Russland-Sanktionen: EU sägt am Ast der eigenen Bauern

Bernd Müller
Ein Traktor streut Stickstoffdünger auf ein Feld.

(Bild: 3doorsofsun / Shutterstock.com)

Die EU erwägt neue Sanktionen gegen russische Düngemittel. Landwirte und Händler sind alarmiert: Sie fürchten explodierende Preise und Versorgungsengpässe.

Brüssel plant ein neues Sanktionspaket gegen Russland – und das könnte die Landwirtschaft in Europa hart treffen. Die Diplomaten verhandeln nicht nur über einen Einfuhrstopp von Flüssiggas (LNG) und Stahlerzeugnissen aus Russland. Dieses Mal sollen auch Stickstoff- und Kalidünger von den Sanktionen erfasst werden.

Deutschland fordert harte Sanktionen statt Zölle

Die EU-Kommission schlägt vor, Zölle auf die verbleibenden Düngemittelimporte aus Russland zu erheben, die bisher von Sanktionen ausgenommen waren. "Unser Ziel ist es, die russische Kriegswirtschaft weiter zu schwächen, die Abhängigkeit der EU zu verringern, unsere Industrie zu unterstützen und die globale Ernährungssicherheit zu wahren", sagte EU-Handelskommissar Maros Sefcovic.

Doch aus Deutschland kommt Widerstand gegen die Zoll-Regelung. Wie aus Dokumenten hervorgeht, die Telepolis vorliegen, votiert das von den Grünen geführte Auswärtige Amt gegen den Zollvorschlag. Stattdessen forderte es ein härteres Durchgreifen. In den Dokumenten heißt es: eine "umfassende Sanktionierung" von russischen Düngemitteln. Die Sanktionen sollen neben Stickstoff, Harnstoff und Ammoniak auch eine "Streichung der Quoten bei Kalidünger" umfassen.

Streit um Sanktionen: Schutz für europäische Hersteller oder Gefahr für Bauern?

Begründet wird das Vorgehen gegen Düngemittel aus Russland damit, dass sie zu günstigen Preisen auf den Markt geworfen werden und die europäischen Produzenten nicht mithalten könnten.

Der stellvertretende Finanzminister Polens, Zbigniew Stawicki, klagte etwa Ende Januar darüber, dass der Zustrom von Billigprodukten aus Russland und Weißrussland die polnischen Düngemittelhersteller "ersticken" würde. Werde nicht eingeschritten, so stünden sie vor dem Zusammenbruch. Anders als die deutschen Diplomaten hielt Stawicki aber Zölle für ausreichend.

Tatsächlich steht die europäische Düngemittelindustrie vor erheblichen Problemen. Seit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine und dem darauffolgenden Wirtschaftskrieg zwischen Europäischer Union und Russland sind die Produktionskosten der Düngerhersteller erheblich gestiegen. Zu 60 bis 80 Prozent werden sie von den Gaspreisen bestimmt.

"Im Jahr 2022 erlebte Europa einen Rückgang der Produktionskapazität für Stickstoffdünger um 70 Prozent", wird Monica Marucci, Leiterin des European Fertilizer Observatory, vom Magazin Agrar heute zitiert. 2023 besserte sich die Situation demnach und 2024 erreichte die Branche bereits wieder 80 Prozent ihrer üblichen Produktionskapazität.

Aufgrund der steigenden Gaspreise drosselten die Hersteller ihre Produktion Anfang 2025 aber wieder. Bei Agrar heute heißt es, die Situation gleiche fast wieder der im Jahr 2022. Im November 2024 erst hatte sich der europäische Hersteller LAT Nitrogen vom deutschen Markt zurückgezogen. Der Grund: die hohen Gaspreise.

Landwirte fürchten explodierende Düngerpreise

Nach Angaben der Analysten von Argus Media haben sich die Landwirte mit deutlich weniger Düngemitteln eingedeckt als in früheren Zeiten. Das Kaufinteresse der Landwirte sei "unglaublich gering" gewesen. "Die Marktabdeckung in Deutschland für Stickstoffdünger für das Düngemitteljahr 2024-25 wird auf 40–45 Prozent geschätzt, gegenüber einem Durchschnitt von 60–65 Prozent Mitte November."

Einige Großhändler gehen demnach davon aus, dass die Nachfrage nach Düngemitteln weiterhin schleppend sein wird. Als Gründe für das Desinteresse der Bauern wird neben den Düngerpreisen angegeben: schwache Getreidepreise, geringere landwirtschaftliche Einkommen und Lagerhäuser voller unverkaufter landwirtschaftlicher Erzeugnisse.

Günstige Düngemittel aus Russland sind vor diesem Hintergrund zwar negativ für europäische Hersteller, aber sie würden die Landwirte in Europa stützen. Doch schon jetzt steigen die Preise für Düngemittel wieder an – und durch neue Sanktionen gegen Europas wichtigsten Lieferanten von Stickstoffdüngern (Russlands Marktanteil in Europa beträgt 28 Prozent) würde der Anstieg vermutlich noch drastischer ausfallen.

Die Spotpreise für Harnstoff stiegen laut Agrar heute Anfang Januar um 75 Euro pro Tonne auf 525 Euro/t. Bei Kalkammonsalpeter (KAS) wurde ein Anstieg von 23 Euro/t auf 370 Euro/t registriert. Und beim Flüssigdünger Ammoniumnitrat-Harnstoff-Lösung (AHL) kletterten die Preise um 12 Euro/t auf 311 Euro/t.

Entscheidung über Sanktionen steht bevor

Die Entscheidung über die neuen Sanktionen soll in den nächsten Wochen fallen. Anders als ein vollständiges Embargo können die Zölle mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Ungarns Veto-Drohung wäre damit ausgehebelt.

Wie aus den EU-Dokumenten hervorgeht, hatten bis auf Ungarn und Slowenien allerdings keine EU-Länder Bedenken über die Auswirkungen neuer Sanktionen gegen Düngemittel auf die Landwirte geäußert.