Remigration als Bühnen-Farce: Der rechte Masterplan kommt ins Theater
Soll man lachen oder weinen? Das Potsdamer Treffen von Neonazis, AfD-Politikern und möglichen Sponsoren als szenische Lesung. Eine Theaterkritik.
Von einem "Gesamtkonzept im Sinne eines Masterplans" war laut einem Bericht des Recherche-Netzwerks Correctiv die Rede im Einladungsschreiben zu dem exklusiven Treffen von AfD-Politikern, Neonazis und möglichen Sponsoren Ende November in Potsdam. Der Regisseur und Intendant des Wiener Volkstheaters Kay Voges hat nun gemeinsam mit dem Berliner Ensemble das Ergebnis der Recherche auf die Bühne gebracht.
Der erste Teil dieser Arbeit wurde bereits am 10. Januar veröffentlicht und hat Furore gemacht. Auch für den zweiten, noch unveröffentlichten Teil, sollte sich das Publikum auf etwas gefasst machen. Es wurde nicht enttäuscht.
Ein gelungener Schnellschuss
Zunächst muss zu dieser ungewöhnlichen Kooperation zwischen Journalisten und Theaterleuten festgehalten werden, dass der Abend in Berlin ein "gutes" Theaterstück liefert. Der Intendant des Volkstheaters Wien, Kay Voges, sagte im Vorfeld selbst, die Sache sei ein "Schnellschuss".
Die noch unveröffentlichten Teile der Correctiv-Recherche wurden von sechs Schauspielerinnen und Schauspielern vorgetragen und ein wenig kontextualisiert.
Schauspieler zugleich Kommentatoren
Dadurch entsteht ein besonderes Vexierbild, weil Schauspieler auf der Bühne zu sehen sind, die zwar ein Theaterstück aufführen, dabei aber immer wieder auch als die besorgten Mitmenschen in Erscheinung treten, die sie sind. Sie brechen mit der Inszenierung, die sie als Kellner jenes Potsdamer Hotels ausgibt, in dem sich die Neonazis versammelt haben, um die rechtsextremistischen Ungeheuerlichkeiten zu kommentieren.
Diese Brüche wirken nicht unprofessionell, weil Schauspieler ihre private Emotion auf die Bühne lassen, sondern sind schlicht authentisch und der Situation geschuldet. Denn so ganz lässt sich noch kein Reim auf das zusammengetragene Material machen.
Lächerliche Prahlereien oder gefährlicher Umsturzplan?
Es gibt zwei konkurrierende Interpretationen für die Correctiv-Aufzeichnungen von dem Geheimtreffen, das Beteiligte lieber als "privaten Vortragsabend" bezeichnen. Es sind entweder die völlig haltlosen und holzköpfigen Angebereien von "Patrioten", die den Umsturz spielen, weil sie "unter sich" zu sein glauben und einfach mal vom Leder ziehen wollen.
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Die unfreiwillige Komik vieler Äußerungen entsteht sicherlich nicht erst auf der Bühne in Berlin, die gab es wohl auch bereits in Potsdam. Nur fiel sie dort (fast) niemandem auf.
Kein Problem mit Vergleichen zur Wannsee-Konferenz
Oder aber der Öffentlichkeit liegt ein Dokument vor, das brandgefährliche Verbrecher enttarnt, die schon sehr konkret an Konzepten arbeiten, um Millionen Menschen zu deportieren. Der Vergleich zur Wannsee-Konferenz wird von den Beteiligten sogar selbst gezogen. Man ist sich seiner historischen Mission bewusst.
Wenn letzteres sich erhärten sollte, dann sollte einem Verbot der AfD eigentlich nichts mehr im Weg stehen. Dann wäre belegt, dass die anwesenden Bundes- und Landespolitiker der Partei ausgewiesene Verfassungsfeinde sind.
Skandal oder Kalkül: Die AfD im Strudel der Enthüllungen
Die Aufdeckung dieses "Rechtsextremen Geheimplans gegen Deutschland" kann bei beiden Interpretationen nicht spurlos an der AfD vorbeigehen. Keine Frage, wenn sogenannte Patrioten unendlich dumme Dinge sagen, kann man nicht die Polizei oder den Verfassungsschutz rufen. Wenn aus diesen Blödheiten Verbrechen werden könnten, allerdings schon.
Politisch gesehen wird sich erst zeigen, wie sehr der AfD das Potsdamer Geheimtreffen schadet. Die Partei ist nicht arm an Skandalen, sie legte trotzdem weiter in Umfragen und bei Wahlen zu. Ein weniger aufgeklärtes Publikum, das die "Schaubühne nicht als moralische Anstalt betrachtet", ist vielleicht ganz unbeeindruckt von den Enthüllungen.
Wie AfD und FPÖ an der Grenze des Sagbaren taumeln
Tatsächlich scheint es so, als überlegten AfD und die FPÖ in Österreich noch, ob sie die Potsdamer Aussagen von deutschen Politikern und österreichischen Neonazis überhaupt schlimm finden sollen, oder ob sich daraus einen Spin zu ihren Gunsten machen lässt.
Im Sinne von: Endlich sagt mal wer, dass die Ausländer einfach raus aus Deutschland müssen. Dass es laut dem österreichischen "Identitären" Martin S. gleich 25 Millionen sein sollen und davon 15 Millionen deutsche Staatsbürger, die einfach von der "Ethnie" her nicht passen, ist eben ein sehr ambitionierter Plan.
