Revolution von oben: Die Fabian Society und die Ideen hinter der großen Transformation

Shaw-Fenster an der London School of Economics zur Erinnerung an die Fabian-Gesellschaft. Es zeigt Shaw u. a. mit Sidney Webb und ER Pease, die dabei helfen, eine neue Welt zu schaffen. Bild: Ruth Hartnup / CC BY 2.0

Weltregierung, Planwirtschaft, Bevölkerungskontrolle: Wie der älteste Think-Tank des UK bis heute die Weltpolitik prägt. Vom Chatham House bis zu den Vereinten Nationen. Und Erich Kästner.

Ist die "Große Transformation", der proklamierte Übergang vom Kapitalismus zu einem menschen- und naturfreundlichen Gesellschaftssystem, ein neoliberales oder ein sozialistisches Projekt?

Der vorliegende Text soll einen Beitrag dazu liefern, dass Ihnen die Beantwortung dieser Frage nicht (mehr) leichtfällt.

Was Kinderbuchautoren und Weltpolitik verbindet

Manchmal fügen sich die Dinge. Vor kurzem hat mir ein guter Kollege Erich Kästners "Fabian" empfohlen. Ich kannte Kästner nur als Kinderbuchautor. Mit "Emil und die Detektive" oder dem "Fliegenden Klassenzimmer" hat "Fabian" allerdings überhaupt nichts zu tun. Eher mit ziemlich schonungsloser Gesellschaftskritik.

In seinem Roman von 1931 zeichnet Kästner die Lebens- und Leidensgeschichte des "Moralisten" Jakob Fabian und die seines besten Freundes Stephan Labude im Berlin der 1920er-Jahre nach. Dabei streut Kästner einige Zeitdiagnosen, vor allem aber durchaus revolutionäres Gedankengut, ein.

Jene Gedanken decken sich in auffallender Weise mit denen des britischen Autors Herbert George Wells ("Die Zeitmaschine", 1895), den ich ebenfalls erst vor Kurzem als politischen Philosophen entdeckt habe. Und, daher die Fügung: als (temporäres) Mitglied der britischen Fabian Society. Doch dazu später.

"Eine neue Weltanschauung"

In "Fabian" entwirft Kästner das Bild einer Gesellschaft, in der sich die soziale Frage drängender stellt denn je. Die Menschen fallen reihenweise in die Arbeitslosigkeit und rebellieren auf den Straßen, während die Industrie ihre Profite maximiert – am Wohle des Menschen vorbei, und mit dem Staat als ohnmächtigem Erfüllungsgehilfen.

Während die Hauptfigur, der aus einer Arbeiterfamilie stammende Fabian, angesichts der Verhältnisse zu resignieren droht, stellt sich sein bester Freund Labude, aufstrebender Akademiker aus bestem Berliner Milieu, ihnen offen entgegen.

In der Literaturwissenschaft werden die beiden Figuren als Ausdruck von Kästners innerem Zwiespalt gesehen: zwischen dem Idealisten Fabian, der helfen will, "die Menschen anständig und vernünftig zu machen" und dem Realisten Labude, der die Überzeugung vertritt, dass erst das System zugrunde gehen und anschließend "eine neue Weltanschauung konstituiert werden muss".

Fabian glaubt nicht an die "Heirat" von Macht und Vernunft. Labude dagegen arbeitet an der Revolution von oben:

Erst muss man das System vernünftig gestalten, dann werden sich die Menschen anpassen.

Zu diesem Zweck entwirft Fabians ehemaliger Germanisten-Kommilitone die Grundzüge einer "radikalbürgerlichen Initiative", die eine entsprechend erzogene Jugend an den universitären und außeruniversitären Schaltstellen der Macht platziert, um "den Kontinent zu reformieren".

Und zwar "[d]urch freiwillige Kürzung des privaten Profits, durch Zurückschraubung des Kapitalismus und der Technik auf ihre vernünftigen Maße". Ein früher "Marsch durch die Institutionen" sozusagen.

Am Ende des Romans gerät Protagonist Fabian ins Zweifeln:

Vielleicht hatte Labude recht gehabt? Vielleicht war es wirklich nicht nötig, auf die sittliche Hebung der gefallenen Menschen zu warten? Vielleicht war das Ziel der Moralisten, wie Fabian einer war, tatsächlich durch wirtschaftliche Maßnahmen erreichbar? (…) in seinen (Labudes) Plänen hätte es sich eingefügt.

