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Rolling-Stone-Journalistin wegen böswilliger Verleumdung verurteilt

University of Virginia. Foto: Public Domain

Die perfekte Geschichte rund um eine Gruppenvergewaltigung auf einem Universitätsgelände in den USA hat sich als Lüge entpuppt

Wenn ein Wunsch in Erfüllung geht

Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie es Sabrina Rubin Erdely ging, als sie erstmals den Kontakt mit der Frau herstellte, die im weiteren nur "Jackie" genannt wird. Für die Redakteurin und Journalistin muss ein Traum in Erfüllung gegangen sein - denn Jackies Geschichte hatte alles, was die "perfekte Geschichte" ausmachte, wenn es um Vergewaltigung an US-amerikanischen Universitäten geht:

Eine junge Frau, die bei einer Verbindungsparty das Opfer trinkfreudiger Verbindungsbrüder wird, die Aspiranten der Verbindung zur Vergewaltigung als Inititionsritus anhalten und auch selbst vergewaltigen. Hilfsbereite Freunde, die das geflüchtete, blutüberströmte Opfer versorgen. Gleichgültige Universitätsmitarbeiter, die dem Opfer nicht helfen, obwohl sie Ansprechpartner bei sexueller Gewalt sind.

Und das alles an jener Universität, die Frau Erdely sich als Beispieluni für einen solchen Artikel ausgesucht hatte. Es war sozusagen der Hauptpreis bei der Artikellotterie, wenn es darum ging, sexuelle Gewalt an US-Universitäten darzustellen.

Doch der Triumph, den der Artikel "A Rape on Campus" mit sich brachte, währte nur kurz - und der Rolling Stone, bei dem Frau Erdely arbeitet, ist weit davon entfernt, sich von den entstandenen Folgen zu erholen. Denn die perfekte Geschichte hat sich als eine entpuppt, die so, wie sie Jackie darstellte, nicht geschehen sein konnte. Es kann sein, dass Jackie an jenem Tag etwas Schlimmes geschah - aber das ist bisher fast das Einzige, was von der hochdramatischen Gruppenvergewaltigung als Initiationsritus-Geschichte noch übriggeblieben ist. Der Rest sind Lügen.

Sabrina Rubin Erdely wurde vor kurzem wegen Verleumdung verurteilt - geklagt hatte die Universitätsmitarbeiterin Nicole Eramo, die während der Zeit der vermeintlichen Vergewaltigung für die Behandlung der Fälle sexueller Gewalt zuständig war. In Frau Erdelys Artikel wurde sie als Musterbeispiel für die gleichgültigen und beschwichtigenden Mitarbeiter an den Universitäten dargestellt, die die Opfer regelmäßig im Stich ließen. Frau Eramo, so hieß es, habe Jackie nicht nur entmutigt, sie habe sich auch nicht dafür interessiert, dass laut Jackie noch weitere Gruppenvergewaltigungen auf dem Campus stattfänden.

In einem Schreiben der Anwälte Frau Eramos lässt sich nachlesen, dass diese sich an die diversen Regelungen, denen die Unimitarbeiter unterliegen, hielt. Dies bedeutete jedoch nicht, dass sie sich gleichgültig verhielt. Vielmehr klärte sie Jackie, die mit ihr gesprochen hatte, über deren Optionen auf: Sich an die Polizei wenden oder an das betreffende Sexual Misconduct Board der Uni. Frau Eramo bot Unterstützung und Betreuung an, behielt den Kontakt zu Jackie und stellte diese bei "One Less" vor, einer Studentengruppe, die aus Opfern sexueller Gewalt sowie deren Beiständen besteht.

Es wäre müßig, alle Auslassungen aufzulisten, die der Rolling Stone selbst in seiner langen Analyse des Falles [1] darstellt. Kurz und knapp gesagt hat sich Frau Eldery in ihrem Eifer, eine Geschichte zu finden, über journalistische Grundprinzipien hinweggesetzt - was auch dazu führte, dass sie nicht nur wegen Verleumdung sondern wegen Verleumdung "with actual malice" - also böswilligem Vorsatz - verurteilt wurde.

Es ist daher lohnenswert, sich genau anzusehen, was falsch lief und weshalb und wie dies zu verhindern gewesen wäre. Der Kardinalfehler war jedoch schon am Anfang der, dass eine Journalistin genau diese eine Geschichte suchte. Es ist nicht verkehrt, sich Themen auszusuchen - doch sich schon vorab auf eine Denkweise zu konzentrieren, bringt oft einen Tunnelblick mit sich, der zu Fehlern führt.

