Reißt die Sofalehnen ab!

Ein Appell an den deutschen Fernsehzuschauer, aufgezeichnet bei den Münchner Medientagen

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Die größte Gefahr für eine glorreiche digitale Zukunft des deutschen Fernsehens ist der deutsche Durchschnittsfernsehzuschauer. Dieser ist nämlich ein recht fauler Sack. Etwas schöner haben die Fernsehmacher das auf den Münchner Medientagen schon formuliert: "Am mentalen Trägheitsgesetz der Masse ändert sich ebenso wenig, wie am Trägheitsgesetz in der Natur", verkündete Georg Kofler, Vorstandsvorsitzender des Einkaufsfernseh-Konzerns "H.O.T. Networks".

Zum Umschalten muss der Zuschauer heute nicht einmal seinen Arsch hochkriegen. Dennoch fürchten Fernsehinnovatoren, dass er selbst im Sitzen zu faul sein wird, zwischen 150 und mehr Kanälen zu wählen, Filme zu bestellen, Emails zu schreiben und nebenher unzerstörbare Titan-Messersets zu kaufen. Premiere World-Geschäftsführer Ferdinand Kayser drückt das so aus: "Zuschauer, die dreieinhalb Stunden vor der Kiste sitzen, wollen Unterhaltung." Wobei mit Unterhaltung das gemeint ist, was die großen Sender seit Jahren machen. Sind also Leo Kirch und John Mallone, die Milliarden in digitale Programme und Netze investieren, wahnsinnig?

Lauscht man Georg Kofler, könnte man das fast glauben:

"Wenn ich höre, dass in einigen Jahren mit Video-on-Demand 600 oder 700 Millionen Euro Umsatz gemacht werden sollen, muss ich sagen, dass ich das heute schon mit meinem kleinen Sender erwirtschafte, indem ich Pfannen verkaufe ohne riesigen Summen zu investieren."

RTL-Informationschef Hans Mahr stößt ins selbe Horn: "Das alles wird ein bisschen langsamer kommen, das sieht man heute sogar schon an den Prognosen der Berater - und das heißt etwas." Die Prognosen solcher Berater, von "Booz Allen & Hamilton" zum Beispiel, benannten auf den Medientagen ganz eindeutig die Schuldigen am langsamen Näherrobben an die Fernsehzukunft:

"Wir müssen die Lean-Backward-Orientierung der Zuschauer überwinden."

Also: Fernsehzuschauer! Reißt die Sofalehnen ab! Auf dass die Zukunft beginne!

Hier ist eine gewisse Hilflosigkeit zu spüren, wie man sie auf den Medientagen oft zu erahnen glaubte. Die zweite Fernsehgeneration hat inzwischen ihren größten Boom hinter sich, seit Ende der Neunziger stagnieren die Werbeumsätze während die Programmkosten steigen. Insgesamt ist beim Privatfernsehen die große Konsolidierung schon fast vorbei. Die zwei verbliebenen Senderfamilien fragen sich jetzt: Was nun? Die immensen Investitionen und unerfüllten Kundenprognosen bei Premiere World haben die Hoffnung aufs interaktive Fernsehen gedämpft. Was also werden wir nun in Zukunft zu sehen bekommen?

Auf jeden Fall immer noch viel Werbung, nur dass sie nicht mehr so klar zu erkennen sein wird. Laut einer Studie der Unternehmensberater von "Booz Allen & Hamilton" werden im Jahr 2007 auf dem Fernsehmarkt 60 bis 70 Prozent des Umsatzes mit den heute bekannten Werbeformen erzielt werden. Deutlich weniger als heute, was zum Teil logisch ist. Denn je mehr Sender den Aufmerksamkeitsmarkt unter sich aufteilen, desto kleiner werden die Anteile jedes einzelnen - und desto weniger attraktiv ist er dann für Unternehmen, die mit ihrer Werbung möglichst viele Menschen erreichen wollen. Also schauen sich die Sender nach anderen Einnahmequellen um.

Fünf bis zehn Prozent ihres Umsatzes sollen sie 2007 denn auch mit dem sogenannten T-Commerce verdienen. T steht für Transaktion und Transaktion für den Verkauf eines Produkts, der durch das Fernsehen angebahnt wurde. Das kann so aussehen: Da 150 Programme nur innerhalb eines längeren Fernsehabends durchzuzappen sind, verschafft sich der Zuschauer einen Überblick per elektronischem Programm-Guide. In einer Ecke wird hier ein Staubsauger gezeigt. Kauft sich der Zuschauer diesen, bekommt der Sender eine Vermittlungsprovision. Nach demselben Prinzip könnten bei Autorennen Schumi-Bettlaken und bei Fußballspielen Bierfässer in Vereinsfarben verkauft werden.