Erich Kästner: Fabian – die Geschichte eines Moralisten

Die Reichen sollen’s richten

Wenn auch nicht eindeutig nachweisbar, liegt es doch nahe, dass Kästners Roman seinen Namen nicht von ungefähr trägt. Dieser Meinung ist auch Kästner-Experte und -Herausgeber Sven Hanuschek. So hat sich der Schriftsteller nachweislich eingehend mit den Ideen von H.G. Wells auseinandergesetzt, speziell mit dessen Romanreihe "The World of William Clissold" (1926).

In jener Romanreihe nimmt Wells wesentliche Gedanken seines politischen Traktats Open Conspiracy (1928) vorweg, in dem er für eine von Intellektuellen geführte Weltregierung plädiert, die sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert.

Laut dem ehemaligen Vorsitzenden der Kästner-Gesellschaft, Klaus Doderer, spricht auch Kästner sich explizit für eine solche "Revolution von oben" aus. Wie diese vonstattengehen soll, klingt in seinem Gedicht "Ansprache an Millionäre" (1930) an, in dem er die Elite dazu auffordert, den Umbau der Welt zu führen. Die Reichen sollen’s richten.

Kästner wusste wohl auch schon, wie das umgebaute Utopia aussehen soll. Den Kindern erzählte er es zuerst.

In "Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee", erschienen im selben Jahr wie "Fabian", entwirft Kästner das Zukunftsszenario von "Elektropolis" – einer Stadt, in der Autos selbstständig fahren und die Menschen nur noch zum Vergnügen arbeiten. Oder: "um schlank zu bleiben". Den übrigen Lebensstandard? "Besorgen die Maschinen."

Mit Blick auf die allgegenwärtigen Smart-City-Pläne und das autonome Fahren ist Kästners Vorausschau von bemerkenswerter Aktualität. Gleiches gilt auch für die Vorstellungen seines Inspirationsquells, H.G. Wells.

Dass dessen Gedanken zu einer mittels Wissenschaft und Technik planwirtschaftlich durchorganisierten Gesellschaft zum Wohle aller – im Gegensatz zu einem blinden Wachstums- und Profitstreben – wesentliche Parallelen zur Weltpolitik von heute bergen, ist allerdings weniger zufällig.

Schließlich war H.G. Wells ein bedeutender Vordenker der Vereinten Nationen, die heute im Namen der Nachhaltigkeit (Sustainable Development Goals, SDGs) ganz ähnlich anmutende Ziele verfolgen.

Und Wells war nicht das einzige Mitglied der Fabian-Society, das die UN entscheidend prägte. In diesem Zusammenhang sind besonders die Namen Julian Huxley, John Maynard Keynes oder Leonard Woolf (Ehemann von Schriftstellerin Virginia) zu nennen.

Aber wer waren diese Fabianer eigentlich?

"Die Jesuiten des Sozialismus"

Die Fabian Society entstand 1884 in London als Abspaltung der Gruppe "Fellowship of the New Life" des schottischen Philosophen Thomas Davidson. Diese wurde ihrerseits von Leo Tolstoi und Henry David Thoreau inspiriert und verfolgte die Grundsätze des Pazifismus, Vegetarismus und Minimalismus, um "in jedem und in allem ein perfektes Wesen zu kultivieren".

Die Fabianer wollten jedoch mehr, als nur Vorbilder sein. Sondern direkt auf das politische Geschehen Einfluss nehmen, und zwar in den höchsten Kreisen. Allerdings subtil. Und duldsam.

Daher wählten sie ihren Namen nach dem römischen Feldherrn Quintus Fabius Maximus, dessen Verzögerungstaktik in der Schlacht ihm den Spitznamen "Cunctator" oder "der Verzögerer" einbrachte.

Daraus leiteten die Fabianer ihre Taktik der allmählichen Subversion ab, um "die Jesuiten des Sozialismus" zu werden, wie Dramatiker George Bernard Shaw gesagt haben soll.

In den Anfangszeiten ziert das Wappen der Fabianer treffenderweise ein Wolf im Schafspelz.

In dem von Shaw verfassten Manifest benennen die Fabianer als Hauptziele die Kollektivierung von Besitz und eine staatliche Lenkung der Wirtschaft, die sie als direkte Reaktion auf die verheerenden Entbehrungen und die (ursprüngliche) soziale Frage im Zuge der industriellen Revolution verstehen, Stichwort: Klassengesellschaft.

