Säkularismus verstehen
Luke Galen über ein neues Forschungsfeld der Psychologie
Luke Galen ist Associate Professor an der Grand Valley State University. Er hat sich auf klinische Psychologie spezialisiert und dort auf Psychologie von Religion und Nicht-Religion - oder wie man es nennen will, wenn jemand nicht religiös ist. Galen macht nämlich darauf aufmerksam, dass Nicht-Glaube mehr ist als nur die Abwesenheit von Glauben. Wir sprachen mit ihm über ein neues Buch, das er zusammen mit Phil Zuckerman und Frank L. Pasquale verfasste.
Herr Galen, Sie schreiben zusammen mit zwei weiteren Autoren das Buch Secular: Understanding Nonreligious People, Institutions, and Societies. Warum erklären Sie ausgerechnet nicht-religiöse Menschen, und nicht eher religiöse Menschen? Finden sich in der amerikanischen Gesellschaft so viele Glaubende, dass Sie Nicht-Glaubende erklären müssen?
Luke Galen: Das Buch über das Nicht-Religiöse ist notwendig, weil bis heute der größte Anteil an gesellschaftswissenschaftlicher Literatur aus der Perspektive "Religion erklären" kommt. Also aus religiöser Normativität. Dadurch wurde Nicht-Religiosität oft als etwas Außergewöhnliches betrachtet. Man erklärte sie, indem man das, was wir über religiöse Menschen wissen, einfach umdrehe. Man betrachtete Nicht-Religiosität als Abwesenheit von Glauben.
Dies sieht man in meinem Forschungsgebiet "Religionspsychologie". So heißen auch auch die meisten Kurse und Lehrbücher. Atheismus kommt kaum vor - und wenn, dann politisch, etwa als marxistischer dialektischer Materialismus oder Ayn-Rand-Objektivismus.
Über Säkularismus als normale "Variante" wurde nur verhältnismäßig wenig geforscht. Und weil die USA stark durch Religion geprägt sind, verlangt es eine Erklärung, wenn Menschen, die in einer solchen Gesellschaft aufwachsen, die soziale Norm später zurückweisen. Viele Atheisten darüber hinaus ursprünglich in einer religiösen Familie aufgewachsen, auch das verlangt nach einer Erklärung.
Ist Religion in Amerika stärker als in anderen "westlichen" Teilen der Welt? Wenn ja: Wie funktioniert das?
Luke Galen: Amerika ist mit seiner starken Religiosität ein klarer Außenseiter unter den Industrienationen. Viele sozialpolitische Theorien haben die Religiosität der USA mit historischen Zusammenhängen zu erklären versucht. Eine zum Beispiel besagt, dass viele frühe Kolonialisten Glaubensflüchtlinge waren wie die Puritaner, die in einer Theokratie leben wollten. Eine andere Theorie besagt, dass, weil unsere Verfassung säkular ist und es keine Staatsreligion gibt, der daraus folgende Wettbewerb zwischen den Mitgliedern der verschiedenen religiösen Gruppen ihre "Vermarktbarkeit" durch kapitalistischen Wettberwerb erhöht hat.
Eine neuere Theorie, warum Religion in Europa Macht verliert und in Amerika beibehält, ist, dass Glaube dazu dient, einen Mangel an stabilen Lebensumständen zu kompensieren - etwa an Kontrolle, Sicherheit, Schutz. Da die USA und Lateinamerika instabiler sind als Nordeuropa und sie immer weniger für den Wohlstand ihrer Bürger sorgen - also für soziale Wohlfahrt - werden Religion und Kirchen auch gebraucht, um für die wirtschaftlichen und psychologischen Bedürfnisse der Bürger zu sorgen und sie zu kompensieren.
Was sollte man denn bei nichtreligiösen Menschen verstehen? Gibt es besondere Charakteristika, die Sie in ihnen sehen? Wenn ja: Welche?
Das hängt von der Analyseebene ab. Auf demografischer oder soziologischer Ebene zum Beispiel sind die nichtreligiösen Menschen im Vergleich zu den Religiösen häufiger männlich als weiblich, häufiger Weiße oder Asiaten als Schwarze oder Hispanics, es leben mehr im Stadtgebiet als auf dem Land, mehr an der Küste als im Landesinneren, sie sind besser ausgebildet, sind öfter jünger und Singles oder unverheiratet, als verheiratet oder geschieden und sie haben weniger Kinder.
