Russische Regisseure gegen "besorgte Bürger"
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Der bekannte Regisseur Konstantin Raikin warnte vor einer Rückkehr der Zensur, auch kulturpolitisch gibt es verhärtete Fronten
Als der Regisseur Konstantin Rajkin am 24. Oktober auf dem siebten russischen Theater-Kongress in einer emotionalen Rede vor einem Rückfall in die Zeit der Zensur, "wie bei Stalin", warnte, kratzte er an einer Wunde, welche durch die patriotische Stimmung in den letzten zwei Jahren nur verdeckt wurde. Insbesondere in der liberalen Mittelschicht sind viele besorgt wegen mehrerer Angriffe auf Kulturveranstaltungen, die angeblich die Gefühle von Gläubigen oder die guten Sitten verletzen.
Viele Kultureinrichtungen unterwerfen sich in vorauseilendem Gehorsam dem konservativen Mainstream. Offenbar gibt es die Angst, man könne Ärger mit Behörden oder patriotischen Aktivisten bekommen. So ist nur ein kleiner Teil der Kinos in Moskau und St. Petersburg bereit, den Nordkorea-Film "Im Strahl der Sonne" von Vitaly Mansky zu zeigen.
Der Vorwurf "Rückkehr in die Stalin-Zeit" klingt in westlichen Ohren durchaus nachvollziehbar. Doch gerecht ist er nicht. Vermutlich wusste der Regisseur keinen anderen Weg, um sich in der medialen Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen.
Die "besorgten Bürger"
Einiges in der Rede von Regisseur Rajkin erinnert an die deutsche Debatte über die Flüchtlinge und "besorgte Bürger". Auch in Russland gibt es Menschen, die als "besorgte Bürger" auftreten und mit Gewalt gegen Andere vorgehen.
Raikin erklärte in seiner Rede: "Ich glaube diesen Leuten nicht." Denn wer wie im Moskauer Foto-Zentrum Lumier Fotos mit Urin begießt, könne sich nicht als Moral-Apostel aufspielen. Die "besorgten Bürger" würden ihre wahren Ziele, nämlich ein Russland wie zu Stalins Zeiten "mit Worten von Moral, Heimat und Volk verdecken", so der Regisseur. Die Kirche müsse sich daran erinnern, dass sie in vergangenen Zeiten selbst Opfer von Repressionen war. Sie dürfe deshalb die Aktionen der "besorgten Bürger" nicht unterstützen.
Er sei sehr besorgt, dass sich die Macht von diesen Leuten nicht eindeutig distanziere, erklärte der Regisseur. Eine "kluge Macht" - so Rajkin - brauche Künstler, die ihr den Spiegel vorhalten, "damit sie ihre Fehler sehen kann". Nicht die Macht könne entscheiden welche Kunst für das Volk gut und welche schädlich ist. Die Künstler selbst müssten sich untereinander beraten und selbst dafür sorgen, dass ethische Normen eingehalten werden.
Verhärtete Fronten, die Hardliner dominieren
Eine sachliche Debatte über umstrittene Ausstellungen und Aufführungen ist in Russland heute nur schwer möglich, denn auf beiden Seiten führen Hardliner die Debatte. Die eine Seite tritt auf als Vertreter von "Freiheit und Menschenrechten", sympathisiert mit den USA und der Ukraine. Die andere Seite schimpft auf den "verfaulten Westen", der Russland auf die Knie zwingen wolle.
Die einen zeigen Russland als hoffnungslos korrupt und gewalttätig (wie im Film Leviathan), die anderen wollen Russland am liebsten nur von seiner Schokoladenseite zeigen (Ballett, sportliche Erfolge und schöne Landschaften). Alle, die sich zwischen diesen Fronten positionieren, haben Probleme, sich in den sensations-gierigen russischen Medien Gehör zu verschaffen.
Urin auf Nudisten-Fotos
Anlass der Rede von Regisseur Rajkin waren verschiedene Ereignisse der letzten Zeit. In Moskau hatten konservative Aktivisten von der Organisation "Offiziere Russlands" die Schließung einer Foto-Ausstellung durchgesetzt. Angeblich werde in der Ausstellung Pädophilie propagiert. Auf der Ausstellung wurden Arbeiten des amerikanischen Fotographen Jock Sturges gezeigt. Auf einigen der 30 Fotos - aufgenommen an Nudisten-Stränden in der westlichen Welt - waren auch junge nackte Mädchen zu sehen. Die Emotionen schlugen hoch. Ein konservativer Aktivist übergoss Fotos mit Urin.
In der sibirischen Stadt Omsk hatten Aktivisten der religiösen Organisation "Familie, Liebe, Vaterland" vor zwei Wochen die Absetzung der Rock-Oper Jesus Christ Superstar durchgesetzt.
Dass die russisch-orthodoxe Kirche kein geschlossenes Bollwerk des Konservatismus ist, zeigte sich am Dienstag. Der Sprecher der russisch-orthodoxen Kirche, Wladimir Legojda, erklärte, die Kirche sei gegen das Verbot der Rock-Oper. Die Oper entspreche zwar nicht den kirchlichen Regeln, doch durch die Oper hätten viele Menschen "den Weg zu Gott gefunden". Nur ein Kurzsichtiger könne den Unterschied zwischen Gotteslästerung und einer Verletzung der kirchlichen Regeln nicht erkennen.