Sars-CoV-2: Den Anfängen auf der Spur

Tatort Wuhan, Provinz Hubei, Dezember 2019: Neuere Untersuchungen rücken dem illegalen Wildtierhandel auf den Pelz. Und werfen Fragen auf, die sich naturwissenschaftlich nicht beantworten lassen

Von Anfang an hatten Spekulationen über die Herkunft von Sars-CoV2 die Runde gemacht. Insbesondere die Laborthese sorgte, mit Unterbrechungen, für Wirbel. Dass es sich bei Corona um ein künstlich hergestelltes Virus handelt, hatte u.a. der Franzose Luc Antoine Montagnier postuliert. Der berühmte Virologe und Nobelpreisträger von 2008 ließ nicht ab, seine Ansicht kundzutun. Für ihn ist das gefährliche Ding ein zusammengeschraubtes Monster.

Ihm widersprach zuletzt eine renommierte Wissenschaftlerin vom Virus-Forschungslabor in Wuhan, die Virologin Shi Zhengli, eine Expertin für Coronaviren bei Fledermäusen. Gegenüber der New York Times wies Shi im Sommer die Theorie eines Corona-Ausbruchs durch einen Laborunfall strikt zurück. "Wie um alles in der Welt kann ich Beweise für etwas vorlegen, für das es keine Beweise gibt?", zitiert die New York Times die chinesische Forscherin.

Der von US-Präsident Joe Biden geforderte Report zum Ursprung des Corona-Virus erbrachte Medienberichten zufolge jedoch zunächst keine eindeutigen Ergebnisse. Die Diskussion riss daraufhin erwartungsgemäß nicht ab. Ende Oktober veröffentlichten die US-Geheimdienste eine aufgefrischte, detailliertere Version ihrer Recherchen. In dieser neuen Version – eine erste war im August vorgelegt worden – weist das Office of the Director of National Intelligence (ODNI) die auch kursierende Behauptung zurück, das Virus sei als Biowaffe entstanden.

Spurensuche. Im Fokus: Der Huanan-Markt

Ende 2019 kam es auf dem Großmarkt für Meeresfrüchte, dem Huanan Seafood Wholesale Market in Wuhan, Hubei, China, zum Ausbruch einer mysteriösen Lungenentzündung, die durch Fieber, trockenen Husten und Erschöpfung sowie gelegentliche Magen-Darmsymptome gekennzeichnet war.

Der initiale Ausbruch wurde im Dezember 2019 gemeldet, der Markt am 1. Januar 2020 geschlossen, nachdem die örtliche Gesundheitsbehörde am 31. Dezember 2019 den epidemiologischen Notfall ausgerufen hatte. Im darauffolgenden Monat (Januar 2020) wurden Tausende von Menschen in China, darunter viele Provinzen (wie Hubei, Zhejiang, Guangdong, Henan, Hunan usw.) und Städte (Peking und Shanghai), von der grassierenden Ausbreitung der Krankheit befallen.

Weiterhin gelangte sie in andere Länder, wie Thailand, Japan, die Republik Korea, Vietnam, Deutschland, die Vereinigten Staaten und Singapur. Am 11. Februar 2020 bezeichnete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Epidemie offiziell als Coronavirus Disease-2019 (Covid-19).

Eine genaue Rekonstruktion des Geschehens machte sich der Evolutionsbiologe Dr. Michael Worobey an der Universität von Arizona zur Aufgabe (Department of Ecology and Evolutionary Biology, University of Arizona, Tucson).

Worobey, der sich auf die Rückverfolgung von Viren spezialisiert hat, war auf Widersprüche gestoßen, als er bislang bekannte Daten aus Krankenhäusern, Studien und Videointerviews miteinander verglich. In einer im Fachjournal Science veröffentlichten Studie geht er mit neuen Überlegungen auf die Ausgangslage zurück und zeichnet die Ereignisse mit dem zeitlichen Fokus auf die Monate Dezember 2019 und Januar 2020 akribisch nach. Mit einem erstaunlichen Ergebnis.

Die nach Ansicht seiner Studie erste an Covid-19 erkrankte (d.h. nicht die erste infizierte) Person sei eine Meeresfrüchtehändlerin und nicht, wie bislang allgemein angenommen, ein Buchhalter ohne Verbindung zu Huanan gewesen. Huanan ist, wie inzwischen auf der ganzen Welt bekannt sein dürfte, ein Großmarkt in der chinesischen Millionenmetropole Wuhan (Hauptstadt der Provinz Hubei).

