Russlands Schattenflotte: Im Rampenlicht des globalen Ölhandels
Ein Frachtschiff auf dem Marmarameer bei Istanbul: Russlands "Schattenflotte" ist gut bekannt
(Bild: Stas Makes Content/Shutterstock.com)
Die "Schattenflotte" Russlands ist zur Lebensader für den Ölexport geworden. Westliche Reedereien halfen beim Aufbau mit Schiffen und Crews. Eine Analyse.
Russlands Schattenflotte fährt durch die Weltmeere – auch dank westlicher Reedereien. Laut Tagesschau sollen es allein im vergangenen Jahr bis zu 1000 Schiffe gewesen sein, die im russischen Auftrag die Ostsee durchquert haben.
Seit dem 24. Februar 2022 wurden die bereits seit Jahren bestehenden Sanktionen gegen Russland massiv verschärft. Mit einem gezielten Wirtschaftsembargo sollte der russischen Wirtschaft die Luft zum Atmen und dem russischen Militär sukzessive Nachschub, Geld und Motivation entzogen werden. Ohne Energieverkauf keine Devisen, ohne Devisen kein Krieg, so die simple taktische Rechnung des Westens.
Der Plan ist gescheitert. Die Sanktionen wurden zum Bumerang – die deutsche Wirtschaft verlor ihren wichtigsten komparativen Kostenvorteil. Billige Energie aus Fernost wurde durch vergleichsweise teure Energie aus LNG- und Frackinggas ersetzt. Die Folge war eine Insolvenz- und Krisenwelle in der deutschen Metall- und Elektroindustrie, allen voran der Automobilindustrie als Leitbranche des deutschen Exportmodells.
Der Output der Sanktionen lässt sich in Insolvenzen messen: Die Zahl der Geschäftsaufgaben pendelt zwischen 20.000 und 25.000: nicht in Russland, sondern in der Bundesrepublik. Wie die Wirtschaftauskunftei Creditreform meldet, brechen immer mehr Unternehmen "unter der Dauerbelastung hoher Energiekosten und der Zinswende zusammen".
Neuer Kurs in Richtung Indien und China
Sorgen, die sich Moskau in dieser Form nicht machen muss: Die angebliche Schattenflotte ist Ausdruck der veränderten geopolitischen Ausrichtung und des Kampfes der Russischen Föderation auf wirtschaftlichem Gebiet gegen den kollektiven Westen.
Zwar ist nach Angaben der Bundeswehr der russische Schiffsverkehr in der Ostsee seit Kriegsbeginn insgesamt zurückgegangen, doch haben im gleichen Zeitraum die Lieferungen und der Verkehr von Öltankern in der Ostsee zugenommen.
Russland exportierte rund 5,5 Millionen Tonnen Öl über seine Häfen. Die Sanktionen haben nicht gewirkt: Ironischerweise musste Russland fast 10 prozentige Kürzungen seiner Energieexporte hinnehmen, die jedoch auf ukrainische Drohnenangriffe zurückgeführt werden können.
Die Passage durch die Ostsee (hier eine Karte) von den russischen Häfen Primorsk und Ust-Luga ist eine Zwischenstation. Die Tanker nutzen sie, um ihre eigentlichen Ziele Indien und China zu erreichen.
Inzwischen nimmt EU-Europa weniger als fünf Prozent der Energieexporte ab, in die klaffende Lücke stoßen der aufstrebende indische Subkontinent und abgeschwächt China. Fast 90 Prozent der Exporte gehen in die beiden Bevölkerungsriesen.
Wie der Standard meldete, wurde Mitte Dezember 2024 der größte Energiedeal der binationalen Geschichte abgeschlossen. Indien zahlt 13 Milliarden Dollar pro Jahr, erhält 500.000 Barrel Rohöl, pro Tag!
Gute Nachrichten für Russland: Indien gilt als der am schnellsten wachsende Energiemarkt der Welt, die aufstrebende Mittelschicht im Kastensystem giert nach Lebensstandard, mit der Verdrängung anderer Marktkonkurrenten wie Saudi-Aramco dürfte die Kriegskasse gut gefüllt sein.
Im Rampenlicht
Russland ist nach den USA der größte Öl- und Gasproduzent. Seine Wirtschaft, die zentrale Kontrolle durch Moskau und sein Militär werden massiv durch die Einnahme von Petrodollars am Leben gehalten.
