"Sackdoof, feige und verklemmt ..."

Wie der Streit um das Schmähgedicht juristisch ausgehen wird

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Jan Böhmermann nahm Präsident Erdoğans Amoklauf gegen die Extra3-Satire zum Anlass, dem türkischen Staatsoberhaupt eine Lektion über den Unterschied zwischen erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik zu erteilen. Zu diesem Zweck und in diesem Kontext präsentierte Böhmermann als Negativbeispiel zu Anschauungszwecken sein Schmähgedicht. Dieses bestand aus einer Aneinanderreihung von Schmähungen, die definitiv nicht der Political Correctness huldigten und zum Großteil weit unter die Gürtellinie gingen. Am Schluss empfahl er Erdoğan ironisch, gegen ihn mit dem Scherz-Anwalt Christian Witz vorzugehen.

Schmähkritik ist eine ehrverletzende Äußerung, die sich in der bloßen Herabsetzung einer Person erschöpft und keine inhaltliche Meinungsäußerung aufweist. Bloße Deklaration einer Beleidigung als Meinung ("Ich meine, Sie sind ein A********") oder als Kunst reicht nicht, um den Schutz der als Grundrechte garantierten Meinungs- und Kunstfreiheit zu erhalten. Auch die Bezeichnung steindummer, talentfreier Autor für einen prominenten Literaten wurde trotz ihres Charakters als Werturteil nicht als zulässige Meinungsäußerung beurteilt.

Richter mögen keinen Sex mit Tieren

Böhmermann glaubte, seine Gesamtperformance und damit auch das enthaltene Schmähgedicht seien von der Satirefreiheit geschützt, die in Deutschland aus guten Gründen sehr weit geht. Von Satirikern erwartet man sogar, dass Sie regelmäßig die Grenzen austesten. Doch bei Sexualität mit Tieren hört im Gerichtssaal der Spaß häufig auf.

Wegen der Tiraden, in denen Erdoğan u.a. als Z*********** bezeichnet wurde und F****** mit Schafen pflegen soll, haben besorgte Bürger Strafanzeige gegen Böhmermann und Würdenträger des ZDF erstattet, so dass die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht prüft. Vermutlich wird sich die Ermittlung auf den Comedian beschränken, da die Sendeleitung in Mainz wohl keine Kenntnis hatte. Die wäre für ein Vorsatzdelikt wie Beleidigung jedoch erforderlich gewesen.

Um Beleidigungsdelikte tatsächlich zur Anklage zu bringen, bedarf es jedoch eines Strafantrags des hierzu Berechtigten. Bei Beleidigung gewöhnlicher Personen nach § 185 StGB kann dies nur der Betroffene. Allerdings wird Sonnenkönig Erdoğan sich kaum auf das Niveau eines Normalsterblichen herab begeben und persönlich einen Antrag stellen.

Standesgemäßer wäre jedoch die besonders geregelte Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts nach § 103 StGB, da hierzu die türkische Regierung ein Strafverlangen vorlegen müsste. Dann läge der Fall auf diplomatischer Augenhöhe. Statt der Höchststrafe von zwei Jahren sind bei Beleidigung fremder Staatsoberhäupter drei bzw. sogar fünf Jahre Haft vorgesehen. Gefängnisstrafen wegen Beleidigung sind allerdings ohnehin denkbar selten.

Ziegen und Schafe

Unterstellt, es käme wirklich zur Gerichtsfarce, würde es juristisch spannend. Denn Böhmermanns Werk bestand ja nicht nur in der Summierung von Schmähkritiken, vielmehr kritisierte der Comedian Erdoğans versuchte Unterdrückung der hierzulande zweifellos erlaubten Satire von Extra3. Die wiederum kritisiert Erdoğans exzessive Zensur in der Türkei. Damit liegt zweifellos eine satirische Meinungsäußerung Böhmermanns vor, der den Zensurexzess Erdoğans ad absurdum führt. Im Kern ist diese Satire damit definitiv erlaubt.