Die dritte Einkunftsquelle - immerhin 20 bis 30 Prozent des Umsatzes - von Programmveranstaltern soll in Zukunft sogenannte "Content-Cooperation" bringen. Erstklassige Filme, interaktive Spiele und natürlich Pornos werden gegen Extra-Gebühren individuell an interessierte Zuschauer verkauft, den Gewinn teilen sich dann zum Beispiel Kabelbetreiber und Programmveranstalter.

Das Ende der großen Programme bedeutet das alles nicht. Im Gegenteil: "Bei immer mehr Kanälen und gleichbleibend beschränkter Aufmerksamkeit werden die Marken noch wichtiger", weiß Hans Mahr, der ja bei einer solchen Top-Marke arbeitet.

Einerseits hat er da wohl ganz recht, andererseits klingt das aber auch ein wenig nach Zukunftsunsicherheit. Eigentlich müsste hier leicht ein Gegensatz zu den neuen Herausforderern auf dem Kabelmarkt zu konstruieren sein. Die Unternehmen Callahan und Liberty Media, die der Telekom das Kabel abgekauft haben, müssen ja wohl ihre anstehenden riesigen Investitionen in Kanalvervielfachung und Rückkanal mit gut gewagten Visionen begründen. Tun sie aber nicht. David Colley, Geschäftsführer von Callahan sagt nur: "Wenn wir Zweifel hätten, ob sich diese Investitionen lohnen, würden wir sie nicht tätigen."

Klar ist, dass sich diese Investitionen in die Fernsehzukunft auch irgendwann amortisieren müssen. Was nicht so einfach sein wird - bei vorsichtig geschätzten Kosten von 400 bis 600 Euro pro Haushalt für einen Vollausbau des Kabels. Das ist nicht allein übers Fernsehen zu refinanzieren. Der hessische Anbieter "iesy" bietet seinen Kunden heute schon ein Angebot mit den Paketen Fernsehen, Internet und Telefon. Hier zeigt sich der enorme wettbewerbspolitische Vorteil des Kabelverkaufs: Die modernisierten Leitungen ermöglichen erstmals Konkurrenz, die flächendeckend nicht auf bestehende Telefonleitungen angewiesen und durch das Quasi-Monopol im Ortsnetz behindert ist.

Die wettbewerbspolitische Gefahr des Kabelverkaufs droht im Fernsehbereich: Da die Betreiber zwecks Refinanzierung jede Mark aus ihren Kunden herauspressen müssen, sehen kleine Sender wie n-tv wohl zurecht ihren Bestand im Angebot von Liberty gefährdet: Warum sollte der Anbieter diesen Sendeplatz nicht für eigene Programme oder solche, die entweder selbst für den Sendeplatz zahlen oder den Kabelbetreiber an Einnahmen beteiligen, abtreten?

Probleme und Konflikte allerorten also. Wie das Fernsehen der Zukunft aussieht, wissen die Fernsehmacher am wenigsten. Wie sagte noch David Colley von Callahan: "Wir wollen die Bar einrichten, aus der der Zuschauer dann sein Programm mixt." Armer deutscher Durchschnittsseher. Gerade hat er mühsam gelernt, dass Fernsehen schön und lange Fernsehabende beim selben Sender noch schöner sind, da muss er sich auch schon wieder umstellen - und mixen. Fernsehmixen für den Standort!

Vielleicht ist die Lean-Backward-Orientierung aber gar nicht so schlecht. Wer faul im Sofa hängt, bestellt lieber, als Einkaufen zu gehen. 350 Euro gibt jeder Deutsche jedes Jahr im Versandhandel aus. Die Nettoumsätze beim Teleshopping sind von 36 Millionen Euro 1997 auf 377 Millionen im vergangenen Jahr gestiegen und sollen 2006 bei über einer Milliarde liegen. Noch sind 80 Prozent der Kunden Frauen, aber den Rest Deutschland kriegen wir mit Schumi-Bettwäsche. Und das ist dann die Fernsehzukunft.