In dieser Stadt mit elf Millionen Einwohnern ist die Hälfte der frühen Fälle mit einem Ort von der Größe eines Fußballfeldes verbunden (…). Es wird sehr schwierig, dieses Muster zu erklären, wenn der Ausbruch nicht auf dem Markt begonnen hat.

Michael Worobey im Interview

Der früheste bekannte Fall

Die Händlerin vom Fischmarkt kommt nun als die erste bestätigte Covid-Patientin in Betracht. Sie habe auf dem Markt gearbeitet und am 11. Dezember 2019 Symptome entwickelt. Sie stellt nach Worobey damit den frühesten bekannten Fall dar.

Bisher gingen die meisten Presseberichte davon aus, dass der erste Corona-Fall ein 41-Jahre alter Buchhalter aus der Region gewesen sei. Seine Wohnung lag allerdings mehr als 30 Kilometer südlich des Huanan-Marktes. Die Corona-Symptome dieses Mannes hätten aber wohl etwas später angefangen als die der Fischverkäuferin, legt die neue Studie nahe.

Vorausgegangen waren zu dem Zeitpunkt bereits mehrere Fälle unter Arbeiter:innen des Huanan-Marktes, darunter ein 65-jähriger Lieferwagenfahrer, der am 18. Dezember in die Notaufnahme des Zentralkrankenhauses Wuhan kam. Er war zwischen dem 13. und 15. Dezember erkrankt und sein Zustand war in wenigen Tagen kritisch geworden.

Der Buchhalter dagegen sei um den 16. Dezember 2019 erkrankt. Seine eigenen Aussagen legten nahe, dass er sich beim Pendeln im öffentlichen Nahverkehr oder bei einer Zahnbehandlung im örtlichen Krankenhaus angesteckt hatte, wo er sich fiebrig fühlte und man ihm Antibiotika gab.

Der Huanan-Markt nach der Corona-bedingten Schließung. Bild: China News Service / CC-BY-3.0

Das Virus hatte sich da schon im öffentlichen Leben in Wuhan verbreitet, konstatiert Worobey für diesen Zeitpunkt. Mit einer logischen Schlussfolgerung: Demzufolge könnte der Buchhalter versehentlich als erster Patient identifiziert worden sein. Wie sich darüber hinaus feststellen ließ, war der Mann kurz vor dem Auftreten seiner Symptome noch nördlich des Huanan-Marktes unterwegs gewesen.

Worobey (und später seine Gutachter) widersprechen mit ihren Feststellungen der bisher präferierten Zeitleiste zum Ausbruch des Erregers, die auf eine Untersuchung der WHO zurückgeht. Sie sei fehlerhaft gewesen. Worobeys Betrachtung geht einen Schritt weiter zurück, er fragt danach, was in den Krankenhäusern geschah, die als erste den Ausbruch einer neuen, mysteriösen Krankheit feststellten.

Um diese acht Krankenhäuser geht es:

  • Jinyintan-Hospital (Zentrum für Infektionskrankheiten in Wuhan);
  • Wuhan Central Hospital, Houhu Branch;
  • Hubei Provincial Hospital of Integrated Chinese and Western Medicine (HPHICWM);
  • Wuhan Central Hospital, Nanjing Road Branch;
  • Tongij Hospital:
  • Union Hospital;
  • Zhongnan Hospital (Wuchang-Distrikt von Wuhan, 15 km vom Huanan-Markt entfernt und am gegenüberliegenden Ufer des Jangtse-Flusses gelegen);
  • Wuhan Jiangxia First People's Hospital.

Es dürfte für jedermann ersichtlich sein, dass die Krankenhäuser in den ersten Wochen des Ausbruchs sowohl Fälle mit als auch ohne bekannte Verbindung zum Huanan-Markt behandelten.

Die meisten der frühen symptomatischen Patientinnen und Patienten hatten aber nach Schlussfolgerung der Untersuchung aus Arizona eine Verbindung zu dem Markt; insbesondere zu dem westlichen Teil, in dem Waschbärhunde eingesperrt waren, was die Studie mit Nachdruck hervorhebt.

Von den ersten 41 Personen, die mit einer Lungenentzündung in eines der Krankenhäuser eingeliefert wurden und bei denen bis zum 2. Januar 2020 offiziell eine laborbestätigte Sars-CoV-2-Infektion festgestellt wurde, waren zwei Drittel (66 Prozent) dem Markt ausgesetzt.

