SPD-Chef Schulz: "Ich strebe gar nix an"
Eine Neuauflage der Großen Koalition oder Duldung einer Unions-Regierung? Die SPD ist mitten in der Identitätskrise
Vor einer Woche, nach Abbruch der Jamaika-Verhandlungen, waren Neuwahlen die Option, die als wahrscheinlichste gehandelt wurde, jetzt ist es eine Zusammenarbeit zwischen der Union und der SPD. Wie sie aber aussehen soll, weiß keiner; auch der SPD-Vorsitzende Schulz weiß es nicht:
Ich strebe keine Große Koalition an, ich strebe auch keine Minderheitsregierung an. Ich strebe keine Neuwahlen an. Ich streb gar nix an. Was ich anstrebe: dass wir die Wege diskutieren, die die besten sind, um das Leben der Menschen jeden Tag ein Stück besser zu machen.
Martin Schulz
Schulz hat dies der FAS gesagt. Laut Spiegel-Morgenlage vom Montag ist das eindeutiges Zeichen der Hilflosigkeit, der Überforderung und der Führungsschwäche: "Hier hilft nur ein Rücktritt". Schulz sagte seinen "Ich strebe gar nix an"-Sermon ganz ähnlich dem Bundeskongress der Jusos an diesem Wochenende.
Dort hatte er es mit ausgesprochenen Gegnern der GroKo zu tun: "Wir sind das Bollwerk gegen große Koalitionen" (Merkur). "GroKo ist ganz großer Mist", äußerte) sich der neue Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert. Er bekräftigte seine Auffassung am Montagmorgen dem Bayerischen Rundfunk gegenüber: Am Ende der Großen Koalition habe sich eine "bleierne Schwere" über das politische Leben gelegt. Die SPD müsse nun eigene Zukunftsprojekte definieren und in einen Erneuerungsprozess gehen.
Große Koalition? "Das weiß kein Mensch"
Schulz musste sich am Wochenende gegen die Jusos einen Spielraum verschaffen, also lavierte er. Eine klare Richtungsansage traut er sich offensichtlich nicht zu. Auch von Sigmar Gabriel gibt es keine. Man müsse für eine stabile Lage in Deutschland sorgen, wird er zitiert. Er könne jedoch nicht sagen, ob es für die Lösung dieser Aufgabe eine große Koalition geben werde oder nicht." Das wisse kein Mensch.
Der Minimalnenner zwischen Union und SPD ist augenblicklich, dass man Neuwahlen vermeiden will. Die CDU und vor allem CSU-Chef Seehofer signalisieren Sympathien für die Große Koalition. Der Parteitag der CDU wurde verschoben; jetzt wartet man ab, zu welchen Verhandlungslinien die SPD bei ihrem Parteitag am 7. und 9 Dezember in Berlin kommt.
Umstrittene Kernpunkte wie bei Jamaika
Geht es nach einem Vorschlags-Papier der NRW-SPD an Schulz und Nahles, so gibt es ein paar Kernpunkte: eine Reform der Einkommenssteuer, die untere und mittlere Einkommen entlasten soll; eine "deutlich höhere" Besteuerung höherer Einkommen, auch die Erbschaftssteuer würde wieder in die Debatte gebracht. Ebenso eine Rentenreform "mit dem Ziel, das Rentenniveau zu sichern und perspektivisch auf rund 50 Prozent anzuheben". Als weiterer großer Punkt wird die Einführung der Bürgerversicherung genannt.
Mit der CDU wären Steuerentlastungen für die unteren und mittleren Einkommen zu machen, aber bei der höheren Besteuerung für Besserverdienende und vor allem bei der Erbschaftssteuer würde es sehr schnell "rote Linien" geben. Die Bürgerversicherung komme garn nicht infrage, heißt es aus CDU-Kreisen.
Von SPD-Parteivize Ralf Stegner gab es zudem in sehr dezidierter Form die Erklärung, dass die weitere Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz nicht in Frage käme:
Der Familiennachzug von Eltern und minderjährigen Kindern gehört zu den humanitären Verpflichtungen, bei denen es keine Abstriche geben kann. Das müssen alle wissen, die mit uns reden.
Ralf Stegner
Im Papier der NRW wird auch eine Obergrenze für Flüchtlinge abgelehnt. Man landet also bei Streitpunkten, die maßgeblich zum Scheitern der Jamaika-Gespräche geführt haben.
Lagerstreitigkeiten in der SPD
Schaut man sich darüber hinaus die Tipps für eine SPD-Neuausrichtung an, wie sie von Kritikern der alten GroKo geäußert werden, zum Beispiel von Rainer Land bei Makroskop, so wird ersichtlich, dass es auf dem linken Flügel der Partei noch sehr viel weitergehende Vorschläge gibt (z.B. höhere Löhne, Überarbeitung der Hartz-IV-Reformen, Abbau des Außenhandelsüberschusses, Aufnahme von Krediten für ein Investitionsprogramm zum Einstieg in den ökologischen Umbau,, Ende der Austeritätspolitik, mehr Bürgerbegehren ).
Klar ist, dass solche Forderungen bei der CDU nicht auf viel Gegenliebe stoßen würden (Julia Klöckner mahnte ja schon bei den milderen Ansagen aus der SPD an, die Gespräche "nicht mit weitreichenden Forderungen" zu belasten). Unklar ist, auf welche Mehrheiten die genannten Positionen innerhalb der SPD treffen. Ein klarer Kurs in der "Selbstfindung" zeichnet sich noch nicht ab.
So ist die Lage derjenigen der Sondierungsgespräche nicht unähnlich. Es gibt die Sorge der SPD, ihre Identität durch die Zusammenarbeit mit der Union zu verspielen ("Besser nicht regieren als schlecht regieren"), innerhalb der SPD gibt es Strömungen, die unterschiedliche Vorstellungen von der SPD-Identität haben und es gibt im Findungsprozess niemand, der die Autorität hat, Linien glaubwürdig vorzugeben.