Satt essen und abnehmen – wie geht das?

Klaus-Dieter Kolenda

Zwei Drittel der Erwachsenen in Deutschland sind übergewichtig, ein Viertel adipös. Folgen sind Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs und Stoffwechselerkrankungen. Vor allem eine Krankheit aber macht vielen zu schaffen.

Im ersten Teil dieser Abhandlung geht es um das Münchner Konzept einer rationalen Adipositas-Therapie auf der Basis der Energiedichte der Lebensmittel, die eine nachhaltige Gewichtsreduktion, ohne zu hungern, ermöglicht.

Adipositas bedeutet "Fettsucht", sollte aber besser "Fettleibigkeit" genannt werden, denn sie hat in den meisten Fällen mit einer Sucht nichts zu tun.

In Deutschland sind rund zwei Drittel (67 Prozent) der Männer und etwa die Hälfte (53 Prozent) der Frauen übergewichtig (BMI gleich/größer 25 kg/m2). Knapp ein Viertel der Erwachsenen ist stark übergewichtig, das heißt fettleibig oder adipös (BMI gleich/größer 30 kg/m2), das entspricht 23 Prozent der Männer und 24 Prozent der Frauen.

Die Häufigkeit (Prävalenz) der Adipositas nimmt mit dem Alter zu und ist wesentlich höher bei Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status. In den letzten zwei Dekaden habe die Häufigkeit der Adipositas besonders bei Männern und im jungen Erwachsenenalter zugenommen, heißt es in der zugrunde liegenden Studie, die 2017 veröffentlicht wurde.

Die dadurch bedingte Krankheitslast, also die Zahl der Patienten mit adipositasbedingten chronischen Krankheiten – dazu gehören neben dem Typ 2-Diabetes mellitus kardiovaskuläre Krankheiten wie Herzinfarkt, Hypertonie und Schlaganfall und eine Reihe von Krebserkrankungen – beträgt ein Vielfaches davon.

Diese Situation dürfte sich in den letzten Jahren nicht verbessert, sondern durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie noch deutlich verschlechtert haben, und weist darauf hin, dass eine effektive Bekämpfung der Adipositas weiterhin eine der wichtigsten und herausforderndsten Aufgaben der Gesundheitsversorgung in Deutschland ist .1

Münchner Konzept der Adipositas-Behandlung

Im Mittelpunkt dieses Artikels steht ein überzeugendes Konzept einer rationalen Adipositas-Behandlung, das unter Leitung des leider viel zu früh verstorbenen Ernährungsmediziners Volker Schusdziarra vom Else-Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin der TU München um die Jahrtausendwende entwickelt worden ist.2

Dieses Münchner Konzept wurde 2007 in einem schmalen Sachbuch mit dem programmatischen Titel "Satt essen und abnehmen" veröffentlicht.3Da auch in unserer Rehabilitationsklinik damit gute Erfahrungen gesammelt wurden4, habe ich mich gefreut, dass ehemalige Mitarbeiter von Volker Schuzdziarra 2020 dieses Konzept in aktualisierter Form in einem neu gestalteten, sehr empfehlenswerten und umfangreichen Sachbuch vorgelegt haben, auf das ich mich im Folgenden beziehen werde (Abbildung 1).5

Abb. 1: Cover "Satt essen und abnehmen"

Das Münchner Konzept war eine entscheidende Weiterentwicklung der Ernährungstherapie bei Adipositas, die sich seit Anfang der 90er-Jahre auch in einer Reihe von Rehabilitations-Kliniken in Deutschland durchgesetzt hatte.

Bei dieser stand eine möglichst weitgehenden Fettreduktion bei Liberalisierung der kohlenhydrathaltigen Nahrungsmittel im Vordergrund.6 Damit hatten wir im Unterschied zu den früher praktizierten strengen Reduktionskostformen bei motivierten Patienten günstige Erfahrungen sammeln können, die in zwei Sachbüchern ihren Niederschlag gefunden haben.7

Risiko von Übergewicht und Adipositas

Die WHO-Klassifikation des Risikos von Übergewicht und Adipositas bei Frauen und Männern erfolgt durch die Bestimmung des Body-Mass-Index (BMI) und des Taillenumfangs (Tabelle 1). Ein BMI von 30 bis 34,9 kg/m2 wird als moderate Adipositas eingeschätzt, während ab einem BMI von 35 kg/m2 von einer starken Adipositas gesprochen wird.

