Sars-CoV-2: Den Anfängen auf der Spur

Seite 3: Was landet auf dem Tisch?

Die chinesische Esskultur ist bekannt dafür, dass alle möglichen Lebewesen auf die Speisekarte (und auf den Tisch) gelangen können, Tiere, die laufen, kriechen, schwimmen oder fliegen. Auch Fledertiere gehören dazu.

Laut einer Studie, die im Juni 2021 in Scientific Reports veröffentlicht wurde, wurden zwischen Mai 2017 und November 2019 38 Wildtierarten, darunter 31 geschützte Arten, auf den Nassmärkten von Wuhan (Huanan Seafood Market, Baishazhou Market, Dijiao Outdoor Pet Market und Qiyimen Live Animal Market) verkauft - als Lebensmittel und als Haustiere.

Die Studie nannte als eines ihrer Ziele "to better understand and mitigate any role that may have been played by the illegal wildlife trade (IWT) in China, in initiating this pandemic".

Zu den aufgeführten Arten zählen außer Marder- bzw. Waschbärhunden eine Reihe weiterer Exoten, etwa der Amur-Igel (Mandschurischer Igel), sibirische Wiesel, Schweinsdachse (Riesendachse), Asiatischer Dachs, chinesische Hasen, Pallas-Eichhörnchen (ein mittelgroßes Baum-Eichhörnchen), Palm-Zibetkatzen (Masked Palm Civets, lat. Paguma larvata), chinesische Bambusratten, malaiische Stachelschweine, Coypu (Nutria), Murmeltiere, Rotfüchse, Nerze, rote Eichhörnchen, Wildschweine und komplexzahnige Flughörnchen.

Die zum Verkauf angebotenen Wildtiere litten, wie von Beobachtern immer wieder berichtet wurde, unter schlechten Tierschutz- und Hygienebedingungen und waren in der Lage, eine Vielzahl von ansteckenden Zoonosekrankheiten oder krankheitsübertragenden Parasiten zu beherbergen.

Kurzer Rückblick: Im Fall von Sars (Severe Acute Respiratory Syndrome) wurden auf den Märkten für lebende Säugetiere über viele Monate hinweg infizierte Tiere verkauft und es konnte eine zoonotische Übertragung als Ursache festgestellt, d.h. Übertragungen vom Tier auf den Menschen konnten nachgewiesen werden. Sars wurde auch die "erste Pandemie des 21. Jahrhunderts" genannt.

Was jedoch den Huanan-Markt oder einen anderen Markt für lebende Tiere in Wuhan als Hotspot betrifft, wurden relevante Informationen nicht rechtzeitig gesammelt, mit anderen Worten: Es wurde im Zeitfenster vor der Schließung des Marktes (das war am 1. Januar 2020) nicht auf Sars-CoV-2-verwandte Viren untersucht. Somit bleibt die Rekonstruktion, für die Woroney sich starkmacht, ein wichtiges Arbeitsgebiet - und eine starke Herausforderung.

Hat man aus Sars und Mers gelernt?

Im Kontext des Ausbruches von Sars kam es nach 2002 zu einer wahren Flut von Studien zu den drängenden Fragen, die im Raum standen. Das Geschehen zu erklären und dem Erreger auf die Spur zu kommen, wurde zum Gegenstand dutzender Untersuchungen namhafter Experten rund um den Globus. Das Schwere Akute Respiratorische Syndrom ist eine virale Atemwegserkrankung, die durch das sogenannte Sars-assoziierte Coronavirus (Sars-CoV), verursacht wird.

Von Zibetkatzen (eher bekannt als "Schleichkatzen") war in den Jahren 2002/2003 das Sars-Coronavirus ausgegangen. Eine Veröffentlichung von 2005 in Science zeigte, dass im Fall von Sars zwei Mutationen ausschlaggebend dafür waren, von Palm-Zibetkatzen auf Menschen überzugehen.

Später gelang es Forschern, auch die zwei kritischen Mutationen zu identifizieren, die es Mers (Middle East Respiratory Syndrome) ermöglichen von Fledermäusen auf Menschen zu übertragen. Die Ergebnisse wurden im Journal of Virology veröffentlicht. Mers wurde erstmals 2012 in Saudi-Arabien, nachgewiesen.

Anders als bei den zwei Mutationen, die in Mers identifiziert wurden, erlaubten die zwei Mutationen, die in Sars identifiziert wurden, dem Virus, an den menschlichen Rezeptor mit deutlich erhöhter Affinität zu binden. Insofern haben Mers und Sars zwei verschiedene evolutionäre Strategien verwendet, um effiziente Infektionen menschlicher Zellen zu ermöglichen. Sars und Mers wurden von kritischen Stimmen immer wieder als Warnungen bezeichnet.