Dass die meisten frühen symptomatischen Fälle mit dem Huanan-Tiermarkt in Verbindung gebracht werden konnten, sei, so Worobey, ein "starkes Indiz" dafür, dass die Pandemie auf dem Markt ihren Ursprung hatte.

Nahe an "Ground Zero"

Zwar gebe es bisher keine eindeutigen Beweise, da keine Proben von Tieren vorliegen, die zum Zeitpunkt des initialen Ausbruchs auf dem Markt verkauft wurden. Schließlich sei der Huanan-Markt in der Folge rasch geschlossen und desinfiziert worden. Dies bedeute jedoch nicht, dass das Rätsel um den Ausbruch niemals gelöst werden könne, dies ist jedenfalls Worobeys Erwartung: Schlüssige Beweise könnte man durch die Analyse räumlicher Muster früher Fälle in Wuhan und zusätzlicher Gendaten aus weiteren Proben damaliger Patienten gewinnen.

"Von dieser Anstrengung hängt die Verhinderung zukünftiger Pandemien ab", so der Wissenschaftler, der auf Twitter schrieb:

Fälle, die keine epidemiologische Verbindung zum Markt hatten (nicht dort arbeiteten oder ihn besuchten), sind dennoch stark um den Markt konzentriert. Dies ist ein klares Indiz dafür, dass die Übertragung in die Bevölkerung auf dem Markt oder in dessen unmittelbarer Nähe begann und sich erst später weit über Wuhan ausbreitete.

Michael Worobey, (Übers.: AK)

Alles deutet ihm zufolge also darauf hin, dass die Übertragung in die Umgebung (Öffentlichkeit) rund um den Markt im Dezember 2019 stattfand – mit dem Lebendtiermarkt als Keimzelle der Pandemie. Eine der Studie beigeordnete Karte mit den Lokalitäten von "Ground Zero", darunter das Umfeld der aufgezählten Krankenhäuser, stellt die Zusammenhänge grafisch dar; sie basiert auf einer Datensatzgruppe von 174 Covid-19-Fällen in und um Wuhan (abzurufen in der Studie).

Die oben erwähnten 41 Früh-Erkrankten waren zwischen dem 29. Dezember 2019 und dem 2. Januar 2020 von anderen Krankenhäusern in das Jinyintan-Krankenhaus, das wichtigste Zentrum für Infektionskrankheiten in Wuhan, verlegt worden. Worobey betont, dass die erkrankten Personen aufgrund ihres klinischen Zustands und nicht aufgrund epidemiologischer Zusammenhänge im Jinyintan-Hospital aufgenommen wurden.

Am 28. Dezember hatte eine andere der örtlichen Kliniken, das Zentralkrankenhaus von Wuhan (Wuhan Central Hospital), sieben weitere Fälle diagnostiziert, von denen sich herausstellen sollte, dass vier mit dem Huanan-Markt in Verbindung standen.

Eine Timeline der Schlüsselereignisse (A timeline of key events in the early days of the pandemic) ist als Supplement zur Studie auf Science abrufbar. Die Auflistung umfasst den Zeitrahmen vom 18. November 2019 bis 20. Januar 2020.

Die meisten Infektionen blieben unbemerkt

Aber wer von den früh Infizierten landete überhaupt in einem Krankenhaus? Die Studie aus Arizona weist richtigerweise darauf hin, dass lediglich um die sieben Prozent der Sars-CoV-2-Infektionen überhaupt zu einer Krankenhauseinweisung führten; die meisten Infektionen vom Dezember 2019 blieben also auf jeden Fall unbemerkt.

Der Indexfall ("Patient Null") gehörte höchstwahrscheinlich zu den 93 Prozent, die nie in ein Krankenhaus kamen. Theoretisch könnte es einer von Hunderten von Arbeiter:innen gewesen sein, die – sei es auch nur kurzzeitig – mit dem Marktgeschehen in Kontakt standen bzw. gekommen waren. Und das heißt genau hier, in Huanan, mit infizierten lebenden Säugetieren.

