Ruckeln ohne Ende

Seite 2: Bauplan des Virus weiter entschlüsseln!

An dieser Stelle kommt etwas Ärgerliches zum Vorschein: Fahrlässige Mängel bei der Untersuchung von Coronavirus-Varianten in Deutschland. Das Virus operiert auch nach einem Jahr Pandemie munter vor sich hin, verbreitet sich trotz vermehrter Testung weitgehend unbemerkt (wie in einer Black Box) und entwickelt dabei höchst ansteckende Mutationen - mit wieder neuen Herausforderungen, als ob die bisherigen nicht reichten.

Im Fernsehen melden sich gerade Virologen zu Wort und beklagen, es gäbe immer noch "nur rudimentäre Vorstellungen" von dem Virusgenom und von den Varianten, die in Deutschland prävalent sind, Zitat: "Wir schauen uns die Viren, die in Deutschland auftreten, nicht genauer an".

Covid-19 weitet sich aus, die Sequentierung aber nicht: Die Forschung hat's verschlafen. Wieso wurde eine Ausdehnung der Analysen eigentlich versäumt? Schon vor Ausbruch der Pandemie warnten führende Virologen in einem Brief an das Bundesgesundheitsministerium vor den Schwachstellen, der Bauplan des Virus werde selten genau entschlüsselt, das berichtet jüngst die Tagesschau.

Der akute Hype um den Impfstoff lässt auch ein weiteres Betätigungsfeld in den Hintergrund treten, nämlich wirksame Behandlungsmöglichkeiten der bereits Infizierten; auch da ist wenig bis nichts zu hören, der Fokus liegt auf Impfen, behandelt wird von Fall zu Fall und von Klinik zu Klinik unterschiedlich, und auch hier wird oft genug nicht sorgfältig evaluiert, kritisch hinterfragt und am Ende auch übergreifend bewertet.

Maschinaler Reduktionismus - plus Skandalisierung

Wie eine Maschine möchte also auch unser Staat am liebsten funktionieren, wenn er vom "Drücken der Zahlen" spricht (s.o.), die "neue Welle bekämpft" oder seine Feldjäger ausschickt, um die Maskenpflicht zu kontrollieren, während er in Wahrheit kostbare Zeit vertan hat, um eine komplexe intelligente Strategie zu entwickeln.

Der maschinale Reduktionismus drückt sich auch in den stereotypen abendlichen medialen Droh- und Disziplinierungsritualen aus, wenn RKI-Präsident Lothar Wieler uns knöchern mit gemeldeten Infektions- und Todesfällen nervt und anschließend ein ARD-Kamerateam uns Skandalbilder von Intensivstationen präsentiert, die uns vor dem Fernseher schockfrieren lassen und uns zeigen: Auch der finale Todeskampf findet an einer Maschine statt.

Das Virus trotzt unterdes weiter den mehr oder weniger eindimensionalen Versuchen der Eindämmung, von einem Sieg oder seiner Vernichtung kann überhaupt keine Rede sein. Covid-19 stiftet Konfusion und Chaos, und nichts fürchtet man mehr. Corona folgt nicht der politischen Logik, die Wissenschaft läuft seiner selbstorganisierenden Eigendynamik hinterher.

Immer neue Lockdowns tragen den Stempel der Hilflosigkeit. Im Zusammenspiel mit einem schwer fassbaren Bedingungsgeflecht aus sozialen, psychologischen, ökonomischen und einer Reihe weiterer Faktoren "greift" das lineare Kalkül nicht und hinkt den nicht-linearen, nicht-deterministischen Ursache-Wirkungszusammenhängen der Krise und des Eindringlings hinterher.

Wahrheiten und Erkenntnisse

Aus dem ministerialen Chaos entspringt derweil eine dümmliche Debatte um Geimpfte und Nichtgeimpfte, um Priorisierung und Sonderrechte. Im Sommer hatte Gesundheitsminister Jens Spahn keine Strategie im Umgang mit Reiserückkehrern zu bieten; dann war Flaute beim Corona-Bonus für Pflegebeschäftigte und es zeigten sich weitere Sorglosigkeiten wie der verfrühte Siegesruf, es werde keine weitere Schließung von Handel und Friseuren geben.

Dann entschied sich Spahn für die europäische Variante bei der Beschaffung des Impfstoffs, eine erneute Fehlleistung: Während Israel zum Beispiel bereits deutlich über eine Million Einwohner geimpft hat, darunter beinahe schon die Hälfte der über 60-Jährigen, kommt Deutschland insgesamt nur auf 417.000 (Stand einschl. 06.01.2021). Aus Spahns Ministerium tröpfelt eine Beschwichtigung nach der anderen; den verhunzten Impfstart nannte der Minister im Interview ein wohl nur anfängliches "Ruckeln". Ein Ruckeln, das Leben kosten dürfte.

Am Dienstag nun wurde der Lockdown verlängert, dazu gibt es ein Maßnahmenpaket, das auch Verschärfungen umfasst bzw. nicht ausschließt. Der Winter ist noch lange nicht zu Ende. Wo bleiben überzeugende Schulkonzepte?

Wann endlich werden Expertisen zusammengeführt und zu praktikablen Handlungsmustern, die in prominent besetzten Polit-Talkrunden nicht mehr nur gewünscht oder gefordert, sondern jedermann erklärt werden können? Was ist denn nun mit dem Januar 2021 - hat der clevere Invasor den Start ins neue Jahr definitiv schon für sich entschieden?