Russlands Krieg als Ausrede für Raubbau im Amazonas

Brasilien: Amazonas nähert sich seinem Kipppunkt. Brasilianischer Präsident will Rohstoffabbau weiter vorantreiben – nun für Düngemittel-Produktion
Russland und Belarus waren bisher Brasiliens wichtigste Düngemittel-Lieferanten. Noch im Vorjahr hatte Brasilien 84 Prozent seines Düngers aus dem Ausland importiert – ein Viertel des kaliumhaltigen Düngers kam aus Russland. Kaliumchlorid etwa wird für den Anbau von Gen-Soja, aber auch für Mais und Kaffee benötigt.
Kürzlich jedoch hat das russische Handelsministerium wegen logistischer Probleme die Ausfuhr von Düngemitteln aus dem Hafen von Odessa gestoppt. Erst kurz vor Kriegsbeginn war der Präsident nach Russland gereist, um mit seinem Amtskollegen zu sprechen. Da waren die Preise aufgrund von Wetterextremen bereits stark angestiegen.
Wegen der Verknappung von Kalium könnten nun auch wichtige Export-Agrarprodukte wie Soja, Mais und Kaffee knapp werden, befürchtet Jair Bolsonaro. Nahrungsmittelknappheit, Inflation und Arbeitslosigkeit wären die Folge.
Auch das Importprodukt Ammonium, ein Grundstoff für Stickstoff- und Phosphat-Düngemittel, könnte derzeit zur Mangelware werden, warnt Fernando Cadore, Präsident der Soja- und Maisproduzenten im Bundesland Mato Grosso, das mit rund zehn Millionen Hektar Agrarfläche der größte Getreideproduzent des Landes ist.
Um das Düngemittel-Problem zu lösen, drängt der brasilianische Präsident nun auf die Ausbeutung von Mineralien, Wasser, Gold, aber auch zur Energiegewinnung. Bisher musste der Bergbau in indigenen Regionen durch den Kongress autorisiert werden. Doch nun zielt ein neues Bergbaugesetz darauf ab, die Verfassung so zu ändern, dass die Erforschung und der Abbau von Bodenschätzen und Kohlenstoffen sowie die Nutzung von Wasserressourcen zur Stromerzeugung auf indigenem Land vorangetrieben werden.
So sind im Gesetzesentwurf zwar Entschädigungen für die Indigenen aufgeführt, ein Vetorecht ist jedoch nicht vorgesehen. Überdies könnte das so genannte Landraubgesetz, welches die illegale Landnahme und das Abholzen des Regenwaldes vorsieht, diese im Nachhinein legalisieren. Sollte der Senat dem zustimmen, wäre die kriminelle Abholzung des Regenwaldes auf einen Schlag rechtmäßig.
Hinzu kommt ein weiterer umstrittener Vorschlag, der die Demarkierung von indigenem Land verhindert und ursprünglich indigenes Land der Zerstörung preisgibt sowie ein Gesetzentwurf, der auch als "Giftpaket" genannt wird, weil er die Zahl der erlaubten Pestizide weiter in die Höhe treibt.
Gegen die neuesten Entscheidungen protestierten soziale Bewegungen in Brasilien, einschließlich zahlreicher indigener Repräsentanten. Konkret sollen fünf Gesetzesvorschläge verabschiedet werden, die als extrem umweltschädlich und sozial unverträglich gelten.
Noch tiefer in indigene Gebiete hinein
Laut dem brasilianischen Verband für Düngemittel-Logistik besitzt das Land noch Kunstdünger für knapp drei Monate. Dies werde sich auch auf die kommende Aussaat und auf die darauffolgende Ernte im September und im Oktober auswirken, hieß es. Es sei nun an der Zeit, die Abhängigkeit von Düngemittel-Importen zu beenden, erklärte Bolsonaro und drängt zum Abbau von Rohstoffen für die Herstellung von Düngemitteln.
Werde weniger Dünger eingesetzt, werden die Ernten entsprechend geringer ausfallen. Und bei knappen Lebensmitteln ist eine Preissteigerung für Mais, Soja und auch für Fleisch zu erwarten. Während der letzten drei Coronajahre konnten massive Agrarexporte den Absturz der Wirtschaft in Brasilien zwar abfedern. Doch nun könnte der Mangel an Mineraldünger die Ernährungssicherheit nicht nur in Brasilien gefährden, befürchtet der Präsident. Vor diesem Hintergrund genehmigte die Abgeordnetenkammer ohne weitere Diskussionen Anfang März den Dringlichkeitsantrag im Eilverfahren.