Wenn man sich dagegen auf kognitive oder psychologische Charakteristika bezieht, spricht einiges dafür, dass völlig nichtreligiöse Menschen eine Persönlichkeit haben, die offener für neue Erfahrungen oder unkonventionell ist, als traditionell und konventionell. Sie nutzen eher analytische als intuitive kognitive Prozesse. Was ihre akademischen- und Ausbildungsinteressen betrifft, findet man sie eher in den natur- oder gesellschaftswissenschaftlichen Studiengängen als in angewandten Wissenschaften: Soziologie, Ethnologie und Psychologie ziehen weniger religiöse Studenten an als Sozialarbeit, Pflege oder Wirtschaftswissenschaften.
Warum, denken Sie, glaubt jemand oder glaubt eben nicht? Gibt es besondere Gründe dafür, wie etwa in der Persönlichkeit oder im wirtschaftlichen Hintergrund, religiös oder nichtreligiös zu sein?
Luke Galen: Wer in einem religiösen Haushalt aufgezogen wurde und später nichtreligiös wurde, sagt später oft, dass die Antworten der Familienreligion ihn nicht befriedigt hätten. Im Allgemeinen führen Familienkonflikte wie Streit oder Scheidung zu einem religiösen Wechsel in eine Richtung - also zu mehr Religiositä oder einer Bekehrung, ebenso wie zu geringerer Religiosität oder Apostasie.
Wie funktionieren diese Gründe? Haben Sie Unterschiede gefunden?
Luke Galen: Nichtreligiöse Menschen berichten von sich selbst, dass sie oft schon als junge Heranwachsende mehr dazu neigten, religiöse Lehren anzuzweifeln oder in Frage zu stellen - und diese Zweifel haben sich mit der Zeit vergrößert oder zeigten einen Schneeballeffekt. Typischerweise beschränken sich diese Zweifel nicht auf ein Gebiet (wie etwa oberflächliche Bedenken gegenüber spezifischen Doktrinen der Kirche), sondern sie sind von tieferer Art - zum Beispiel: Warum sollte ein Gott das Leiden zulassen? Kann Wissenschaft das Universum besser erklären?
Es gibt sehr unterschiedliche Arten des Glaubens - etwa protestantischer, katholischer, evangelikaler, fundamentalistischer Glaube. Fanden Sie auch unterschiedliche Arten des Nicht-Glaubens? Welche?
Luke Galen: Ja. Mein Forschungsgebiet soll Unterschiede zwischen Subtypen von Nichtglauben definieren. Zum Beispiel ordnen sich manche Nichtreligiöse selbst als völlig atheistisch ein und sind aktiv säkular. Zum Beispiel definieren sie sich selbst im Gegensatz zur Religion. Andere sind vielleicht nur nicht mit einer bestimmten Religion verbunden und haben über religiöse Fragen im Allgemeinen nicht besonders nachgedacht.
In anderen Worten, sie sind vielleicht teilnahmslos oder indifferent. Es gibt so einen populären Satz: "spirituell, aber nicht religiös" - allerdings macht das Probleme, weil man "spirituell" nicht so einfach definieren kann. Allgemein gesagt: Wenn man diese Typen auf einem Kontinuum zwischen einerseits stark religiös und involviert in religiöse Gruppen (wie zum Beispiel eine Kirche) und auf der anderen Seite stark atheistisch und aktiv säkular ansiedeln könnte, dann würde ich vermuten, dass die in der Mitte schwach oder indifferent religiös sind oder "Ich weiß nicht" auf einen Fragebogen schreiben würden.
Meinen Untersuchungen zufolge gibt es oft interessante Beziehungen auf diesem Kontinuum. Zum Beispiel sind sowohl stark religiöse als auch stark nicht-religiöse Menschen gleichermaßen mental gesund. Vielleicht, weil beide starke Überzeugungen haben und in ihren sozialen Gruppen aktiv sind. Vielleicht, weil Menschen in der Mitte unsicher sind oder kein Vertrauen haben, oder sie haben an andere Sachen zu denken als Religion. Oder sie glauben an Gott, aber ihnen fehlt der Mut für ihre Überzeugungen.
Zum Beispiel gab es eine interessante Untersuchung von Oliner und Oliner, nach der jene Menschen, die dabei halfen, im Zweiten Weltkrieg Juden zu retten, tendenziell entweder sehr religiös oder aber völlig unreligiös waren, wohingegen sich diejenigen, die Juden nicht halfen, irgendwo in der Mitte befanden. Diese Autoren erklärten das damit, dass starke Überzeugungen in jedwede Richtung halfen, den sozialen Konventionen zu widerstehen und das Richtige zu tun.
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