Russlands NGOs im Papierdschungel

Etliche, in Russland tätige Nichtregierungsorganisationen müssen ihre Arbeit vorerst ruhen lassen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Eine bereits im April diesen Jahres von dem russischen Parlament, der Duma, verabschiedete Gesetzesänderung sieht eine verstärkte staatliche Kontrolle insbesondere ausländischer NGOs vor (Kontrolle der Zivilgesellschaft). Alle in Russland tätigen NGOs mussten sich bis zum 18. Oktober bei den russischen Behörden um eine erneute Registrierung bemühen. 77 NGOs schafften es nicht, die bürokratischen Hürden vor Ablauf der Frist zu nehmen, darunter befinden so namhafte Organisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International.

Bundeskanzlerin Merkel mit dem russischen Präsidenten Putin am 20. Oktober beim EU-Gipfel in Lahti, Finnland. Foto: Prime Minister's Office/Lehtikuva

Viele Gruppen kritisierten den immensen bürokratischen Aufwand, der mit den Registrierungsprozess einherging. Transparency International, eine Organisation, die sich der Korruptionsbekämpfung verschrieben hat, musste den Behörden sämtliche Presseberichte über ihre Arbeit übergeben. Das US-amerikanische Carnegie Endowment for International Peace durfte sich im Rahmen der Registrierung um einen notariell beglaubigten Totenschein des 1919 verblichenen Gründers, Andrew Carnegie, bemühen.

Betroffen sind auch einige deutsche NGOs, in der Regel handelt es sich um Stiftungen deutscher Parteien. Der Vorsitzende der FDP-nahen Naumann-Stiftung, Falk Bomsdorf, musste sogar aus Russland ausreisen, da die russischen Behörden nicht nur der Stiftung keine Lizenz erteilt haben, sondern auch Bomsdorf eine Verlängerung seines Visums verweigerten. Gegenüber der Deutschen Welle berichtete Mattes Bube, der Leiter der russischen Niederlassung der Friedrich-Ebert-Stiftung, über seine Erfahrungen mit dem Registrierungsprozess:

Die Anforderungen, die die Registrierungsbehörden ... verlangen, sind fast nicht fehlerfrei zu erfüllen. … Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es wird einfach nach russischer Elle vorgesehen, was man beibringen muss. Es müssen die Daten sämtlicher Gründungsmitglieder eines Vereins, und die Friedrich-Ebert-Stiftung ist ja ein Verein, beigebracht werden. Die Gründungsmitglieder sind teils verstorben, teils 90jährig, teils verzogen, das heißt, die Wohnadressen sind nicht mehr auffindbar. Sie müssen aber alle angeben werden - Name, Wohnadresse und so weiter. Solche Dokumente werden immer unvollständig sein, das heißt, man wird immer Lücken finden, wenn man jemandem die Registrierung entziehen will.

Im selben Bericht der Deutschen Welle forscht Jens Seigert von der Moskauer Heinrich-Böll-Stiftung nach den Ursachen für das strikte Vorgehen russischer Behörden:

Mir scheint, dass dies eher ein Phänomen der Bürokratie ist, weil die politische Führung seinen Beamten die Aufgabe gestellt hat, die ‚Feinde Russland‘ zu kontrollieren. Als das Gesetz verabschiedet wurde, hieß es, dass es Russland vor der Finanzierung terroristischer Organisationen und illegalem Einfluss von außen schütze.

In gewisser Weise liegt Seigert bei seinen Mutmaßungen gar nicht verkehrt. Das Gesetzesvorhaben zur stärkeren Kontrolle von NGOs wurde in Russland schon 2005 intensiv debattiert. Damals stand die russische Öffentlichkeit noch unter dem Schock der sich wie ein Lauffeuer auf dem postsowjetischen Raum ausbreitenden, „Bunten Revolutionen“, die ein Land nach dem anderen dem russischen Einflussbereich entzogen und prowestliche Kräfte an die Macht spülten, die auf die Integration ihrer Staaten in NATO oder EU hinarbeiten. Schon im November 2003 fand die „Rosenrevolution“ in Georgien statt, hiernach folgten die „Orange Revolution“ (Dezember 2004) in der Ukraine und die „Tulpenrevolution“ in Kirgisien (In allen drei Ländern wurden die Veränderungen "von oben" eingeleitet). Zudem richtete unter dem Eindruck dieser „Revolutionen“ das von einer Kommunistischen Partei regierte Moldawien seinen außenpolitischen Kurs auf Westintegration aus (Die Revolution der orangen Kommunisten).

All die Umstürze wurden von Vorfeldorganisationen westlicher Außenpolitik finanziell, organisatorisch gefördert und mittels einer umfassenden Medienkampagne flankiert. Sehr gut ist die Einflussnahme insbesondere US-amerikanischer NGOs im Fall der Ukraine dokumentiert. "Nichtregierungsorganisationen" wie das National Endowment for Democracy, USAid, Freedom House und das Open Society Institute des Milliardärs George Soros pumpten Millionenbeträge in den Aufbau und die Schulung der „Orangen Revolutionäre“. Über die von Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko auf dem Kiewer Majdan, den Platz der Unabhängigkeit, organisierte Dauerdemonstration wurde in der westlichen Medien ausführlichst berichtet, die Demonstrationen der Anhänger des damaligen Premiers Viktor Juschtschenko fanden in dieser selektiven Berichterstattung kaum Beachtung. Der Sieg der prowestlichen Kräfte, die auf internationalen Druck hin Neuwahlen durchsetzen konnten, wurde vor allem als ein „Sieg der Demokratie“ verklärt. Von der euphorischen Stimmung der „Orangen Revolution“ ist übrigens in der Ukraine nichts mehr geblieben, inzwischen leiten wieder russlandfreundliche Kräfte die Geschicke des Landes - und zwar ganz einfach deshalb, weil sie die Parlamentsmehrheit bilden (Zwischen Verrat und Kompromiss).