Anti-Marx/Engels

Die "Revolution von oben", das Ansinnen der Fabianer, die gesellschaftliche Elite für ihre Ziele zu gewinnen, statt die Bevölkerung (neudeutsch:) "bottom up" zu mobilisieren, unterscheidet sie von ihren sozialistischen Zeitgenossen, die nur wenig Sympathie für das Fabianische Vorhaben aufbringen können.

So schreibt Friedrich Engels 1893 an Friedrich Adolph Sorge über die "Sektierer":

Die Fabians sind hier in London eine Bande von Strebern, die Verstand genug haben, die Unvermeidlichkeit der sozialen Umwälzung einzusehen, die aber dem rohen Proletariat unmöglich diese Riesenarbeit allein anvertrauen können und deshalb die Gewohnheit haben, sich an die Spitze zu stellen; Angst vor der Revolution ist ihr Grundprinzip. Sie sind die "Jebildeten" par excellence.

Ihr Sozialismus ist Munizipalsozialismus; die Kommune, nicht die Nation, soll wenigstens vorläufig Eigentümerin der Produktionsmittel werden.

Dieser ihr Sozialismus wird dann dargestellt als eine äußerste, aber unvermeidliche Konsequenz des bürgerlichen Liberalismus, und daher folgt ihre Taktik, die Liberalen nicht als Gegner entschieden zu bekämpfen, sondern sie zu sozialistischen Konsequenzen fortzutreiben, ergo mit ihnen zu mogeln, to permeate Liberalism with Socialism, und den Liberalen sozialistische Kandidaten nicht entgegenzustellen, sondern aufzuhängen und aufzuzwingen resp. aufzulügen.

Daß(!) sie dabei entweder selbst belogen und betrogen sind oder den Sozialismus belügen, sehn sie natürlich nicht ein.

Friedrich Engels: Brief an Friedrich Adolph Sorge, 18. Januar 1893

Ein anderer prominenter Sozialist, der zeitweise auch von den Fabianern unterstützt wurde, hat ebenfalls nicht viel für die bürgerlichen Sozialisten übrig:

Es ist ein komplettes Sündenbekenntnis dieser überheblichen Bourgeois, die sich gnädigerweise dazu herablassen würden, das Proletariat von oben zu emanzipieren, wenn es nur vernünftig genug wäre, um zu erkennen, dass eine so rohe, ungebildete Masse sich nicht allein emanzipieren kann und nichts erreichen kann, außer durch die Gnade dieser klugen Anwälte, Schriftsteller und sentimentalen alten Frauen.

Wladimir Iljitsch Lenin: British Pacifism and the British Dislike of Theory (1915)

Und doch ist es genau dieses verzögerte Fabianische Vorgehen, der Marsch durch die Institutionen, der die Fabianer ihrem Ziel näherbringen wird. Näher, als Marx und Engels ihrer sozialistischen Utopie gekommen sind.

Von den Vereinten Nationen bis zum Council on Foreign Relations

Zehn Jahre nach ihrer Gründung beschließen die Fabianer um Sidney und Beatrice Webb die Gründung einer eigenen Universität, die sich 1894 in der mittlerweile renommierten London School of Economics and Political Science (LSE) manifestiert.

Die Ideen der Fabianer prägen zahlreiche Personen des politischen Lebens, darunter auch kurioserweise der Propaganda-Veteran Walter Lippmann sowie David Rockefeller, der 1936 in Harvard seine Abschlussarbeit über die "Armut in den Augen der Fabianer" verfasst (vgl. "Memoirs", 2002) und später selbst an der LSE studiert – ebenso wie Annalena Baerbock, George Soros, der US-Präsidentschaftskandidat Robert F. Kennedy, Jr. oder auch "Schulden"-Autor David Graeber. 1913 gründet die Fabian Society das Polit-Magazin New Statesman.

Der Einfluss der Fabianer erstreckt sich indes nicht nur auf politische Individuen, sondern prägt auch die institutionelle politische Landschaft entscheidend. Und das betrifft nicht nur deren Mitwirkung bei der Gründung der britischen Labour-Partei, deren langjähriger Vorsitzender Tony Blair ebenfalls Fabianer ist.

So geht die Idee der Pariser Friedenskonferenz 1919 laut dem US-Historiker Henry R. Winkler auf den Fabianer Leonard Woolf zurück. Dieser entwirft 1916 in seinem Traktat "International Governement" die Idee einer supranationalen Institution, die zuvorderst einen Krieg verhindern soll, aber auch schon eine weltweite Koordination in der Wirtschaftspolitik sowie dem Umgang mit "Public health and diseases" vorsieht.