Da sich der Ausbruch von Mensch zu Mensch ausbreite, sei es anzunehmen, dass es sich bei den frühen Fällen nicht unbedingt um Personen handeln müsse, die direkt mit dem Wildtierhandel zu tun hatten, gibt die Studie zu bedenken. Es ist zunächst der Huanan-Markt als initialer Spreader, der von Interesse ist:

Die Tatsache, dass so viele der mehr als 100 Covid-19-Fälle vom Dezember, bei denen kein epidemiologischer Zusammenhang mit dem Huanan-Markt festgestellt wurde, dennoch in dessen unmittelbarer Nähe lebten, ist bemerkenswert [hier folgt ein Verweis auf die Abbildung] und liefert einen überzeugenden Beweis dafür, dass die Übertragung in die Bevölkerung auf dem Markt begann.

Science

Leider wurde kein lebendes Säugetier, das auf dem Huanan-Markt oder einem anderen Markt für lebende Tiere in Wuhan gesammelt wurde, auf Sars-CoV-2-verwandte Viren untersucht, und der Huanan-Markt wurde, wie schon dargelegt, am 1. Januar 2020 geschlossen und desinfiziert.

Der Waschbärhund

Die neuen Anhaltspunkte rund um das Marktgeschehen von Huanan und die frühesten Stadien der Seuchenausbreitung untermauern die These, dass das Virus auf dem Tiermarkt (von mehreren Märkten?) der Millionenmetropole auf den Menschen übergesprungen ist.

Lebende Säugetiere, die für Coronaviren empfänglich sind, einschließlich Waschbärhunde (Nyctereutes procyonoides), wurden vor der Pandemie auf dem Huanan-Markt und drei anderen Märkten für lebende Tiere in Wuhan verkauft.

Michael Worobey

Christian Drosten hatte bereits im Juni im NDR-Podcast den Marderhund im Kontext der chinesischen Felltierzüchtung als möglichen Zwischenwirt ins Gespräch gebracht.

Forscher des Friedrich-Loeffler-Instituts in Deutschland führten eine Studie durch, in der nachgewiesen wurde, dass Waschbärhunde ein potenzieller Zwischenwirt sind. Und auch die Berichterstatter (Reviewers) der Worobey-Studie sind sich einig:

(…) mehrere Arbeiter, die auf dem Huanan-Markt (…) Waschbärhunde verkauften oder auslieferten, [waren] laut CT-Scans und anderen medizinischen Nachweisen die ersten infizierten Patienten.

Dies bestätigten offenbar auch Nachuntersuchungen einer vertrauenswürdigen Person der ersten Stunde, und zwar von Sara Qin, einer Krankenschwester aus Wuhan, die vor Ort war, als der erste Ausbruch in Hubei bekämpft wurde.

Die Arbeit Michael Woroneys lenkt den Blick zwei Jahre nach der Initialzündung von Covid-19 nun erneut auf die Lebendtiere als Quelle bzw. Verstärker des Geschehens.

Der Verkauf von lebenden Tieren, der auf dem Huanan-Markt stattfand, würde die große Zahl von Infektionen in einem Umkreis von wenigen Kilometern um diesen Ort erklären. Die Tatsache, dass die meisten frühen symptomatischen Fälle mit dem Huanan-Markt in Verbindung gebracht werden konnten, ist Woroney zufolge ein deutlicher Wegweiser auch für künftige Untersuchungen.

Auch die Gutachter, die Woroneys Timeline und seine Schlussfolgerungen aus der Genealogie der Ereignisse überprüften, gelangten letztendlich zurück auf den Ausgangspunkt "Wildtiermarkt".

Hier, im westlichen Teil des Marktes, gerät der Waschbärhund (Nyctereutes viverrinus) in den Fokus, der als Vermittler von Covid-19 zwischen Fledermäusen und Menschen verantwortlich gemacht wird.

Der Marder- oder Waschbärhund (auch Enok oder Tanuki genannt) aus der Ordnung der Raubtiere gehört zur Familie der Hunde. Das Tier ähnelt einem Waschbären, besonders durch die Zeichnung des Gesichts, daher der Name. Es ist ein Allesfresser: Kleine Säugetiere, Vögel, Frösche, Schnecken und Insekten kommen ihm ebenso zupass wie Gelege oder Beeren.

Was landet auf dem Tisch?

Die chinesische Esskultur ist bekannt dafür, dass alle möglichen Lebewesen auf die Speisekarte (und auf den Tisch) gelangen können, Tiere, die laufen, kriechen, schwimmen oder fliegen. Auch Fledertiere gehören dazu.