Zwar sind auch Entschädigungen für Indigene aufgeführt, zudem müssen diese informiert werden, ein Vetorecht ist für sie allerdings nicht vorgesehen.
Nach intensiven Protesten durch die Indigenen und deren Unterstützer wurde das Gesetz zunächst zwar auf Eis gelegt, später jedoch wieder auf die Agenda gesetzt. Damit könnte sich der Raubbau am Amazonas weiter beschleunigen. Das Paket berücksichtige weder soziale, kulturelle noch gesundheitliche Bedürfnisse, kritisieren Juliana Batista und Márcio Santilli der Nichtregierungsorganisation des Instituto Socioambiental.
Die Erschließung von Lagerstätten und Rohstoffvorkommen in Regionen, in denen nicht kontaktierte indigene Völker leben, könnte deren Überleben gefährden, befürchten die Spezialisten in Umwelt- und indigenem Recht. Weil er ohne Zustimmung der Gemeinden den extensiven Bergbau, den Bau von Straßen, Wasserkraftwerken und das Pflanzen von transgenem Saatgut auf indigenem Boden erlaube, sei der Entwurf verfassungswidrig und räuberisch.
Der Bergbau auf indigenem Land verletze die Rechte der Frauen, betont die indigene Aktivistin Samêhy Pataxó. Auch sei zu befürchten, dass Vergewaltigung und sexueller Missbrauch als Begleiterscheinungen in die Region kommen.
Ukraine-Krieg als Rechtfertigung für die Ausbeutung indigener Gebiete
Die meisten Kaliumvorkommen befinden sich außerhalb der Reservate. Einer Studie der Bundesuniversität von Minas Gerais von 2019 zu Folge liegen lediglich elf Prozent der Lagerstätten in indigenen Gebieten. Diese jedoch waren bisher nicht als gesetzlich geschütztes indigenes Land anerkannt – so wie etwa das Kaliumvorkommen im Amazonasgebiet am Unterlauf des Rio Madeira.
Die Farce der Düngermittelknappheit habe Bolsonaro inszeniert, um die Dringlichkeit der Abstimmung zu erzwingen, erklärt Marcio Santilli vom Instituto Socioambiental. In Wahrheit gehe es ihm um die wirtschaftliche Ausbeutung indigener Territorien und darum, den bisher illegalen Abbau von Gold, Bauxit, seltenen Erden und Mineralen zu legalisieren. Allein in den Gebieten der Yanomami an der Grenze zu Venezuela graben über 20.000 illegale Goldsucher.
Die Indigenen werden tätlich angegriffen und die Flüsse mit Quecksilber vergiftet. Würde das Bergbaugesetz genehmigt, wäre dies ein harter Schlag gegen die territoriale Autonomie der indigenen Völker, denn dies werde ihnen nur Tod und Zerstörung bringen, weiß Joênia Wapichana, einzige indigene Parlamentarierin im Kongress. Sie will nun dafür kämpfen, diesen verfassungswidrigen, inakzeptablen Vorschlag zu Fall zu bringen.
Der Druck nimmt zu
Der amazonische Regenwald enthält fast 30 Prozent des in den Wäldern Lateinamerikas gespeicherten Kohlenstoffs sowie 14 Prozent des Kohlenstoffs in den tropischen Wäldern weltweit. Das ist mehr Kohlenstoff, als alle Tropenwälder in Indonesien oder der Demokratischen Republik Kongo speichern.
Im brasilianischen Regenwald leben mehr Arten von Säugetieren, Vögeln, Reptilien und Amphibien als in allen nicht indigenen Naturschutzgebieten des Landes zusammen. Obwohl die brasilianische Verfassung das Recht der Indigenen auf ihr Land garantiert, dringen illegale Siedler und Goldsucher seit Jahren ungehindert in die Territorien von indigenen Gemeinschaften ein.
Demnach haben die illegalen Besetzungen von indigenem Land sowie Abholzungen seit Bolsonaros Amtsantritt im Jahr 2018 um135 Prozent zugenommen. Über die Hälfte davon befinden sich im Amazonasgebiet. Allein im Jahr 2020 wurden fast 10.900 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt.
Dies sei der größte Kahlschlag in Amazonien innerhalb der vergangenen zwölf Jahre gewesen, erklärt das Nationale Institut für Weltraumforschung INPE. Ein weiteres Problem sind die Waldbrände: Allein im Herbst 2021 wüteten in Amazonien insgesamt fast 90.000 Feuer. Auch in diesem Jahr schreitet die Entwaldung im Rekordtempo voran.
