Ruhe vor dem Sturm?

Die venezolanische Opposition führt einen erstaunlich lustlosen Wahlkampf

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Zwei Wochen vor dem Amtsenthebungsreferendum gegen Präsident Chávez befindet sich das Regierungslager im Aufwind. Die Meinungsumfragen zeichnen zwar ein völlig widersprüchliches Bild. So stellte die oppositionelle Tageszeitung "2001" eine Umfrage vor, wonach die Gegner des Präsidenten mit 20 Prozent im Vorsprung liegen, während das US-amerikanische Meinungsumfrage-Institut Evans McDonough Company (EMC) bei der Befragung von 2000 Wahlberechtigten Chávez bei 53 Prozent, die Opposition hingegen nur bei 42 Prozent sieht. Die Stimmung im Land jedoch spricht zur Zeit eher für die regierende Linskoalition.

Besonders auffällig ist, dass der Wahlkampf für das Si, also für eine Abberufung Chávez', von der Opposition ausgesprochen lustlos geführt wird. In den Armenvierteln, in denen 60 Prozent der Bevölkerung von Caracas wohnen, ist von der bürgerlichen Kampagne überhaupt nichts zu sehen. Aber auch in den Mittelschichtsvierteln im Osten und Süden der Hauptstadt beherrschen die roten Plakate für das No das Straßenbild.

Die Oppositionsführer erklären die fehlende Präsenz ihrer Wahlwerbung mit fehlenden Finanzmitteln und einer 'leisen Wahlkampfstrategie'. Im Gegensatz zum Regierungslager, das die Staatskassen plündere, konzentriere man sich auf einen Face-to-Face-Wahlkampf. Zehntausende von Freiwilligen seien unterwegs, um persönliche Gespräche mit den Wählern zu führen. Doch so recht überzeugen mag diese Erklärung nicht. Immerhin hat die Opposition in den vergangenen vier Jahren auf massive finanzielle Unterstützung aus dem Ausland und der venezolanischen Großkonzerne zählen können. Der Hinweis der Opposition, dass die Regierung den Wahlkampf - illegaler Weise - aus der Staatskasse finanziert, ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Doch entscheidender für die Straßenpräsenz des Regierungslagers dürfte ihre ungebrochene Mobilisierungsfähigkeit sein. Während die Opposition offensichtlich Schwierigkeiten hat, ihre Basis auf die Straße zu bekommen, präsentiert sich die Linke dynamisch wie selten.

Für Präsident Chávez sprechen dabei v.a. zwei Faktoren. Zum einen weisen die Wirtschaftsdaten nach 6 Quartalen der Rezession endlich wieder nach oben. Zum anderen machen sich die so genannten Misiones, außerhalb der Ministerien angesiedelte Sozialprogramme, positiv bemerkbar. Besonders hervorgehoben werden von Bewohnern der ärmeren Viertel die Missionen Barrio Adentro, Robinson und Ribas sowie die Errichtung von Mercal-Lebensmittelläden. Im Rahmen von Barrio Adentro sind mehrere Tausend Gesundheitsposten neu eingerichtet worden, die in der Regel von kubanischen Ärzten betreut werden. Die Misiones Robinson und Ribas sind Bildungsprogramme zur Alphabetisierung und Weiterbildung, die es Schulabbrechern ermöglichen sollen, lesen und schreiben zu lernen bzw. ihre Hochschulqualifikation nachzuholen. Und in den Mercal-Läden schließlich werden Lebensmittel zu subventionierten Preisen angeboten.

Das Mercal-Programm ist auch insofern hochinteressant, als es als eines der wenigen Regierungsprojekte den kapitalistische Markt in Frage stellt. Die Mercal-Läden entstanden 2003, um die Erpressbarkeit der Bevölkerung gegenüber den Handelskonzernen zu verringern. Ihr Ausbau wird mittlerweile jedoch auch forciert, um dem wachsenden Kooperativ-Sektor einen Absatzmarkt zu garantieren. Damit werden alternative Produktions-und Vertriebswege im Grundversorgungsbereich geschaffen.

Auch wenn sich die Regierung Chávez mit ihren Sozialprogrammen unzweifelhaft Sympathien verschafft hat, dürfte das Ergebnis am 15. August jedoch knapper ausfallen, als von Anhängern der Linkskoalition erhofft. Oppositionelle Journalisten verweisen nicht zu Unrecht auf die Wahlen 1990 in Nicaragua, als im Vorfeld ebenfalls von einem überwältigenden Sieg der Linken die Rede war und die Bürgerliche Violeta Chamorro schließlich, nicht zuletzt dank internationaler Drohgebärden, mit einigem Abstand gewann. Zudem ist nicht auszuschließen, dass Teile der Opposition kurz vor den Wahlen eine erneute Eskalation des Konflikts provozieren werden, um damit die Entscheidung der Unentschlossenen zu beeinflussen.

Wenn Chávez das Referendum gewinnen sollte, dürfte sich die Auseinandersetzung innerhalb des *'bolivarianischen' Lagers demnächst zuspitzen. Immer deutlicher kristallisiert sich heraus, dass zwischen der Mehrheit der Regierungsparteien und den Basisprozessen in Stadtteilorganisationen, Gewerkschaften und Landlosenbewegung ein tiefer Graben verläuft. Auffälligerweise hat Chávez, der sich immer wieder als Befürworter der Basisorganisierung hervortut, die Wahlkampagne Misión Florentino ausdrücklich außerhalb der Parteien angesiedelt. Offensichtlich ist auch sein Vertrauen in das politische Lager nach den Erfahrungen bei den Unterschriftensammlungen in der ersten Jahreshälfte 2004 spürbar geschwunden.

Raul Zelik veröffentlichte vor kurzem "made in venezuela - notizen zur " (Verlag Assoziation A)