Heute sagt man Ethnie
Wenn S. von "Ethnie" spricht, dann meint er Rasse. Das sagt man heute aber nicht mehr so. Auffällig bei den von Correctiv dokumentierten Gespräche ist, dass alle Beteiligten sich sehr wohl der Brisanz ihrer Aussagen bewusst sind.
Man ermahnt sich, das rechte Wording zu benutzen und achtet überhaupt sehr auf Geheimhaltung (keine Handys, wegen der Mikrophone!), womit die bisherige Verteidigungslinie der AfD, es sei ja gar kein Geheimtreffen gewesen, in sich zusammenbricht.
Der Plan Millionen außer Landes zu schaffen, wird von den anwesenden Politikern und finanzstarken Unternehmern in der Sache nicht hinterfragt, einzig um die Durchführung macht man sich Sorgen.
Nazis geht der Rechtsruck noch zu langsam
Für Außenstehende ist es kurios, mitanhören zu dürfen, dass die Nazis offenkundig frustriert sind. Man fürchtet sich vor Antifaschisten und sehnt sich nach Erfolgen. So müssen sich die Anwesenden immer wieder erst Mut zusprechen und den eigenen Pessimismus überwinden.
Es läuft gerade einfach nicht so gut. Es gibt viel Streit in der Szene wegen Israel und Ukraine. Einzig auf die "Remigration" kann man sich als gemeinsames Thema einigen.
Nutzte Mario M. das Bundestagsbüro für Anstiftung zu Gewalt?
Einer der Vortragenden in Potsdam ist Mario M. Verklausuliert weist er auf seine einschlägige Vergangenheit als Nazi-Schläger hin und scheint sich der Anerkennung der Anwesenden gewiss.
Mario M. ist tatsächlich wegen Körperverletzung vorbestraft und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt. M. will seinen privilegierten Zugang als Mitarbeiter des Bundestages genutzt haben, um einen ehemaligen Autonomen auszuforschen.
Der Autonome arbeitete in Polen als Kindergärtner, was Mario M. belustigend findet. Dort in Polen seien dem Linken "polnische, erlebnisorientierte Fußballkreise" auf den Hals gehetzt worden, die ihm "sehr handfest und sportlich konfrontiert" hätten. An dieser Stelle wendet sich die Farce in reinen Schrecken.
Sollte ein Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten tatsächlich die Strukturen des Bundestages nutzen, um Schlägertrupps auszusenden, dann hat dies eine Dimension erreicht, die nach tiefgreifenden Konsequenzen ruft.
Druck auf Kronzeugen gegen Linke
Dies könnte durchaus auch ein juristisches Nachspiel haben. Der von Mario M. durch prügelnde Hooligans unter Druck gesetzte linke Autonome verrät später – nach einem Nervenzusammenbruch – Lina E., die mutmaßliche Gründerin einer linksextremen "Gruppe E", von der die deutschen Ermittlungsbehörden nicht einmal den Namen ausfindig machen konnten.
Der Vermutung, dass es eine "Terrorzelle", von der weder Gründungszeitpunkt noch Gruppenstärke oder gar Ziele bekannt sind, vielleicht gar nicht gibt, mussten die Behörden nie nachgehen, weil es einen linken Kronzeugen aus der Szene gab – eben jener von Mario M. in Polen drangsalierten Mann. Lena E. saß deshalb nun schon 2,5 Jahre im Gefängnis.
Der rechte Schläger Mario M. verbucht das Ausspionieren von Linken mit Hilfe der Bundestags-Strukturen als Erfolg und hat einen hochtrabenden Plan: Exekutive und Judikative sollen zusammen gedacht werden. Als Vorbild könnte hier die Gestapo genannt werden.
Ein Verfassungsjurist mit steilen Thesen
Der ebenfalls anwesende Verfassungsjurist Ulrich V. liefert die These, "Türken" seien nicht in der Lage, sich eine eigene Meinung zu bilden. Deshalb sind Wahlen in Deutschland, bei denen laut V. 13 Prozent "Türken" wählen, ungültig. Es gilt, Wahlen mit quasi "ausländischer Beteiligung" zu delegitimieren.
Der Jurist führt Trump als strahlendes Vorbild an. In den USA habe man mit der Infragestellung von Wahlen beachtliche Erfolge erzielt. Er schlägt vor, Wahlhelfer einzuschüchtern und zahlreiche Einsprüche zu tätigen, um Zweifel an Wahlen zu säen.
Feindbild öffentlich-rechtliche Medien
Hierbei sollen zugleich auch Zweifel am öffentlich-rechtlichen Rundfunk geschürt werden. Dessen Berichterstattung soll per Musterklage torpediert werden.
Diese Strategie ist hinlänglich auch aus Österreich bekannt. Die FPÖ fährt ununterbrochenen Attacken gegen den ORF, weil dieser voreingenommen sei und überalimentiert. Letztlich soll wohl ein Gefühl erzeugt werden, dass alle Berichterstattung, namentlich jene über demokratische Wahlen, lediglich manipulierter Volksverrat ist.
Es darf einem am Ende dieses Theaterabend also Angst und Bang werden um Demokratie und Rechtsstaat. Sowohl in Deutschland, als auch in Österreich. Den mutigen Journalisten von Correctiv und den Theaterleuten aus Wien ist zu ihrer Arbeit zu gratulieren.
Das Stück "Correctiv enthüllt: Rechtsextremer Geheimplan gegen Deutschland" ist auf der Homepage des Volkstheaters anzusehen und sollte auch von anderen Theatern in Deutschland und Österreich gezeigt werden.