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Schmutzige Alternative zu russischer Kohle

Kohleabbau in El Cerrejón. Foto: Hour.poing / CC BY-SA 3.0

Eine gigantische Steinkohlemine im Norden Kolumbiens schädigt die Natur und die Gesundheit indigener Anwohner. Nun soll sie verstärkt Kohle nach Deutschland liefern

La Guajira liegt an der Grenze zu Venezuela und ragt als nördlichste, dünn besiedelte Provinz Kolumbiens als Halbinsel ins Karibische Meer [1]. Im Süden sind die Böden einigermaßen fruchtbar. Hier gibt es Bananenplantagen und Viehzucht. Im Norden hingegen wird es immer trockener, bis die Landschaft in eine Wüste übergeht. Mitten in der Halbwüste tut sich ein gigantischer Krater auf - 69.000 Hektar groß - eine der größten Steinkohleminen Lateinamerikas.

Betreiber ist der Schweizer Konzern Glencore. Mehr als 30 Millionen Tonnen Kohle werden hier pro Jahr gefördert, rund 40 Prozent der gesamten kolumbianischen Produktion. In Guajira sind etwa 44 Prozent der Bevölkerung indigener Abstammung.

Für die rund um die Cerrejón-Mine lebenden Gemeinden der Wayúu und Afrokolumbianer hat der Tagebau gravierende Folgen, berichtet Rosa María Mateus Parra. So wurden bereits mehrere Dörfer der Wayúu, einer der größten indigenen Gruppen des Landes, bereits zwecks Erweiterungen zwangsumgesiedelt. Feinstaubemissionen durch den Kohleabbau und ein hoher Quecksilbergehalt schädigt die Gesundheit der Anwohner, weiß die Anwältin der Wayúu. Die Menschen klagen über Atemnot und massive Hautausschläge.

Blätter nach Regen schwarz von Kohlestaub

Der Kohlestaub verschmutzt die Luft, fällt Regen, sind die Blätter der Bäume schwarz. Auf dem Wasser liegt ein ölig schwarzer Film, klagen die Indigenen [2]. Im Alter von acht Monaten habe ihr Sohn Fieber und Atemnot bekommen, berichtet auch Luz Ángela Uriana. Er sei durch den Staub, der durch die Mine aufgewirbelt wurde, krank geworden.

Bis heute kämpft die Aktivistin gegen die massiven Eingriffe von Glencore. Die Mine rückte immer näher heran an ihr einstiges Haus in Provincial, eine Siedlung der Wayuú. Die Erschütterungen der Maschinen verursachten Risse an den Wänden, bis das Haus zusammenbrach [3].

Doch es gibt auch Befürworter: In einer der ärmsten Regionen Kolumbiens sei Cerrejón ein wichtiger Arbeitgeber, argumentieren sie. Viele Dörfer und Geschäften existierten nur wegen der Mine. Doch viele der Einheimischen befürchten, dass die Mine immer weiter wächst. Die Krankheiten kamen, als die Mine mit der Kohleförderung begann, vor etwa 40 Jahren. Wegen der Verschmutzungen durch den Kohlestaub und die daraus entstehenden Krankheiten wird die Mine von vielen Indigenen auch als "Monster" bezeichnet.

La Guajira und Cesar sind die größten Kohletagebaue Kolumbiens. Hier werden 90 Prozent der Kohle des Landes gefördert. Zugleich sind es die Regionen, in denen am häufigsten Menschenrechte verletzt werden und die Umwelt extrem verschmutzt wird [4].

Wasserknappheit hat sich massiv verschärft

Der Bach Arroyo Bruno war der letzte verbliebene Zufluss für den einzigen Fluss in der Region. Um an die darunter liegende Kohle zu kommen, ließen ihn die Minenbetreiber über eine Länge von knapp vier Kilometern umleiten. Insgesamt seien mehr als ein Dutzend Wasserläufe verlegt oder zerstört worden, erklärt Stephan Suhner von der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ASK) [5]. Cerrejón grabe den Indigenen die Wasserversorgung ab und zwinge sie so indirekt zur Umsiedlung.

Es gehe auch um spirituelle Aspekte, erklärt Rosa María Mateus Parra. Die Anwältin gehört zum kolumbianischen Anwaltskollektiv CAJAR [6], das die Wayuú unterstützt. Im Fluss lebe gemäß dem Glauben der Wayúu eine ihrer höchsten Gottheiten. Sei dieser nicht mehr da, könne die Göttin nicht mehr angerufen werden.

Das Unternehmen wies alle Vorwürfe zurück. Gesetze und Grenzwerte würden eingehalten, hieß es. Man besprenkle die Halden mit Wasser, um die Staubentwicklung zu reduzieren. Doch als sich an der Verschmutzung nichts änderte, verklagten die Anwohner die Minenbetreiber vor dem Verfassungsgericht. Bei den Verhandlungen ging es um Grenzwerte und Staubentwicklung. Der Fluss müsse zurückgeleitet werden, entschied das Gericht 2017 [7], denn die Flussumleitung habe Auswirkungen auf das Klima und die Gesundheit der Einwohner. Die kulturellen Rechte der Indigenen seien per Verfassung geschützt, so die Begründung weiter.