Tabelle 1:  Einschätzung des Risikos von Übergewicht und Adipositas durch Bestimmung des Body-Mass-Index (BMI) und des Taillenumfangs. 
Katergorie Gewicht BMI (kg/m2)
Untergewicht < 18,5
Normalgewicht 18,5 – 24,9
Übergewicht ≥ 25,0
Adipositas Grad 1 30,0 – 34,9
Adipositas Grad 2 35,0 – 39,9
Adipositas Grad 3 ≥ 40,0
Taillenumfang Erhöhtes Risiko Stark erhöhtes Risiko
Männer > 94 cm > 102 cm
Frauen > 80 cm > 88 cm

Außerdem ist die Art der Fettverteilung im Körper für die Entstehung von kardiovaskulären und stoffwechselbedingten Folgeerkrankungen von großer Bedeutung. Dabei ist die abdominale "Apfelform" der Adipositas mit erhöhtem Taillenumfang deutlich krankmachender als die "Birnenform".

Ein erhöhter Taillenumfang gilt als ein zusätzlicher gesonderter Risikofaktor, der auf eine Vermehrung des besonders krankmachenden viszeralen Körperfettanteils hinweist. Deshalb sollte bei jedem Adipösen neben Gewicht und Körpergröße auch der Taillenumfang bestimmt werden.

Folgeerkrankungen der Adipositas

Eine große Anzahl von Todesfällen, die heute auf Übergewicht und Adipositas zurückgeführt werden, hängten mit Folgeerkrankungen zusammen, deren relatives Risiko (RR) dadurch erhöht ist8:

  • Deutlich erhöhtes Risiko (RR größer als 3): z. B. Diabetes mellitus Typ 2, Insulinresistenz, Fettstoffwechselstörungen, Metabolisches Syndrom, Gallenblasenerkrankungen, Obstruktive Schlafapnoe
  • Mäßig erhöhtes Risiko (RR 2 bis 3): z. B. Koronare Herzkrankheit (KHK), Bluthochdruck, Herzschwäche, Schlaganfall, Gicht, Arthrosen der großen Gelenke, verschleißbedingte Wirbelsäulenprobleme
  • Gering erhöhtes Risiko (RR 1 bis 2): z. B. Periphere arterielle Verschlusskrankheit der Beine, Polycyclische Ovarien, verminderte Fertilität, fetale Defekte, erhöhtes Operationsrisiko

Der engste Zusammenhang besteht zwischen Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2. Das Lebenszeitrisiko bei Adipositas für die Entstehung eines Diabetes mellitus liegt bei 30 Prozent, das heißt etwa jeder dritte Adipöse entwickelt im Laufe seines Lebens einen Typ-2-Diabetes.

Da die Adipositas in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat, ist es parallel dazu zu einem steilen Anstieg des Diabetes mellitus gekommen. Das bedeutet, dass derzeit ca. 8,5 Millionen Diabetiker in Deutschland leben. Wenn man eine Dunkelziffer von ca. zwei bis drei Millionen dazu zählt, dann dürften derzeit mehr als zehn Prozent der deutschen Bevölkerung Diabetiker sein. Bei mehr als 95 Prozent besteht ein Typ-2 Diabetes.

Auch die weiteren medizinischen Folgen der Diabetesepidemie sind gravierend. Das kardiovaskuläre Risiko steigt bei Diabetikern um etwa das 4-fache an. 2001 wurden bei Diabetikern in Deutschland 28.000 (von 40.000) Fußamputationen durchgeführt und 6.000 (von 20.000) Neuerblindungen sowie 8.300 (von 21.000) neue Dialysefälle festgestellt.