Laut einer Studie, die im Juni 2021 in Scientific Reports veröffentlicht wurde, wurden zwischen Mai 2017 und November 2019 38 Wildtierarten, darunter 31 geschützte Arten, auf den Nassmärkten von Wuhan (Huanan Seafood Market, Baishazhou Market, Dijiao Outdoor Pet Market und Qiyimen Live Animal Market) verkauft - als Lebensmittel und als Haustiere.

Die Studie nannte als eines ihrer Ziele "to better understand and mitigate any role that may have been played by the illegal wildlife trade (IWT) in China, in initiating this pandemic".

Zu den aufgeführten Arten zählen außer Marder- bzw. Waschbärhunden eine Reihe weiterer Exoten, etwa der Amur-Igel (Mandschurischer Igel), sibirische Wiesel, Schweinsdachse (Riesendachse), Asiatischer Dachs, chinesische Hasen, Pallas-Eichhörnchen (ein mittelgroßes Baum-Eichhörnchen), Palm-Zibetkatzen (Masked Palm Civets, lat. Paguma larvata), chinesische Bambusratten, malaiische Stachelschweine, Coypu (Nutria), Murmeltiere, Rotfüchse, Nerze, rote Eichhörnchen, Wildschweine und komplexzahnige Flughörnchen.

Die zum Verkauf angebotenen Wildtiere litten, wie von Beobachtern immer wieder berichtet wurde, unter schlechten Tierschutz- und Hygienebedingungen und waren in der Lage, eine Vielzahl von ansteckenden Zoonosekrankheiten oder krankheitsübertragenden Parasiten zu beherbergen.

Kurzer Rückblick: Im Fall von Sars (Severe Acute Respiratory Syndrome) wurden auf den Märkten für lebende Säugetiere über viele Monate hinweg infizierte Tiere verkauft und es konnte eine zoonotische Übertragung als Ursache festgestellt, d.h. Übertragungen vom Tier auf den Menschen konnten nachgewiesen werden. Sars wurde auch die "erste Pandemie des 21. Jahrhunderts" genannt.

Was jedoch den Huanan-Markt oder einen anderen Markt für lebende Tiere in Wuhan als Hotspot betrifft, wurden relevante Informationen nicht rechtzeitig gesammelt, mit anderen Worten: Es wurde im Zeitfenster vor der Schließung des Marktes (das war am 1. Januar 2020) nicht auf Sars-CoV-2-verwandte Viren untersucht. Somit bleibt die Rekonstruktion, für die Woroney sich starkmacht, ein wichtiges Arbeitsgebiet - und eine starke Herausforderung.

Hat man aus Sars und Mers gelernt?

Im Kontext des Ausbruches von Sars kam es nach 2002 zu einer wahren Flut von Studien zu den drängenden Fragen, die im Raum standen. Das Geschehen zu erklären und dem Erreger auf die Spur zu kommen, wurde zum Gegenstand dutzender Untersuchungen namhafter Experten rund um den Globus. Das Schwere Akute Respiratorische Syndrom ist eine virale Atemwegserkrankung, die durch das sogenannte Sars-assoziierte Coronavirus (Sars-CoV), verursacht wird.

Von Zibetkatzen (eher bekannt als "Schleichkatzen") war in den Jahren 2002/2003 das Sars-Coronavirus ausgegangen. Eine Veröffentlichung von 2005 in Science zeigte, dass im Fall von Sars zwei Mutationen ausschlaggebend dafür waren, von Palm-Zibetkatzen auf Menschen überzugehen.

Später gelang es Forschern, auch die zwei kritischen Mutationen zu identifizieren, die es Mers (Middle East Respiratory Syndrome) ermöglichen von Fledermäusen auf Menschen zu übertragen. Die Ergebnisse wurden im Journal of Virology veröffentlicht. Mers wurde erstmals 2012 in Saudi-Arabien, nachgewiesen.

Anders als bei den zwei Mutationen, die in Mers identifiziert wurden, erlaubten die zwei Mutationen, die in Sars identifiziert wurden, dem Virus, an den menschlichen Rezeptor mit deutlich erhöhter Affinität zu binden. Insofern haben Mers und Sars zwei verschiedene evolutionäre Strategien verwendet, um effiziente Infektionen menschlicher Zellen zu ermöglichen. Sars und Mers wurden von kritischen Stimmen immer wieder als Warnungen bezeichnet.

Zurück zum Marktgeschehen von Wuhan: Das chinesische Center for Disease Control (CCDC) fand in 33 von 585 an verschiedenen Stellen des Huanan-Marktes genommenen Proben eine Evidenz für die Präsenz des Virus, unter anderem an Wildfleisch-Ständen.

