Schluss mit lustig
"Die Partei" und der T-Shirt-Spruch: Der Streit um die Frage, wann ein Witz rassistisch ist, zeigt, dass es nicht nur einen besseren Humor, sondern auch eine bessere Humorkritik braucht
Von der Krise des bürgerlichen Parlamentssystems schien eine Partei zu profitieren, die schon im Namen die Austauschbarkeit des Parteienangebots deutlich macht. "Die Partei" schien von der Politikverdrossenheit zu profitieren.
Bei den letzten Europawahlen hatte sie einen Stimmenzuwachs, so dass neben dem Gründer Martin Sonneborn noch Nico Semsrott ein gut dotiertes Mandat im EU-Parlament wahrnehmen konnte. Mit dem Ex-Sozialdemokraten Marco Bülow hat "Die Partei" nun auch einen Sitz im Bundestag (Die PARTEI zieht in den Bundestag ein). Er war neben Sarah Wagenknecht ein Mitbegründer der Bewegung "Aufstehen", die bundesweit heute keine Rolle mehr spielt.
Sie sprach ein denkbar unterschiedliches Milieu als "Die Partei" an. Bülows dortiger Eintritt wird auch als Abstrafen der Linkspartei gesehen, die mehrheitlich Wagenknecht und der von ihr gegründeten Aufstehen-Bewegung nicht folgte. Zudem dürfte Bülow, der als Einzelkämpfer gilt, auch gereizt haben, als bisher einziger Vertreter von "Die Partei" im Bundestag eine gewisse Aufmerksamkeit zu erlangen, die er bei der Linken nicht gehabt hätte. Auch anderswo zieht "Die Partei" Personen an, die schon verschiedene andere Parteien durchhaben.
Selbst in kleineren Orten stellt "Die Partei" ohne Aussicht auf Erfolg eine Kandidatin für die Bürgermeisterwahl auf. Die Partei schien das Sammelbecken für Alle zu werden, die von dem parlamentarischen System nichts mehr erwarten, aber Wahlboykott auch nicht als der Weisheit letzten Schluss hielten. Den anarchistischen Spruch, wenn Wahlen was ändern würden, wären sie verboten, würde "Die Partei" gar nicht widersprechen, aber vielleicht hinzufügen, dass das auch für den Wahlboykott gilt. So wurde "Die Partei" zu einer Sammelstelle der zynischen Vernunft.
Wenn sich fast alle Parteien mit Wahlversprechungen, die niemand ernst nahm, lächerlich machte, setzten die Anhänger von "Die Partei" auf maximale Ehrlichkeit. Sie sagten ganz offen, dass sie die Stimmen der Leute wollten, weil ja auch ein ehemaliger Titanic-Redakteur noch etwas Geld bis zur Rente braucht. Die Diäten im Europaparlament sind da eine gute Entschädigung dafür, in langweiligen Gebäuden Präsenz zeigen zu müssen.
Martin Sonneborn, bekannt als langjähriger Titanic-Redakteur setzte gelegentlich auch politische Akzente mit Satire im EU- Parlament, beispielsweise mit seiner Rede gegen die Auslieferung von Julian Assanges. Manches war allerdings nur lustig verpackter liberaler Mainstream, beispielsweise seine Suada gegen den "Türkenhitler" Erdogan. Da wimmelt es dann auch von Stereotypen über Kopfabschneider und "krassgravitätische Turkmusik", die man durchaus als rassistisch bezeichnen, aber auch als belanglos ignorieren kann. Es mögen flache Witze sein, doch Erdogan und Co. haben sie verdient.
Wann ist ein Witz rassistisch?
Nun hat eine weitere flache Humoreinlage von Sonneborn zum Austritt des EU-Parlamentariers Nico Semsrott geführt, den er in einer explizit humorlosen Erklärung begründete. Auslöser war ein T-Shirt, in dem Sonneborn nach dem Riot vor und im Kapitol in Washington sowohl Trump als auch China humoristisch bloßstellen wollte.
Nach dem Austritt von Semsrott bedankte sich Sonneborn bei ihm für die "deprimierende Zusammenarbeit" und ging auf Distanz zu seinem Satireversuch. Dabei setzte er die erfreuliche Erklärung voran, dass die Exegese von Witzen nicht zu seiner Profession gehört. Er entschuldigte sich dafür, wenn sich jemand rassistisch beleidigt gefühlt hat. ("Es tut mir leid, dass Menschen durch die Reproduktion dieser Stereotype verletzt wurden.")
Hauptkritikpunkt von Semsrott war eine Zeile, in der Sonneborn die Probleme von Menschen aus dem chinesischen Sprachkreis mit "r"-Lauten karikierte. Das las sich dann so:
"AU WIDELSEHERN, AMLERIKA! Habem Sie Guter FrLug runtel! Plinted in China fü Die PALTEI."
Das ist sicher nicht sehr einfallsreich und ohne großen intellektuellen Tiefgang. Aber ist der T-Shirt-Spruch rassistisch? Semsrott beweist zumindest, dass er gut aufgepasst hat bei den Lektionen in Weltoffenheit und Liberalität, die in den letzten Jahren in Teilen des Medienbetriebs hegemonial geworden sind. Zunächst kommt die Selbstkritik, Sonnenborn und er seien privilegierte weiße Männer. Dass stimmt zweifellos, vor allem was das gut dotierte Parlamentsmandat betrifft. Semsrott versteht sich gut auf Symbolpolitik.
