Rom und die blutige Geschichte der Verfolgung von Schwulen und Lesben
Seite 2: Vom Feuertod bis zu den Konzentrationslagern
- Rom und die blutige Geschichte der Verfolgung von Schwulen und Lesben
- Vom Feuertod bis zu den Konzentrationslagern
- Erpressung und Anpassung als System - Nährboden für mannigfache sexuelle Gewalt
- Auf einer Seite lesen
In der nachkonstantinischen Staatskirche blieben die Ausführungen der Theologen zur Homosexualität keineswegs nur graue Theorie. Bereits im Jahr 390 beruft sich der christliche Kaiser Theodosius in einem Dekret auf das mosaische Gesetz und verfügt die Verbrennung von homosexuell praktizierenden Männern.
Der oströmische Kaiser Justinian stempelt unter Rückgriff auf die biblische Sodomgeschichte (Genesis 19,1-22) die Homosexuellen im 6. Jahrhundert zu Sündenböcken. Im Kontext von Katastrophen und Staatskrise wird über sie die Todesstrafe verhängt, um göttliches Strafgericht vom Volk abzuwenden.
Im fränkischen Reich sehen die gefälschten "Karolingischen Kapitulare" des Benedictus Levita den Feuertod für Homosexuelle vor. Diese Strafform ist auch noch in der "Peinlichen Gerichtsordnung" Karls V. (1532) vorgesehen. In den Zeiten des Teufels- und Hexenwahns dominiert ein satanisches Deutungsmodell der Homosexualität.
Die Todesstrafe für das Delikt gleichgeschlechtlicher Handlungen, die seit der Aufklärung zunehmend als unangemessen empfunden wird, hält man in manchen christlichen Ländern bis ins 19. Jahrhundert hinein bei.
Zur mörderischen Verfolgung unter den Faschisten schweigen die Kirchen später und verweigern aus Angst, die weite Verbreitung von Homosexualität vor allem im Ordensklerus könne noch weiter ins Licht der Öffentlichkeit rücken, den Opfern jegliche Hilfe. Wer als Katholik nach Verurteilung gemäß § 175 StGB im Konzentrationslager landet, verfällt nach dem damals gültigen Kirchenrecht zugleich dem kirchlichen Ehrverlust (infamia iuris). Für die gnadenlose, z.T. tödliche Polizeijagd auf Homosexuelle während der "katholischen Adenauer-Ära" beruft man sich wiederum auf die Sittenlehre der Kirche.
Roms Feldzug gegen die Homosexualität
Die Kirche des II. Vaticanums (1962-1965) entdeckt wieder die Liebe als Zentrum menschlicher Sexualität, doch schon die Naturrechts-Enzyklika "Humanae Vitae" (1968) zeigt auf tragische Weise, wie im Hintergrund konzilsfeindliche Kräfte den Lernprozess von Anfang an blockieren. Gleichwohl kommt es in Kirche und Theologie zu einem ganz neuen Umgang mit Homosexualität und homosexuell liebenden Menschen.
Erst unter dem Glaubenspräfekten Joseph Ratzinger aus Bayern wird dieser Gesprächsweg dann abrupt abgebrochen. Wie eine Hysterie nimmt sich der ganze Komplex aus - eine Obsession, die ohne psychologische Modelle des Selbsthasses kaum verstehbar ist. Er reicht kontinuierlich vom Schreiben der Glaubenskongregation "über die Seelsorge für homosexuelle Personen" (1986) bis hin zum Novum eines Priester-Berufsverbotes für alle homosexuellen Männer direkt nach dem Amtsantritt von Benedikt XVI., dessen - womöglich rückwirkende - Umsetzung heute noch immer in eine pastorale Katastrophe führen würde.
Die vor allem im Schreiben der Glaubenskongregation und im Weltkatechismus von 1993 dokumentierte kirchenamtliche Lehre lässt sich im Wesentlichen so zusammenfassen:
1) Die "spezifische Neigung der homosexuellen Person" ist bereits "objektiv ungeordnet", da sie der Tendenz nach auf ein sittlich schlechtes Verhalten ausgerichtet ist. (1975 hatte eine Vatikanerklärung lediglich festgestellt, die homosexuelle Neigung sei "in sich nicht sündhaft". Beim Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, der inzwischen freilich radikal umgelernt hat, wurde es dann 2010 schon zur Sünde, "homosexuell zu sein".)
2) Homosexuelle Handlungen "verstoßen gegen das natürliche Gesetz", da sie die Fortpflanzung ausschließen, und sind ausnahmslos Sünde. Im Juli 2004 saß ich auf einer Podiumsveranstaltung der "HuK" neben einem - zölibatären - Lehrstuhlinhaber für Moraltheologie, der mir - wörtlich - die "fehlende biologische Leistungserbringung" von Homosexuellen entgegenhalten wollte. Auch dieser - inzwischen leider verstorbene - Theologe wurde später ein engagierter Anwalt der homosexuell Liebenden und schrieb mir in einer E-Mail, wir seien ja nicht auf Erden, um auf alten Irrwegen zu trotten und nichts mehr vom Leben zu lernen.
