Repressiv-autoritÀre Polizeitruppe soll es richten
CRS-Einheit. Bild: David Monniaux/CC BY-SA 3.0
Frankreich: Reagieren OrdnungsmĂ€chte auf die Corona-Krise und weitere NotstĂ€nde einzig mit dem Instrument der UnterdrĂŒckung?
Komödie ist Tragödie plus Zeit, heiĂt eine Formel von Woody Allen, dessen Filme in Frankreich lĂ€nger beliebt bleiben als andernorts. Aktuell lebendig wird die Formel im Lachen der französischen Journalisten von Radio France Inter, als ihnen der Historiker Emmanuel de Waresquiel erzĂ€hlt, dass Frankreich der "Weltmeister im ErstĂŒrmen von Parlamenten" [1] ist und dass mit 1789 der Auftakt zu einer ganzen Serie solcher Ereignisse im folgenden 19. Jahrhundert begonnen habe.
Dies als "Tradition" zu bezeichnen (weiteres GelĂ€chter), sei vielleicht ĂŒberzogen, aber es sei französische Geschichte - und geblieben (hier geht der Zeigefinger von Waresquiel hoch) sei das Recht auf Widerstand, das als Menschenrecht in den Artikel 35 der Verfassung von 1793 eingegangen ist. In Frankreich ist die revolutionĂ€re Vergangenheit, die mit viel BlutvergieĂen verbunden ist, prĂ€sent, wenn es um die EinschĂ€tzung der Gegenwart geht. Dass auch gelacht wird, ist befreiend, angesichts der tiefernst gefĂ€rbten Kommentare in den USA und Deutschland zu den Ereignissen am 06. Januar.
Allerdings gibt es in Frankreich auch ganz Ă€hnliche BefĂŒrchtungen der bedrohten Demokratie, wie sie akut mit dem Trumpismus in den USA als AufhĂ€nger in den Diskussionen entfacht sind. So zeichnet der in Frankreich bekannte liberale Abgeordnete der Mitte-Partei MoDem [2], Jean-Louis Bourlanges, ein dĂŒsteres Bild vom gegenwĂ€rtigen Zustand der Demokratie in Frankreich [3], das er mit "Misstrauen der Bevölkerung gegenĂŒber den Eliten" und dem "NiederreiĂen von Mauern des politischen FĂŒhrungspersonals" kennzeichnet.
Die neue Ohnmacht
Was er mit dem Bild des "NiederreiĂens der Mauern" durch politische Leader in Frankreich genau meint, prĂ€zisiert der Autor und Essayist nicht weiter. Der zentrale Punkt seiner Kritik an den politischen VerhĂ€ltnissen im Nachbarland wird jedoch bald klar: Die Gesellschaft der Unterwerfung sei zerbrochen und habe einem Volk Platz gemacht, das sich nun zum König aufspiele, "das gleichzeitig autoritĂ€r und resistent gegen alle Formen der Bevormundung ist und sich auf die Ablehnung von Zwischenhierarchien stĂŒtzt, um eine hyperindividualistische und aggressiv despotische Kultur zu schaffen".
Interessant ist diese Auffassung, weil sie von einem Abgeordneten stammt, der einer Partei angehört, die Macron unterstĂŒtzt, die mit dessen Partei La RĂ©publique en Marche koaliert; auch Jean-Louis Bourlanges ist ein UnterstĂŒtzer Macrons, zuvor war er ein UnterstĂŒtzer Sarkozys. Er gehört damit zu einer AnhĂ€ngerschaft, die LiberalitĂ€t betont, aber einer autoritĂ€ren Auffassung der PrĂ€sidentschaft nicht durchweg ablehnend gegenĂŒbersteht, weil sie Hierarchien fĂŒr essentiell hĂ€lt. Nun aber macht sich Bourlanges groĂe Sorgen, ob Macron mit seinen neobonapartistischen Versuchen es noch schaffen kann, der Ohnmacht Herr zu werden, die sich mit den jĂŒngeren Tendenzen im "Volkskönig" auswĂ€chst.
Unzufriedenheit
Umfragen drĂŒcken das direkter aus, Macron schafft trotz einiger hinzugewonnener Pluspunkte nach wie vor keine Mehrheit [4], und das könnte sich auch wieder Ă€ndern, wenn eintritt, was sein Premierminister Jean Castex andeutete: Dass es zu einem dritten strengeren Lockdown kommen könnte. In vielen DĂ©partements wurde die nĂ€chtliche Ausgangssperre schon auf 18 Uhr vorgezogen.
