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Russlands Krieg gegen YouTube: Folgt man Nordkoreas Beispiel?

Roland Bathon

YouTube-Studio. Bild: Hideya HAMANO / CC BY-NC-ND 2.0 Deed

YouTube ist das letzte frei verfügbare, westliche soziale Netz in Russland. Das könnte enden. Aber Moskau plant weit mehr. Interview mit russischen Internet-Kennern.

Als die Invasion der Ukraine begann, wurde sehr schnell klar, dass der Kreml nun auch im Internet radikal vorgehen würde, um die totale Meinungshoheit zu erlangen. Es ist im Politestablishment bekannt, dass sich die jüngeren Russen vermehrt im Web, darunter auf kritischen Social-Media-Kanälen informieren und nicht im regierungsnahen TV-Programm.

Während andere westliche soziale Netzwerke schnell gesperrt wurden, ist YouTube weiter frei erreichbar, mit sehr breitem Publikum. Doch hat sich die Auseinandersetzung zwischen Russlands Offiziellen und YouTube immer weiter verschärft.

Geldstrafen gegen Google, YouTube verbannt russische Kanäle

Nach Geldstrafen gegen Google wegen der Nichtlöschung von Inhalten werden nun Videoblogger aus Russland, die dort statt auf russischen Alternativkanälen veröffentlichen, auf einer Schwarzen Liste [1] registriert. Auch YouTube hat einige regierungsnahe, russische Kanäle verbannt [2].

Über den aktuellen Krieg zwischen Russlands Behörden und YouTube sprach Telepolis mit Artjom Kosljuk, dem Chef der russischen Internetorganisation RosKomSvoboda [3], und dem bekannten russischen YouTuber Alexandr Plushev [4].

Die russischen Behörden arbeiten aktuell an einer Liste von Videobloggern, die ihre Inhalte nur auf YouTube anbieten. Was ist der Hintergrund?

Artjom Kosljuk: Es wird aktuell ein besonderes Augenmerk auf Blogger gelegt, die offen ihre Meinung zu Themen wie Politik und Religion äußern. In Russland unterliegen soziale Netzwerke einer strengen Kontrolle. Bei Grenzüberschreitungen kommt es zu Verhaftungen, Strafverfahren und Geldstrafen.

Alexandr Plushev: Man meint, man müsse sie zu russischen Plattformen übertragen. Man will Kontrolle vermitteln, dass man sie sperren kann, dass Materialien für eine spätere Strafverfolgung gesammelt werden. Wer nicht wechseln will, wird gewissermaßen zum Feind erklärt.

YouTube einfach populär und leistungsfähig

Macht das aus Sicht der russischen Regierung Sinn?

Alexandr Plushev: Es ist dumm, diese Liste zu veröffentlichen. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes Werbung für interessante Channels.

Aber kann die russische Regierung damit nicht unpolitische YouTuber von der Plattform vertreiben, etwa zum russischen VK-Video?

Alexandr Plushev: Ich glaube nicht. Manche werden dort zusätzlich einen Channel öffnen und was hochladen. Aber keiner will YouTube verlassen, da es im Gegensatz zu VK-Video technisch leistungsfähig ist, schon von den Algorithmen. Dort kann man einfach Publikum schnell erreichen, Geld verdienen. VK Video hat nichts davon, nur die Angst vor Strafe treibt Leute dorthin.

Artjom Kosljuk: YouTube hat keinen starken Konkurrenten. Am beliebtesten ist in der Tat noch VK-Video und gewinnt an Traffic. Studios wechseln dorthin, auch Unterhaltungs-Youtuber. Das wird von den Behörden aktiv gefördert. Wenn es gelingt, wird man YouTube erst drosseln und dann blockieren.

Erst auf russische Kanäle umleiten

Wenn YouTube so mächtig ist, warum hat man den Dienst in Russland nicht schon lange gesperrt?

Artjom Kosljuk: Das war für die Behörden bisher nicht vorteilhaft, man will die Leute und Channels erst ins RuNET locken. Außerdem hat YouTube eine große soziale und wirtschaftliche Bedeutung und das kann zu Problemen führen.

Warum haben regierungsnahe, russische Channels überhaupt ihr Angebot auf YouTube angeboten? Die USA sind für sie ja so etwas wie das personifizierte Böse?

Alexandr Plushev: Weil sie jedes soziale Netzwerk und jede Plattform als Propagandainstrument wahrnehmen. Als Instrument zur Förderung von Putins Standards, als Instrument, um Chaos im Westen zu verbreiten. Und das läuft ja erfolgreich.

Das Todesurteil ist bisher nicht vollstreckt

Werden die Behörden in Russland YouTube dann jetzt schließen, nachdem ihre Kanäle für den Westen blockiert wurden?

Alexandr Plushev: Maria Sacharowa, die Sprecherin des Außenministeriums, sagte, YouTube oder Google hätten ihr eigenes Todesurteil unterzeichnet, als das Konto der Staatsduma gesperrt wurde. Das war im März oder April 2022, wenn ich mich recht erinnere und ist zwei Jahre her.

