Schifffahrt: Atom statt Diesel

Die "Arktika" ist ein 2020 in Dienst gestellter Atomeisbrecher. Bild: Rosatom

Rosatom setzt nicht nur an Land auf Kernenergie

Der russische Kernkraftkonzern Rosatom baut nicht nur Atomkraftwerke an Land, sondern will diese Energiequelle auch auf See stärker nutzen: In Eisbrechern und schwimmenden Atomkraftwerken, die Gegenden in der Arktis versorgen, aber auch an ein warmes Klima angepasst auch Meerwasser entsalzen sollen. Ein Angebot, dazu ein exklusives Interview zu führen, hat Telepolis wahrgenommen. Das Interview wurde schriftlich geführt, an den Antworten waren neben dem Atomflot-Referenten mehrere Experten von Rosatom beteiligt.

Russische Atomeisbrecher (21 Bilder)

Der Eisbrecher "Lenin" war 1959 der erste Atomeisbrecher und zugleich das erste zivile mit Atomkraft getriebene Schiff der Welt. Bild: Rosatom

Welche Vorteile hat ein atomar betriebener Eisbrecher?

Rosatom: Nur Russland hat eine atomar betriebene Eisbrecherflotte. Die Entwicklung des Gütertransports auf dem Nördlichen Seeweg, die Erschließung des arktischen Schelfs und der Transport von Kohlenwasserstoffen, die wissenschaftliche Forschung in der Arktis - all diese Aufgaben werden von Rosatomflot-Schiffen effektiv erfüllt.

Die Leistung und Autonomie von Atomeisbrechern sind zwei wesentliche Vorteile unserer Schiffe gegenüber Diesel-Eisbrechern. Sie sind wirtschaftlich gerechtfertigt, aber die ökologische Seite des Themas darf nicht vergessen werden. Die Arktis ist trotz ihrer Härte ein sehr verletzliches Ökosystem. Wie viele Verbrennungsprodukt-Emissionen allein ein Diesel-Eisbrecher produziert. Atomeisbrecher hingegen verschmutzen die Umwelt nicht.

Die Kapazität der Atomeisbrecher erlaubt es ihnen, die kommerziellen Geschwindigkeiten der Schiffe (10-12 Knoten) einzuhalten und ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Zum Beispiel hat der führende Atomeisbrecher Arktika des Projekts 22220 eine Leistung von 60 MW. Seine maximale Passierbarkeit des Eises beträgt 2,9 Meter.

Die Autonomie von atomar betriebenen Eisbrechern ist einer der Hauptvorteile für den Einsatz in der Arktis. Zum Beispiel kann der Atomeisbrecher 50 Let Pobedy vier bis fünf Jahre lang ohne Nachfüllen arbeiten - und die Atomeisbrecher des Projekts 22220 können bis zu 7 Jahre lang arbeiten. Es hängt alles von der Betriebsintensität des Schiffes ab. Diesel-Eisbrecher wie die Ermak müssen jeden Monat betankt werden; ein Betriebstag bei voller Auslastung kostet 100-120 Tonnen Kraftstoff pro Tag. Ihre Bunkerkapazität beträgt 1.000 Tonnen, mehr können sie nicht aufnehmen. Außerdem erhöht sich bei voller Beladung der Tiefgang von Diesel-Eisbrechern auf bis zu elf Meter - sie können nicht mehr in den Flussmündungen arbeiten.

Frachtverkehr auf dem Nördlichen Seeweg

Warum gibt es so etwas nicht schon länger? Atom-U-Boote existierten ja schon im Kalten Krieg?

Rosatom: Dies ist nicht ganz richtig. Am 3. Dezember 1959 wurde das weltweit erste Atomschiff - der Atomeisbrecher Lenin - in Betrieb genommen. Dank ihm begannen sich die Erfahrungen der ganzjährigen arktischen Navigation und die Ausbildung des Personals der Atomflotte des Landes zu sammeln. Die Entwicklung der Atomeisbrecherflotte wurde von der Notwendigkeit angetrieben, die Transportkommunikation entlang der nördlichen Seeroute und die industrielle Entwicklung der Region zu entwickeln.

Mit dem Aufkommen der Eisbrecherflotte in den 1970er Jahren begann der Nördliche Seeweg als nationale Verkehrsader in der Arktis Gestalt anzunehmen. Die Inbetriebnahme des Atomeisbrechers Arktika eröffnete die ganzjährige Schifffahrt im westlichen Sektor der Arktis. Dann wurden die Eisbrecher Sibir, Rossija, Sowjetunion, Taimyr, Vaygach, Yamal und 50 Let Pobedy gebaut.

Im vergangenen Jahr wurde der weltweit leistungsstärkste und modernste Leitatomeisbrecher Arktika des Projekts 22220 in Betrieb genommen. Vier weitere Serien-Atom-Eisbrecher dieses Projekts befinden sich derzeit im Bau - der Eisbrecher Jakutiya, der im Mai 2020 auf Kiel gelegt wurde, und der Eisbrecher Chukotka, der am 16. Dezember letzten Jahres auf Kiel gelegt wurde. Die Atomeisbrecher des Projekts 22220 sind mit einer Zweireaktorkraftwerkanlage ausgestattet, dessen Hauptdampfquelle die Reaktoranlage RITM-200 mit einer Leistung von 175 Megawatt ist. Die zweiachsige Konstruktion der Schiffe ermöglicht den Einsatz sowohl in arktischen Gewässern als auch an Mündungen polarer Flüsse.