Zurück zum Marktgeschehen von Wuhan: Das chinesische Center for Disease Control (CCDC) fand in 33 von 585 an verschiedenen Stellen des Huanan-Marktes genommenen Proben eine Evidenz für die Präsenz des Virus, unter anderem an Wildfleisch-Ständen.

Da auf dem Markt keine Fledertiere verkauft wurden, in Wuhan kaum Fledertiere vorkommen und diese sich überdies im Dezember im Winterschlaf befinden, wurde vermutet, dass ein Zwischenwirt, zum Beispiel ein Schuppentier (Pangolin), die Übertragung auf den Menschen bewirkt haben könnte. In der Annahme, dass es sich vermutlich um ein Wildtier gehandelt habe, wurde in China der Genuss von Wildtierfleisch verboten.

Die monatelangen Spekulationen, dass es sich beim Ausbruch des Virus auch um einen Laborunfall gehandelt haben könnte, waren auch durch die Festlegung auf den Buchhalter als ersten dokumentierten Patienten genährt worden. Bis heute führt die Frage nach dem genauen Ursprung zu Spannungen zwischen China und anderen Ländern, da die Regierung in Peking sich wenig kooperativ zeigt.

Die Theorie des mehrfachen Übergangs

Nun häufen sich die Stimmen, die dafür sprechen, dass Tiere mit einem Sars-CoV-2-Vorläufer als Infektionsquelle infrage kommen – Tiere, die durch Wuhan transportiert worden sind und Menschen infiziert haben können, womöglich mehrere Tiere unterschiedlicher Arten. Woroneys Untersuchungen dürften ihren Teil zu dieser These beitragen.

Eine im September im Fachorgan Nature publizierte Studie (Nature 597, 2021) geht näher auf die ersten Virensequenzen ein, die von Ende 2019 und Anfang 2020 infizierten Personen stammen. Diese lassen sich in zwei große Linien aufteilen, die als A und B bezeichnet wurden und sich genetisch deutlich unterscheiden.

Die Schlussfolgerung: Sars-CoV-2, das Virus, das Covid-19 verursacht, könnte mehrfach vom Tier auf den Menschen übergegangen sein. Angesichts der begrenzten genomischen Daten aus der Frühphase der Pandemie gelten auch die hier vorgelegten Befunde freilich als vorläufig.

Waschbär- oder Marderhunde, die wegen ihres Fells zur Herstellung von Mänteln, Jacken usw. sehr begehrt sind, sind erwiesenermaßen anfällig für Coronaviren. Die Tiere werden lebendig gehäutet und das Fleisch wird ebenfalls verkauft. Ihre Rolle als Reservoir für Viren, aber auch ihre spezifische Rolle als Lieferant von Fellen, macht die jüngsten Untersuchungen spannend. Sie führen zu den Märkten in Wuhan.

Kriminelle Syndikate, wohlhabende Kunden

Reisende Verkäufer von geschützten Tieren hatten Wuhan auf ihrer Route, schrieb das Magazin FPMag unter Berufung auf die Exfreundin eines Kriminellen. Kriminelle Syndikate würden Lebendtiermärkte in ganz Asien beliefern, ein lukratives Geschäftsmodell. Die Wildtiere werden illegal beschafft, und auch für die lokalen Behörden zahlt sich die Sache aus.

Niemand hat im November 2019 eine Probe von einem Waschbärhund genommen (got a specimen from a raccoon dog in November 2019), der auf dem Huanan-Markt zum Verkauf stand.

Dr. Nassima al Amouri, die als Klinikärztin und medizinische Direktorin im Nahen Osten arbeitet und die sich gegen Fleischkonsum und Tierquälerei im Kontext des Klimawandels engagiert, ergänzt zum Thema:

Wohlhabende amerikanische Frauen und Männer könnten für den Ausbruch von COVID-19 verantwortlich sein. Sie sind die treibende Kraft hinter der Jagd auf Waschbärhunde in China zur Herstellung von Fendi-Mänteln, -Jacken und -Stolen und dem Häuten der Tiere bei lebendigem Leibe, um eine bessere Qualität der Pelze zu erreichen.

Dr. Nassima al Amouri, RINJ Foundation

Ein ernüchterndes Statement. Das grausame, brutale Abschlachten von Tieren zur menschlichen Ernährung bzw. für Delikatessen, die in Amerika und China sowie an vielen anderen Orten rund um den Globus nachgefragt werden, bezeichnet die Ärztin Al Amouri als "mehr als krankhaft".

Michael Woroneys Abstieg in die Aitiologie von Covid-19 fördert auch Einsichten wie diese zutage.