Das Todesurteil wurde noch nicht vollstreckt. Die technischen Fähigkeiten existieren. Aber da ist noch die mögliche Reaktion der Bevölkerung, denn YouTube ist ein riesiger Dienst, wo oppositionelle Inhalte nur einen kleinen Teil einnehmen und die meisten Dinge nur unterhaltsam oder nützlich sind.

Bereits jetzt nutzen etwa 25 Prozent der Russen VPN-Dienste im Netz [virtuelle private Netzwerke], das ist eine konservative Schätzung, ohne dass YouTube blockiert ist. Wird YouTube blockiert, wird diese Zahl dramatisch ansteigen, vielleicht auf 50 oder 75 Prozent.

Blockade im Zuge einer politischen Krise

Artjom Kosljuk: Ich denke, YouTube wird situativ während einer politischen Krise gesperrt. Denkbar wären etwa Proteste. Ich glaube aber nicht daran, dass das in den kommenden Monaten passiert – vorbereitet wird es von den Behörden natürlich. Ich rechne damit in etwa zwei Jahren oder später.

Alexandr Plushev: Die Behörden betrachten den internen Markt und den externen, also das, was Russland nach außen sendet, getrennt. Man tauscht nicht das Eine gegen das Andere. Wenn YouTube russische Staatsanbieter nicht blockiert hätte, dann würde das den Staat nicht daran hindern, YouTube in Russland zu blockieren.

Die Blockade in Russland hindert die Leute nicht daran, Inhalte im Ausland anzuschauen. Ich denke, es geht ihnen nicht so sehr darum, YouTube zu sperren, sondern eher ein autonomes Internet als Ganzes zu schaffen. Es soll abgekoppelt werden. Bei YouTube, falls noch vorhanden, wird es nur noch eine stark eingeschränkte Form mit einer "weißen Liste" von Kanälen geben. Oder eben nur VK und RuTube.

VPN als Gegenmaßnahme

Sie haben VPN angesprochen. Bereits in Russland gesperrte Inhalte wie Instagram werden ja von vielen dort mithilfe von VPN-Diensten trotzdem konsumiert. Diese Dienste bekämpfen die Behörden ebenfalls mit Sperren und wollen das verstärken.

Artjom Kosljuk: Die Aufsichtsbehörde RosKomNadzor und große Telekommunikationsbetreiber haben bei der Filterung von Daten in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Sie können die Geschwindigkeit von Diensten drosseln oder sie teilweise blockieren.

Dabei gibt es aber Umgehungsmöglichkeiten, etwa legalen Verkehr durch verbotenen ersetzen, Filtersysteme täuschen. Das tun natürlich nicht alle, sondern nur die, die bereit sind, trotz der Netzzensur Anstrengungen für die Verfügbarkeit ihrer Dienste in Russland zu investieren.

Alexandr Plushev: Das ist ein Kampf mit Schwert und Schild, der weitergeht. Es werden bereits Methoden entwickelt, um VPN zu verbessern, die Dienste so einzubetten, dass es nicht direkt als VPN erkennbar ist. Ich denke, dass man jeder Blockade einen Schritt voraus ist.

Dann hätte China ein offeneres Internet

Und wenn Russland, wie schon angedacht, ein internes, abgeschlossenes Internet nach dem Vorbild Nordkoreas installiert?

Alexandr Plushev: Dann würde China ein offeneres Internet haben als Russland, wenn diese Planungen wahr werden. Dann werden die Russen es tatsächlich schwer haben, dann gibt es kein VPN, keine Möglichkeit Sperren zu umgehen.

Es ist die Einschränkung des Internets direkt auf einer technischen Ebene, der der Hardware. Da wird es für die Russen sehr schwer sein, dagegen anzukämpfen. Es wird daran gearbeitet.

Was ist mit Telegram?

Warum wird eigentlich Telegram nicht blockiert? Auch dort gibt es ja viele oppositionelle Inhalte.

Artjom Kosljuk: Den Versuch gab es, aber er war erfolglos. Der Messenger nutzt eine große Zahl von aktiven Cloud-Proxy-Systemen. Man gab deswegen auf, nachdem man viel Geld verbrannt hatte.

Jetzt nutzen weiter viele Regierungspolitiker und Behörden Telegram, um neue Zielgruppen zu erreichen. Sie überwachen auch die Oppositionskanäle.

Ich glaube, das Management von Telegram liefert den Behörden niemanden aus, aber kann Chats natürlich einschränken. Das geschieht aber aktuell nur bei Terroristen oder Cyberbetrügern – politische Fälle sind mir nicht bekannt.

Artjom Kosljuk ist Mitbegründer und Geschäftsführer von RosKomSvoboda, einer russischen Organisation, die sich seit 2012 für digitale Bürgerrechte engagiert

Alexandr Plushev ist ein russischer Journalist, und Politblogger; am bekanntesten ist sein YouTube-Kanal mit 471.000 Abonnenten, auf dem täglich politische Video-Beiträge erscheinen


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Links in diesem Artikel:
[1] https://tass.ru/obschestvo/19946231
[2] https://www.dw.com/ru/youtube-zablokiroval-desatki-rossijskih-kanalov/a-68189548
[3] https://roskomsvoboda.org/en/about/
[4] https://www.youtube.com/@plushev