"Mit 20 Jahren adipös, mit 50 Jahren krank" – zeigt eine eindrucksvolle prospektive dänische Studie an 6.503 Männern, die vom 22. bis zum 50. Lebensjahr beobachtet wurden und die 2013 erschienen ist.9

Die Ergebnisse: Im Vergleich zu Normalgewichtigen hatte sich in der Beobachtungszeit von über 30 Jahren bei Adipösen die Zahl der Patienten mit Bluthochdruck verdoppelt (14 bzw. sieben Prozent), mit Herzinfarkt mehr als verdoppelt (sieben bzw. drei Prozent) und die Zahl der Patienten, die frühzeitig verstorben waren, ebenfalls mehr als verdoppelt (16 bzw. sieben Prozent). Die Zahl der Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 hatte sich in der Beobachtungszeit um das achtfache erhöht!

Daneben wirken sich eine Reihe von Folgeerkrankungen der Adipositas ungünstig auf die Mortalität aus. Dazu zählen insbesondere der Bluthochdruck, die koronare Herzkrankheit (KHK) mit dem Herzinfarkt und die zerebrale Ischämie mit dem Schlaganfall (siehe oben).

Übergewicht und Adipositas begünstigen aber auch die Entstehung von Krebserkrankungen, vorwiegend solchen mit hormoneller Genese, wie in einer großen Metaanalyse gezeigt wurde, die mehr als 280.000 Patienten einschloss.1 Auch wenn das relative Risiko bei Adipositas für die meisten Krebserkrankungen nur gering erhöht ist, wirkt sich diese Risikoerhöhung auf die Mortalität wegen der großen Anzahl dieser Erkrankungen deutlich aus.

In einer großen prospektiven Studie an mehr als 900.000 Erwachsenen konnte 2003 gezeigt werden, dass der Anteil von Übergewicht und Adipositas an der Krebssterblichkeit der Frauen 20 Prozent und der Männer 14 Prozent betrug.1 Bei den Frauen war vor allem das relative Risiko für Krebserkrankungen der Gebärmutter und der Nieren deutlich erhöht, während bei Männern besonders die Leber und die Bauchspeicheldrüse betroffen waren.

Insgesamt kann gesagt werden, dass bei einem BMI von 35 das Sterberisiko aufgrund der angeführten Folgeerkrankungen etwa verdoppelt ist und mit höherem BMI noch weiter ansteigt.1

Ursachen der Adipositas

Rein formal lässt sich die Ursache der Adipositas auf eine positive Energiebilanz zurückführen, d. h. die Energiezufuhr muss über längere Zeit größer gewesen sein als der Energieverbrauch.

Für die Energiezufuhr ist bedeutsam, dass die Energiedichte von Fett mit 9 kcal/g hoch ist und die von Kohlenhydraten und Eiweißen nur etwa die Hälfte beträgt. Von großer praktischer Bedeutung ist ebenfalls die Energiedichte von Alkohol mit sieben kcal/g.

Beim Energieverbrauch ist der durchschnittliche Grundumsatz beim Erwachsenen mit ca. 1.700 kcal/Tag zu berücksichtigen, zusätzlich kommen ca. 200 kcal für die Thermogenese und ca. 200 kcal für den üblichen körperlichen Leistungsumsatz dazu. Dabei ist aber festzustellen, dass der Grundumsatz von Person zu Person stark differieren kann.

Normalerweise nehmen Adipöse 10 bis 20 kg Gewicht im Verlauf von 10 bis 20 Jahren zu. Das bedeutet einen jährlichen Gewichtszuwachs von ein bis drei Kilogramm bzw. eine tägliche positive Energiebilanz von 50 bis 80 kcal, entsprechend einem halben Brötchen oder einem Apfel.

Die entscheidende Ursache für die Gewichtszunahme sehen Schusdziarra und Mitarbeiter nicht in einer fehlerhaften Regulation der Nahrungsaufnahme im Sinne einer Essstörung, sondern in einer Fehlanpassung des Essverhaltens an ein adipositasförderndes Umfeld, das sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat.1

Fünf Millionen Jahre galt in der menschlichen Evolutionsgeschichte: "Bewegung garantiert – Essen vielleicht". Seit zwei bis drei Generationen gilt jedoch in den Industrieländern für die meisten Menschen: "Essen garantiert – Bewegung vielleicht". Es wird eine Ernährung mit zu hoher Energiedichte (zu fett und zu kalorienreich) praktiziert, außerdem ist ein hoher Konsum von Alkohol und zuckerhaltigen Getränken zu verzeichnen.