Amazonas verliert an Widerstandsfähigkeit
Ein intakter Wald im Amazonasbecken ist die Grundlage für die Wasserkreisläufe in Südamerika. Allerdings nähert sich der Regenwald bereits dem Kipppunkt, heißt es in der kürzlich veröffentlichten Studie eines britisch-deutschen Forscherteams unter Leitung von Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Der Klimaforscher verweist auf Modelle des IPCC, die eine Austrocknung des Amazonasgebiets als Reaktion auf die vom Menschen verursachte globale Erwärmung voraussagen. Davon sind auch menschlicher Siedlungen in der Nähe bedroht.
Bisher speicherte der Regenwald erhebliche Mengen an Kohlendioxid und nahm somit eine Schlüsselrolle für das Weltklima und die Artenvielfalt ein. Bei mehr als drei Vierteln des Waldes habe die Fähigkeit nachgelassen, sich von Dürren und Bränden zu erholen, wie eine Analyse hoch aufgelöster Satellitendaten zur Veränderung der Biomasse im Amazonas ergab. Einer Studie vom Juli 2021 zu Folge geben Teile der Amazonasregion inzwischen mehr Kohlendioxid ab als sie aufnehmen.
Die nachlassende Widerstandsfähigkeit führten die Wissenschaftler vorwiegend auf den Stress durch Abholzung und Brandrodung zurück. Einige Regionen im Südosten des Regenwaldes geben sogar mehr Treibhausgas ab als sie aufnehmen. Durch Entwaldung und Emissionen von Kohlenmonoxid infolge von Bränden könnte der Regenwald bald zu einer Kohlendioxidquelle werden.
Bisher zogen globale Wälder etwa zwei Prozent mehr Kohlendioxid aus der Luft, als sie wieder abgaben. Diese Menge entsprach etwa einem Viertel aller Emissionen aus fossilen Kraftstoffen seit 1960. Der Amazonas galt als wesentliche Komponente dieser globalen Senke. Kippt diese Bilanz in dem größten Tropenwaldgebiet der Welt auch nur teilweise, werde der Klimawandel nun noch schneller vorangetrieben.
Abholzung und Feuer müssen gestoppt werden
Der Anteil Brasiliens am Amazonasgebiet entspricht flächenmäßig etwa der Größe Westeuropas, weshalb er für den Klimaschutz eine besonders große Rolle spielt. Der Osten und Südosten veränderten sich in den letzten Jahrzehnten infolge von Rodungen, Feuer und Landwirtschaft besonders stark. Die landwirtschaftlichen Flächen auf ehemaligem Waldgebiet geben vermehrt Kohlendioxid ab.
Die Temperatur erhöhte sich hier in den letzten 40 Jahren um etwa einen halben Grad pro Jahrzehnt. Diese Entwicklung verstärkte den Trockenstress der Pflanzen und begünstigt Feuer auch in intakten Waldteilen. Weil die westlich gelegenen Bereiche des immensen Waldgebiets noch sehr feucht und zu großen Teilen unberührt seien, nehme der Amazonas bisher nach wie vor etwas mehr Treibhausgas auf, als er abgebe.
Bisher habe der intakte Wald regional mehr Regen erzeugt, heißt es. Nun aber befeuern die voranschreitenden Abholzungen sowie globaler Klimawandel die steigenden Temperaturen, wobei sie den Effekt der Austrocknung weiter verstärken.
Wir befinden uns am Rande des Tipping Points, warnt der brasilianische Klima-Experte Carlos Nobre anlässlich des Marseiller Klimagipfels. Es bleibe keine Zeit mehr, die Abholzung und die Wildfeuer in ein paar Jahren zu stoppen. Sei der Punkt einmal überschritten, geben wir 200 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre ab. Damit werde die globale Erwärmung nicht mehr unter 1,5 Grad zu halten sein. 17 Prozent der ursprünglichen Waldfläche sind bereits verschwunden.
Wie Wissenschaftler herausfanden, könnte ein Verlust von etwa einem Viertel des Waldes im Amazonasbecken ausreichen, um den Kipppunkt zu erreichen. Werde dieser überschritten, könnte sich ein Großteil des Amazonasgebiets in eine Savanne verwandeln. Infolgedessen entstünden riesige Wüsten. Dürre und Trockenheit, die Experten dem Klimawandel und den Abholzungen zuschreiben, werden dann zunehmen, nicht nur am Amazonas, sondern weltweit
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