Der Konzern wurde verpflichtet, dringende Übergangsmaßnahmen zu ergreifen, um die Gefahr von Umwelt- und Gesundheitsschäden für die Wayuú-Gemeinde Provincial in der Gemeinde Barrancas zu verhindern.

Wenn es um Luftverschmutzung gehe, seien die gesetzlichen Vorschriften in Kolumbien zu flexibel und lax, gibt Rosa María Mateus zu bedenken. Tatsächlich war das Urteil für die Menschen in Guajira zunächst ein großer Erfolg. Doch seither sei wenig passiert, klagt Luz Ángela Uriana. Im Gegenteil, die Ausbeutung der Mine gehe weiter. Vertreter kämen ins Dorf, um nachzufragen, zu welchen Zeiten sie die Sprengungen machen könnten.

Glencore will Interessen mit privaten Schiedsgerichten durchzusetzen

Bereits vor dem Urteil habe der Präsident der Mine öffentlich Stimmung gegen die indigenen Anwohner gemacht und mit der Schließung sowie dem Verlust tausender Arbeitsplätze gedroht, berichtet Stephan Suhner vom ASK. Das Gericht hatte Unternehmen, Behörden und Anwohner aufgefordert, gemeinsam eine Lösung zu finden. Stattdessen verklagte Glencore im Mai 2021 den kolumbianischen Staat.

Grundlage ist ein Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Kolumbien, welches zu Zeiten der Dekolonisierung entstand, als die Industriestaaten ihren direkten Zugriff auf die Rohstoffe im globalen Süden in Gefahr sahen.

Dadurch kamen internationale private Schiedsgerichte ins Spiel, die Rechtsprechung und demokratische Prozesse des betroffenen Landes untergraben können, indem sie Staaten zu hohen Schadenersatzzahlungen verurteilen, wenn zum Beispiel durch hohe Umweltstandards Gewinne geschmälert werden oder Projekte ganz abgebrochen werden müssen.

Mit seiner inzwischen dritten Klage dieser Art blockiert der Konzern nun das Urteil des höchsten kolumbianischen Gerichts. Der Spielraum für die Durchsetzung von Umweltstandards werde immer enger. Man habe Klage gegen Kolumbien eingereicht, weil keine Lösung gefunden werden konnte und der Wert des Arroyo-Bruno-Projektes gesunken sei, lassen Konzernsprecher offiziell verlauten [8].

Unterdessen sind bei den indigenen Führungspersönlichkeiten Todesdrohungen eingegangen. Offenbar blieb es aber nicht bei Drohungen. Es war am Abend des 21. Mai 2022, als Luz Ángela Uriana, eine der Klägerinnen, sich mit ihren acht Kindern und ihrem Mann in ihrem Haus in der Gemeinde Hatonuevo aufhielt. Plötzlich kamen Männer auf Motorrädern und feuerten sechs Schüsse auf das Dach ihres Hauses ab. Zum Glück wurde niemand verletzt.

Cerrejón distanziert sich von dem Anschlag. Das Unternehmen arbeite Hand in Hand mit den Gemeinden zusammen und setze sich für die Entwicklung des Gebiets ein, hieß es in einer Pressemitteilung. So plane man in Provincial einen neuen Gesundheitsposten, Maßnahmen zur Bodenstabilisierung sowie die Errichtung einer Baumschule [9].

Ein großer Teil der geförderten Kohle geht an die USA, seit kurzem auch verstärkt nach China, vor allem aber in die EU. Deutsche Kunden sind vor allem Steag und die EnBW. Auch Uniper und RWE kaufen Kohle aus Kolumbien. Und die stammt vermutlich aus der Mine von Glencore. Steag berichtet von Gesprächen mit den Wayuú. Die Firma habe Cerrejón mit Fakten konfrontiert, etwa der Verletzung von Wasseremissionswerten, so ein Steag-Sprecher.

Die deutschen Unternehmen müssten Risiken für Menschenrechte und Umwelt umfassend untersuchen, klare Anforderungen an die Bergbauunternehmen in Kolumbien stellen und sich zudem an der Wiedergutmachung für Schäden beteiligen, die sie mitverursacht haben, fordert Armin Paasch von Misereor [10]. Vertreter deutscher Unternehmen sollten herkommen, um sich selbst ein umfassendes Bild vor Ort zu machen, fordert außerdem Luz Ángela Uriana.

Kohle-Importe aus Kolumbien nehmen massiv zu

Ermordete Gewerkschafter, Vertreibung von Menschen, massive ökologische Schäden - die Nachrichten aus Kolumbien während der letzten Jahre warfen kein gutes Bild auf die Kohleunternehmen und deren deutschen Geschäftspartner. Auch deshalb hatte die deutsche Regierung bis vor Kurzem noch auf russische Kohle gesetzt: Allein im letzten Jahr kam mit 20 Millionen Tonnen jährlich mehr als die Hälfte der deutschen Steinkohle-Importe aus Russland. Bis Russland in die Ukraine einmarschierte.

