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Rockefellers gegen Ölförderung

Die Energie- und Klimawochenschau: Von schwindendem Eis, boomender Solarenergie und Ölmillionären, die sich von ihrem Erbe trennen

Das Eis auf dem arktischen Ozean befindet sich nach wie vor in einem schlechten Zustand. Das National Snow and Ice Data Center (NSIDC) der USA meldet [1] einen neuen Negativrekord. Demnach ist die Eisfläche zu Frühlingsbeginn auf dem niedrigsten Niveau seit Beginn der Satellitenbeobachtungen.

Die reichen bis in die 1970er Jahre zurück. Seit 1978 gibt es eine lückenlose Zeitreihe über die tägliche Ausdehnung des Eises und somit einen guten Überblick über dessen Wachsen während des Winters und Schrumpfen im Sommer. Die größte Ausdehnung erreicht es gewöhnlich im März, und zwar im Mittel um den 12. März herum, wobei es von Ende Februar bis Anfang April gewöhnlich nur geringfügige Änderungen gibt und daher der Zeitpunkt der jeweiligen maximalen Ausdehnung stark variiert.

In diesem Jahr wurde das Maximum voraussichtlich am 24. März erreicht. Mit 14,52 Millionen Quadratkilometern fiel es um beachtliche 1,12 Millionen Quadratkilometer kleiner als das Mittel der Jahre 1981 bis 2010 aus. Zugleich war es um 13.000 Quadratkilometer kleiner als das bis dahin kleinste Maximum, das erst im vergangenen Jahr beobachtet worden war.

Einen erheblichen Anteil daran hatten die seit dem Dezember oft stark überdurchschnittlichen Lufttemperaturen über dem größten Teil der Arktis. Laut NSIDC lagen sie über dem Pol und benachbarten Regionen im Mittel um sechs Grad Celsius über dem Durchschnitt. In den ersten zwei Märzwochen war es nördlich von Spitzbergen sogar 12 Grad Celsius zu warm. Das hatte sicherlich auch damit zu tun, dass das benachbarte Beringmeer anders als üblich diesen Winter praktisch eisfrei war und dadurch viel Energie an die Luft abgeben konnte.

Aktuelle Ausdehnung der Eisfläche. Die farbige Linie markiert den Median, dass heißt, die häufigste Ausdehnung in den Jahren 1981 bis 2010. Der Algorithmus, mit dem die Daten bearbeitet wird, gibt für Küstengewässer offensichtlich gerne fehlerhafte Ergebnisse, wie an den weißen Punkten in der westlichen Ostsee abzulesen ist. Bild NSIDC

Welche Auswirkungen der neue Negativrekord für den Vorlauf dieses Sommers haben wird, muss sich indes noch zeigen. Insbesondere seit dem Beginn des neuen Jahrhunderts ist zu beobachten, dass sich das arktische Meereis im Sommer immer weiter zurückzieht. Das bisher kleinste Minimum wurde im September 2012 erreicht.

Das Ausmaß des jeweiligen Rückgangs wird allerdings nicht nur vom vorangehenden Maximum bestimmt, sondern im hohen Maße auch vom Wetter des jeweiligen Sommers sowie von der Dicke des Eises. Und um die ist es aber ebenfalls schlecht bestellt. In diesem Jahr scheint das Eis besonders dünn zu sein, wie Berechnungen [2] des US-amerikanischen Polar Science Centers [3] in Seattle zeigen. Damit könnten gegebenenfalls arktische Sommerstürme ein leichteres Spiel haben, das Eis frühzeitig aufzubrechen und so das Tauen zu beschleunigen.

Klimarelevant wird das Ganze dadurch, dass der stärkere und frühere sommerliche Rückgang des Eises dazu führt, dass weniger Sonnenstrahlung zurück in den Weltraum reflektiert wird und mehr das freie Wasser erwärmen kann. Dadurch wird mehr Energie im Klimasystem der Erde gespeichert und werden auch die umliegenden Landmassen erwärmt. In Sibirien und Nordamerika wird im Zusammenhang damit schon seit vielen Jahren beobachtet, wie sich jene Grenze, nördlich derer der Boden ganzjährig gefroren ist (Permaforst), immer weiter polwärts verlagert. Die möglichen Folgen reichen von der Freisetzung zusätzlicher Treibhausgase aus den sich bildenden Sümpfen über steigenden Meeresspiegel, weil Grönland aufgrund der Erwärmung mehr Eis verliert, bis hin zu weitreichenden Wetterveränderungen in Nordamerika und Europa.