Der Kreml muss sicherstellen, dass Öl exportiert werden kann; solange es kein ausreichendes Pipelinesystem nach Indien gibt, bleibt der Seeweg lukrativ und die einzige Möglichkeit. Die Existenzgrundlage der "Schattenflotte": Immerhin stiegen die Exporte nach Indien um 60 Prozent und nach China um 11 Prozent.
Nach Spiegel-Informationen gehen von 40.000 Durchfahrten in der Ostsee rund 1.400 auf das Konto der Schattenflotte.
Dabei muss zwischen grauer und schwarzer Flotte unterschieden werden. Als grau gelten laut den Experten von Allianz Commercial Schiffe, deren Eigentumsverhältnisse verschleiert werden.
Ein Beispiel: Der Rohöltanker "Angelica Schulte", ehemals im Besitz der Hamburger Schulte-Gruppe, ging erst 2022 an eine Reederei in Hongkong und transportierte fortan Rohöl aus russischen Ostseehäfen nach Süden. Unter anderen Nationalflaggen, mit multinationaler Besatzung.
Als Schwarze Flotte gelten Schiffe, die zur Tarnung ihre Navigationsgeräte ausschalten, bevor sie in Häfen einlaufen, be- oder entladen.
Nur: Das alles ist öffentlich, die allermeisten Schiffsbewegungen können via Bildschirm verfolgt werden, auch wenn die Ortung kurzzeitig ausgeschaltet ist. Der Begriff der Schattenflotte strahlt jedoch Gefahr aus und kann als propagandistisches Framing einer feindlichen Flotte im Ukrainekonflikt gesehen werden.
Reale Gefahren: Versicherungen und Umwelt
Auch wenn die schwedische Justiz zu dem Schluss gekommen ist, dass die sogenannte Schattenflotte keine Untersee-Datenkabel mehr aus Sabotagegründen durchtrennt (Fall: Vezhen), birgt die Ölversorgungskette reale Gefahren.
Erstens: Die allermeisten Tanker sind in die Jahre gekommen, Havarien drohen. Die Besatzungen sind oft schlecht ausgebildet, notwendige Wartungen finden unregelmäßig statt. In der Regel handelt es sich um bis zu 50 Jahre alte Schiffe – jüngstes Beispiel: in der Straße von Kertsch verunglückten zwei Seeoldtimer, ähnlich vor Rügen.
Die Flotte wird laut der DGAP auf bis zu 17 Prozent der weltweiten Öltanker geschätzt. Ein immenses Gefahrenpotenzial für Mensch und Umwelt. Die Angst vor einer Umweltkatastrophe wächst: Die Folgen wären schwer kalkulierbar. In jedem Fall aber verheerend.
Dies auch deshalb, weil zweitens die Schiffe in der Regel nicht versichert sind. Das liegt an den immensen Kosten (Ölschäden in Milliardenhöhe, Policen unrentabel) und an den Sanktionen. Ein wichtiges Indiz dafür, dass die US-Sanktionen einen Hebel gefunden haben, ist der Anstieg der Charterpreise um fast 10 Prozent.
Handel trotz Feindschaft
Die erschütternden Recherchen der Plattform Shadow Fleet Secrets, einem Konsortium von Journalistinnen und Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks um die Plattform "Follow the Money", belegen Erstaunliches: Westliche Reedereien verkauften Schiffe und vermittelten Besatzungen an russische Unternehmen!
So wurden beispielsweise 230 Schiffe von US- oder europäischen Reedereien zu Höchstpreisen verkauft, elf Tanker allein aus der deutschen Handelsflotte, sieben Firmen aus der EU vermittelten Mannschaften, knapp ein Drittel der Besatzungen stammt von den Philippinen.
Teilweise besetzten Ukrainer die Spitzenpositionen an Bord. Die deutsch-ukrainische Firma Uvis mit Sitz in Berlin soll sogar Verbindungen zur Flotte gehabt haben.
Die angebliche Schattenflotte mit Ziel Indien ist Teil der exportorientierten Wirtschaftsleistung der Russischen Föderation, trägt maßgeblich zu den Staatseinnahmen bei und ist weder im Verborgenen noch geheim. Den westlichen Reedereien dürften ihre Schiffe sehr gut bekannt sein. Krieg ist eben ein Geschäft, Sanktionen und ihre Umgehung sind es auch.