Revolution in der Verhütung: Werden Männer bald die Pille nehmen?
Kondome und Pille – bald könnte es mehr Optionen geben. Bild: TanyaJoy/ Shutterstock.com
Jahrzehntelang gab es für Männer nur Kondom oder Vasektomie. Doch neue Methoden stehen bevor. Der Umbruch könnte näher sein, als viele denken.
Jahrzehntelang gab es in der Entwicklung der Männerverhütung kaum Fortschritte. Damit könnte bald Schluss sein: Wissenschaftler sind optimistisch, in den nächsten fünf bis zehn Jahren neue Verhütungsoptionen für Männer auf den Markt zu bringen - sofern die Hürden der Arzneimittelzulassung überwunden werden.
Mit einer hormonellen Verhütungsmethode und einem Verhütungsgel stehen zwei vielversprechende Kandidaten in den Startlöchern. Weitere Methoden wie zeitlich begrenzt wirkende Wirkstoffe befinden sich in der Entwicklung.
Dringend benötigte Verhütungsalternativen
Bisher stehen Männern lediglich zwei Verhütungsmethoden zur Verfügung: Das Kondom und die Vasektomie. Beide haben Nachteile: Kondome eine relativ hohe Fehlerquote von bis zu zwölf Prozent, und die Vasektomie ist in der Regel nicht reversibel.
In den USA ist nun nach der Entscheidung des Supreme Court, das Recht auf Abtreibung zu kippen, ist der Ruf nach neuen Möglichkeiten der Empfängnisverhütung für den Mann lauter denn je. Hinzu kommt dort der erschwerte Zugang zur Verhütung für Frauen in einigen Bundesstaaten.
Auch in der EU sind die Regeln massiv unterschiedlich. In Frankreich ist ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 14. Woche erlaubt und wurde 2024 sogar in der Verfassung verankert. Die Niederlande erlauben Abbrüche bis zur 22.-24. Woche und haben eine der niedrigsten Abtreibungsquoten weltweit.
Polen hat eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa. Abbrüche sind nur bei Vergewaltigung, Inzest oder Lebensgefahr für die Mutter erlaubt. In Liechtenstein sind Abtreibungen aus freiem Willen verboten
Umfragen zufolge würden 49 Prozent der Männer in den USA eine neue Verhütungsmethode innerhalb des ersten Jahres nach Markteinführung nutzen – im Vergleich zu 39 Prozent vor der Entscheidung des Supreme Court. Weltweit ist die Bereitschaft sogar noch höher.
Stopp der Spermienproduktion durch Hormone
Besonders weit fortgeschritten ist die Entwicklung des hormonellen Verhütungsgels NES/T. In einer klinischen Studie erprobten rund 400 Männer die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Methode. Dazu rieben sie sich täglich ein Gel mit den Wirkstoffen Nestoron und Testosteron auf die Schultern.
Nestoron ist ein synthetisches Progesteron und hemmt die Produktion von Androgen in den Hoden, wodurch die Spermienproduktion reduziert wird. Das zugesetzte Testosteron soll Libido und sexuelle Funktion aufrechterhalten.
Die Ergebnisse der Studie übertreffen laut Studienleiterin Diana Blithe sogar die Erwartungen: Nach vier bis zwölf Wochen täglicher Anwendung sank die Spermienkonzentration auf unter eine Million pro Milliliter – der Grenzwert für eine zuverlässige Verhütung.
Nach dem Absetzen des Gels stellte sich die normale Spermienproduktion innerhalb von sechs Monaten wieder ein. Nebenwirkungen wie Akne oder Stimmungsschwankungen waren selten und führten kaum zum Studienabbruch.
Bevor NES/T zugelassen werden kann, muss die Wirksamkeit und Sicherheit jedoch noch in einer größeren Studie unter realen Bedingungen mit weniger ärztlicher Überwachung getestet werden.
Spermien den Weg abschneiden
Eine nicht-hormonelle Alternative ist ein injizierbares Verhütungsgel, das die Samenleiter im Hoden verschließt und so den Spermien den Weg versperrt. Ähnlich wie bei einer Vasektomie wird das Hydrogel in die Samenleiter injiziert, wo es sich zu einer halbfesten Masse verfestigt, die wie ein Damm wirkt.
Anders als bei der Vasektomie müssen die Samenleiter dafür nicht durchtrennt werden. Das Gel soll durch eine zweite Injektion wieder entfernt und die Verhütungswirkung so aufgehoben werden können.
Zwei Unternehmen haben solche Verhütungsgele in der Entwicklung. Laut ersten Studiendaten scheint die Methode sicher, reversibel und nebenwirkungsfrei zu sein. Da es sich um ein Medizinprodukt und kein Medikament handelt, könnte ein solches Verhütungsgel den Zulassungsprozess möglicherweise schneller durchlaufen als hormonelle Verhütungsmittel.
Bedarfsgesteuerte Pille als Fernziel
Eine zeitlich begrenzt wirkende Verhütungspille für den Mann, die kurz vor dem Geschlechtsverkehr geschluckt werden kann, ist der Traum vieler Forscher. Ansatzpunkte sind Wirkstoffe, die die Beweglichkeit und Reifung der Spermien hemmen.
So konnten Wissenschaftler zeigen, dass sich Mäuse vorübergehend unfruchtbar machen lassen, indem man ein für die Spermien essenzielles Enzym blockiert. Dank neuer Methoden zur Arzneimittelentwicklung lassen sich heute Wirkstoffe entwickeln, die gezielt solche Angriffspunkte adressieren. Eine Marktreife ist jedoch noch nicht in Sicht.
Hürden auf dem Weg zur Zulassung
Einer der Hauptgründe, warum Pharmaunternehmen bei der Entwicklung von Verhütungsmitteln für den Mann zögerlich sind, ist die Arzneimittelzulassung. Im Gegensatz zu Frauen, bei denen das Risiko durch eine Schwangerschaft die Nebenwirkungen überwiegt, bringt Männern die Verhütung an sich keinen gesundheitlichen Nutzen.
Die Anforderungen an die Sicherheit und Verträglichkeit sind daher deutlich höher, heißt es von Experten. Zudem geistert bis heute das Schreckgespenst der dauerhaften Unfruchtbarkeit durch die Branche: In Studien in den 1970er-Jahren mit dem Verhütungsmittel Gossypol sollen bis zu zehn Prozent der Männer auch nach Absetzen der Substanz zeugungsunfähig geblieben sein.
Dass dauerhaft unfruchtbar machende Nebenwirkungen jedoch kein inhärentes Risiko aller Männerverhütung sind, zeigen die Daten zu NES/T.
Um die vielversprechende Methode auf den Markt zu bringen, muss die Zulassungsbehörde FDA jedoch ihre rein am gesundheitlichen Nutzen orientierten Kriterien aufgeben und auch den partnerschaftlichen Aspekt berücksichtigen: Demnach willigt der Mann informiert in die Risiken eines Verhütungsmittels ein, um seine Partnerin zu entlasten. Ein Umdenken bei dieser Frage könnte auch anderen Männer-Verhütungsmitteln den Weg ebnen.