Andererseits ist die Notwendigkeit zu körperlicher Aktivität bei der Berufstätigkeit, im Haushalt und in der Freizeit drastisch gesunken. Natürlich wirken sich diese Veränderungen auf einer genetischen Grundlage aus. Diese bestimmt die Regulation von Hunger und Sättigung und die Fähigkeit, überschüssige Energie als Fettgewebe zu speichern.

Die Mehrzahl der Menschen lebt heute in den entwickelten Industrieländern hinsichtlich der Ernährung in einer "Überflussgesellschaft". Diese ist gekennzeichnet dadurch, dass die breite Masse der Bevölkerung sich relativ preisgünstige energiedichte Lebensmittel, Snacks und Süßigkeiten leisten kann, deren Konsum noch dazu mit ausgefeilter Werbung gefördert wird.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die natürliche Regulation von Hunger und Sättigung, die weiter unten dargestellt ist, durch Vorstellungen und Wissen über besonderen Geschmack, Geruch und Aussehen bestimmter Speisen leicht überspielt werden kann, wie jeder aus eigener Erfahrung weiß. Auch geselliges Zusammensein in Familien- und Freundeskreis kann die verstandesmäßig gesteuerte Hemmschwelle zum Überkonsum von Nahrungsmitteln leicht senken.

Diese Betrachtungsweise ist eine Erklärung dafür, dass es in den Industrieländern und auch in vielen Schwellenländern in den letzten Jahrzehnten zu einem massenhaften Auftreten der Adipositas und z. B. auch des Diabetes mellitus Typ 2 gekommen ist. Man spricht von einer Adipositas-Epidemie bzw. -Pandemie.

"Sattessen und abnehmen"

Unter diesem zentralen Motto steht das von Volker Schusdziarra entwickelte Münchner Konzept der Adipositas-Behandlung. Es besteht vor allem aus einer individuellen Ernährungsberatung, die sich u. a. aus der Analyse der Ursachen der Adipositas (siehe oben) ergibt und das Prinzip der unterschiedlichen Energiedichte der Lebensmittel berücksichtigt (siehe unten).

Dem Konzept liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Motivation zur Gewichtsabnahme bei Adipösen nur aufrechterhalten werden kann, wenn diese sich täglich satt essen und dabei ihre Ernährungsgewohnheiten soweit wie möglich aufrechterhalten können.

In ihrem Buch gehen die Autoren von der Erkenntnis aus, dass man nur abnehmen kann, wenn man sich zugleich auch satt essen kann. Deshalb steht eine Untersuchung über den zeitlichen Verlauf von Hunger und Sättigung vor und nach einer Mahlzeit am Beginn.1

Diese Untersuchung zeigt, dass das maximale Gefühl von Sättigung innerhalb von 30 bis 45 Minuten nach der Nahrungsaufnahme erreicht wird, welches dann über die folgenden zwei bis drei Stunden wieder abklingt.

Genau umgekehrt verhält es sich mit dem Hungergefühl, das zunächst bei Beginn des Essens rasch abnimmt und dann im weiteren Verlauf zu dem ursprünglichen Zustand zurückkehrt. Daraus ergibt sich, dass Adipöse in der Regel dreimal am Tag eine sättigende Mahlzeit zu sich nehmen müssen, um den ganzen Tag über satt zu sein.

Bei den Faktoren, die entscheidend sind für die Entstehung von Hunger und Sättigung, steht ein komplexer Regelkreis zwischen Gehirn (Hypothalamus) und Magen im Mittelpunkt (siehe auch S. 52). Durch das Volumen der Nahrung kommt es zu einem Dehnungsreiz im Magen, der dem Hypothalamus über den Vagusnerv Sättigung signalisiert. Das entsprechende Sättigungsgefühl entsteht im Zwischenhirn (Hypothalamus) aufgrund der Ausschüttung von bestimmten Botenstoffen ("blaue" Gruppe der Botenstoffe).

