Russland: Abtreibungsgegner stoßen auf Widerstand

Roland Bathon

Die russisch-orthodoxe Kirche macht ihren Einfluss geltend; die weltliche Ärzteschaft will überwiegend nicht mitspielen. Foto: duma.gov.ru / CC-BY-4.0

Streit in Russland um Frauenrechte und Abtreibung. Widerstand ist in Russland noch möglich – wenn er mächtige Verbündete hat. Was Ärzte zum Thema sagen.

Russlands erzkonservative Abtreibungsgegner wittern in der Diskussion um liberale Regelungen beim Schwangerschaftsabbruch Morgenluft. Setzt die Regierung doch in anderen politischen Bereichen, etwa dem Bildungssystem oder gegenüber dem kämpferischen Feminismus, aktuell ultrakonservative Vorstellungen durch. Weiterhin besitzt Russland ein massives demographisches Problem durch zu wenige Geburten – was Konservative zum Feldzug gegen Schwangerschaftsabbrüche animiert.

Bündnis aus Kirche und Konservativen

Die Bewegung gegen Abtreibung gruppiert sich vor allem um die russisch-orthodoxe Kirche, deren Patriarch bereits 2022 eine Streichung von Schwangerschaftsabbrüchen aus dem Katalog der russischen Krankenversicherung und ein Verbot von Abtreibungen in Privatkliniken vorgeschlagen hat.

Diese Idee war damals nicht neu und wurde bereits zuvor in die Politik getragen. Auf einer Konferenz von Putins Machtpartei "Einiges Russland" stand sie schon im Jahr zuvor auf der Agenda und führte im Juni 2023 zu einer entsprechenden Gesetzesinitiative. Bei einer Realisierung würde die Möglichkeit einer Abtreibung ein Privileg für Reiche.

Gleichzeitig arbeitete das russische Gesundheitsministerium eine Verordnung zu Beschränkungen bei Abtreibungsmedikamenten in der früheren Schwangerschaftsphase aus. Sie werden dadurch gleichgestellt mit Medikamenten, die vergleichbar mit deutschen Betäubungsmitteln sind.

"Bösartige Praxis" der späteren Mutterschaft

Gesundheitsminister Michail Muraschko äußerte in diesem Zug Kritik an der russischen Frauenwelt, wegen ihrer "bösartigen Praxis", vor der Mutterschaft zuerst eine Ausbildung und Karriereschritte machen zu wollen.

In einer ersten russischen Teilrepublik wurde kurz darauf ein Gesetz "über das Verbot von Abtreibungen im Hoheitsgebiet der Republik Mordwinien" verabschiedet – ebenfalls mit der Begründung, Abtreibungen würden die Geburtenrate senken. Strafbar sind vor Ort "Überredung, Angebote, Bestechung, Täuschung und Forderungen" an schwangere Frauen zur Abtreibung. Legal bleibt nur die Aufklärung bei gesundheitlichen Risiken.

Die Reaktionen in der russischen Gesellschaft sind heftig. Schon 2022 stieg die Nachfrage nach Medikamenten zur Abtreibung und Verhütung um mehr als die Hälfte. Frauen befürchteten, diese bald nicht mehr legal bekommen zu können.

Widerstand in der Ärzteschaft in Russland

Doch gegen die neue restriktive Politik in diesem Bereich regt sich auch offener Widerstand. Diese kommt zum einen aus der Ärzteschaft. Wie der Radiosender Kommersant FM berichtet, sind weniger als sieben Prozent der russischen Ärzte laut einer Umfrage Befürworter der neuen staatlichen Maßnahmen.

Eine häufige Meinung unter ihnen sei laut dem Sender, man könne die Zahl der Abtreibungen nur durch soziale Maßnahmen und eine Erhöhung des Lebensstandards der betroffenen Frauen wirksam senken. Restriktives führe nur zur Entstehung eines Schwarzmarktes und illegal durchgeführten Abbrüchen, die das Leben und die Fruchtbarkeit der Frauen gefährdeten. Dadurch würde auch das Demographieproblem eher noch verschlimmert.