Erneuerbare Energien wachsen

Aber es gibt auch ein paar positive Nachrichten aus der Welt des Klimawandels. Weltweit schreitet der Ausbau der erneuerbaren Energieträger weiter voran, auch wenn man in Europa einen anderen Eindruck bekommen kann. Global wurde 2016 in Sonne, Wind und Co. mit 266 Milliarden US-Dollar (umgerechnet 238 Milliarden Euro) 2015 mehr als doppelt so viel wie in neue Kohle- und Gaskraftwerke investiert. Für diese wurden im vergangenen Jahr 130 Milliarden US-Dollar (116 Milliarden Euro) ausgegeben. Weitere 20 Milliarden US-Dollar (18 Milliarden Euro) gingen in die Forschung und Entwicklung im Bereich der Erneuerbaren.

Dies geht aus einem Bericht [4] hervor, den das UN Umweltprogramm UNEP vergangene Woche gemeinsam mit der Frankfurt School [5] und Bloomberg New Energy Finance veröffentlicht hat. Bei letzterem handelt es sich um eine Abteilung der Nachrichtenagentur Bloomberg, die auf die ökonomischen Aspekte der erneuerbaren Energieträger spezialisiert ist.

Die Ausgaben für Erneuerbaren stellen einen neuen globalen Rekord da, nachdem die Investitionen in diesem Beriech in den letzten Jahren leicht rückläufig waren. Der letzte Rekord stammt aus dem Jahre 2011 und lag bei rund 249 Milliarden Euro. Da jedoch insbesondere Solar-, aber auch Windkraftanlagen in den letzten Jahren erheblich billiger geworden sind, stiegen die installierten Kapazitäten trotzt des Rückgangs im eingesetzten Kapital. 2015 kamen 134 Gigawatt (GW) hinzu, 2014 waren es 106 GW und 2013 87 GW, wie die Times of India schreibt [6].

2015 stellten die Erneuerbaren erstmals etwas mehr als die Hälfte aller neuinstallierten Kapazitäten, nämlich 54 Prozent. Mit den 134 GW, die neu hinzu kamen, lässt sich schätzungsweise so viel Strom wie in rund 35 großen Atomkraftwerken erzeugen. Windenergie hatte 2015 mit rund 62 GW einen Anteil von 46 Prozent am Zubau, die Solarenergie (Fotovoltaik) mit 59 GW 44 Prozent. Der Rest entfällt auf Biomasse- und solarthermisch Kraftwerke sowie auf kleine Wasserkraft und Anlagen, die die Erdwärme nutzen (Geothermie). In diesen Bereichen sind die Investitionen zum Teil drastisch zurückgegangen.

China überholt Deutschland

In den nächsten Jahren wird es mit der Expansion bei Windkraft- und Solaranlagen vermutlich so weiter gehen. Für 2016 erwartet [7] das internationale Marktforschungsunternehmen IHS [8] einen Fotovoltaikanlagen-Weltmarkt von 69 GW. Vor allem in den USA, Indien und China werden mehr Anlagen installiert.

In Japan ist der Markt auf hohem Niveau stabil. China hatte 2015 15 GW Solarleistung neuinstalliert und ist damit erstmalig vor Deutschland das Land mit den meisten Solarpanelen auf Dächern und im Freiland. Letzte Woche hatte der Chef der chinesischen Nationalen Energiebehörde, Nur Bekri, angekündigt, dass in den nächsten Jahren 15 bis 20 GW per annum an neuer Solarleistung hinzukommen soll. Für 2020 hat der neue Fünfjahresplan das Ziel von 143 GW vorgegeben, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet [9]. Derzeit sind es 43,2 GW.

Rockefellers gegen ExxonMobil

Derweil tut sich jenseits des Atlantiks Bemerkenswertes. Ein Teil der Rockefeller-Familie hadert mit ihrem Erbe. Der von ihr 1967 gegründete Rockefeller Family Fund (RFF) will sich aus dem Geschäft mit fossilen Energieträger zurückziehen, wie die britische Zeitung Guardian berichtet [10]. Demnach will der Fonds seine Beteiligungen an ExxonMobil abstoßen. Das ist insofern bemerkenswert, weil das Unternehmen ein Nachfolger der einst von John D. Rockefeller gegründeten Standard Oil Company ist. In einer Erklärung [11] des RFF heißt es, der "Fonds ist stolz, seinen beabsichtigten Abzug des Rückzugs aus den fossilen Brennstoffen bekannt zu geben".