"Auch wenn wir beide glücklicherweise weit davon entfernt sind, irgendwo an nennenswerte politische Ämter zu kommen, tragen wir in unseren Rollen Verantwortung. Ich finde, wenn wir schon aus strukturellen Gründen keine Veränderung der Verhältnisse schaffen können, sollten wir es wenigstens symbolisch versuchen", heißt es in seiner Erklärung.
"Feedback", "Respekt" - Schlüsselworte der neoliberalen Agenda
Darin steckt natürlich auch das Bekenntnis, dass man keinesfalls die Privilegien, die man als gutdotierter Abgeordneter hat, zur Unterstützung kleiner linker Projekte einsetzt. Von Rojava in Kurdistan bis zum Hambacher Forst oder den unter Corona besonders gefährdeten linken Kulturzentren, käme da schon einiges zusammen. Aber es geht ja auch bei den persönlichen Verhältnissen nicht darum, etwas zu verändern, sondern um Symbolpolitik.
Sehr ehrlich ist dann auch der Schlusssatz in Semrotts Erklärung:
"Das schreckliche Mandat im EU-Parlament werde ich als PARTEI-Loser bis zum bitteren Ende ausführen. Ich könnte das Leid nicht verantworten, das ein*e Nachrücker*in statt meiner ertragen müsste."
Alle kennen den Subtext. Ich will die guten Diäten und Privilegen dieses Mandats eben bis zum Ende der Legislaturperiode auskosten. Der Gedanke, dass bei den Grünen vor langer Zeit mal darüber gesprochen wurde, dass Abgeordnete nach der Hälfte der Legislaturperiode rotieren, kommt ihm ebenso wenig, wie die Erkenntnis, dass sich sicher viele freuen würden, dass Leid der Privilegien, die dieses "schreckliche Mandat im EU-Parlament" erzeugt, für einige Zeit zu tragen.
Hier wird eigentlich die liberale Symbolpolitik klar auf den Punkt gebracht. Übe Selbstkritik auch an deinen Privilegien, aber halte auf jeden Fall an ihnen fest und teile sie nicht mit Unterprivilegierten. Die neoliberale Agenda wird bis in der Begriffswahl deutlich, wenn Semsrott schreibt:
Für mich geht es bei Martin Sonneborns Tweets von vergangener Woche weniger um eine Debatte über den Sinn und Zweck von Satire, sondern vielmehr um einen ignoranten Umgang mit Feedback. Wenn sich Menschen von seinen Postings rassistisch angegriffen fühlen, muss er nicht viel tun. Es reichen Mitgefühl und der Respekt vor den Betroffenen, um das eigene Verhalten zu korrigieren.
Aus der Austrittserklärung von Nico Semsrott aus "Die Partei"
Feedback ist das Schlüsselwort der neoliberalen Management-Führung. Amazon-Beschäftigte können ein Lied davon singen, dass sie von ihren Bossen angehalten werden, immer wieder Feedbacks zu geben. Ein ignoranter Umgang mit Feedback, der gerne auch mit mangelnder Empathie übersetzt wird, ist in der neoliberalen Welt ein No-Go. Wenn Semsrott dieses Denken auf die politische Ebene übersetzt, zeigt er, dass seine Humorkritik nicht wesentlich tiefer ist als Sonneborns Tweet.
Eine bessere Humorkritik ist möglich
Diese Kritik an Semsrotts Austrittserklärung bedeutet nun keineswegs, das Gebaren von "Die Partei", die so männlich geprägt ist wie die schon fast vergessenen Piraten, oder Sonneborns speziellen Humor zu verteidigen. Wie eine bessere Humorkritik aussehen kann, zeigte vor einigen Wochen die Wochenzeitung Jungle World, die die Ausgabe zum Jahresende 2020 unter den Obertitel Humor stellte.
Dort schreibt Elke Wittich, die Sonneborns Humoreinlage nicht kennen konnte, aber diese Art von Humor schon:
Außerdem können Scherze über nicht zu ändernde Merkmale einer Person oder Gruppe sehr gern unterbleiben, ebenso wie ausgelutschte Formulierungen, vor allem, wenn sie bereits auf Tassen und T-Shirts verewigt wurden.
Elke Wittich
Solche Witze sind oft einfach langweilig, ohne dass sie gleich rassistisch sein müssen. Die Jungle-World-Autorinnen und Autoren in der Humor-Ausgabe hatten nicht den Anspruch, alle Menschen vor den Zumutungen zu schützen, durch einen Witz auch mal beleidigt zu sein. Besonders religiöse Vertreter der unterschiedlichen Provenienz verstehen da oft keinen Spaß und fordern den Respekt vor ihren Kulten ein.
Da China heute im Weltgefüge nicht zu den unterdrückten und diskriminierten Ethnien gehört, kann man Sonnenborn nicht vorwerfen, sich mit dem Tweet über unterdrückte Minderheiten lustig gemacht zu haben. Trotzdem ist diese Art von Humor verzichtbar. Es braucht aber nicht nur besseren Humor, sondern auch bessere Humorkritik.