Die Unzufriedenheit darĂŒber zeigt sich bislang hauptsĂ€chlich in UnmutsĂ€uĂerungen, die in Medien laut werden. Aber die bisherigen Erfahrungen haben auch gezeigt, dass die gĂ€rende Unzufriedenheit in der Bevölkerung gegenĂŒber der Regierung ganz andere Formen annimmt, wenn es zu Demonstrationen kommt. Beunruhigend sind darĂŒber hinaus auch hier und da auftauchende Berichte ĂŒber GewaltausbrĂŒche. Im vergangenen Jahr gab es zwei gröĂere Ereignisse in Dijon und Argenteuil, die in landesweiten News auftauchten. Der Innenminister Dramanin prĂ€gte dazu das Wort "Verwilderung", das seinerseits fĂŒr Diskussionen sorgte.
Die neue Eingreiftruppe der CSR
Nun macht eine Nachricht die Runde, die bestĂ€tigt, was als Misstrauen gegenĂŒber der Regierung unter PrĂ€sident Macron schon seit den Gelbwesten-Demonstrationen geĂ€uĂert wurde: Dass man in Paris besonders zu autoritĂ€ren und repressiven Mitteln greift, um dem Dissenz beizukommen.
Berichtet wird von der geplanten GrĂŒndung einer neuen Einheit der CRS. Die Compagnies RĂ©publicaines de SĂ©curitĂ© (CRS; deutsch Republikanische Sicherheitskompanien) sind ein Verband der Police Nationale, die sich besonders mit der "öffentlichen Ordnung" bei Demonstrationen befassen - und sich dabei den Ruf erworben haben, nicht gerade zimperlich vorzugehen.
DemnĂ€chst sollen die CRS mit einer Elitetruppe von etwa 200 Mann verstĂ€rkt werden [5], die neue Autos mit 4-Radantrieb und feuerfeste Uniformen bekommen, um als schnelle Einsatztruppe ĂŒberall dort einzugreifen, wo die öffentlich Ordnung oder Kollegen der Polizei durch ausbrechende Gewalt gefĂ€hrdet sind: "bei schwerwiegenden Unruhen irgendwo in Frankreich, wie zum Beispiel letztes Jahr in Dijon" (Europe 1 [6]).
Eine erste Einheit von 200 Polizeibeamten wird bis zum Sommer eingerichtet. Sie wird in zwei Gruppen aufgeteilt, die sich von Woche zu Woche abwechseln, so dass die "Schnelle Eingreiftruppe" 7 Tage die Woche und 24 Stunden am Tag in ganz Frankreich mobilisiert werden kann, mit einer Abfahrt innerhalb von 15 Minuten nach der Alarmierung.
France Bleu [7]
Die Auswahlkriterien fĂŒr das Personal, das gerade angeworben wird, sind unbekannt, twittert ein Spezialist und vermutlich Insider der CRS [8], der bei französischen Sicherheitsexperten einen seriösen Ruf hat. Demnach wĂŒrden die Mitglieder "nun nach physischen und psychologischen Kriterien ausgewĂ€hlt. Es handelt sich dabei nicht mehr um reine Polizeibeamte, sondern um Freiwillige, die der Abteilung Sonderregelungen zugesichert haben".
Sein daran anschlieĂendes Fazit zielt ins Zentrum der laufenden Debatten: "Angesichts der Gesundheitskrise, der sozialen Krise, der Armut und der Unsicherheit sind die einzigen Antworten im Bereich der Repression zu finden."
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Links in diesem Artikel:
[1] https://twitter.com/franceinter/status/1349257111524544513
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Mouvement_d%C3%A9mocrate
[3] https://www.lopinion.fr/edition/politique/jean-louis-bourlanges-peuple-se-mefie-elites-dirigeants-rasent-murs-233101
[4] https://www.lapresse.ca/international/europe/2021-01-12/gestion-de-la-covid-19/emmanuel-macron-remonte-dans-les-sondages.php
[5] https://www.europe1.fr/societe/information-europe-1-une-nouvelle-force-daction-rapide-pour-le-maintien-de-lordre-4016968
[6] https://www.europe1.fr/societe/information-europe-1-une-nouvelle-force-daction-rapide-pour-le-maintien-de-lordre-4016968
[7] https://www.francebleu.fr/infos/faits-divers-justice/creation-d-une-nouvelle-unite-de-crs-pour-intervenir-rapidement-en-cas-de-troubles-graves-1610120526
[8] https://twitter.com/VIGIMI_CRS_SE/status/1349097184164274178
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