Wegen des Kohleembargos gegen Russland sucht Europa nun nach Alternativen. Russische Kohle-Importe werden gedrosselt und die Importe aus Kolumbien wieder hochgefahren. Wurden im letzten Jahr gerade mal sechs Prozent der Steinkohle aus Kolumbien importiert, waren es im März bereits 690.000 Tonnen - rund dreimal so viel wie noch im Vormonat. Auch Deutschlands Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) kündigte an, in der Stromerzeugung wieder mehr auf Kohlekraftwerke statt auf Gas zu setzen [11].

Bereits vor einigen Wochen hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wegen der Kohle-Importe mit dem scheidenden kolumbianischen Präsidenten Iván Duque telefoniert. Noch am Tag des Anrufs erhielten indigene Gemeinden, die gegen den Ausbau der größten Kohlemine des Landes und die Umleitung von Flüssen geklagt hatten, eine Mail vom kolumbianischen Umweltministerium: Man wolle den Tagebau noch vergrößern, hieß es darin.

Deutsche Nachfrage nach Steinkohle stößt auf Kritik

Der Vorstoß von Olaf Scholz stehe "im Gegensatz zu dem, was wir hier in den letzten Monaten ausführlich im Ausschuss diskutiert haben", kritisierte die grüne Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger auf Anfrage des ARD-Magazins Kontraste [12].

Aus dieser Region "Blutkohle" zu importieren sei falsch, denn die Importe seien "koloniale Ausbeutung", kritisiert die grüne Abgeordnete, die im Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie sitzt. Statt zusätzlicher Kohleförderung sollte Deutschland Entschädigungen für all jene Menschen zahlen, die vor Ort unter den Umweltschäden durch die Kohleförderung leiden.

Die ehemalige Pressesprecherin des Anti-Kohle-Aktionsbündnisses Ende Gelände fordert einen ehrlichen Diskurs darüber, wie für die entstandenen Schäden der letzten Jahrzehnte Gerechtigkeit geschaffen werden könnte. Konkret denkt Henneberger dabei an "Ausgleichsmaßnahmen". Doch die meisten Vertreter der Grünen, die kürzlich noch gegen zusätzliche Steinkohle-Importe protestierten, verweigern jeden Kommentar - sowohl zu den Kohle-Importen, als auch zur Umwelt- und Menschenrechtslage in den kolumbianischen Minen.

Stattdessen verweist das Wirtschaftsministerium auf das Sorgfaltspflichtengesetz, das ab Januar 2023 in Kraft treten soll [13]. Demnach sollen Kohle-Importeure ihre ausländischen Vertragspartner danach auszuwählen, ob sie vor Ort Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards einhalten. Noch bevor es in Kraft getreten ist, wird das Gesetz von Kritikern als zu lasch und zu unzulänglich bezeichnet.

"Ich dachte, wir kommen langsam über die toxische Beziehung zwischen Deutschland und Kolumbien hinweg", empört sich Anderson Sandoval über die deutsche Kehrtwende. Nun wirft die aktuelle Entscheidung die deutsche Energiepolitik um 20 Jahre zurück.

Unidos por La Paz - Alemania, das Kollektiv der kolumbianischen Diaspora, dem auch Sandoval angehört, startete aus gegebenem Anlass eine Petition, die die Regierungen auffordert, aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen [14]. Die globale Erwärmung müsse auf unter 1,5 Grad zu begrenzt werden, heißt es darin. Den indigenen und afrokolumbianischen Gemeinschaften stehe eine saubere und gesunde Umwelt zu. 164 Organisationen aus 28 Ländern haben die Forderung bereits unterzeichnet.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7153569

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.kuoni.ch/suedamerika/kolumbien/la-guajira-die-karibische-wueste
[2] https://www.swr.de/swr2/wissen/kolumbiens-indigene-klagen-ueber-mehr-kohleabbau-fuer-europa-100.html
[3] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/technologie/kohle-kolumbien-tagebau-103.html
[4] https://amerika21.de/2022/04/257734/kolumbien-deutschland-steinkohle
[5] https://www.woz.ch/-c246
[6] https://www.colectivodeabogados.org/
[7] https://www.woz.ch/-c246
[8] https://www.woz.ch/-c246
[9] https://www.diariodelnorte.net/?p=117534
[10] https://www.misereor.de/informieren/unternehmens-verantwortung
[11] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/technologie/erdgas-braunkohle-steinkohle-ersatz-verstromung-101.html
[12] https://www.tagesschau.de/investigativ/kontraste/kolumbianische-kohle-101.html
[13] https://kurzelinks.de/nc3u
[14] https://www.unidosporlapaz.de/general-8?lang=de