Eines der bedeutendsten Ergebnisse der Friedenskonferenz ist die Gründung der League of Nations, dem Vorgänger der Vereinten Nationen.

Außerdem wird 1919 in Paris beschlossen, ein Institut für außenpolitische Angelegenheiten zu schaffen, das später auf britischer Seite als Royal Institute of International Affairs (heute: Chatham House, u.a. wesentlich beteiligt am WHO-Pandemievertrag) und auf US-amerikanischer Seite als Council on Foreign Relations Gestalt annimmt.

Die Gründung der beiden Schwesterninstitute geht auf den britischen Beamten Lionel Curtis zurück. Curtis, der später für einen "Weltstaat" plädierte, entstammte dem Umfeld um den britischen Adligen Alfred Milner (siehe Round Table Movement). Milner war zeitweise Mitglied im Coefficents Dining Club der Fabianer Sidney und Beatrice Webb.

Ein (nicht näher identifizierbarer) Autor namens Ioan Ratiu behauptet in seinem Werk "The Milner-Fabian Conspiracy" (2012), dass die beiden Gruppen Teil einer Verschwörung sind, einen sozialistischen Weltstaat zu errichten. Dabei stützt er sich auf den US-Historiker Carroll Quigley und dessen kontrovers diskutiertes Buch "Tragedy and Hope" (1966).

Politik gegen die "minderwertigen Rassen"

Die Fabianischen Ideen zielten bis weit in die Nachkriegszeit hinein nicht nur auf die Umgestaltung des politischen Systems, sondern auch auf die Bevölkerungspolitik als solche, welche die Fabianer mit dem Auftrag der Vereinten Nationen zu verknüpfen suchten.

Deutlich wird das auch bei dem von ihm verantworteten Grundlagentext "The Idea of A League of Nations" von 1919.

Das Anliegen der Weltliga wird dort nicht nur negativ als Abwesenheit von Krieg definiert, sondern auch als "ökonomische Weltkontrolle" ("economic world control"). Und weiter heißt es:

Diejenigen, die an die Möglichkeit einer Weltliga glauben, sind - ebenso wie die Sozialisten - verpflichtet, einige Garantien für eine Kontrolle des blinden Bevölkerungsdrangs zu geben, der sonst die Welt mit gebärfreudigen (prolific) minderwertigen Rassen überschwemmen könnte.

H.G. Wells: The Idea of A League of Nations (1919)

Die Befürworter einer gesteuerten Evolution bezeichnet man gemeinhin als Eugeniker. Ein Begriff, der bis zu den "Rassenhygiene"-Verbrechen der Nationalsozialisten nicht unbedingt negativ belegt war.

Im Gegenteil, die Anwendung der Darwinschen Prinzipien auf die Menschheit schien zeitweise sogar als der Inbegriff fortschrittlichen Denkens. So wundert es nicht, dass auch die besonders progressiven Fabianer bald einem "evolutionären Sozialismus" anheimfielen.

Eine Erklärung für diese aus heutiger Sicht anstößige bis abstoßende Weltsicht liefert der Philosoph und Fabianer Bertrand Russell in seinem Werk "The Impact of Science on Society" (1953). Eine zeitgemäße, wissenschaftlich fundierte Gesellschaft, so Russell, sei nicht möglich ohne eine Weltregierung, die auf rigide Geburtenkontrolle setzt.

Russell führt seine These auf ebenjene "Darwinian Principles" zurück: Bevölkerungsreiche Nationen würden sich stets auf Kosten bevölkerungsarmer durchsetzen und diese wiederum in die Hungersnot zwingen.

Solange es keine Weltregierung gibt, die eine allgemeine Geburtenkontrolle sicherstellt, muss es von Zeit zu Zeit große Kriege geben, in denen die Strafe für eine Niederlage der weit verbreitete Tod durch Verhungern ist.

Bertrand Russell: The Impact of Science on Society (1953)

Hinter dem Argument, dass nur eine Weltregierung den Kampf um die natürlichen Ressourcen beenden kann, steht die malthusianische Grundannahme, die auch dem "Limits to growth"-Bericht des Club of Rome zugrundeliegt, auf den sich wiederum die Klima-Bewegung gründet.

Die "scientific society", die Russell beschreibt, ähnelt der "smart dictatorship", die laut CoR-Autor Dennis Meadows nötig ist, um große Bevölkerungsmassen auf dem Planeten zu unterhalten.