Die im Bau befindlichen Eisbrecher werden benötigt, um den Frachtverkehr auf dem Nördlichen Seeweg bis 2024 auf 80 Millionen Tonnen pro Jahr zu sichern. Rosatom erörtert mit der russischen Regierung die Möglichkeit des Baus zusätzlicher Atomeisbrecher des Projekts 22220 unter Berücksichtigung der Prognosen für einen Anstieg des Frachtverkehrs auf 130 Millionen Tonnen bis 2030.

Außerdem wurde mit dem Bau von Atomeisbrechern der Lider - Klasse des Projekts 10510 begonnen, die noch leistungsfähiger sein werden und in den Jahren 2027-2032 in Betrieb genommen werden sollen. Das (Leit-)Schiff mit dem Namen Rossija soll im Dezember 2027 in Betrieb genommen werden. Der Baubeginn für den ersten und zweiten Atomeisbrecher Lider ist für 2023 und 2025 geplant. Die leistungsstarken Atomeisbrecher dieses Projekts werden außergewöhnliche technische Eigenschaften haben, die es ihnen ermöglichen, einen ganzjährigen Einsatz in der östlichen Arktis zu gewährleisten. Die Atomeisbrecher der Lider-Klasse werden mit zwei Kernreaktoren des Typs RITM-400 und einer Dampfturbineneinheit mit vier Turbinengeneratoren von je 37 MW ausgestattet, die von Rosatom-Spezialisten entwickelt wurden. Die Gesamtkapazität eines solchen Atomeisbrechers wird 120 MW betragen, was es dem Schiff ermöglicht, durch mehr als 4 Meter dickes Eis zu navigieren.

"Geringfügige Betriebsschwierigkeiten können auftreten, aber größere Schiffbrüche sind bisher nicht vorgekommen"

Die Titanic galt als unsinkbar - und sank doch. Was passiert, wenn ein atomar betriebener Eisbrecher sinkt?

Rosatom: Die nukleare Eisbrecherflotte hat durch ihre Geschichte des unfallfreien Betriebs bewiesen, dass wir nicht nur effizient, sondern auch sicher für die Umwelt sind. Wenn wir die Statistik nehmen, ist die Eisnavigation die sicherste. Geringfügige Betriebsschwierigkeiten können auftreten, aber größere Schiffbrüche sind bisher nicht vorgekommen. Ohne eine starke arktische Atomeisbrecherflotte kann niemand während der strengen Winterzeit kommerziell segeln. Und in den Sommer- und Frühjahrszeiten ist die Wasserfläche immer noch begrenzt, und die Wellen, Tsunamis, Taifune, die es in den südlichen Meeren gibt, gibt es in der Arktis nicht. Es gibt auch keine Piraterie. Die ausschließliche Wirtschaftszone und die Binnengewässer durch der Nördliche Seeweg werden von Russland vor jeglichen gewaltsamen Aktionen gegen Transportschiffe geschützt.

Was die technischen Eigenschaften des Eisbrechers betrifft, so ist der Rumpf des nuklearbetriebenen Eisbrechers 50 Let Pobedy in den eisbrechenden Bereichen (Eisgürtel) 5 Zentimeter dick, aber es ist nicht so sehr die Dicke der Beplankung als vielmehr die Anzahl und Lage der Rumpfschalen (Querrippen), die das Schiff stark machen. Der Eisbrecher hat einen doppelten Boden, so dass auch im Falle eines Lochs kein Wasser in das Schiff eindringen kann.

Nehmen wir als Beispiel den atomar betriebenen Eisbrecher 50 Let Pobedy. Seine beiden Kernkraftwerksblöcke sind zuverlässig gegen Unfälle und äußere Erschütterungen geschützt. Die Sicherheit und Unsinkbarkeit des Eisbrechers ist auch dann gewährleistet, wenn er von einem ähnlichen Eisbrecher (mit einer Geschwindigkeit von bis zu 12 Knoten) gerammt wird, sowie im Fall, dass ein Passagierflugzeug auf den nuklearen Eisbrecher fällt.

Wären schwimmende Atomkraftwerke eine Option für Länder, deren Einwohner Angst vor Atomkraft haben?

Rosatom: Atomeisbrecher sind nicht für die Energieversorgung von ihnen vorgesehen. Als relevantes Beispiel kann schwimmendes KKW Akademik Lomonosov genannt werden. Diese Art von Nukleartechnologie könnte tatsächlich eine mögliche Lösung für Länder sein, in denen es aufgrund des spezifischen Klimas, der Geografie und der Energiesysteme nicht immer möglich ist, große Nuklearanlagen zu platzieren. Schwimmende KKW können schnell und mobil eingesetzt werden, um den Wärme- und Strombedarf von Städten mit bis zu 100.000 Einwohnern zu gewährleisten, aber auch um Gebiete mit Strom zu versorgen.

Sie können auch mit einer Entsalzungsanlage ausgestattet werden, was für Länder mit heißem Klima wichtig ist.

Wird es schwimmende BN-800-Reaktoren geben, die Atommüll verbrennen?

Rosatom: Derzeit gibt es keine solchen Pläne, und es ist auch wichtig zu wissen, dass dieser Reaktor ein Hochleistungsreaktor ist und nicht für den Einsatz in schwimmenden Anlagen vorgesehen ist.

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