"Scharfe Rezession" in Deutschland, wenn russisches Gas ausbleibt
Führende Wirtschaftsinstitute legen Frühjahresprognose vor: Inflation bleibt auf höchstem Stand seit 40 Jahren. Bürgern sollen bei steigenden Preisen nicht prinzipiell entlastet werden.
In den letzten Wochen gab es schon zahlreiche schlechte Nachrichten für die Wirtschaft, nun werden sie durch die führenden Wirtschaftsinstitute Deutschlands bestätigt: Die Konjunktur schwächelt, die Wirtschaft wächst weniger als erhofft und die Preise gehen weiter durch die Decke. Das sind die Eckpunkte aus dem gemeinsamen Frühjahresgutachten, das am Mittwoch von den Instituten vorgestellt wurde.
"Der Erholungsprozess der deutschen Wirtschaft verzögert sich abermals", sagte Stefan Kooths, Vizepräsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel). Es gebe teils gegenläufige Tendenzen, die aber allesamt preistreibend wirkten. Zwar sorge der Wegfall der Pandemiebeschränkungen für einen Aufschwung, doch die Lieferketten stünden immer noch unter Stress und dämpften die wirtschaftliche Erholung.
Die Ökonomen gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft weniger wächst als erhofft. Hatten sie im Herbst noch ein Wachstum von 4,8 Prozent für möglich gehalten, so erwarten sie jetzt nur noch ein Wachstum von 2,7 Prozent. Außerdem gehen sie von einer Inflation aus, die auf einem historischen Höchststand verharren könnte. Im Jahresschnitt solle sie 6,1 Prozent betragen, was der höchste Wert seit rund 40 Jahren wäre.
Zwei Gründe geben die Forscher an: die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine. Die derzeitige Unsicherheit in der Welt sei "Gift für die Konjunktur", sagte Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Die Lieferketten stünden unter Stress, es gebe Materialengpässe von "historischem Ausmaß", Investitionen würden erschwert und eine immense Flüchtlingsbewegung müsse gestemmt werden.
Der geschilderte konjunkturelle Trend ist das optimistische Szenario. Bei ihm gingen die Forscher davon aus, dass der Krieg in der Ukraine weiterläuft und die Sanktionen weiterhin bestehen, aber russisches Öl und Gas auch weiterhin geliefert werden.
Sollten Öl und Gas aber – aus welchem Grund auch immer – nicht mehr geliefert werden, dann schlittert die Bundesrepublik in eine "scharfe Rezession". Dann dürfte die Wirtschaftsleitung um 2,2 Prozent sinken und die Inflation dürfte demnach auf 7,3 Prozent emporschnellen.
"Der kumulierte BIP-Verlust beläuft sich im Falle eines Lieferstopps allein in den beiden Jahren 2022 und 2023 auf rund 220 Milliarden Euro, was mehr als 6,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht", heißt es in der Studie weiter.
Keine Entlastung bei steigenden Energiepreisen empfohlen
Bei einer Rezession käme es wirtschaftspolitisch darauf an, "marktfähige Produktionsstrukturen zu stützen, ohne den Strukturwandel aufzuhalten", so Kooths. Dieser werde sich für die gasintensiven Industrien auch ohne Boykott beschleunigen, da die Abhängigkeit von den bislang günstigen russischen Lieferungen rasch überwunden werden solle.
Die Energiewirtschaft zeigte sich am Mittwoch bereit, sich schnell von günstigen Lieferungen aus Russland zu verabschieden. Es gehe nicht darum, ob man sich vom Gas "des Kriegstreibers Putin" trennen wolle, hieß es am Mittwoch beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Es geht vielmehr um den Zeitraum, in welchem die Gesamtwirtschaft in die Lage versetzt werden könne, ohne russisches Erdgas auszukommen. Der Ausstieg müsse deshalb detailgenau vorbereitet werden und alle notwendigen Maßnahmen müssten "mit einem ehrgeizigen Zeitplan" untermauert werden. Unternehmen und Haushalte müssten wissen, was auf sie zukomme und an welchen Stellschrauben sie drehen müssten.
Für die Menschen in Deutschland wird es teuer, nicht nur, weil die Inflation steigt, sondern auch, weil sie voraussichtlich auf den steigenden Energiekosten sitzenbleiben. Die Ökonomen raten der Bundesregierung zumindest, Hilfen zum Abfedern hoher Energiepreise "sehr zielgenau" zu dosieren und auf ärmere Haushalte zu beschränken. Werde an breiter Front entlastet, so Kooths, dann treibe "das zusätzlich die Inflation" und torpediere "den wichtigen Lenkungseffekt höherer Energiepreise".
Es ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung den Vorschlägen der Wirtschaftsinstitute folgen wird. Denn deren gemeinsames Gutachten dient der Bundesregierung für ihre eigene Prognose, die Ende April veröffentlicht werden soll.
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