Doch die Einordnung als Satire oder Kunst reicht noch nicht aus, denn nicht nur die Intention, sondern auch die Form einer Satire muss unter die juristische Lupe. Würde man Satire grenzenlos erlauben, würde das nämlich für alle Freunde der Meinungsfreiheit gelten - und zwar auch für solche, die man vielleicht nicht so mag, denn es steht Gerichten nicht zu, Satire nach Qualität oder politischer Couleur zu beurteilen. So beanspruchen auch etwa NPD-Funktionäre ein Recht auf Meinungsfreiheit, denen man vielleicht nicht jedes Stilmittel zubilligen möchte. Gerade etwa konnte ein AfD-Politiker durchsetzen, Claudia Roth als Mitvergewaltigerin (an Silvester in Köln) bezeichnen zu dürfen. Wie weit möchte man die Grenze des Erlaubten verschieben?

Schweine

Einen ähnlichen Fall hatte das Bundesverfassungsgericht vor 30 Jahren entschieden. So wurde der Karikaturist Rainer Hachfeld 1980 zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt, weil er den damaligen bayrischen Ministerpräsident Franz-Josef Strauß als Schweinchen gezeichnet hatte, das mit einem anderen mit einer Richterrobe bekleideten Schwein kopulierte. Hachfeld sah sich durch die Satirefreiheit und die Kunstfreiheit gedeckt. Insbesondere streitbare Politiker müssten deutlich mehr abkönnen. Die Zeichnung bringe zum Ausdruck, Strauß mache sich die Justiz in anstößiger Weise seinen Zwecken zunutze. Das Bundesverfassungsgericht würdigte in seinem 1987 verkündeten Beschluss zwar anspruchsvoll die Zeichnung als Kunst und legte werkgerechte Maßstäbe an, wertete jedoch in diesem Fall das Persönlichkeitsrecht höher als die Kunstfreiheit:

Gerade die Darstellung sexuellen Verhaltens, das beim Menschen auch heute noch zum schutzwürdigen Kern seines Intimlebens gehört, sollte den Betroffenen als Person entwerten, ihn seiner Würde als Mensch entkleiden. Damit mißachtet der Beschwerdeführer ihn in einer Weise, die eine Rechtsordnung, welche die Würde des Menschen als obersten Wert anerkennt, mißbilligen muß. (…) Zwar genießt der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts keinen generellen Vorrang gegenüber dem Recht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, sondern muß auch im Lichte dieses Grundrechts verstanden werden. Soweit das allgemeine Persönlichkeitsrecht allerdings unmittelbarer Ausfluß der Menschenwürde ist, wirkt diese Schranke absolut ohne die Möglichkeit eines Güterausgleichs. Bei Eingriffen in diesen durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kern menschlicher Ehre liegt immer eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts vor, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch die Freiheit künstlerischer Betätigung nicht mehr gedeckt ist.

Ein Jahr später gewannen die Schweine: Strauß starb nach einer Jagdgesellschaft.

Hunde, Pferde und Wale

Nicht nur die Ehre, sondern auch der Jugendschutz zügelt tierische Äußerungen: 1984 landete das Album "Debil" der Punkband "Die Ärzte" auf dem Index, weil Claudia einen Schäferhund hatte und als jugendgefährdend betrachtet wurde. Außerdem störte die Geschwisterliebe. 1987 berichteten die Ärzte in Claudia II über deren Pferd und schließlich einen Wal. Seit 2004 erlaubt die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien Claudia wieder, mit dem Hund Gassi und Heia zu gehen. Bislang ist nicht zu bekannt, dass sich die Jugend von Böhmermanns Gedicht zu erotischen Handlungen mit Ziegen hätte stimulieren lassen, so dass zumindest von dieser Seite keine Gefahr droht.