Da auf dem Markt keine Fledertiere verkauft wurden, in Wuhan kaum Fledertiere vorkommen und diese sich überdies im Dezember im Winterschlaf befinden, wurde vermutet, dass ein Zwischenwirt, zum Beispiel ein Schuppentier (Pangolin), die Übertragung auf den Menschen bewirkt haben könnte. In der Annahme, dass es sich vermutlich um ein Wildtier gehandelt habe, wurde in China der Genuss von Wildtierfleisch verboten.

Die monatelangen Spekulationen, dass es sich beim Ausbruch des Virus auch um einen Laborunfall gehandelt haben könnte, waren auch durch die Festlegung auf den Buchhalter als ersten dokumentierten Patienten genährt worden. Bis heute führt die Frage nach dem genauen Ursprung zu Spannungen zwischen China und anderen Ländern, da die Regierung in Peking sich wenig kooperativ zeigt.

Die Theorie des mehrfachen Übergangs

Nun häufen sich die Stimmen, die dafür sprechen, dass Tiere mit einem Sars-CoV-2-Vorläufer als Infektionsquelle infrage kommen – Tiere, die durch Wuhan transportiert worden sind und Menschen infiziert haben können, womöglich mehrere Tiere unterschiedlicher Arten. Woroneys Untersuchungen dürften ihren Teil zu dieser These beitragen.

Eine im September im Fachorgan Nature publizierte Studie (Nature 597, 2021) geht näher auf die ersten Virensequenzen ein, die von Ende 2019 und Anfang 2020 infizierten Personen stammen. Diese lassen sich in zwei große Linien aufteilen, die als A und B bezeichnet wurden und sich genetisch deutlich unterscheiden.

Die Schlussfolgerung: Sars-CoV-2, das Virus, das Covid-19 verursacht, könnte mehrfach vom Tier auf den Menschen übergegangen sein. Angesichts der begrenzten genomischen Daten aus der Frühphase der Pandemie gelten auch die hier vorgelegten Befunde freilich als vorläufig.

Waschbär- oder Marderhunde, die wegen ihres Fells zur Herstellung von Mänteln, Jacken usw. sehr begehrt sind, sind erwiesenermaßen anfällig für Coronaviren. Die Tiere werden lebendig gehäutet und das Fleisch wird ebenfalls verkauft. Ihre Rolle als Reservoir für Viren, aber auch ihre spezifische Rolle als Lieferant von Fellen, macht die jüngsten Untersuchungen spannend. Sie führen zu den Märkten in Wuhan.

Kriminelle Syndikate, wohlhabende Kunden

Reisende Verkäufer von geschützten Tieren hatten Wuhan auf ihrer Route, schrieb das Magazin FPMag unter Berufung auf die Exfreundin eines Kriminellen. Kriminelle Syndikate würden Lebendtiermärkte in ganz Asien beliefern, ein lukratives Geschäftsmodell. Die Wildtiere werden illegal beschafft, und auch für die lokalen Behörden zahlt sich die Sache aus.

Niemand hat im November 2019 eine Probe von einem Waschbärhund genommen (got a specimen from a raccoon dog in November 2019), der auf dem Huanan-Markt zum Verkauf stand.

Dr. Nassima al Amouri, die als Klinikärztin und medizinische Direktorin im Nahen Osten arbeitet und die sich gegen Fleischkonsum und Tierquälerei im Kontext des Klimawandels engagiert, ergänzt zum Thema:

Wohlhabende amerikanische Frauen und Männer könnten für den Ausbruch von COVID-19 verantwortlich sein. Sie sind die treibende Kraft hinter der Jagd auf Waschbärhunde in China zur Herstellung von Fendi-Mänteln, -Jacken und -Stolen und dem Häuten der Tiere bei lebendigem Leibe, um eine bessere Qualität der Pelze zu erreichen.

Dr. Nassima al Amouri, RINJ Foundation

Ein ernüchterndes Statement. Das grausame, brutale Abschlachten von Tieren zur menschlichen Ernährung bzw. für Delikatessen, die in Amerika und China sowie an vielen anderen Orten rund um den Globus nachgefragt werden, bezeichnet die Ärztin Al Amouri als "mehr als krankhaft".

Michael Woroneys Abstieg in die Aitiologie von Covid-19 fördert auch Einsichten wie diese zutage.