Reise nach China: Klima-Innovation schlägt fossile Trägheit in Europa

Seite 2: Die Städte in China sind sauber, sicher, ohne Straßenlärm und überall grün

Auch sonst machte ich eindrucksvolle Beobachtungen. In Hangzhou (ca. zwölf Millionen Einwohner) konnte ich im Hotel an einer großen innerstädtischen Straße, mit starkem, auch nächtlichem Verkehr, bei offenem Fenster schlafen. Kein Lärm von lauten Motorrädern oder Dieselbussen, gute Luft.

Alle Zweiräder werden schon über ein Jahrzehnt elektrisch betrieben, lautlos teilen sie sich die großen, oft von den Straßen abgetrennten, Radwege mit den Radfahrern. Viele nutzen die Radwege in der Stadt sogar für ihren Radsport. Die Busse sind alle leise, weil elektrisch.

Die Autos sind geschätzt schon etwa zu 40 Prozent elektrisch, die Taxen fast alle, zu erkennen an den grünen statt blauen Nummernschildern. Die U-Bahnen und Schnellzüge als Städteverbindungen sind in den letzten Jahren stark ausgebaut worden.

Sie reduzieren den innerchinesischen Flugverkehr und Individualverkehr in den Städten. Der Autoverkehr ist mit hoher City-Maut und Parkgebühren belegt. E-Autos sind davon nur teilweise befreit. Viele Forderungen einer ökologischen Verkehrswende sind in Chinas großen Städten daher schon umgesetzt.

Alle Straßen sind üppig begrünt, mit großen Bäumen und herrlichen gepflegten Blumenrabatten. Jeder freie Platz wird begrünt. Überall pflegen Gärtner:innen die Anlagen, die einen fairen Mindestlohn bekommen.

In Shanghai (40 Millionen Einwohner) habe ich alles genauso gesehen: grüne Stadt, saubere Luft, kein nennenswerter Straßenlärm. Kein Vergleich mehr zum Schmutz und Lärm, den ich bei meiner ersten Shanghai-Reise 2002 erlebte.

In Baotou ist die E-Mobilität noch nicht so weit fortgeschritten: Zwar sind auch alle Zweiräder elektrisch, aber es gibt noch kaum E-Autos. Dafür aber auch hier volles, üppiges Straßengrün und Bäume – und das, obwohl Baotou in einer Wüstengegend liegt.

Auch die Digitalisierung hat das Leben voll durchdrungen. Ich war wohl ein seltener Exot aus einer rückschrittlichen Welt, der im Café seine Rechnungen sogar noch mit Bargeld bezahlte.

Erstaunt hat meine chinesische Begleiterin mein Wechselgeld als Sehenswürdigkeit fotografiert, denn die schon 2019 eingeführten kleinen Ein-Renminbi-Münzen hatte sie noch nie gesehen.

Warum ist Deutschland in der ökologischen Wirtschaft abgehängt worden?

Wer wie ich erstmals um 2000 in China war und dort die bittere Armut, die Luftverschmutzung, den Schmutz und Lärm erlebte und nun das saubere und prosperierende China in den großen Städten sieht, insbesondere das unglaublich steile Wachstum der sauberen Technologien, der kann nur staunen. Zumindest im bevölkerungsreichen Osten des Landes.

Da kommt die Frage auf, warum wir in Deutschland immer noch Luftverschmutzung und Straßenlärm durch Verbrennungsmotoren, laute Motorräder, keine neuen Schnellbahnen zwischen den großen Städten (die den inneren Flugverkehr reduzieren), keine Solarfabriken und sterbende Wälder haben?

Warum wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer und warum gleiten immer mehr Menschen in bittere Armut ab?

Der rasante Aufbau der chinesischen Cleantech-Industrie vollzog sich in den letzten 20 Jahren just genau in dem Zeitraum, in welchem Deutschland unter der Union von Kanzlerin Merkel regiert wurde. Genau in diese Zeit des chinesischen Ausbaus fiel der Niedergang der deutschen Solarwirtschaft.

Nicht nur ich warnte im Bundestag, dass der politisch verordnete Einbruch der deutschen Solarwirtschaft zum Verlust der Technologieführerschaft Deutschlands in diesem Bereich führen wird. Doch genau das ist passiert.

Es gab auch einen großen, erfolgreichen Rechtsstaatsdialog zwischen Deutschland und China. In meiner Bundestagszeit war ich ebenfalls daran beteiligt. China hatte vom deutschen Rechtssystem einiges übernommen, unter anderem das EEG.

In Deutschland wurde das EEG unter Merkel, Gabriel, Rösler, Altmaier unter anderem mit der Umstellung auf Ausschreibungen in seiner Wirksamkeit massiv beschnitten. In China wurden die positiven Grundelemente der festen Einspeisevergütung hingegen beibehalten, bis sie sich in Teilbereichen, z.B. für die riesigen Freiflächenanlagen, von selbst im Strommarkt behaupten konnten.

Daher glaube ich, dass wir in Deutschland auch einiges aus China lernen können, insbesondere wie man Ökologie und Armutsbekämpfung vorantreiben kann.

Natürlich bin ich ein Verfechter der freiheitlichen Demokratie und nicht eines kommunistischen, diktatorischen Regimes wie in China. Die persönliche Freiheit und die Achtung der Menschenrechte sind für mich höchste Güter.

Aber was nützt uns das Abgleiten Europas in immer mehr konservative, populistische und Rechtsaußenpolitik, womit gleichzeitig Klimaschutz, eine schnell wachsende saubere Industrie und eine Verkehrswende verhindert werden? Am Ende kann Europa wirtschaftlich nicht mehr mit China mithalten, und wir werden alle gemeinsam auf diesem Planeten zunehmend unter den Katastrophen der Erdaufheizung leiden.

Insbesondere unsere Wirtschaftsbosse aus der fossilen Industrie, aber auch Politiker aus Union und FDP, sollten schnell nach China reisen und lernen, wie man die für den Klimaschutz absolut notwendigen Nullemissionstechnologien wirtschaftlich hochzieht, statt sie hier mit Attacken auf Heizungen mit erneuerbaren Energien, E-Mobile und Ökostromanlagen zu bekämpfen.

Ein hohes Tempo ist dafür absolut notwendig. Das atemberaubende Wachstum der chinesischen Cleantech-Konzerne wird es der heimischen Wirtschaft – dominiert von fossilen Konzernen wie Siemens, VW, BASF, RWE und Co. – sehr schwer machen.

Neue chinesische Unternehmen übernehmen rasant die Führerschaft in den emissionsfreien Technologien, insbesondere in den Bereichen Stromerzeugung, Verkehr, Heizungen, Speicher, Digitalisierung, Maschinenbau und Landwirtschaft.

Deutsche Konzerne werden wohl bald im globalen Spiel der Wirtschaft weiter massiv an Bedeutung verlieren.

Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG). Von 1998 bis 2013 war er für die Grünen im Bundestag. Er hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen für sein Engagement erhalten. Fell ist Botschafter für 100 Prozent Erneuerbare Energien und Sprecher der Bürgerinitiative Bürger Solarfabrik.

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