3) Weiterhin verkündet das Römische Lehramt: Homosexuelle Menschen müssen ein Leben in vollständiger Enthaltsamkeit führen, sollen die daraus erwachsenden Schwierigkeiten "mit dem Kreuzesopfer des Herrn" vereinen und werden zum häufigen Empfang des Beichtsakramentes angehalten. Von emanzipatorischen Gruppen haben sie sich fernzuhalten. Die sexuelle Identität soll im sozialen Leben nicht nach außen mitgeteilt werden.
Besonders peinlich für römisch-katholische Christen ist es, dass beide Vatikandokumente auf die wirkungsgeschichtlich so folgenreiche "Sodom-Geschichte" (Genesis 19,1-21) verweisen. Welche Exegeten konsultiert man in Rom? Schon Jesus sah die Sünde der Männer Sodoms in der Verletzung des Gastrechtes (Matthäus 10,15). Ob die Gottesboten ("Engel"), die sie vergewaltigen wollten, nun männlich oder weiblich waren, das sagt rein gar nichts aus über ihr schändliches Ansinnen.
Mitleid, Takt und "gerechte Diskriminierung"
Der Katechismus ermahnte nun ausdrücklich dazu, den "homosexuellen Personen" "mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen" und sie nicht "ungerecht zurückzusetzen". Derweil unterbreitete die römische Kirchenleitung in Anweisungen an nationale Bischofskonferenzen und einem eigenen Schreiben (1992), welche gerechten Diskriminierungen von Homosexuellen sie für notwendig erachtete. Vor allem im Bereich der Arbeitsverhältnisse wurde ein kirchliches Sonderrecht beansprucht.
Als Frauen- und Männerpaare in Europa endlich Rechtssicherheit beim Eingehen fester Partnerschaftsformen erlangt hatten, sprach Kardinal Joseph Ratzinger wiederholt - mit großer Theatralik - von einem "Austritt aus der gesamten moralischen Geschichte der Menschheit" und einer gravierenden "Auflösung des Menschenbildes".
Ein eigenes Dokument von 2003 bezeichnet gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften als "für die gesunde Entwicklung der menschlichen Gesellschaft schädlich", wobei die Leser unwillkürlich an das unselige Konzept von "Volksgesundheit" erinnert werden. Einen Bündnispartner beim Kampf gegen die "Homoehe" fand Papst Benedikt XVI. in George Bush junior, dessen Angriffskriege und Folterpraxis er an keiner Stelle mit Klartext verurteilt hat.
In fast allen Kirchen der Reformation hat sich in nur wenigen Jahrzehnten eine neue Sicht der homosexuellen Liebe den Weg gebahnt, was auch ganz praktisch mit einer Beseitigung herkömmlicher Benachteiligungen einhergeht. Die Anglikaner haben Wege gefunden, trotz unterschiedlicher Anschauungen in einem Weltverbund zu bleiben.
Zusammen mit bibelfundamentalistischen Protestanten gehört die Vatikanische Glaubenskongregation in Europa zu den letzten Bastionen, die für sich das Un-Recht einer Verächtlichmachung und Diskriminierung homosexuell Liebender reklamieren.
Über Kardinal Alfonso López Trujillo, oder: "An ihren Früchten wert ihr sie erkennen"
Es gilt nun nach wie vor die Hilfsregel des Jesus von Nazareth: "An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!" (Matthäus-Evangelium 7,16) Einer der exponiertesten Verfechter des homophoben Kreuzzugs Joseph Ratzingers war der kolumbianische Kardinal Alfonso López Trujillo (1935-2008). Zu dessen dringlichen Evangelisierungs-Inhalten gehörte die Verteufelung von "Homo-Partnerschaft" und Kondomgebrauch.
Im Verein mit dem Essener Militärbischof Franz Hengsbach (1910-1991), der u.a. einen später in meinem Geburtsort als Priester eingesetzten pädosexuellen Straftäter protegiert hat, führte er einen regelrechten Krieg gegen die Kirche der Armen in Lateinamerika, um dann besonders den Feinden des Märtyrerbischofs Oscar Romero beizustehen.
Seit einem Jahr hat die Weltöffentlichkeit auf der Grundlage u.a. von Interviews für Frédéric Martels Forschungen ein neues Bild von diesem rechten Saubermann-Kardinal, der den Luxus wie zu "Renaissance-Zeiten" liebte und ebenso Küsse auf seinen Bischofsring: Bereits als Hirte des Bistums Medellin, so tragen Zeitzeugen vor, ließ er sich in einer Geheimwohnung junge, von ihm abhängige Theologiestudenten für (kaum freiwilligen) Sex zuführen - und ansonsten auch schöne männliche Prostituierte (aus den Familien der Armen), die er dann nach dem Akt und vor der geizigen Bezahlung gewalttätig züchtigte.
Hätte sich Ratzingers Glaubenskongregation nicht besser um solche willigen Parteigänger und andere priesterliche Gewalttäter kümmern sollen, während sie unendliche Energien hineinsteckte in eine Beschämung von homosexuell Liebenden, die gegen kein Gebot der Menschlichkeit verstoßen haben?