Schifa-Krankenhaus in Gaza: WHO warnt vor "Todeszone" und dramatischer Versorgungslage

Kinder in Gaza, 2014. Bild: UN Photo/Shareef Sarhan, CC BY-NC-ND 2.0

Recht gebrochen: Genfer Konvention verletzt. Welche Schritte plant die UNO, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und weitere Angriffe zu verhindern? Ein Gastbeitrag.

Der UN-Sicherheitsrat hat unlängst eine völkerrechtlich bindende Resolution mit der Forderung nach tagelangen Feuerpausen im Gazastreifen angenommen.

Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW begrüßt dies als einen notwendigen ersten Schritt, um in Gaza eine angemessene Gesundheitsversorgung wiederherzustellen – denn diese ist derzeit faktisch nicht mehr gegeben.

Als Ärztinnen und Ärzte wissen wir: Internationales Recht und Menschenrechte gelten ausnahmslos für alle Menschen.

Bei den Angriffen israelischer Truppen auf das Gelände des Schifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt wurden nach Angaben des Krankenhausdirektors der südliche Teil des Geländes beschädigt, darunter auch die radiologische Abteilung, die essenziell für die ärztliche Diagnostik und die Behandlung von Kranken und Verletzten ist.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnete das Schifa-Krankenhaus inzwischen als "Todeszone", offenbar wurde ein Massengrab nahe dem Komplex gefunden.

Dr. Ahmed Mokhallalati, ein plastischer Chirurg am Schifa-Krankenhaus, erklärte gegenüber der BBC, das Krankenhaus sei ohne Strom, Sauerstoff und Wasser. Am Dienstag seien Operationen ohne angemessene Anästhesie durchgeführt worden, wobei die Patienten "vor Schmerzen schrien".

Einem Patienten mit Verbrennungen konnten die Ärzt*innen nicht helfen und mussten ihn "sterben lassen".

Krankenhäuser in Gaza: Einblick in die dramatische Lage

Angaben des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Ocha) zufolge ist mit dem Ahli-Krankenhaus nur noch eines der Krankenhäuser in Gaza-Stadt und im Norden des Gazastreifens in Betrieb.

Alle anderen hätten ihren Betrieb aufgrund des "Mangels an Strom, medizinischem Verbrauchsmaterial, Sauerstoff, Nahrungsmitteln und Wasser eingestellt." Das Ocha schreibt, das Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt beherberge derzeit über 500 Patientinnen und Patienten.

Angelika Claußen ist Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Ko-Vorsitzende der IPPNW.

Nach UN-Berichten wurden seit dem 7. Oktober 279 Schulen und 135 Gesundheitseinrichtungen, in denen viele Menschen Zuflucht gefunden haben, bombardiert und beschädigt.

Die laufende Behandlung von 9.000 Krebspatient:innen und 350.000 Patient:innen mit chronischen Krankheiten wie Diabetes und Herzerkrankungen ist stark beeinträchtigt. Die Versorgung der 180 täglich in Gaza gebärenden Frauen ist nahezu unmöglich geworden.

Der WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus sagte vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, seit dem 21. Oktober 2023 seien statt der 10.000 Lastwagen, die normalerweise lebenswichtige Güter nach Gaza bringen, nur 650 eingetroffen.

Wie kann internationale Gemeinschaft humanitäre Hilfe sicherstellen?

Dr. Ghebreyesus beschrieb "überfüllte Krankenhausflure mit Verletzten, Kranken und Sterbenden; überfüllte Leichenhallen; Operationen ohne Anästhesie; Zehntausende von Vertriebenen, die in Krankenhäusern Zuflucht suchen; Familien, die in überfüllten Schulen eingepfercht sind und verzweifelt nach Nahrung und Wasser suchen."

Aus humanitärer Sicht ist die Lage eindeutig: Angriffe auf Krankenhäuser, Krankenwagen und medizinisches Personal, die ihre lebenswichtige Arbeit verrichten, sind ein abscheuliches Verbrechen und ein Verstoß gegen die Genfer Konventionen, ebenso wie der Einsatz von Zivilistinnen und Zivilisten als menschliche Schutzschilde.

Der Entzug von Strom, Wasser, Treibstoff und anderen Gütern, die die Gesundheitsdienste für ihre Arbeit benötigen, um zu arbeiten, ist unmenschlich und ein Kriegsverbrechen. Die UNO hat deutlich gemacht, dass Angriffe auf diese Einrichtungen unter dem Vorwand, sie befänden sich in unmittelbarer Nähe von Kämpfern, eine Verletzung des Völkerrechts darstellen.

Besonders schwerwiegend dürften die anhaltenden Folgen des Krieges auf die physische und psychische Gesundheit der Betroffenen sein: Als Ärztinnen und Ärzte wissen wir, dass Kriege die Verbreitung von Atemwegserkrankungen begünstigen, einschließlich Tuberkulose; Durchfall- und Hautkrankheiten, die durch unhygienische Bedingungen verursacht werden; Herz-Kreislauf-, Nieren- und Harnwegserkrankungen in Verbindung mit unzureichender Wasserversorgung.

Dramatische Folgen vor allem für Kinder

Absolut dramatisch sind die Folgen für Kinder: Unterernährung stört das Wachstum und schwächt das Immunsystem. Hinzu kommen psychische Erkrankungen und Entwicklungsstörungen aufgrund von schweren Ängsten, Trauer und Unsicherheit.

Während der Krieg anhält, können diese Traumata nicht adressiert, geschweige denn bearbeitet werden können. Das weiß ich aus meiner Erfahrung als Expertin für traumatisierte Kriegsflüchtlinge.

Auch in der vom UN-Sicherheitsrat verabschiedeten Resolution zum Krieg in Gaza heißt es, "dass Kriege lebenslange Folgen für die körperliche und geistige Gesundheit von Kindern zeitigen."

Die Kriegshandlungen müssen sofort beendet, für die traumatisierten Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen geschützte Räume geschaffen werden.

Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW fordert Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf, einen sofortigen Waffenstillstand im Gazastreifen zu unterstützen.

Nur so kann sichergestellt werden, dass humanitäre Hilfe sicher und in ausreichendem Maße die Zivilbevölkerung in Gaza erreicht; nur so können weitere Tote, Verletzte und Traumatisierte verhindert werden.

Angelika Claußen ist Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Ko-Vorsitzende der IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) sowie Präsidentin der IPPNW Europa. Schwerpunkte ihres politischen Engagements sind internationale Friedenspolitik, Klima und Krieg, Atomausstieg sowie Menschenrechte. Claußen behandelte unter anderem traumatisierte Geflüchtete, Folter­überlebende und Menschen mit frühkindlichen Extrem­traumatisierungen.

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