Ein Journalist mit einem Standpunkt

In den letzten Jahren ist oft Kritik an Journalisten zu finden, die sich bemühen zu berichten, statt einseitig zu kommentieren oder gar nur noch einseitig zu berichten. Ein neutraler Standpunkt, so ist öfter zu lesen, sei von einem Journalisten nicht nur unmöglich, sondern auch nicht wünschenswert. In seinem Kommentar [2] schreibt der Heiseforent demon driver das, was in vielen Mails, Forenbeiträgen und ähnlichem an neutraler Berichterstattung kritisiert wird:

Es bleibt auch schleierhaft, wie man die "Idee" überhaupt als Tugend ansehen kann, nach der es hieß, ein Journalist "sollte sich nicht mit einer Sache solidarisieren, sondern berichten". Ist es wirklich "guter" Journalismus, zwei Seiten eines Konflikts defaultmäßig und ohne Ansehen ihres gesellschaftlichen und sozialen Kontexts und der Auswirkungen ihrer verschiedenen Ansätze und Ziele auf Menschen ernsthaft als gleichwertig anzusehen und entsprechend zu berichten? Nein! Schon allein weil eine solche vermeintliche Nicht-Positionierung nichts anderes ist als eine faktische Unterstützung derer, die ohnehin aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse am längeren propagandistischen Hebel sitzen, und somit tatsächlich alles andere als nichtparteiisch.

(demon driver)

Frau Erdely hat sich in diesem Fall schon vorab positioniert (vgl. Autorin mit Agenda [3]). Sie suchte nach einer besonderen Geschichte, am besten an einer bestimmte Universität. Und es sollte darum gehen, wie junge Frauen im universitären Umfeld von jungen Männern, die diese Frauen als Freiwild und sexuelle Gewalt als Initiationsritus betrachten, behandelt werden.

Das bedeutete für die konkrete Geschichte, dass schon von Anfang an die Sicht auf die Dinge getrübt war. Wenn dann noch zu viel Mitgefühl für das vermeintliche Opfer besteht, wird der Journalist nicht mehr zum Berichterstatter, er wird eher zum von sich und dem anderen gelenkten Subjekt, das nur in eine Richtung strebt.

Recherche - gerade auch in Fällen, in denen es um sensible Bereiche geht - ist schwierig und zeitraubend. Sie erfordert Nerven und auch den Mut, ggf. eine Geschichte abzulehnen oder aufzugeben, weil es unmöglich ist zu recherchieren.

Du lässt mich im Stich

Aus eigener Erfahrung kann gesagt werden, dass sich eine Vielzahl von Menschen an Journalisten wendet und die eigene Geschichte erzählt, sich wünscht, dass sie veröffentlicht wird. Diese Geschichte ist oft damit verknüpft, anderen die Schuld bzw. die Verantwortung für Erlebtes zuzuweisen. Sie enthält oft Übertreibungen, einseitige Betrachtungen, Auslassungen oder schlichtweg Lügen. Daten zu überprüfen, die anderen Beteiligten anzuhören und nicht zuletzt auch dann nachzuhaken, wenn es schmerzhaft wird, ist Aufgabe eines Journalisten. Dies führt öfter dazu, dass sich jene, die sich an einen Journalisten wenden, von diesem im Stich gelassen fühlen, wenn er entweder zur Recherche nicht in der Lage ist oder aber diese (auch auf Grund der fehlenden Bereitschaft des Kontaktierenden) unmöglich wird.

Es gibt beispielsweise unzählige Geschichten von Menschen, die von den Jobcentern sanktioniert werden und davon diese Geschichten erzählen können. Aber diese Geschichten müssen nicht unbedingt wahr sein. Die Gründe für die Sanktion können falsch dargestellt sein, die Mitarbeiter falsch porträtiert werden.

Ohne die Möglichkeit zu haben, sich hier weiter zu informieren, ist der Journalist nicht in der Lage, eine erlogene Geschichte von einer wahren Geschichte zu unterscheiden (sofern es nicht schon offensichtliche Lügen gibt, wie z.B. falsche Adress- oder Datumsangaben etc.). Dass die Kontaktierenden oft Angst haben, sich zu outen und Daten an den Journalisten weiterzugeben, ist verständlich - doch ohne dieses Entgegenkommen ist es nicht möglich, zu berichten - es sei denn, es soll nur eine Seite zu Wort kommen.

Glaubt den Opfern einfach

Frau Erdelys Verhalten ist aber nicht nur journalistisch gesehen kritikwürdig, es folgt auch einer Agenda, die da heißt "glaubt Opfern sexueller Gewalt einfach". Dies bedeutet jedoch, wie auch hier bereits dargestellt [4], dass schon von Anfang an die Rollen der Beteiligten vorgegeben sind: hier das Opfer, dort der Täter.

Die Vorstellung, dass es auch anders sein könnte, wird ausgeblendet - und somit schon das Blickfeld verengt. Das bereits angesprochene Mitgefühl macht es gerade auch Menschen, die nicht einmal aus Böswilligkeit, sondern z.B. aus psychischen Problemen heraus Geschichten erfinden, einfach, mit diesen Geschichten durchzukommen und im schlimmsten Fall eine Schneise der Vernichtung von Reputationen und Leben zu hinterlassen.

