Russische Militärpräsenz in Libyen: Will Putin in Nahost-Chaos eingreifen?
Moskau arbeitet an Deal über Luftwaffen- und Marinestützpunkte im Osten des Lands. USA sind sehr besorgt. Über russische Strategien, während die Region brodelt.
Nach einem Bericht vom Bloomberg scheint die russische Regierung dabei zu sein, ein Verteidigungsabkommen mit dem nordafrikanischen Staat Libyen zu vereinbaren. Moskau möchte danach seine Militärpräsenz in dem Land ausbauen. Im Gespräch ist auch ein Marinestützpunkt für russische Kriegsschiffe im Mittelmeer – in direkter Nähe zu Europa und zum aktuellen Kriegsschauplatz in Israel-Palästina.
Ende September traf nach Medienangaben der libysche Militärbefehlshaber im Osten des Landes, Khalifa Haftar, in Moskau mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammen. Dabei soll über das Abkommen gesprochen worden sein. Das nordafrikanische Land ist geteilt. Der Westen wird regiert von der Hauptstadt Tripolis, im Osten herrscht Haftar.
Mit der Söldnergruppe Wagner ist Russland schon länger auch militärisch präsent in Libyen. Seit dem mysteriösen Flugzeugabsturz von Anführer Jewgeni Prigoschin hat das russische Verteidigungsministerium die Aktivitäten der Gruppe zunehmend übernommen.
Nun soll, laut anonymer Quellen, die mit dem Abkommen vertraut sind und von Bloomberg zitiert werden, Russland eingeräumt worden sein, eine "Handvoll Luftwaffenstützpunkte, die derzeit von den Wagner-Paramilitärs besetzt sind, für die Aufnahme russischer Streitkräfte aufzurüsten".
Zudem könnte im libyschen Hafen Tobruck eine ständige Anlegestelle für russische Kriegsschiffe eingerichtet werden. Das sei wegen der notwendigen Modernisierung aber eher ein Projekt der Zukunft.
Der Kreml hat schon seit Längerem seine Aktivitäten in Afrika und im Nahen Osten ausgebaut. So würde man gerne einen Marinestützpunkt im Sudan einrichten, um Zugang zum Suezkanal und der Arabischen Halbinsel zu erhalten. In Syrien hat man bereits einen Stützpunkt im Mittelmeer, im syrischen Tartus.
Die USA sehen die russischen Aktivitäten in Libyen mit Sorge, so heißt es im Medienbericht weiter, da es Libyen erneut destabilisieren könnte. Der Befehlshaber der US-Streitkräfte in Afrika, General Michael Langley, und der US-Sondergesandte für Libyen, Richard Norland, hatten in einer Pressekonferenz erklärt, dass sie Haftar gedrängt hätten, die ausländischen Streitkräfte abzuziehen.
Das Land besitzt im Osten, dort, wo Haftar regiert, große Erdölanlagen. Das Land ist OPEC-Produzent, im Osten befinden sich rund 40 Prozent der afrikanischen Vorkommen. Die Kooperation mit Russland soll Haftar Sicherheit geben gegen die gegnerische Armee in Tripolis.
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Der Zeitpunkt für den Militärdeal ist vor dem Hintergrund des Gaza-Kriegs und der eskalierenden Dynamik in der arabischen Region auch ein Signal, dass Russland nicht an der Seitenlinie verharren will, während die USA Flugzeugträger mit Kampfjets vor die Küste Israels verlegen lassen und ein Rüstungspaket in Höhe von 14,5 Milliarden US-Dollar zusätzlich zu den jährlichen knapp vier Milliarden an Militärhilfe für Israel schnüren.
Auf der diplomatisch-politischen Bühne versuchte Russland unmittelbar nach den blutigen Hamas-Angriffen in Israel am 7. Oktober mit bis zu 1.400 Toten die Wogen zu glätten. Man bemühte sich um Ausgewogenheit und unterstrich seine Beziehungen sowohl zu Israelis als auch zu Palästinensern. In Erklärungen hieß es, dass Israel das Recht habe, sich selbst zu verteidigen.
Das hat seinen Grund. Russland unterhält seit Langem zu beiden Konfliktparteien Beziehungen. Man hat Kontakt zu den Palästinensern, einschließlich der Hamas, die im März eine Delegation nach Moskau entsandte. Aber es gibt auch "viele Gemeinsamkeiten" mit Israel, darunter die Tatsache, dass eine Reihe von Israelis ehemalige russische Staatsbürger sind, wie Kreml-Sprecher Dmitri Peskow auch immer wieder betont hat.
Doch die russische Wortwahl wurde im Zuge der unterschiedslosen israelischen Bombardierung des Gaza-Streifens schärfer, während bisher bereits über 10.000 Gaza-Bewohner, 40 Prozent davon Kinder, getötet worden sind und die Blockade eine humanitäre Katastrophe erzeugt hat.
So äußerte sich der russische Präsident zunehmend besorgt. Während der Kreml in der Ukraine einen Angriffskrieg führt, der Tausende Zivilisten getötet hat, sagte Wladimir Putin in einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan schon am 11. Oktober, er befürchte eine Eskalation der Situation, während er auf die vielen toten Gaza-Bewohner im Zuge der Bombardements verwies.