Nach Abklingen des Dehnungsreizes im Magen wird von der Magenwand das Hormon Ghrelin ausgeschüttet, das im Gehirn über die Ausschüttung einer Gruppe anderer Botenstoffe ("rote" Gruppe der Botenstoffe) wieder das Hungergefühl entstehen lässt.

Die Regulation der Nahrungsaufnahme steht unter Kontrolle des Hormons Leptin aus dem Fettgewebe, das an der Steuerung des Hunger- und Sättigungsgefühls beteiligt ist.

Die Bedeutung der Magenfüllung für Hunger und Sättigung wird unterstrichen durch die Beobachtung, dass Patienten, denen man operativ den Magen entfernt hat, weder ein Hungergefühl noch eine Sättigung spüren. Sie müssen lernen, nach der Uhr zu essen, sonst droht ihnen ein massiver stetiger Gewichtsverlust.

Für die Praxis der Ernährungstherapie nach dem Münchener Konzept sind weiterhin folgende Eckpunkte wichtig:

  • Die sättigende Nahrungsmenge, die auf drei Mahlzeiten pro Tag verteilt werden sollte, beträgt durchschnittlich ca. 1100 g/Tag (z. B. zum Mittag- und Abendessen jeweils ca. 450 g und zum Frühstück ca. 200 g) (S. 73);
  • Zur Gewichtsabnahme ist eine negative Energiebilanz erforderlich, die durch Reduktion der Energiezufuhr auf ca. 1.700 kcal/Tag entsprechend dem (möglichst individuell bestimmten) Grundumsatz erreicht werden sollte (S. 17);
  • Daraus errechnet sich eine durchschnittliche Energiedichte pro Mahlzeit von ca. 1,5 kcal/g, die möglichst nicht überschritten werden sollte.

Energiedichte der Lebensmittel ist Schlüsselbegriff

Damit sind wir bei dem Schlüsselbegriff der Adipositas-Behandlung nach dem Münchner Konzept angekommen. Es handelt sich um die Energiedichte der Lebensmittel, die zu berücksichtigen ist, wenn man satt abnehmen will.

Die Energiedichte eines Lebensmittels ist abhängig von Ballaststoffen und dem Wassergehalt einerseits und vom Gehalt an Fett, Kohlenhydraten und Eiweißen andererseits. Neben der überzeugenden theoretischen Begründung sind die Energiedichte-Tabellen, in denen man – übersichtlich gegliedert – eine entsprechende Angabe zu fast jedem Nahrungsmittel findet, der entscheidende Teil auch dieses Buches für die Praxis (S. 217-234).

Die Energiedichte-Tabellen sind nach dem Ampelprinzip aufgebaut. Dabei bedeutet die Kennzeichnung "grün", dass das Nahrungsmittel eine Energiedichte von 1,5 kcal/g oder weniger enthält und somit zum Sattessen geeignet ist. Mit "gelb" markierte Lebensmittel sind solche mit einer Energiedichte zwischen 1,5 und 2,5 kcal/g. Diese sind auch noch bei nicht zu großer Menge zum Sattessen geeignet. Die "rot" gekennzeichneten Lebensmittel enthalten 2,5 kcal/g oder mehr und sind nicht zum Sattessen geeignet, können aber gelegentlich in kleiner Menge probiert werden.

Flüssigkeiten sind keine Sattmacher

Weiterhin sind zwei weitere Erkenntnisse von praktischer Bedeutung. Einmal ist wichtig, dass Flüssigkeiten (z. B. Getränke, Suppen und Soßen) nicht lange im Magen verweilen und deshalb nicht zur Dehnung des Magens und zur Aktivierung von Sättigungssignalen im Zwischenhirn führen. Kalorienhaltige Flüssigkeiten sind deshalb nie Sattmacher, sondern immer nur Dickmacher. Deshalb sollten Suppen, Säfte und Limonaden durch kalorienlose Flüssigkeiten ersetzt werden, wie etwa Wasser, Tee oder Kaffee.