Selbstverständlich besteht diese Gefahr auch ohne das Zutun der Medien, doch es ist eben an den Medien, sich nicht zum Handlanger zu machen und stattdessen ihrer Aufgabe nachzukommen, die insbesondere auch einen kritischen Blick verlangt. Wie es auch die Polizei tun sollte, so sollten Journalisten stets auch davon ausgehen, dass das, was ihnen gesagt wird, falsch sein könnte. Auch ist die genaue Formulierung bei Aussagen, die lediglich laut einer Quelle getätigt wurden, wichtig da bereits ein paar Wörter darüber entscheiden ob ein Fakt oder eine Behauptung vorliegen.

Dieses Verfahren ist dabei keineswegs dazu da, Opfer sexueller Gewalt zu diskreditieren. Es eignet sich dafür, die Spreu vom Weizen zu trennen und somit auch falsche Artikel zu vermeiden, die letztendlich auch dazu führen, dass wirklichen Opfern sexueller Gewalt nicht geglaubt wird. Jackie und diejenigen, die entweder übertreiben oder lügen, die andere verleumden, sie sorgen dafür, dass die nächsten Opfer nicht mehr ernstgenommen werden weil sie eben jenen Futter geben, die sowieso hinter jeder Anzeige wegen Vergewaltigung nur psychisch kranke und/oder rachsüchtige Menschen sehen. Auch um dies alles zu vermeiden, muss derjenige, der über einen Fall berichtet, sich nicht von den eigenen Emotionen oder Gedankenwelten kontrollieren lassen.

Prangert Jackie an

Der Ruf, Jackie anzupangern, ist verständlich, doch sie ist die Quelle des Rolling Stone und sie nunmehr preiszugeben wäre nach dem bisherigen Desaster der Todesstoß für diese Publikation da dadurch ein Präzedenzfall für die Missachtung des Quellenschutzes entstünde. Der Rolling Stone tut gut daran, solchen Aufrufen nicht nachzukommen. Dass eine Quelle lügt ist nichts Neues, doch die journalistischen Grundsätze zu beachten sollte dazu führen, dass die Chance, selbst zum Sprachrohr des Lügners zu werden, sinkt und somit auch die Medien gerade bei solch wichtigen Themen wieder ernstgenommen werden. Dies wird im Fall von Vergewaltigungen zu Anfeindungen führen und zu einigen "Shitstorms", wie es heutzutage genannt wird, wenn sich Menschen medial zusammenfinden um über jemanden herzuziehen und ihn zu kritisieren und oft zu beleidigen, doch dies muss ausgehalten werden, wenn noch eine journalistische Qualität erhalten werden soll. Alles andere führt nur zu gelenkter Berichterstattung.

Verlierer allerorten

Der Fall "A rape on campus" zeigt auch, welche verheerenden Folgen sich aus der Missachtung der journalistischen Sorgfalt ergeben, denn es gibt auf allen Seiten nur Verlierer. Eine Studentenverbindung, deren Mitglieder als Vergewaltiger dastehen, die mit Beleidigungen, mit Drohungen und Sachbeschädigungen des Verbindungshauses sowie einer Reputationsschädigung dasteht, die sich über Jahre hinweg halten wird.

Eine Universitätsmitarbeiterin, die mit Todesdrohungen zu leben hatte und deren Engagement für die Opfer sexueller Gewalt überschattet wird von dem,, was ihr im fraglichen Artikel zur Last gelegt wurde. Eine Journalistin, deren bisherige Tätigkeit nicht mehr zählt und die nach dem Artikel kaum mehr mit wichtigen Themen betraut wird und werden wird, ihre Redakteure und sonstigen Verantwortlichen, die ihre Glaubwürdigkeit auf lange Zeit beschädigt haben.

Die Opfer sexueller Gewalt, die nunmehr mit Kommentaren wie "ach ja, so ein Opfer wie Jackie oder die Frau, die Horst Arnold hinter Gitter brachte" Unglauben, Hohn und Spott ausgesetzt sind und nicht zuletzt die Medien allgemein, deren beschädigtes Image weiter mit solchen Ereignissen wie dem Jackie-Artikel verknüpft werden wird. Verlierer, die schlichtweg nicht hätten Verlierer sein müssen, wenn nicht mittlerweile eher geglaubt als recherchiert wird.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3486151

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.rollingstone.com/culture/features/a-rape-on-campus-what-went-wrong-20150405
[2] https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Wie-viele-Amazon-Mitarbeiter-streiken-denn-nun-oder-Also-ver-di-hat-gesagt/Das-naive-Maerchen-dass-Journalismus-unparteiisch-sein-sollte-oder-nur-koennte/thread-428670/#posting_2180902
[3] https://www.heise.de/tp/features/Autorin-mit-Agenda-3368923.html
[4] https://www.heise.de/tp/news/Warum-niemandem-geglaubt-werden-sollte-der-eine-Vergewaltigung-anzeigt-2497424.html