"Regime Change" in Pakistan: Wie die USA halfen, Imran Khan zu stürzen
Seite 2: Khan trifft Putin und wirbt für Verhandlungen
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Führende Politiker, die Neutralität anstrebten, wie Patrice Lumumba (Zaire), Norodom Sihanouk (Kambodscha), Viktor Janukowitsch (Ukraine) und viele andere, wurden mit der nicht ganz so versteckten Hand der US-Regierung gestürzt.
Wie viele Staats- und Regierungschefs in den Entwicklungsländern wollte auch Khan die Beziehungen weder zu den USA noch zu Russland wegen des Ukraine-Krieges abbrechen. Wie es der Zufall will, war Khan an dem Tag, an dem Russland die "militärische Sonderoperation" startete (24. Februar 2022), in Moskau, um Putin zu treffen.
Von Anfang an sprach sich Khan dafür aus, dass der Konflikt in der Ukraine am Verhandlungstisch und nicht auf dem Schlachtfeld beigelegt werden sollte. Die USA und die EU bedrängten ausländische Staats- und Regierungschefs, darunter auch Khan, sich gegen Putin zu stellen und westliche Sanktionen gegen Russland zu unterstützen, doch Khan widersetzte sich.
Am 6. März besiegelte Khan wahrscheinlich sein Schicksal, als er eine große Kundgebung in Nordpakistan abhielt. Auf dieser Veranstaltung beschimpfte er den Westen und insbesondere 22 EU-Botschafter, die ihn unter Druck gesetzt hatten, Russland bei einer Abstimmung in den Vereinten Nationen zu verurteilen.
Kritik auch an Nato-Kriegen
Er kritisierte in scharfen Worten auch den Nato-Krieg gegen den Terror im benachbarten Afghanistan, der für Pakistan absolut verheerend gewesen sei, ohne dass man das Leiden Pakistans gesehen, respektiert oder gewürdigt hätte.
Khan sagte der jubelnden Menge:
Die EU-Botschafter haben uns einen Brief geschrieben, in dem sie uns auffordern, Russland zu verurteilen und gegen es zu stimmen ... Was halten ihr von uns? Sind wir eure Sklaven ... die alles tun, was ihr uns sagt?
Er fügte hinzu:
Wir sind mit Russland befreundet, und wir sind auch mit Amerika befreundet. Wir sind mit China und mit Europa befreundet. Wir sind in keinem Lager. Pakistan wird neutral bleiben und mit denen zusammenarbeiten, die versuchen, den Krieg in der Ukraine zu beenden.
Der Leak und die Folgen von "Neutralität"
Aus US-amerikanischer Sicht ist "neutral" ein Kampfbegriff. Die schwerwiegenden Folgen für Khan wurden im August 2023 von investigativen Reportern des Online-Mediums The Intercept aufgedeckt.
Nur einen Tag nach Khans Kundgebung traf der stellvertretende US-Außenminister für süd- und zentralasiatische Angelegenheiten, Donald Lu, in Washington mit dem pakistanischen Botschafter in den USA, Asad Majeed Khan, zusammen. Im Anschluss an das Treffen schickte Botschafter Khan ein geheimes Telegramm (eine "Cypher") zurück nach Islamabad, das dann von einem pakistanischen Militärbeamten an The Intercept weitergegeben wurde.
In dem Telegramm wird berichtet, wie der stellvertretende Staatssekretär Lu Premierminister Khan wegen seiner neutralen Haltung beschimpfte. Darin wird Lu mit den Worten zitiert, dass "die Menschen hier und in Europa ziemlich besorgt darüber sind, warum Pakistan eine so aggressiv neutrale Position (zur Ukraine) einnimmt, wobei unklar ist, ob eine solche Position überhaupt möglich ist. Wir halten das nicht für einen neutralen Standpunkt".
Lu übermittelte seinem Gegenüber Khan dann die Kernbotschaft.
Ich denke, wenn das Misstrauensvotum gegen den Premierminister erfolgreich ist, wird man in Washington Pakistan alles verzeihen, weil dann der Russlandbesuch als eine Entscheidung des Premierministers angesehen wird. Andernfalls denke ich, dass es schwierig werden wird, fortzufahren.
Orwell lässt grüßen
Fünf Wochen später, am 10. April, während die USA dem mächtigen pakistanischen Militär unverhohlen drohten und das Militär Kontrolle über das pakistanische Parlament ausübte, setzte das Parlament Khan in einem Misstrauensvotum ab.
Innerhalb weniger Wochen erhob die neue Regierung dreist fabrizierte Korruptionsvorwürfe gegen Khan, um ihn unter Arrest zu stellen und seine Rückkehr an die Macht zu verhindern.
Als Khan die Existenz des diplomatischen Telegramms bekannt gab, das die Rolle der USA bei seiner Absetzung enthüllt, beschuldigte ihn die neue Regierung der Spionage, was eine geradezu Orwellsche Wendung darstellt. Er wurde nun aufgrund dieser Anklage zu einer unglaublichen Strafe von zehn Jahren verurteilt, wobei die US-Regierung zum Skandal schweigt.
Auf die Frage nach Khans Verurteilung äußerte sich das US-Außenministerium wie folgt: "Das ist eine Angelegenheit für die pakistanischen Gerichte."
USA haben sich durchgesetzt, vorerst
Eine solche Antwort ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie von den USA geführten Regimewechsel funktionieren. Das Außenministerium unterstützt Khans Inhaftierung wegen seiner öffentlichen Enthüllungen der US-Einmischung.
Pakistan wird nun am 8. Februar Wahlen abhalten, während der populärste demokratische Politiker des Landes im Gefängnis sitzt und Khans Partei unerbittlichen Angriffen, politischen Morden, Medienverboten und anderen schweren Repressionen ausgesetzt ist.
Bei all dem ist die US-Regierung in höchstem Maße mitschuldig. So viel zu Amerikas "demokratischen" Werten.
Die US-Regierung hat sich vorerst durchgesetzt – und ein atomar bewaffnetes Land mit 240 Millionen Einwohnern in seinen Fundamenten destabilisiert. Nur Khans Entlassung aus dem Gefängnis und seine Teilnahme an den bevorstehenden Wahlen könnten die Stabilität wiederherstellen.
Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit US-Nachrichtenportal Common Dreams. Das englische Original findet sich hier. Übersetzung: David Goeßmann.
Jeffrey D. Sachs ist Universitätsprofessor und Direktor des Zentrums für nachhaltige Entwicklung an der Columbia University, wo er von 2002 bis 2016 das Earth Institute leitete. Außerdem ist er Präsident des UN Sustainable Development Solutions Network und Kommissar der UN Broadband Commission for Development. Er war Berater von drei Generalsekretären der Vereinten Nationen und ist derzeit SDG-Beauftragter von Generalsekretär Antonio Guterres. Sachs ist der Autor des kürzlich erschienenen Buches "A New Foreign Policy: Jenseits des amerikanischen Exzeptionalismus" (2020). Zu seinen weiteren Büchern gehören: "Building the New American Economy: Smart, Fair, and Sustainable" (2017) und "The Age of Sustainable Development," (2015) mit Ban Ki-moon.