Sehr deutlich äußerte sich auch Wladimir Serow, Präsident der russischen Gesellschaft der Geburtshelfer und Gynäkologen. Er lehne jede Einschränkung des Rechts auf Abtreibung ab. Die Sowjetzeit habe gezeigt, dass solche lediglich die kriminelle Form der Abtreibung begünstigten. Darunter würden vor allem junge, unerfahrene Frauen leiden.

Er verstehe die aktuell "aggressive Rhetorik" der russischen Abtreibungsgegner nicht, da die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Russland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten gar nicht überdurchschnittlich sei.

Bedenken auch unter Regierungsfunktionären

Schützenhilfe bekommen die Mediziner mit ihrem für russische Verhältnisse sehr offenen Widerspruch auch aus regierungsnahen Kreisen. Ewa Merkachewa, Mitglied von Putins inzwischen handverlesenen Menschenrechtsrat, bezeichnet die aktuellen Anti-Abtreibungsinitivativen als "sinn- und nutzlos" und plädiert stattdessen für einen Ausbau des Kinderbetreuungsangebots, insbesondere nahe an Betrieben.

Wjatscheslaw Pogudin, Vorsitzender des Sozialausschusses der urbanen Region Swerdlowsk im Umland von Jekaterinburg, plädiert in der Zeitung Kommersant zeitgleich dafür, dass die Entscheidung über eine Abtreibung "von jeder Frau und jeder Familie unabhängig getroffen werden soll". Beraten könnten hier lediglich "erfahrene Ärzte", Verbotsmaßnahmen seien "nicht der richtige Weg".

In regierungsnahen Kreisen gibt es noch eine weitere Argumentationslinie. Die Gesundheitsexpertin Lyubow Erofeeva verwies in der linientreuen Zeitung Lenta auf negative Erfahrungen mit restriktiver Abtreibungsgesetzgebung beim Erzfeind USA. Russische Frauen würden bei Verboten, ähnlich wie Amerikanerinnen, zum Schwangerschaftsabbruch in Nachbarländer wie Kasachstan oder nach China reisen. Die Krankenversicherung zahlten die Frauen immerhin selbst und weder Priester noch Abgeordnete meint Erofeeva.

Was in regierungsnaher Presse nicht zu lesen ist, dass der Trend zum Aufschieben von Geburten und Familienplanung in Russland durch einen einschneidenden Umstand verstärkt wird. Der anhaltende Krieg gegen die Ukraine produziert nicht nur ein Gefühl der Unsicherheit, sondern trennt auch aktiv Familien. Sei es durch Einberufung oder Flucht ins Ausland - und ob es eine weitere Mobilisierungswelle geben wird, ist nach wie vor ungewiss.

Breiteres Bündnis gegen den "Weg zurück"

Die Familienplanung findet hier aber vor allem durch Verhütung statt, was sich auch daran zeigt, dass die höchsten Abtreibungsraten nicht etwa in den großen Metropolen Russlands zu finden sind, sondern eher in ländlichen und dünn besiedelten Regionen, Jakutien und Sachalin im Fernen Osten führen hier die Statistik an. Eine Umfrage des Lewada-Zentrums in der russischen Bevölkerung 2017 ergab, dass 78 Prozent Verhütungsmittel als notwendig betrachten und 59 Prozent es befürworten, dass der Staat den Familien die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch selbst überlässt.

Hier ist die gesellschaftliche Basis zur Verhinderung ultrakonservativer Vorstellungen breiter, als bei Themen, wo sich die russische Regierung mit solchen problemloser durchgesetzt hat, etwa bei der Beschneidung von LGBTQ-Rechten. Lyubow Erofeeva glaubt deswegen, dass es ein generelles Verbot der Abtreibungen in Russland nicht geben wird. Jedoch rechnet sie dennoch mit einem Abbau des Wahlrechts der Frauen bei ungewollten Schwangerschaften.

Wie weit dieses gehen wird, liegt vor allem in der Hand des Russischen Gesundheitsministers Michail Muraschko. Die von der Regierungspartei dominierte Staatsduma winkt Gesetzesvorlagen der Minister stets problemlos durch das Parlament. An seiner Entscheidung wird man sehen, ob ihm sein Fachwissen oder die Unterwerfung unter eine rückschrittliche Ideologie wichtiger ist. Auf Unwissenheit kann er sich in keinem Fall berufen, denn im Zivilberuf ist der Minister Gynäkologe.