Saudi-Arabien: Himmel für Neymar, Hölle für Migranten, moralisches Dilemma für Biden

Suche nach einem diplomatischen Erfolg: US-Außenminister Blinken und Kronprinz Mohammed bin Salman. Foto (Juni, 2023): US-Außenministerium

Human Rights Watch wirft saudischen Grenzschützern das Töten von Hunderten von Migranten aus Äthiopien vor. Riad investiert Milliarden in einen guten Ruf. Der US-Präsident setzt auf einen Mega-Deal.

Das Timing ist perfekt: US-Präsident Biden bereitet laut Insider-Informationen, übermittelt von Axios, einen diplomatischen Mega-Deal mit Saudi-Arabien vor, und Human Rights Watch veröffentlicht schwerste Vorwürfe gegen das Königreich, das zum großen internationalen Player aufsteigen will.

Es gebe mehrere Seiten Saudi-Arabiens, wie es Landeskenner immer wieder herausstellen. Erwähnt wird etwa die "feinste Tradition islamischer Gastfreundschaft". Touristen haben seit einiger Zeit leichteren Zugang. Für sie wird das zutreffen.

Ebenso für freundlich gestimmte Reisejournalisten und Menschen, die gut mit einem Ball umgehen können (sei es beim Golfen oder beim Fußballspielen).

Das Land strengt sich an. Saudi-Arabien investiert Milliarden in seinen Tourismussektor und "bis zu einer Trillion US-Dollar" in eine Zukunft ohne Erdöl, wie die Deutsche Welle kürzlich berichtete:

"Es ist spannend zu beobachten, was dort passiert."

Es ist eigentlich eine gute Zeit für Mega-Deals, Fußballstars wie Christiano Ronaldo und Karim Benzema haben das genutzt. Für den brasilianischen Fußball-Star Neymar ist sein Wechsel in das Königreich sehr emotional, traumhaft, göttlich, vergoldet.

Massentötungen an der Grenze zum Jemen

Das andere Saudi-Arabien ist auch emotional, aber albtraumhaft und finster wie Gräber: Saudische Grenzschützer, so der Vorwurf der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, töten unerwünschte Besucher, Migranten aus Äthiopien, zu Hunderten, foltern, vergewaltigen und sperren sie ein.

Erhoben werden die Vorwürfe in dem 73-seitigen Bericht "They Fired on Us Like Rain" (siehe auch ein dazugehöriges Video).

Die Rede ist darin von Massentötungen und dem Vorwurf des möglichen Verbrechens gegen die Menschlichkeit:

Saudische Grenzsoldaten haben mindestens Hunderte von äthiopischen Migranten und Asylbewerbern getötet, die zwischen März 2022 und Juni 2023 versucht haben, die jemenitisch-saudische Grenze zu überqueren. (…)

Wenn sie im Rahmen einer saudischen Regierungspolitik zur Ermordung von Migranten begangen werden, wären diese Tötungen, die offenbar fortgesetzt werden, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Human Rights Watch

Der Bericht, der gestern erschien, stützt sich auf Gespräche mit 42 äthiopischen Migranten, Asylsuchenden und "Freunde oder Verwandten derjenigen, die in diesem Zeitraum versucht haben, die Grenze zu überqueren". Über 350 Videos und Fotos, aus sozialen Medien oder aus anderen Quellen, habe man genau angeschaut und verifiziert. Dazu habe man Satellitenbilder herangezogen.

Großes internationales Echo

Das Echo in den internationalen Medien ist beachtlich. Die New York Times berichtet dazu und stellet fest "Nichts wirklich Neues":

Obwohl der Bericht vom Montag darauf hindeutet, dass die saudischen Grenztruppen härter gegen Migranten vorgehen, ist die Gewalt nicht neu, und es gab keine nennenswerten internationalen Bemühungen, sie zu beenden.

Abdulaziz Yasin, ein prominentes Mitglied der äthiopischen Gemeinschaft in Sana, sagte, dass die Berichte über Angriffe auf Migranten nie aufhören.

"Jeden Tag werden drei, vier oder fünf Migranten getötet", sagte er in einem Telefoninterview mit der Times. "Manchmal werden auch 10, 20 oder 30 auf einmal getötet. Es werden viele Afrikaner getötet."

Dennoch glaubt er, dass die Gemeinschaft nicht auf die Hilfe einer internationalen Organisation zählen kann.

New York Times

Bei al-Monitor, dem Nahost-Medium mit großer Reichweite, hat man sich den Bericht genauer durchgelesen:

Oft konnten die Menschen die Waffe, die auf sie abgefeuert wurde, nicht genau benennen. Die Befragten verwendeten verschiedentlich Wörter wie "Bombe", "Mörser" und "Sprengstoff", wenn sie die explosive Waffe beschrieben. Einige Befragte sagten, sie hätten auf Fahrzeugen montierte Raketenwerfer gesehen, mit denen sie mit Sprengstoff beschossen wurden. (…)

10 Befragte schätzten (…), dass insgesamt 655 Menschen bei Angriffen an 11 verschiedenen Grenzübergängen getötet wurden, die zusammengenommen schätzungsweise 1.278 Migranten betrafen.

In einem Fall gab ein Überlebender an, dass etwa 90 Menschen aus ihrer Gruppe von 170 Migranten getötet wurden, und fügte hinzu, dass die Überlebenden, die an den Ort des Geschehens zurückgekehrt waren, um die Leichen zu begraben, diese gezählt hatten.

Al-Monitor

Überprüft werden kann die Stichhaltigkeit der Vorwürfe an dieser Stelle nicht. Deutlich ist ihre politische Wucht.

So ist es kein Zufall, dass die große englischsprachige saudi-arabische Zeitung Arab News heute mit einem Bericht aufmacht, der "unbegründete" HRW-Vorwürfe zurückweist, wonach saudische Grenzwächter Äthiopier an der Grenze zum Jemen getötet haben sollen.

Bidens Traum: Normalisierung zwischen Saudi-Arabien und Israel

Seit einiger Zeit warten diplomatische Kreise auf den Durchbruch bei den Verhandlungen zu einer Normalisierungsvereinbarung zwischen Saudi-Arabien und Israel, vermittelt über die USA. Das wird im Vorhinein schon als Wendepunkt im Nahen Osten beschrieben. Die Verhandlungen sind schwierig.

Für US-Präsident Biden wäre eine Normalisierungsvereinbarung zwischen Saudi-Arabien und Israel ein großer außenpolitischer Erfolg, den er im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2024 gut gebrauchen kann.

Es wird "spannend zu beobachten", wie in der US-Regierung mit den neuesten Enthüllungen umgegangen wird.