Den Zusammenhang zwischen Eugenik und Umweltpolitik haben Journalisten wie James Corbett (in "why big oil conquered the world") und Matthew Ehret ausführlich herausgearbeitet. Neben H.G. Wells kommt dem Fabianer Julian Huxley dabei eine besondere Rolle zu.

Der Bruder des Brave-New-World-Autors Aldous und Enkel des Biologen Thomas Huxley, welcher auch H.G. Wells an der Normal School of Science (heute: Imperial College London) unterrichtete, schreibt in seinem Grundlagentext "UNESCO – Its purpose and its philosophy" (1946), das von ihm begründete UNESCO nicht ohne eine "weltpolitische Einheit […], ob in Form einer einzigen Weltregierung oder anders" operabel sei. Auch Huxley, ehemaliger Präsident der Eugenics Society, stellt dabei die Bedeutung der gesteuerten Evolution heraus:

Gegenwärtig ist es wahrscheinlich, dass die indirekte Auswirkung der Zivilisation eher dysgenetisch als eugenisch ist, und in jedem Fall scheint es wahrscheinlich, dass das Leergewicht der genetischen Dummheit, der körperlichen Schwäche, der geistigen Instabilität und der Krankheitsanfälligkeit, die bereits in der menschlichen Spezies vorhanden sind, sich als eine zu große Last erweisen wird, um einen wirklichen Fortschritt zu erreichen.

Auch wenn es stimmt, dass eine radikale eugenische Politik für viele Jahre politisch und psychologisch unmöglich sein wird, ist es wichtig, dass die Unesco das eugenische Problem mit größter Sorgfalt untersucht und die Öffentlichkeit über die Problematik informiert, damit vieles, was heute undenkbar ist, zumindest denkbar wird.

Julian Huxley: Unesco – Its purpose and its philosophy, 1946

Die eugenische Philosophie, die die Fabianer teilten, findet besonders in Wells' Frühwerk einen recht verstörenden Ausdruck. In "Anticipations" (1901), dessen Titel das bis heute bestehende Magazin der Fabianer trägt, gibt Wells seine sozialdarwinistische Überzeugung wieder: Eine Art evolutionistischer Imperativ verlange, dass die Masse der Schwachen und Unfähigen durch die "Überlegenen" geführt werden müsse:

Es hat sich gezeigt, dass ganze Massen der menschlichen Bevölkerung in ihrem Anspruch auf die Zukunft anderen Massen unterlegen sind, dass man ihnen keine Chancen geben und ihnen keine Macht anvertrauen kann, wie man sie den überlegenen Völkern anvertraut, dass ihre charakteristischen Schwächen ansteckend und schädlich für das zivilisatorische Gefüge sind und dass ihr Ausmaß an Unfähigkeit die Starken verführt und demoralisiert.

Ihnen Gleichheit zu geben, bedeutet, sich auf ihr Niveau zu begeben, sie zu schützen und zu pflegen bedeutet, in ihrer Reproduktionskraft unterzugehen.

H.G. Wells: Anticipations (1901)

Mit anderen Worten: Für degeneriert Erklärte gefährden das Überleben der Masse. In "A Modern Utopia" (1905) relativiert Wells zwar seine Ausführungen und beschränkt die Evolutionssteuerung auf die aus heutiger Sicht nicht minder unethische Sterilisierung verantwortungsloser oder erbkranker Eltern, dennoch hält er noch in "The Open Conspiracy" (1928) fest:

Die intelligente Steuerung der Bevölkerungsentwicklung ist eine Möglichkeit, die den Menschen außerhalb der Wettbewerbsprozesse stellt, die bisher die Veränderung der Arten beherrscht haben, und er kann sich von diesen Prozessen auf keine andere Weise befreien.

Es besteht die klare Hoffnung, dass später die gezielte Züchtung in seinen Einflussbereich kommen wird, aber das geht über seine gegenwärtigen praktischen Möglichkeiten hinaus, und wir müssen hier nicht weiter darauf eingehen.

Es genügt uns hier, dass die Weltgemeinschaft unserer Wünsche, die organisierte Weltgemeinschaft, die ihren eigenen Fortschritt leitet und sicherstellt, eine bewusste kollektive Kontrolle der Bevölkerung als primäre Bedingung erfordert.

H.G. Wells: The Open Conspiracy

In "The New World Order" (1940), wo Wells die "cosmopolitan revolution" gegen den souveränen Nationalstaat als Grund des Übels in Feld führt, heißt es:

Die weltweite Kollektivierung (...) ist die einzige Alternative zur vollständigen Degeneration unserer Spezies.