Außerdem ist wichtig, dass Mahlzeiten zwischen den Hauptmahlzeiten nicht zu einer Verminderung der Nahrungsmenge und der Kalorienaufnahme bei der Hauptmahlzeit führen.

Was ist mit Bewegung und Sport zur Gewichtsabnahme?

Auf S. 18/19 des Buches wird ausgeführt, dass "Bewegung und Sport beim Abnehmen massiv überschätzt werden". Das stimmt aber nur, wenn man Sport und Bewegung isoliert und als einzige zu praktizierende Maßnahme zur Gewichtsreduktion bei Adipositas betrachtet, was aber keine realistische Annahme ist.

Es ist eine gesicherte Erkenntnis der letzten Jahrzehnte, dass sich regelmäßige körperliche Aktivität durch den Kalorienmehrverbrauch günstig auf viele kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Blutfette, Bluthochdruck, Diabetes mellitus und auch auf Übergewicht bzw. Adipositas auswirken kann. Deshalb wird in der Reha-Medizin die körperliche Aktivität als eine zweite Säule der Adipositas-Behandlung angesehen, und aus meiner Sicht zu Recht.

Dabei ist aber zu berücksichtigen: Zwischen der Bewegung und dem Essen besteht eine Wechselwirkung dergestalt, dass kohlenhydrathaltige Nahrungsmittel (z. B. Brot oder Obst) eine Insulin-stimulierende Wirkung haben. Ein Insulinanstieg im Blut führt jedoch dazu, dass der Fettabbau für einige Zeit gestoppt wird, während körperliche Aktivität im nüchternen Zustand den Fettabbau anregt.

Aus der Sicht der Reha-Medizin gehört deshalb zum Bemühen um eine Gewichtsreduktion bei Adipositas eine regelmäßige körperliche Aktivität, die Spaß macht und möglichst täglich 30-60 Minuten betrieben werden kann, etwa Spazierengehen, Walking, Fahrradfahren, Schwimmen oder auch Skiwandern. Diese körperlichen Aktivitäten sollten aber am besten morgens vor dem Frühstück oder zwei bis drei Stunden nach der letzten Mahlzeit durchgeführt werden, da dann der Fettabbau nicht beeinträchtigt wird.

Auch dadurch kann ein nennenswerter Beitrag zur Gewichtsreduktion erzielt werden. So kann ein Kalorienmehrverbrauch durch körperliche Aktivität von ca. 150 kcal pro Tag entsprechend ca. 30 Minuten Walking rechnerisch zu einer Gewichtsabnahme von etwa 0,5 kg pro Monat betragen.

Langfristige Compliance für den Erfolg entscheidend

Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Adipositas-Behandlung ist jedoch die langfristige Compliance. Das gilt ganz besonders für die Ernährungstherapie.

Deshalb müssen die individuellen Gewohnheiten des Patienten bei den Ratschlägen zur Umstellung des Essverhaltens unbedingt berücksichtigt werden. Gewohnheiten, die sich über Jahrzehnte im täglichen Leben als angenehm erwiesen haben, werden nicht in kurzer Zeit aufgegeben, insbesondere dann nicht, wenn die neuen und besseren Ernährungsgewohnheiten eher als weniger angenehm eingeschätzt werden.

Aus diesem Grunde sollte die Ernährungsumstellung individuell und mit Bedacht erfolgen und sich in Abstimmung mit den Patienten zunächst auf die Lebensmittel konzentrieren, die die höchste Energiedichte aufweisen.

Somit handelt es sich bei dieser Form der Ernährungstherapie nicht um eine "Diät", sondern um eine individuelle Anpassung der Ernährung an den Energieverbrauch des Patienten unter Berücksichtigung der Energiedichte der zu verzehrenden Lebensmittel.

Ergänzend sei aus meiner Sicht gesagt, dass eine regelmäßige körperliche Aktivität als zweite Säule einer Adipositas-Behandlung dazu gehört und einen Beitrag zur Gewichtsreduktion zu leisten vermag.