Erdoğan habe es laut Kreml-Bericht ebenso bedauert, dass "zivile Einrichtungen gezielt angegriffen würden". Die Türkei "findet solche Angriffe nicht in Ordnung." Auch hier ist der Doppelstandard mit Händen zu greifen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) warf zeitgleich Ankara in einer Untersuchung vor, dass türkische Angriffe in Nordost-Syrien die Wasser- und Stromversorgungen unterbrechen. Sie "verschärfen die anhaltende humanitäre Krise für Millionen von Menschen", so HRW.
Russland als Faktor bei Deeskalation?
Putin kritisierte zudem Washington. Die Vereinigten Staaten hätten versagt, im Nahen Osten die Bedürfnisse der Palästinenser bei der Nahostpolitik einzubeziehen.
Nun verlange Moskau einen sofortigen Waffenstillstand. Die von Russland in den UN-Sicherheitsrat eingebrachte Resolution am 16. Oktober, die einen solchen Waffenstillstand fordert, wurde aber durch das Veto von den USA, Frankreich, Japan, Großbritannien gestoppt.
Das russische Außenministerium unter Sergej Lawrow hat außerdem immer wieder vor den Gefahren eines regional erweiterten Kriegs gewarnt, sollte der Gaza-Krieg Israels weitergeführt und Iran als Schuldiger in den Fokus genommen werden. Zudem verurteilte man die Aussage des israelischen Ministers für Kulturerbe im Kabinett Netanjahu letzte Woche.
In einem Radiointerview wurde Amichai Elijahu gefragt, ob Israel einfach eine Atombombe auf Gaza werfen sollte. Darauf antwortete der israelische Minister, dass dies eine Option sei. Als er an die mehr als 240 Geiseln erinnert wurde, die im Gazastreifen festgehalten werden, sagte er, dass er für ihre Rückkehr beten werde, aber dass "der Krieg auch seinen Preis hat".
Der Minister wurde dafür auch in Israel kritisiert, aber Netanjahu hat ihn trotz Aufforderungen bisher nicht entlassen. Das russische Außenministerium sagte danach, dass die Aussage viele Fragen aufwerfe. Auch die nach dem Zugang von Nuklear-Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAE) in das Land, um die Atomwaffen, die von Israel offiziell nie bestätigt worden sind (obwohl man allgemein davon ausgeht, dass Israel 90 atomare Sprengköpfe besitzt), einer Prüfung zu unterziehen.
Sollte der Konflikt weiter regional eskalieren, wobei neben der Hamas die Hisbollah im Libanon, der Iran und eine wiederbelebte Intifada in den Krieg eintreten könnten, würde das nicht nur den Druck auf Israel erhöhen, sondern auch andere Unterstützerstaaten als Stellvertreter auf den Plan rufen, was, wie alle Seiten betonen, vermieden werden sollte.
Die Gefahr besteht jedoch, je dynamischer und blutiger das Geschehen wird, dass die Ereignisse außer Kontrolle geraten. Dann könnte Russland sich unterstützend im Fall einer Ausweitung an die Seite des Iran stellen.
Der jüngste Bericht über ein russisches Abkommen mit dem Osten Libyens zeigt dabei deutlich, dass Moskau seine Interessen in der Region zunehmend militärisch absichern will – und dabei wenig bis keine Rücksicht auf die US-Interessen und -Drohungen nimmt.
George Beebe und Anatol Lieven vom Quincy Institute haben früh davor gewarnt, dass eine weitere Eskalation die USA gegen Russland und auch China in Nahost stellen könnte.
Angesichts der tiefen amerikanisch-russischen Feindschaft aufgrund des Ukraine-Kriegs ist die Versuchung für Russland natürlich groß, den USA Ärger zu bereiten und die internationale Wut über die israelischen Vergeltungsmaßnahmen im Gazastreifen auszunutzen, um seine Beziehungen zum Iran, zu arabischen Staaten und zum weiteren Globalen Süden auf Kosten der USA zu festigen.
Die Außenpolitik-Experten betonen aber zugleich, dass es für Russland auch Gründe gibt, ein solches Szenario zu vermeiden. Moskau habe gute Beziehungen zu Israel, das Land sei ein wichtiger ökonomischer Partner und die Heimat von mehr als einer Million russischer Immigranten. Zudem würde ein Kriegseintritt Irans bedeuten, dass es für den russischen Krieg in der Ukraine dann keine iranischen Drohnen mehr geben würde.
Um die Lage zu deeskalieren, wären Gespräche zwischen den USA und Russland daher sehr hilfreich, wenn sie auch angesichts des Ukraine-Kriegs nur in begrenztem Maße stattfinden können. Dabei müsste Washington Israel zur Mäßigung bzw. Beendigung der Gaza-Bombardierungen bewegen, während Russland und China ihre Partner in der Region zu Zurückhaltung aufrufen.
Russland hat bereits klargestellt, dass nur ein Palästinenserstaat innerhalb der Zweistaatenlösung – international von der Weltgemeinschaft garantiert – dauerhaft für Frieden in der Region sorgen kann. Kämpfen könne keine Sicherheit schaffen, so der Kreml.
Das ist auch die Haltung, die von den Vereinten Nationen in zahlreichen Resolutionen verankert wurde. Im Moment scheint die zivile Lösung des Konflikts aber in weite Ferne gerückt zu sein.
Doch das könnte sich ändern, wenn Israel und die USA ab einem bestimmten Punkt realisieren müssen, dass die andere Option, nämlich ein "Business as usual" und die weitere Blockade des Palästinenserstaats, nicht mehr haltbar ist.