H.G. Wells: The New World Order (1940)

Liberalismus und Sozialismus

Wells trennt sich bereits 1908 von den Fabianern. Wie der niederländische Politikwissenschaftler Mark Somos in einem Paper über Wells’ Roman "A New Machiavelli" (1911) schreibt, heißt das jedoch nicht, dass er die Fabianischen Grundannahmen über Bord wirft, die sich auf einem "breiten Verständnis des Sozialismus als rationaler (im Sinne von teleologischer) Gesellschaftsform" gründen.

Somos führt aus:

Das Wohl der Allgemeinheit erfordert eine immer umfassendere, schließlich totalitäre Politisierung und Manipulation der Massen. Dies kann nur von einer intellektuellen Elite geleistet werden, die ganz bestimmte Anforderungen erfüllt, die sich je nach der Art des Projekts, das Remington und andere zu einem bestimmten Zeitpunkt verfolgen, ändern.

Mark Somos: A century of "Hate and Coarse Thinking": Anti-Machiavellian Machiavellism in H.G. Wells’ The New Machiavelli (1911)

Wörtlich heißt es im "Machiavelli":

Wir (es spricht die autobiografische Figur "Remington") mussten, so sah ich, die Erziehung mit öffentlichen Absichten durchdringen, eine neue, besser lebende Generation mit einer kollektivistischen Denkweise heranbilden, die jetzt chaotischen Aktivitäten in jeder menschlichen Angelegenheit miteinander verbinden und insbesondere dieses entkommene, weltschaffende, weltzerstörende, gefährliche Ding, das Industrie- und Finanzunternehmen, einfangen und es in den Dienst des Allgemeinwohls zurückbringen (…) undisziplinierte Arbeiter und undisziplinierten Reichtum zu unterwerfen und das wissenschaftliche Gemeinwohl zum König zu machen, war die ständige Substanz unseres Umgangs miteinander.

H.G.Wells: The New Machiavelli (1911)

Die offenbar viele Rezipienten plagenden Zweifel, ob Wells ein Sozialist war, der globalistischen Liberalismus als Instrument nutzte oder ein Globalist, der den Sozialismus instrumentalisierte, räumt der Politologe Somos folgendermaßen aus:

Die weit gefasste Definition des Sozialismus als rationaler Fortschritt auf dem Weg zur Ordnung zerstreut auch viel von der Verwirrung, die Wells' wechselnde Zugehörigkeit zu Labour und Liberalen umgibt.

Dieser Fall von Wells' eindeutiger Selbstidentifikation mit Remington ist umso pointierter, wenn wir Remingtons Ideal und Lebenswerk scheitern sehen und sein Eingeständnis, dass anstelle von "Love and Fine Thinking" das, was die Welt wirklich bewegt, "Hatred and Coarse Thinking" ist.

Somos: A Century of "Hate and Coarse Thinking"

Was der naive Sozialist vielleicht nicht ganz begreifen kann: Wie sollen die beiden Interessen – die des Großkapitals und die der Masse der Bevölkerung – miteinander vereinbar sein?

Wie kann, um in die Gegenwart zurückzukehren, das von den Vereinten Nationen vielfach angestrebte Modell der Public-Private-Partnership dazu beitragen, die alten Strukturen abzuschaffen, auf dem die Privaten doch gerade ihren Reichtum aufgebaut haben?

Eine denkwürdige Antwort darauf hat Wells selbst gegeben, als er in "Russia in the Shadows" (1921) schrieb:

Das Großkapital ist dem Kommunismus keineswegs abgeneigt. Je größer das Großunternehmen wird, desto mehr nähert es sich dem Kollektivismus an. Es ist der obere Weg der Wenigen und nicht der untere Weg der Massen zum Kollektivismus.

H.G. Wells: Russia in the Shadows

Oder, noch einmal, mit Kästners Worten an die Millionäre:

Der Mensch ist schlecht. Er bleibt es künftig.
Ihr sollt euch keine Flügel anheften.
Ihr sollt nicht gut sein, sondern vernünftig.
Wir sprechen von Geschäften.

Ihr helft, wenn ihr halft, nicht etwa nur ihnen.
Man kann sich, auch wenn man gibt, beschenken.
Die Welt verbessern und dran verdienen –
das lohnt, drüber nachzudenken.

Erich Kästner: Ansprache an Millionäre (1930)

Fällt es Ihnen noch leicht, zu beurteilen, ob sie diesen Sozialismus für gutheißen oder nicht?

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