung".
"Blanke Diskriminierung"
Bislang ist eine derartige Inspektion persönlicher Daten durch Behörden nur auf freiwilliger Basis möglich oder bei einem Verdacht auf eine Straftat - was die Bundestagsabgeordnete der Linken, Ulla Jelpke, zu einem scharfen Kommentar zu den neuen gesetzgeberischen Plänen veranlasst. Sie bezeichnet den durchgesickerten Gesetzesentwurf als "blanke Diskriminierung":
Die standardisierte und verdachtsunabhängige Durchsuchung von Mobiltelefonen durch das BAMF stellt Geflüchtete auf eine rechtliche Stufe mit Verdächtigen einer schweren Straftat. Das ist Diskriminierung pur!
Ulla Jelpke
Dem steht entgegen, was laut Anfrage der Zeitung Die Welt beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bisher möglich ist:
Es findet keine Durchsuchung der Mobiltelefone von Asylsuchenden durch die Entscheider bei der Anhörung statt. Das Vorzeigen von zum Beispiel Fotos oder Videos, um die eigene Fluchtgeschichte zu untermauern, basiert auf Freiwilligkeit der Asylsuchenden.
Bamf, nach Angaben der Welt
Aus dem Bericht der Welt geht auch hervor, dass der Bundesrat 2015 der Auffassung war, "dass das Auslesen von Handys oder Laptops für die Abschiebung problematisch sei, weil es den 'unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung' verletzen könnte".
Die Zäsur: Der Fall Anis Amri
Aber dann ereignete sich der Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016. Die SZ wertet ihn als Zäsur. Danach war alles anders. Anis Amri, der unter verschiedenen Identitäten unterwegs war, habe die Republik "ein Stück weit verändert". Ob seine Identität über besseren Behördenaustausch seiner Fingerabdrücke nicht schon genügend fix registriert worden wäre, ist eine Frage, die einem in den Sinn kommt.
Die andere wäre, ob die neue "forensische Hard-und Software" zum Auslesen des Smartphones Attentate verhindern kann. Jemand, der zu einem terroristischen Anschlag entschlossen ist, lässt sich von solchen Hindernissen nicht abhalten, vielleicht genügt dazu schon ein "Zweit-Handy".
Aufweichen der Datenschutz-Zone?
Aber anhand der Fälle, die sich durch das Wegwerfen ihrer Papiere einen Bleiberechts-Vorteil verschaffen wollen, erscheint das Gesetz auch als pragmatisch, weil es ein Signal gegen Missbrauch setzt "Wir passen auf, wir haben Mittel". Nur, so leicht dieser Satz von der Hand geht, so leicht stellt sich auch der Argwohn ein, dass hier Schritt für Schritt ein Neuland betreten wird, das mit Vorstößen die gesetzlichen Hindernisse auf Zugriff persönlicher Daten aufweicht. Zumal die Innenminister im gegenwärtugen Klima ("Die Gefahr eines Terroranschlags ist immer gegeben") ein leichtes Spiel haben, um Datenschutzgrenzen in ihrem Sinn auszuweiten.
Wahrscheinlich lassen sich künftig auch pragmatische Gründe für Nicht-Asylsuchende finden, um deren "Handy-Daten auszulesen". Auf die konkreten Fälle bezogen, in denen es um die Erschleichung von Vorteilen durch Angabe falscher Herkunft geht, scheint die prinzipielle Kritik von Jelpke aber überzogen.
Vorausgesetzt, die Bamf-Mitarbeiter haben nicht Zeit und Kenntnisse genug, um die Herkunft anders zu ermitteln. Möglichkeiten dafür gibt es auch. Grenzbeamte wären vermutlich auch bei gegenwärtig ruhigen Grenzen nicht spezialisiert genug, um zu unterscheiden, ob ein Asylsuchender aus Tunesien kommt oder aus Idlib/Syrien.