Nach dem Klima-Abkommen von Paris müsse es klar sein, dass der größte Teil der bereits entdeckten und erkundeten Ressourcen im Boden verbleiben müsse, wenn es noch Hoffnung für die Menschen geben soll. Damit spielt die der Rockefeller Fonds auf die Tatsache an, dass beim Verbrennen der bekannten Kohle- und Erdölvorkommen das von den Staaten gesteckte Ziel der Begrenzung der Erwärmung auf unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellem Niveau weit überschritten werden würde. Es gäbe daher keinen vernünftigen Grund, die Exploration nach neuen Lagerstätten fortzusetzen.

Die Beteiligungen an ExxonMobil sollen daher sofort aufgelöst werden. Des Weiteren will der Fonds auch seine direkten und indirekten Beteiligungen an Kohle- und Teersand [12]-Unternehmen minimieren und auf unter ein Prozent des Gesamtvermögens drücken. Dieses beläuft sich laut Guardian auf 130 Millionen US-Dollar (115 Millionen Euro), sodass sich ExxonMobil eigentlich keine Sorgen wegen des Rückzugs machen müsste, wäre da nicht die symbolische Bedeutung dieses Schritts. Entsprechend gereizt reagierte denn auch laut Guardian ein Sprecher des Konzerns, der dem Fonds vorwarf, eine Verschwörung gegen das Unternehmen zu finanzieren.

Verfahren gegen ExxonMobil

Der Fonds wirft dem Konzern seinerseits "moralische verwerfliches Verhalten" vor. "Beweise deuten darauf hin, dass das Unternehmen seit den 1980ern daran arbeitet, die Öffentlichkeit über das Voranschreiten des Klimawandels zu verwirren, während es gleichzeitig Millionen darauf aufwendet, seine Infrastruktur gegen zerstörerische Folgen des Klimawandels zu wappnen und unter dem sich zurückziehenden Eis der Arktis nach neuen Lagerstätten zu suchen.

Tatsächlich gibt es in den US-Bundesstaaten New York und Kalifornien inzwischen Ermittlungsverfahren der dortigen Generalstaatsanwälte, die der Frage auf den Grund gehen sollen, ob ExxonMobil Öffentlichkeit und Aktionäre in Sachen Klimawandel belogen hat. Der US-amerikanische Informationsdienst Inside Climate News hat im vergangenen Jahr in verschiedenen Beiträgen [13] aufgedeckt, dass ExxonMobil bereits seit 1977 eigene Klimaforschung betrieb und sich des Problems sehr wohl bewusst gewesen ist. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, in der Öffentlichkeit Zweifel über die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu säen und Lobbyorganisationen zu unterstützen, deren Zweck es war, Klimaschutzverträge und -politik zu bekämpfen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3379292

Links in diesem Artikel:
[1] http://nsidc.org/arcticseaicenews/2016/03/another-record-low-for-arctic-sea-ice-maximum-winter-extent/
[2] http://neven1.typepad.com/blog/2016/03/piomas-march-2016.html#more
[3] http://psc.apl.washington.edu/research/projects/arctic-sea-ice-volume-anomaly/
[4] http://www.instantflipbook.com/flipbooks/fc7f7e38f5/
[5] http://fs-unep-centre.org/content/frankfurt-school
[6] http://timesofindia.indiatimes.com/home/environment/global-warming/Investments-in-renewable-energy-growing-across-the-globe-UNEP-report/articleshow/51553603.cms
[7] http://www.pv-tech.org/news/ihs-forecasts-global-solar-market-to-top-69gw-in-2016
[8] https://www.ihs.com/index.html
[9] http://www.bloomberg.com/news/articles/2016-03-21/china-to-more-than-triple-solar-power-capacity-in-five-years
[10] http://www.theguardian.com/environment/2016/mar/23/rockefeller-fund-divestment-fossil-fuel-companies-oil-coal-climate-change
[11] http://www.rffund.org/divestment
[12] https://www.heise.de/tp/features/Der-kanadische-Oelsand-Komplex-3417921.html
[13] http://insideclimatenews.org/content/Exxon-The-Road-Not-Taken