Die praktische Durchführung der Ernährungstherapie sollte in Zusammenarbeit mit einer Ernährungsfachkraft erfolgen, die motivierte Patienten, z. B. in kleinen Gruppen bis zu fünf Patienten pro Beratungsstunde, einmal im Monat qualifiziert betreut. Für die meisten adipösen Patienten würde es wahrscheinlich ausreichen, wenn derartige Beratungen in der Phase der Gewichtsreduktion über ein bis zwei Jahre durchgeführt werden.

Was kann man mit diesem Konzept erreichen?

Auf S. 212 ff. des Buches sind einige Therapieergebnisse der TU München aufgeführt. So wurden für 500 Patienten der Gewichtsverlauf ausgewertet: Im Schnitt verloren sie in 10 Monaten im Durchschnitt 5,5 kg. Danach arbeiteten sie ohne Beratung weiter und nahmen zusätzlich in den folgenden 2½ Jahren 3 kg ab.

Bei 160 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 innerhalb dieser Gruppe war der Erfolg größer, sie verloren durchschnittlich 10 kg im Rahmen der Therapie und auch ihre Blutwerte verbesserten sich. Darunter konnten aus ursprünglich 40 Patienten, die Insulin spritzen mussten, 35 am Ende die Spritzen völlig loswerden. Nur fünf benötigten gelegentlich noch Insulin in geringen Dosen.

Fazit und Schlussfolgerungen

Somit lässt sich nach dem Münchener Konzept folgendes Fazit für die individuelle Ernährungsumstellung bei Adipositas ziehen: Übergewichtige bzw. Adipöse müssen neu lernen, mit dem Überangebot an Nahrung besser umzugehen. Sie müssen lernen, sich satt zu essen, in der Regel mit drei Mahlzeiten mit einer ausreichenden Menge (ca. 1.100 g pro Tag) einer energiereduzierten Mischkost, wobei jedoch pro Mahlzeit 1,5 kcal/g nicht überschritten werden sollte.

Mit diesen Maßnahmen wird in der Regel ein Energiedefizit/Tag erreicht, das, wenn es aufrechterhalten wird, zu einer Gewichtsreduktion von bis fünf bis zehn kg pro Jahr führen kann.

Wie oben dargestellt, sind mittlerweile etwa zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland übergewichtig oder adipös und etwa ein Viertel ist fettleibig. Bei 10 bis 15 Millionen Menschen über 18 Jahren besteht im Prinzip eine Therapieindikation (BMI gleich/über 30 bzw. BMI 25-29,9 kg/m2 plus Folgeerkrankungen).

Von der Mehrheit der Betroffenen wird derzeit jedoch ein Behandlungsangebot weder gewollt noch wahrgenommen. Das mangelhafte Problembewusstsein ist die entscheidende Ursache für diese bedauerliche Situation, für die schlechte Compliance bei der Behandlung der Adipositas und für die enttäuschenden langfristigen Ergebnisse in vielen wissenschaftlichen Studien.

Volker Schusdziarra hatte immer wieder darauf hingewiesen, dass eine breite und ernsthafte Debatte über das Problem der Adipositas in unserer Gesellschaft notwendig ist, bei der auch geklärt werden könnte, welche verhältnispräventiven Maßnahmen zusätzlich geeignet sein könnten und von der Mehrheit der Bevölkerung gewünscht werden, um an dieser Situation etwas zu ändern.

Für verhältnispräventive Maßnahmen gegen die Adipositas, z. B. für eine Kennzeichnung der Nahrungsmittel nach dem Ampelprinzip, ist jedoch die Politik verantwortlich, wobei die Anerkennung der Adipositas als chronische Krankheit der erste wichtige Schritt wäre.1 Die Umsetzung dieser oder anderer Vorschläge stößt jedoch in unserer Gesellschaft an eine Grenze, die schon 2003 in der Zeitschrift Science auf ironische Weise folgendermaßen auf den Punkt gebracht wurde1:

Gewichtsanstieg ist gut für das Geschäft. Lebensmittel sind ein besonders gutes Geschäft, weil jeder isst. Es fällt in der Tat schwer, an große Wirtschaftszweige zu denken, für die es ein Vorteil wäre, wenn die Menschen weniger essen würden, sicherlich nicht an die Agrarindustrie, die Lebensmittelindustrie, Großhandelsketten, Restaurants, Hersteller von Diätprodukten oder die Pharmaindustrie. Allen geht es gut, wenn die Menschen mehr essen und alle beschäftigen Armeen von Lobbyisten, um die Regierung davon abzuhalten, irgendetwas zu unternehmen, was die Menschen hindert, zu viel zu essen.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

Fußnoten

[1] Rationale Adipositasbehandlung: Abnehmen- aber wie? In: Kolenda KD, Ratje U.: Mehr Prävention! Vorbeugung und Behandlung lebensstilbedingter chronischer Krankheiten. Hans Marseille Verlag, München 2013, S. 59- 70

[2] Erdmann J, Christ S, Hausmann M, Schusdziarra V.: Von der Regulation der Nahrungsaufnahme zur Adipositas-Therapie. Med Welt 2008: 59; 83-92

[3] Schusdziarra V, Hausmann M.: Satt essen und abnehmen – Individuelle Ernährungsumstellung ohne Diät, mmi – Der Wissensverlag, Neu-lsenburg, 2007

[4] Rationale Adipositasbehandlung: Abnehmen- aber wie? In: Kolenda KD, Ratje U.: Mehr Prävention! Vorbeugung und Behandlung lebensstilbedingter chronischer Krankheiten. Hans Marseille Verlag, München 2013, S. 59- 70

[5] Erdmann J, Hausmann M, Bayer J.: Satt essen und abnehmen. Das wissenschaftlich fundierte Ernährungskonzept auf der Basis der Energiedichte-ohne Diät. Riva Verlag, München 2020

[6] Kolenda KD, Müller MJ.: Änderung des Lebensstils als Grundlage einer erfolgreichen Adipositas-Behandlung. Intern prax 2000; 40: 283-293

[7] Kolenda KD, Schuch S. Fettarm: kochen – gesund essen. Grundzüge und Praxis mit 180 schmackhaften Rezepten. Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH, Hannover, 5. Auflage 2013

Kolenda KD.: Was mich stark macht. Prävention für Jedermann. Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH, Hannover 2010, S. 105- 129

[8] World Health Organisation, 2000. Obesity – Prevalence and managing the gobal epidemic. Report of a WHO Consultation on Obesity. WHO Technical Report Series 894, Geneva

[9] Schmidt M.: Obesity in young men, and individual and combined risks of type 2 diabetes, cardiovascular morbidity and death before 55 years of age: a Danish 33-year follow-up study. BMJ Open 2013, Volume 3, Issue 4.

[10] Renehan AG et al.: Body-mass Index and incidence of cancer: a systematic review and meta-analysis of prospective observational studies. Lancet 2008; 371:569-578

[11] Calle EE, et al.: Overweiht, obesity, and mortality of cancer in a prospective studied cohort of U. S. adults. NEJM 2003; 348: 1625 – 1638

[12] Calle EE, et al.: Body-mass Index and mortality in a prospective cohort of US adults. NEJM 1999; 341: 1097-1105

[13] Schusdziarra V, Erdmann J.: Ist Adipositas die Folge einer fehlerhaften Regulation der Nahrungsaufnahme? In: Schusdziarra V. Adipositas – Moderne Konzepte für ein Langzeitproblem. Uni-Med, Bremen 2003, S. 23-28

[14] Erdmann J, Hausmann M, Bayer J.: Satt essen und abnehmen. Das wissenschaftlich fundierte Ernährungskonzept auf der Basis der Energiedichte-ohne Diät. Riva Verlag, München 2020, S. 47

[15] Pudel V, Ellrott T.: Adipositas- ein gesellschaftliches Problem? Der Chirurg 76, 639- 646 (2005)

[16] Nestle M.: Editorial. The Ironie politics of obesity. Science 2003; 299: 781