Böhmermänner

Ein theoretisch denkbares Verfahren würde sich auf die Frage konzentrieren, ob Böhmermann mit seinen grundsätzlich verbotenen Äußerungen ausnahmsweise doch gerechtfertigt wäre. So billigt die Rechtsprechung ausnahmsweise dann ein sogenanntes Recht zum Gegenschlag zu, wenn der Äußernde eine solche Reaktion im öffentlichen Diskurs nachhaltig provoziert hat. Je nach Angriffsintensität darf man sogar mit scharfen Worten und auch durchaus unsachlich und sogar unter der Gürtellinie reagieren.

Böhmermann war zwar nicht persönlich angegriffen worden, er könnte jedoch darauf verweisen, dass er mit dem sehr streitbaren türkischen Staatschef auf einen Gegner reagierte, der ihn in seiner Profession zur Kritik herausforderte. Noch vor einem Jahr hatten türkische Vertreter am Trauermarsch in Paris Paris teilgenommen und "Nous sommes Charlie"geheuchelt. Ein Diktator, der zuhause Journalisten und Karikaturisten in den Knast steckt und sich dann auch noch erdreistet, Maulkörbe für deutsche Kabarettisten zu fordern, legt sich mit der gesamten Zunft an.

Der Comedian hatte ein Thema kommentiert, das bereits für eine breite Diskussion und Entrüstung gesorgt hatte und jeden aufrechten Streiter für Meinungsfreiheit herausfordern musste. Bei einem solchen Gegner, der über eine ganze Armee gebietet und die Kanzlerin für sich tanzen lassen will, muss einem Kabarettisten das gesamte Arsenal an verbaler Potenz zugebilligt werden. Was ist das für ein erbärmlicher Landesfürst, der zuhause den starken Macker macht und dann wegen einer deutschen TV-Satire Mimimimi winselt? Selbst der Prophet Link auf http://www.heise.de/tp/artikel/43/43833/1.html!

Mit dem Recht zum Gegenschlag sind Gerichte allerdings sehr zurückhaltend, da eine inflationäre Billigung von Grenzverletzung zu einer Verrohung des Diskussionsklimas führen würde. Dennoch wären angesichts der strukturellen Ungleichheit der Gegner und der infamen Verachtung des Diktators vor deutscher Rechts- und Medienkultur insoweit großzügige Maßstäbe angemessen.

Mutti

Doch diese Überlegungen sind eher akademisch, denn zu einem Prozess wird es nicht kommen. Sollte sich nämlich die türkische Regierung tatsächlich zu einem Strafverlangen entblöden, hätte da noch jemand ein Wörtchen mitzureden. Denn für § 103 StGB ist zusätzlich auch eine Ermächtigung der Bundesregierung erforderlich.

Unter deutschen Politikern gilt es als extrem uncool, sich mit Satirikern vor Gericht anzulegen, vielmehr gehören politische Satiren zum Berufsrisiko. Ebenso wenig wie ihre Vorgänger ist Merkel jemals gegen Satiriker vorgegangen, obwohl solche ihr mitunter derbe eingeschenkt hatten. Solcherlei Prozesshanselei erlauben sich hierzulande nur drittklassige Politiker, peinliche ZEIT-Journalisten oder bürgerlich-öde Kabarettisten.

Zwar kann eine diplomatische Staatschefin ihrem Amtskollegen nicht öffentlich in den Rücken fallen, doch die Bundeskanzlerin weiß sehr genau, dass mit einer Anklage kein Blumentopf zu gewinnen wäre. Im Gegenteil würde sich Erdoğan mit einem Festhalten an seinem Zensurversuch nur noch mehr Peinlichkeit und Aufmerksamkeit einhandeln. Wenn sich die Gemüter in ein paar Wochen abgekühlt haben, werden die Diplomaten die Farce so geräuschlos wie irgendwie möglich beilegen.

(Der Autor ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht.)

Von Markus Kompa aktuell im Westendverlag erschienen: Der Politthriller Das Netzwerk.

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