Säuberungspläne in Israel: "Einzigartige Chance, Gaza komplett zu evakuieren"

Nach Bombardierungen Israels auf Gaza-Wohngebiet. Bild: Screenshot Democracy Now

Israelische Denkfabrik sieht in Hamas-Angriff historischen Moment. Es ist nicht das einzige Papier, das ethnische Säuberung vorschlägt. Was die Pläne wollen.

Am ersten Tag nach dem Hamas-Angriff, bei dem 1.400 Menschen in Israel getötet wurden, und dem Start von Israels Bombardierung des Gazastreifens warnte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu die 2,3 Millionen palästinensischen Einwohner der Enklave eindringlich: "Leave now", "Geht jetzt", denn das israelische Militär werde "überall mit Gewalt operieren".

Netanjahu wusste natürlich, als er das sagte, dass die Gaza-Bewohner nirgendwo hin fliehen konnten. Selbst der Rafah-Übergang nach Ägypten war geschlossen.

Im Verlauf der Gaza-Bombardements ordnete Israel den Palästinensern, die im Nordteil des Gazastreifens leben, an, sich von dort zu entfernen. Daraufhin flohen rund eine Million Bewohner in den Süden, während die Bombardierung weitergeht und erste israelische Soldaten und Panzer in den Norden vorrückten.

Zusammen mit der Totalblockade, die trotz einiger weniger Lkw-Lieferungen weiter besteht, hat das eine humanitäre Katastrophe in Gaza erzeugt. Bisher sind mindestens 8.306 Palästinenser, 40 Prozent davon Kinder, getötet worden. Die Situation wird von Tag zu Tag schlimmer.

Die israelisch-jüdische Haaretz-Korrespondentin Amira Hass hat darauf hingewiesen, dass die massive und unterschiedslose Bombardierung der Enklave (darunter Schulen, Krankenhäuser, Wohnhäuser) nicht allein eine aus Rache gespeiste Reaktion sei. Sie folge dem Plan ("decisive plan") der faschistischen, rechtsgerichteten Siedlerpartei unter der Führung von Bezalel Smotrich – ein Plan mit dem Titel "One Hope".

Danach gebe es nur einen Ausdruck nationaler Selbstbestimmung "westlich des Jordan-Flusses: den der jüdischen Nation". Die Palästinenser müssten akzeptieren, dass sie niemals einen Staat haben, niemals frei und selbstbestimmt leben werden.

Dieses Recht wird ihnen von der internationalen Gemeinschaft und internationalem Recht seit Jahrzehnten jedoch eingeräumt und garantiert. Doch bis heute verweigert Israel, unterstützt von den USA und europäischer Duldung, auf allen Ebenen die Umsetzung.

Die Palästinenser könnten, so der Plan, in einem Großisrael als Menschen ohne nationale Rechte leben, also de facto als Menschen fünfter oder sechster Klasse. Oder sie emigrieren freiwillig. Wenn sie dem nicht Folge leisteten und sich widersetzten, werde das israelische Militär mit "starker Hand" und mit entsprechenden Vorkehrungen hart durchgreifen.

Für Hass setzt die Netanjahu-Regierung diesen Plan nun um.

Aber das ist nicht der einzige Plan, der ein "Verschwinden der Palästinenser" aus Palästina anvisiert. Es sind zwischenzeitlich, während der bereits drei Wochen andauernden israelischen Gaza-Bombardierungen, zwei weitere Pläne in Israel bekannt geworden, die die ethnische Säuberung des Gazastreifens als Lösung vorschlagen.

Seltene Gelegenheit: Wie realistisch ist eine komplette Säuberung?

Das Misgav Institute for National Security & Zionist Strategy, eine israelische Denkfabrik, veröffentlichte vor Kurzem ein Positionspapier, in dem es heißt, dass dank der brutalen Hamas-Angriffe vom 7. Oktober "derzeit eine einzigartige und seltene Gelegenheit besteht, den gesamten Gazastreifen zu evakuieren". In dem Bericht, über den die Nachrichtenmagazine Mondoweiss und The Intercept in den USA informiert haben, heißt es:

Es besteht kein Zweifel daran, dass für die Verwirklichung dieses Plans viele Bedingungen gleichzeitig erfüllt sein müssen. Im Moment sind diese Bedingungen gegeben, und es ist unklar, wann sich eine solche Gelegenheit wieder ergibt, wenn überhaupt.

Nach der israelischen Denkfabrik soll Gaza komplett ethnisch gesäubert werden, während man Ägypten dafür bezahlt (20 bis 30 Milliarden Dollar), die früheren Gaza-Bewohner in leeren Wohnungen nahe Kairo unterzubringen.

Das Misgav Institute wird von Mair Ben Shabbat geleitet. Er war vier Jahre lang Israels Stabschef für nationale Sicherheit, nachdem er 2017 von Premierminister Benjamin Netanjahu in diese Position berufen worden war. Zuvor war er ein hoher Beamter des israelischen Geheimdienst Schin Bet. Auch andere prominente Vertreter der israelischen Regierungen haben am Institut Ämter übernommen.

Die israelische Nachrichtenmagazin Calcalist berichtet zudem in einem Artikel über ein Dokument, das eine ähnliche Strategie im Auge hat und ethnische Säuberungen propagiert. Es trägt das offizielle Logo des israelischen Ministeriums für Nachrichten- und Geheimdienste, Militärnachrichtendienst und Militärgeheimdienst, angeführt von Minister Gila Gamliel (Likud).

Im Artikel auf Palestine Chronicle zu dem Dokument heißt es, dass in Ägypten dabei eine Sicherheits- bzw. Pufferzone über "mehrere Kilometer breit" errichtet werden soll. Das würde bedeuten, dass ägyptisches Territorium besetzt werden müsste, um die zwangsdeportierten Palästinenser daran zu hindern, in ihre Heimat zurückzukehren.

Wie der Journalist und Nahost-Kenner, Robert Inlakesh, jedoch einwendet, müssten solche Pläne der ethnischen Säuberung große Hindernisse überwinden. Der ägyptische Präsident Abdel-Fattah al-Sisi ist vehement gegen jegliche Aufnahme und Zeltlager im Sinai für Gaza-Vertriebene. Zudem würde die Hisbollah im Libanon in Reaktion auf die Säuberung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Krieg vom Norden aus starten.

Realistischer scheint da, dass Israel versuchen wird, den Nordteil Gazas abzukoppeln und keine Rückkehr der Palästinenser dorthin zuzulassen. Der an sich schon extrem dicht besiedelte Gaza-Käfig (de facto ohne gesicherten Ausgang für seine Bewohner) würde dann mehr oder weniger halbiert. Man muss kein Nahost-Experte sein, um sich auszumalen, was das für Palästinenser und die Region insgesamt bedeuten würde.