Rentenreformen und Babyboomer-Renten sind finanzierbar

Weitere Sargnägel für die umlagefinanzierte Rente – Widerstand braucht positive Ziele!

Die Ampel-Regierung will weitere Sargnägel für die gesetzliche umlagefinazierte Rente einschlagen. Der Widerstand dagegen ist noch schwach. Er braucht dringend positive Ziele. Die Finanzierung für nachhaltige Reformen ist, bei politischem Willen, nachhaltig lösbar.

Neue Regierung, neue Chancen. Die Strategen für die Privatisierung der Altersversorgung laufen heiß. Erster Erfolg: FDP, SPD und Grüne haben im Koalitionsvertrag besiegelt, dass Teile der Rentenbeiträge der Umlagefinanzierung entzogen und an Kapitalmärkten angelegt werden. Ein zweiter Erfolg steht vor der Tür: Der Blackrock-Lobbyist Friedrich Merz will CDU-Vorsitzender werden, um die Sozialsysteme in Deutschland "zukunftsfest" zu machen: "Das hat mich bewogen, noch einmal in die Politik zurückzugehen".

Es zeichnet sich wieder eine sehr Große Koalition zum weiteren Sozialabbau ab, ähnlich wie vor 20 Jahren bei den Agenda-2010-Gesetzen und der Riester-Rente.

Vorbereitet wurde der nächste große Wurf zur Zerstörung der umlagefinanzierten Rentenversicherung mit folgender Erzählung oder, besser gesagt, mit den Schlagworten:

  • Babyboomer gehen in Rente!
  • Mehr Alte, weniger Junge
  • Kostenexplosion
  • Unfinanzierbar
  • Belastungen für die Jungen nicht tragbar

Diese wenigen Worte reichen für den öffentlichen Diskurs und schon ist alles klar. Es muss so schnell wie möglich reformiert werden zur Entlastung der Jungen und die Alten müssen dazu ihren Beitrag, sprich: Opfer, leisten.

Dabei wird jede, aber auch wirklich jede, historische Erfahrung verdrängt und verschwiegen. Die Rentenreform von 1957, mit der die Lehren aus der Vernichtung von Rentenkassen durch zwei Weltkriege, zwei Hyperinflationen und eine Weltwirtschaftskrise, gezogen wurde, werden negiert. Die seitdem eingeführte Umlagefinanzierung wird sogar als das Übel des Rentensystems dargestellt. Die Behauptungen zur Wirkung der von der Ampelkoalition beschlossenen Aktienrente haben die Substanz der Orwellschen 1984er Welt: 2 + 2 = 5.

So dramatisch das Zukunftsbild dargestellt wird, so flach sind die angeführten Gründe und die angeblichen Lösungen. Leider ist auf Seiten der Betroffenen, immerhin 56 Millionen Rentenversicherte plus 21 Millionen Rentner:innen, kein spürbarer Widerstand in Sicht. Nennenswerte Reformkonzepte müssen mit der Lupe gesucht werden. Allerhöchste Zeit, dass dies endlich geändert wird.

Zu lösen sind zwei Probleme:

  1. Finanzierung der Mehrbelastungen durch die Verrentung der geburtenstarken Jahrgänge in den kommenden 15 bis 20 Jahren.
  2. Das Aufhalten und die Umkehr der deutschen Rentenschwindsucht über eine Rentenreform mit deutlich höheren Renten.

Zunächst die Größenordnungen der Probleme1:

"Babyboomer" verursachen eine Kostenexplosion? – Das ist Unsinn!

Betrachtet man die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung für die kommenden 20 Jahre explodiert da gar nichts. Es gibt eine relativ kontinuierliche Steigerung, die nach 20 Jahren beendet ist. Die folgende Darstellung beruht auf Zahlen der 14. Bevölkerungsvorausberechnung von destatis.

Die Statistiker erzeugten aus den Größen: Geburtenraten – Lebenserwartungen – Wanderungssalden 21 Prognosevarianten. Die sogenannte mittlere Variante 2 wird überwiegend für diverse Vorausberechnungen verwendet. In der folgenden Tabelle wird die Variante 19 als wahrscheinlicheres Szenario ergänzt. In ihr wird die geringere Steigerung der Lebenserwartungen der letzten 10 Jahre und der Wanderungssaldo der letzten 30 Jahre mit +311.000 Zuwächsen pro Jahr berücksichtigt.

Mehrbelastung der Rentenversicherung durch "Babyboom"-Jahrgänge bis 2040
Jahr Var. Gesamt
Bevölk.
(Mio.)
Über
67jährig
(Mio.)
Anteil Gesamt Bevölk. Mehr zu
 2021
(Mio.)
Verän-
derung zu
2021
Mehrkosten
zu 2021**
(Mrd. €)
Mehr-
kosten/Jahr
(Mrd. €)
2021 83,5 17,6* 21,1%
2030 2 83,3 19 22,8% 1,4 8,0% 24,0 2,7
19 84,9 18,8 22,3% 1,2 6,8% 20,4 2,3
2040 2 82,1 21,3 26,0% 3,7 21,0% 63,0 3,3
19 83,6 20,8 24,8% 3,2 18,2% 54,6 2,9
Prognose Variante (Var.) 2: jährl. Änderungen: G2 Geburtenrate 1,55 – L2 Lebenserwartung +0,2 – W2 Wanderungssaldo +221.000
Prognose Variante (Var.) 19: jährl. Änderungen: G2 Geburtenrate 1,55 – L1 Lebenserwartung +0,1 – W3 Wanderungssaldo +311.000
* Im Jahr 2021 werden die Jahrgänge ab 65 Jahren und 9 Monaten gerechnet, für die Jahre 2030 und 2040 die Jahrgänge über 67 Jahre (das sind die jeweils gültigen Regelaltersgrenzen).
** Die Rentenausgaben werden nach Berechnungen der DRV Ende 2021 ca. 300 Milliarden Euro betragen.

Nach diesen konkreten Zahlen würde die Mehrbelastung durch geburtenstarke Jahrgänge etwa zwischen 2,9 Milliarden und 3,3 Milliarden Euro jährlich steigen. Ab 2040 geht die Mehrbelastung dann gegen Null. Derartige Analysen findet man nirgendwo. Wären sie vorhanden und würden sie in die Politikberatung eingehen, würde die betriebene Katastrophenpropanda platzen. Die Politiker:innen könnten endlich anfangen, das "Problem" wirklich anzugehen.

Stattdessen betreiben sie das Projekt "Aktienrenten", das an der Herausforderung der kommenden 20 Jahre überhaupt nichts lösen kann, sondern die dafür notwendigen Mittel sogar noch entziehen wird. Anlagen in Rentenfonds sind über Jahrzehnte gebunden. Kommt es zu nennenswerten Auszahlungen (wenn es denn dazu kommt), sind die meisten "Babyboomer" schon nicht mehr unter den Lebenden. Das Aktienanlagen überdies alles andere als sicher sind zeigen die zahlreichen Börsencrashs der letzten 100 Jahre.