Anfang 2005 war die Putin-Administration nicht nur über den zunehmend erodierenden Einflussbereich Russlands besorgt, den Kreml trieb selbstverständlich auch die Sorge um, dass sich eine westlich gesponserte Revolution auch in Russland organisieren ließe. Ein ganzes Maßnahmenpaket, für den sich inzwischen der Begriff der „Gelenkten Demokratie“ etabliert hat, sollte Russland gegenüber sämtlichen, westlich initiierten Destabilisierungsversuchen immunisieren. Zum einen geht der Kreml dazu über, „regierungstreue Oppositionsparteien“ zu gründen und eine kontrollierte, sozusagen „synthetische“ politische Öffentlichkeit zu schafften. Schon 2004 wurde innerhalb der Putin-Administration die Gründung einer eigenen Liberalen Partei debattiert, um ein größeres Wählerspektrum zu erreichen, als es die offizielle Regierungspartei „Vereintes Russland“ tat. Als eine weitere Schöpfung des Kreml gilt die linksnationalistische Vaterlandspartei. Am 28. Oktober wird die Vaterlandspartei in einer Linksallianz mehreren kremltreuer Parteien unter dem Vorsitz von Sergeij Mironow, dem Sprecher des russischen Föderationsrates, aufgehen, um bei den kommenden Dumawahlen 2007 in Konkurrenz zu den Kommunisten zu treten.

Während der westlich finanzierten, „Bunten Revolutionen“ spielten diverse Jugendbewegungen eine entscheidende Rolle – ob nun Otpor in Jugoslawien, Kmara in Georgien, oder Pora in der Ukraine, deren oftmals aus jugendlichen Übermut handelnde Mitglieder konnten mit gewagten Aktion für spektakuläre Bilder in den westlichen Medien sorgen (Die Coca-Cola - Revolutionäre). Am 1. März 2005 wurde folglich in Russland eine neue Jugendbewegung aus der Taufe gehoben, die explizit die Politik Putins unterstützt. „Die Unsrigen“ (Naschi) sollen den vor allem Einflüsse westlicher Kultur in den Jugend zurückdrängen und mit einer gemäßigt patriotischen Agenda das ideologische Vakuum ausfüllen, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion hinterlassen hat.

Das Gesetzespaket, das nun viele der in Russland tätigen NGOs zu einer Zwangspause in ihren Aktivitäten zwingt, gehört eindeutig mit zu diesen „antirevolutionären“ Maßnahmenkatalog des Kreml. Die russischen Dumawahlen finden Ende 2007 statt, einen neuen Präsidenten wird Russland 2008 wählen. Durch diese präventiven Maßnahmen hofft die Putin-Administration, diese Wahlgänge ohne äußere Einmischung durchführen zu können. Bereits im Juni 2005 stellte Präsident Putin öffentlich klar, dass er es ausländischen Mächten niemals erlauben würde, politische Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen in Russland zu finanzieren. Neben dem bürokratischen Hürdenlauf, den die NGOs nun zu nehmen haben, werden deren Finanzierungsquellen aufs sorgsamste geprüft. Das russische Justizministerium fordert deshalb von einer jeden NGO die Anfertigung vollständiger Rechenschafts- und Finanzberichte. Um der Staatsmacht einen Einblick in die geplanten Aktivitäten zu verschaffen, müssen die NGOs zudem einen „Tätigkeitsplan“ für das kommende Jahr vorlegen.

All diese Maßnahmen führen selbstverständlich zu einer Verstärkung autoritärer Tendenzen in der russischen Gesellschaft, doch sind sie auch eine Reaktion auf die Offensive des Westens – insbesondere der USA - im postsowjetischen Raum, der unter dem Banner der „Demokratisierung“ seinen Einflussbereich auszuweiten suchte. Die russische Zivilgesellschaft wird sukzessive eingeengt, weil die westlich finanzierten „Bunten Revolutionen“ sich des zivilgesellschaftlichen Freiraums bedienten, den selbst autoritäre Staaten, wie die Ukraine unter Leonid Kutschma und das Georgien Eduard Schewardnadses boten. Doch mit dieser Erfahrung erodierender demokratischer Freiheiten stehen die Bürger Russlands auch nicht allein dar.

Die Reaktionen des Westens - insbesondere der EU - auf diese Gesetzesverschärfung fielen eher milde aus. Auf dem Gipfel der 25 Staats- und Regierungschefs der EU im finnischen Lahti bemühten sich die Europäer mit mäßigem Erfolg, Putin zu einer langfristigen, vertraglich garantierten, energiepolitischen Kooperation zu bewegen - die Lage NGOs in Russland spielte bei dem Treffen hingegen nur eine untergeordnete Rolle.